Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 19.02.2003) |
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 19. Februar 2003 mit den Feststellungen aufgehoben
- soweit es die Angeklagten K., C. und Ka. betrifft, in vollem Umfang,
- soweit es den Angeklagten G. betrifft, im Fall 45 der Anklageschrift und im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen „Handeltreibens mit Kokain in nicht geringen Mengen in 3 Fällen und wegen gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Kokain in 4 Fällen” zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten und den Angeklagten C. wegen „Handeltreibens mit Kokain in nicht geringer Menge” zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die hiergegen zum Nachteil der Angeklagten eingelegte, auf Rügen der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Urteils, soweit es diese Angeklagten betrifft. Im Fall der mit „Anklagevorwurf 45” bezeichneten Tat führt sie nach § 301 StPO auch zu einer Urteilsaufhebung zu Gunsten der Angeklagten. Diese ist nach § 357 StPO auch auf die Angeklagten Ka. und G. zu erstrecken, die insoweit wegen „Handeltreibens mit Kokain in nicht geringer Menge” zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren (Ka.) bzw. zu einer Einzelstrafe von drei Jahren und sechs Monaten (G.) verurteilt worden sind, aber keine Revision eingelegt haben.
1. Die Staatsanwaltschaft hat das Rechtsmittel nicht auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Sie wendet sich mit Einzelangriffen zwar ausschließlich gegen die Strafzumessung, hat aber den Revisionsantrag gestellt, das angefochtene Urteil bezüglich der Angeklagten K. und C. insgesamt aufzuheben, und in der Einleitung zur Revisionsbegründung darauf hingewiesen, daß mit ihr eine Beschränkung der Revision nicht gewollt sei.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft unterliegt der Schuldspruch gegen die Angeklagten K. und C. der Aufhebung, da das Landgericht die sich aufdrängende Prüfung unterlassen hat, ob sich die Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, darunter auch mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, strafbar gemacht haben. Nach den Feststellungen des Landgerichts schlossen sich spätestens Anfang des Jahres 2002 die Mitangeklagten D. und S. zusammen, um fortlau- fend zumeist von dem Mitangeklagten G. Kokain zu erwerben und dieses weiterzuveräußern. G. war seinerseits zunächst mit dem Angeklagten K. und später auch mit dem Angeklagten C. sowie dem Mitangeklagten Ka. übereingekommen, Kokain von Lieferanten zu beziehen, sodann zwischenzulagern, zu strecken und zu portionieren und an verschiedene Abnehmer weiterzuverkaufen. In den beiden von der Tätergruppierung um den Mitangeklagten G. benutzten Wohnungen konnten im Juli 2002 neben einem Rauschgiftvorrat von mehr als drei Kilogramm Kokain Drogenerlöse in Höhe von mehr als 340.000 EUR aufgefunden werden. Diese Feststellungen lassen es als naheliegend erscheinen, daß die Angeklagten bei der mit „Anklagevorwurf 45” bezeichneten Tat unerlaubt mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben und dabei als Mitglieder einer Bande gehandelt haben, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat (§ 30 a Abs. 1 BtMG). Sie hätten auch dazu gedrängt, den Zeitpunkt näher zu bestimmen, zu dem sich die Angeklagten zusammengeschlossen hatten, und lassen deshalb die Möglichkeit offen, daß auch die anderen festgestellten Taten bandenmäßig begangen worden sind.
3. Auf die nach § 301 StPO veranlaßte Prüfung unterliegt das Urteil der Aufhebung auch zugunsten der Angeklagten, soweit diese im „Anklagevorwurf 45” wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden sind. Die pauschale Feststellung, die Angeklagten hätten aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses einen Kokainvorrat von etwa 3.355 Gramm aufbewahrt, um das Kokain anschließend abzusetzen, reicht für den Schuldspruch nicht aus. Sie läßt die Tatbeteiligung jedes einzelnen Angeklagten hinsichtlich eines vollendeten Handeltreibens mit der Gesamtmenge nicht ausreichend erkennen. Die Feststellungen, wie die Angeklagten K. und C. sowie der Mitangeklagte Ka. mit Bruchteilen dieser Betäubungsmittelmenge umgegangen sind, ersetzen nicht die erforderlichen konkreten Feststellungen zu Einzelhandlungen der Angeklagten in bezug auf die Gesamtmenge, so z. B. zur Beteiligung jedes einzelnen Angeklagten am Einkauf und zu seinen Möglichkeiten, auf den Absatz Einfluß zu nehmen und auf den Rauschgiftvorrat zuzugreifen.
Die notwendigen Feststellungen können auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnommen werden. Die Beweiswürdigung beschränkt sich auf die Mitteilung, der Sachverhalt stehe „fest aufgrund der Geständnisse der Angeklagten sowie der übrigen ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls erhobenen Beweise”.
Der Umstand, daß die Urteilsgründe zum „Anklagevorwurf 45” nur in der nahezu wortgleichen Wiedergabe des Anklagesatzes bestehen, weckt zudem Zweifel, ob die im Urteil nicht näher geschilderten Geständnisse der Angeklagten eine ausreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung des Gerichts sein konnten, zumal sich der Eindruck aufdrängt, daß dem Urteil eine verfahrensbeendigende Absprache zugrunde liegt, bei der der von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gesteckte Rahmen (BGHSt 43, 195) nicht eingehalten worden ist.
Gemäß § 357 StPO war das Urteil auch aufzuheben, soweit die Mitangeklagten Ka. und G., die selbst keine Revision eingelegt haben, wegen dieser Tat verurteilt worden sind.
Dies führt beim Angeklagten C. und beim Mitangeklagten Ka. zur vollständigen Aufhebung des Urteils, beim Angeklagten K. und beim Mitangeklagten G. zur Aufhebung der Verurteilung wegen dieser Tat sowie zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe. Der Senat schließt aus, daß die Höhe der weiteren gegen diese Angeklagten verhängten Einzelstrafen von der aufgehobenen Einsatzstrafe beeinflußt war.
Im übrigen hat die Überprüfung des Urteils keinen den Angeklagten K. beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
4. Für das weitere Verfahren sieht der Senat Anlaß zu folgenden Hinweisen:
a) Der Strafzumessung betreffend den Angeklagten C. stehen Rechtsbedenken entgegen, die – wenngleich sie für die Revisionsentscheidung nicht mehr ausschlaggebend sind – auch im Fortgang des Verfahrens Bedeutung behalten. Wie sich aus den Urteilsgründen ergibt, hat das Landgericht dem Angeklagten für den Fall eines Geständnisses zugesichert, eine Strafe von nicht mehr als drei Jahren zu verhängen. Bei dieser Zusage hatte das Landgericht außer Acht gelassen, daß der Angeklagte (unter seinem Alias-Namen) im Juni 1997 vom Amtsgericht Heilbronn wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden war. Dies hatte die Staatsanwaltschaft bereits in der Anklage unter Hinweis auf Einzelheiten der Vollstreckung mitgeteilt. Das Landgericht, das sich dieses Umstands offensichtlich erst bewußt wurde, nachdem der Angeklagte die Verurteilung eingeräumt hatte, „fühlte sich dennoch an” seine „Höchststrafenzusage gebunden” (UA S. 23) und hat eine Freiheitsstrafe von drei Jahren verhängt. Dies läßt besorgen, das Landgericht habe die Strafe nicht an der Schuld des Angeklagten und den Wirkungen der Strafe für dessen zukünftiges Leben (§ 46 Abs. 1 StGB) bemessen, sondern sich an einer dem Angeklagten gegebenen, den Inbegriff der Hauptverhandlung nicht erschöpfenden Zusage orientiert. Eine Bindung an die Höchststrafenzusage hat indes nicht bestanden, weil die Zusage – wie sich schon aus den Urteilsgründen ergibt – im offenen Dissens mit der Staatsanwaltschaft erfolgt war (vgl. BGHSt 43, 195, 210; BGH StV 2003, 481). Zudem würde selbst eine bindende Zusage das Gericht von einer Zumessung der Strafe, d. h. von einer Entscheidung über die Strafhöhe, die sich nicht in der Erfüllung eines Versprechens gegenüber dem Angeklagten erschöpft, nicht befreien können.
b) Das Landgericht hat – so jedenfalls der Anschein nach den Urteilsgründen und der Vortrag der Beschwerdeführerin – in der Hauptverhandlung allen Angeklagten gegenüber zugesagt, eine bestimmte Strafhöhe nicht zu überschreiten, sofern die Angeklagten ein Geständnis ablegen. Daraufhin haben die Angeklagten die Taten eingeräumt. Sollten in der neuen Hauptverhandlung Einlassungen der Angeklagten nicht mehr erfolgen, wird der neue Tatrichter zu prüfen haben, ob diese früheren Geständnisse – unabhängig davon, ob es sich dabei etwa nur um „Formalgeständnisse” gehandelt hat, die das Landgericht von weiterer Beweisaufnahme nicht entbanden (vgl. BGHSt 43, 195, 204) – in der neuen Hauptverhandlung zur Grundlage der Verurteilung gemacht werden können (vgl. hierzu Kuckein in FS für Meyer-Goßner S. 63, 68 ff.).
c) Die Gesamtstrafenbildung beim Angeklagten K. gibt zu Rechtsbedenken Anlaß, die ihre Bedeutung auch im Fortgang des Verfahrens behalten. Der Angeklagte ist wegen des „Anklagevorwurfs 45” zu einer Einzelstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Nach den bisherigen Feststellungen hat er darüberhinaus einmal mit 230 Gramm Kokain und einmal mit 100 Gramm Kokain Handel getrieben, sowie in weiteren vier Fällen mit Kokainmengen von zweieinhalb bis zehn Gramm (Wirkstoffgehalt jeweils mindestens 40 % KHC). Das Landgericht hat dafür weitere Einzelstrafen von zwei Jahren, einem Jahr und sechs Monaten, einem Jahr und drei Monaten, zweimal einem Jahr und zwei Monaten sowie von einem Jahr verhängt.
Die hieraus gebildete Gesamtstrafe war rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht die Einsatzstrafe von drei Jahren angesichts weiterer Einzelstrafen von insgesamt über acht Jahren um lediglich drei Monate erhöht hat und die Gesamtstrafe damit die Mindeststrafe nach § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB lediglich um zwei Monate übersteigt. Allein ein enger zeitlicher Zusammenhang der Taten vermag eine am untersten Rand des Strafrahmens verbleibende Gesamtstrafenbildung nicht zu rechtfertigen. Eine solche Gesamtstrafenbildung kann vielmehr nur unter ganz besonderen Umständen der zusammenfassenden Würdigung der Person des Täters und der einzelnen Straftaten gerecht werden. Derart außergewöhnliche Umstände sind indes nicht festgestellt und ergeben sich vor allem nicht aus einer „besonderen Strafempfindlichkeit” des Angeklagten als Ausländer, auf die das Urteil fehlerhaft, weil ohne individuellen Beleg für den Angeklagten, abhebt (vgl. hierzu BGHSt 43, 233; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Lebensumstände 17).
d) Für den Fall eines erneuten Schuldspruchs wegen gewerbsmäßigen Handeltreibens wird dieses gesetzliche Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG) nicht in die Urteilsformel aufzunehmen sein (vgl. Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 260 Rdn. 25 m. w. N.).
Unterschriften
Tolksdorf, Miebach, Winkler, Pfister, Becker
Fundstellen
Haufe-Index 2557884 |
NStZ 2004, 493 |
StraFo 2004, 138 |