Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufsichtsrat als Vertreter einer Gesellschaft bei einer Klage der Witwe eines Vorstandsmitglieds gegen die Gesellschaft aufgrund einer Versorgungszusage
Leitsatz (amtlich)
In dem Rechtsstreit um die Erfüllung einer Versorgungszusage, den die Witwe eines Vorstandsmitglieds gegen die Gesellschaft führt, wird diese nicht durch ihren Vorstand, sondern ausschließlich durch ihren Aufsichtsrat vertreten.
Normenkette
AktG § 112; ZPO § 547 Nr. 4
Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 29.11.2004; Aktenzeichen 8 U 42/04) |
LG Essen (Urteil vom 09.12.2003; Aktenzeichen 18 O 27/03) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 8. Zivilsenats des OLG Hamm vom 29.11.2004 aufgehoben und das Urteil der 18. Zivilkammer des LG Essen vom 9.12.2003 teilweise abgeändert.
Die Klage wird insgesamt als unzulässig abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Die Klägerin ist die Witwe des früheren Vorstandsmitglieds H. der K. AG, deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist. Der Ehemann der Klägerin hatte nach § 11 Abs. 1 seines Dienstvertrages einen Anspruch auf Ruhegehalt i.H.v. 50 % des zuletzt bezogenen Jahresgehalts; nach § 14 des Vertrages steht der Klägerin eine Witwenrente i.H.v. 60 % des zuletzt gezahlten Ruhegehalts zu. Nach dem Tod des Ehemannes im Januar 2001 zahlte die Beklagte zunächst die vertraglich vereinbarte Witwenrente, stellte die Zahlungen jedoch im Juli 2002 ein und widerrief mehrfach - erstmals im Januar 2003 - die Versorgungszusage wegen wirtschaftlicher Notlage.
[2] Die Klägerin hat gegen die Beklagte "gesetzlich vertreten durch den Vorstand" Klage auf Zahlung rückständiger und zukünftiger Witwenrente erhoben. Das LG hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben, das OLG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
[3] Die Revision der Beklagten ist begründet und führt unter Aufhebung bzw. teilweiser Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen zur Abweisung der Klage als unzulässig.
[4] 1. Die Beklagte ist im vorliegenden Rechtsstreit nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten (§ 547 Nr. 4 ZPO). Vertreter der Beklagten war gem. § 112 AktG ihr Aufsichtsrat. Dies gilt auch für den hier vorliegenden Fall eines Prozesses der Gesellschaft mit der Witwe eines früheren Vorstandsmitglieds um Ansprüche aus einer Versorgungszusage bzw. um die Zulässigkeit ihres Widerrufs.
[5] a) Gesetzlicher Zweck des § 112 AktG ist es, eine unbefangene Vertretung der Gesellschaft sicherzustellen, welche von sachfremden Erwägungen unbeeinflusst ist und sachdienliche Gesellschaftsbelange wahrt. Im Interesse der Rechtssicherheit ist dabei auf eine typisierende Betrachtung abzustellen (st.Rspr. des Senats: BGH, Urt. v. 26.6.1995 - II ZR 122/94, BGHZ 130, 108, 111 f. = AG 1995, 464 = MDR 1995, 1220; Urt. v. 22.4.1991 - II ZR 151/90, AG 1991, 269 = GmbHR 1991, 324 (LS) = MDR 1991, 732 = ZIP 1991, 796, 797; zuletzt Urt. v. 29.11.2004 - II ZR 364/02, AG 2005, 239 = BGHReport 2005, 645 = MDR 2005, 583 = ZIP 2005, 348, 349 jew. m.w.N.). Dieser Zweck erfordert, wie der Senat in den angeführten Entscheidungen wiederholt ausgesprochen hat, eine Anwendung des § 112 AktG nicht nur auf Rechtsstreitigkeiten mit noch im Amt befindlichen Vorstandsmitgliedern, sondern auch auf Prozesse, die mit Vorstandsmitgliedern einer Rechtsvorgängerin der jetzigen Gesellschaft oder mit ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedern geführt werden.
[6] b) Die - abstrakte - Gefahr einer Interessenkollision, die die Anwendung des § 112 AktG erfordert, ist gleichermaßen in einem Fall wie dem vorliegenden gegeben, in dem die Witwe des Vorstandsmitglieds Rentenansprüche geltend macht, die nicht anders als die Ruhegehaltsansprüche des verstorbenen Ehemannes auf dessen früherer Vorstandstätigkeit beruhen (ebenso Hüffer, AktG 7. Aufl., § 112 Rz. 2; Semler in MünchKomm/AktG, 2. Aufl., § 112 Rz. 32 m.w.N.). Darüber hinaus gewährleistet die Einbeziehung von Ansprüchen, die von Angehörigen des Vorstandsmitglieds geltend gemacht werden und die aus dem Vorstandsverhältnis hergeleitet werden, in die alleinige Vertretungszuständigkeit des Aufsichtsrats, dass über alle aus dem Anstellungsverhältnis resultierenden Ansprüche einheitlich durch den Aufsichtsrat entschieden wird (so zutreffend Semler a.a.O.; ebenfalls auf den Kontinuitätsgedanken abstellend BGHZ 103, 212, 218).
[7] 2. Der Vertretungsmangel, der auch ohne die von der Beklagten in der Revisionsinstanz erhobenen Rüge von Amts wegen zu beachten ist (Urt. v. 5.3.1990 - II ZR 86/89, AG 1990, 359 = GmbHR 1990, 297 = MDR 1990, 803 = WM 1990, 630, 631; v. 28.4.1997 - II ZR 282/95, AG 1997, 417 = GmbHR 1997, 647 (LS) = ZIP 1997, 1108, 1109), ist nicht geheilt worden (vgl. Urt. v. 8.9.1997 - II ZR 55/96, MDR 1998, 59 = WM 1998, 308, 309). Der Aufsichtsrat der Beklagten hat die Prozessführung des Vorstands nicht genehmigt.
[8] Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auf das nach Erhebung der Klage verfasste Schreiben des Aufsichtsratsvorsitzenden vom 9.12.2002, in dem sie gebeten worden ist, sich "direkt an den Vorstand zu wenden, da dieses ausschließlich vom Vorstand entschieden werden kann". Ihm ist schon seinem Inhalt nach nicht zu entnehmen, dass der Aufsichtsrat die - im Übrigen zu diesem Zeitpunkt gerade erst und ohne inhaltliche Stellungnahme aufgenommene - Prozessführung durch den Vorstand genehmigen wollte. Erst recht kann ihm nicht entnommen werden, dass dieser Erklärung ein Beschluss des Aufsichtsrats als Gesamtorgan (§ 108 Abs. 1 AktG) zugrunde gelegen hat. Darauf, dass eine Bevollmächtigung des Vorstands durch den Aufsichtsrat durchgreifenden Bedenken begegnete (Semler in MünchKomm/AktG 2. Aufl., § 112 Rz. 66; vgl. Hüffer, AktG 7. Aufl., § 112 Rz. 4 f.), kommt es danach nicht an.
[9] 3. Das Verbot der reformatio in peius steht der Abweisung der Klage als unzulässig in dritter Instanz nicht entgegen (Urt. v. 5.3.1990 a.a.O.).
Fundstellen
Haufe-Index 1624767 |
DB 2006, 2805 |
DStR 2006, 2325 |