Leitsatz (amtlich)
Der verletzte und dadurch vorübergehend arbeitsunfähige Angestellte hat gegen den verantwortlichen Schädiger auch dann einen an den Arbeitgeber abtretbaren Anspruch auf Ersatz des Bruttogehalts, wenn ihm an dessen Stelle gleich hohe Krankenbezüge nach den Bestimmungen des Bundesangestelltentarifs gezahlt werden (im Anschluß an BGHZ 42, 76 und 43, 378).
Normenkette
BGB § 249
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 23.06.1964) |
LG Kassel (Urteil vom 12.03.1963) |
Tenor
I. Auf die Revision des klagenden Landes wird das Urteil des 1. Zivilsenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt (Main) vom 23. Juni 1964 aufgehoben.
II. Auf die Berufung des klagenden Landes wird das Urteil der 5. Zivilkammer des Landesgerichts in Kassel vom 12. März 1963 teilweise abgeändert, soweit die Klage abgewiesen worden ist.
Die Beklagte wird verurteilt, an das klagende Land über die zuerkannten 341,73 DM hinaus weitere 783,94 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 25. August 1962 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Berufung und der Revision werden der Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Am 2. Juni 1961 verursachte ein Fahrer der Beklagten mit deren Kraftfahrzeug einen Verkehrsunfall, bei dem Ruth S., eine Angestellte des klagenden Landes, erheblich verletzt wurde. Die Haftung der Beklagten steht dem Grunde nach außer Streit.
Die Verletzte war vom 3. Juni bis zum 15. September 1961 arbeitsunfähig. Das klagende Land zahlte ihr während dieser Zeit die vollen Dienstbezüge nach den Bestimmungen des Bundesangestelltentarifs (BAT) weiter. Die Verletzte trat darauf ihre Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte wegen der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit an den Arbeitgeber ab.
Die Aufwendungen des klagenden Landes in dem fraglichen Zeitraum betrugen insgesamt 2.493,21 DM. Darin sind über das Bruttogehalt von 2.127,83 DM hinaus die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung mit 228,88 DM und zu einer zusätzlichen Altersversorgung (VBL) mit 98,– DM enthalten, ferner an Lohnsummensteuer 34,04 DM und als Beitrag zur Berufungsgenossenschaft 4,46 DM. Das klagende Land hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß die Beklagte zum Ersatz dieser Gesamtaufwendungen verpflichtet sei. Es hat der Beklagten eine Zahlung ihres Haftpflichtversicherers in Höhe von 1.329,04 DM gutgebracht und mit der Klage Erstattung der verbleibenden 1.164,17 DM nebst Zinsen verlangt.
Die Beklagte hat demgegenüber die Ansicht vertreten, daß sich der Schaden der Verletzten und damit ihr abtretbarer Anspruch in dem Nettogehalt von 1.670,77 DM erschöpfe, das ihr unstreitig nach Abzug der Steuern und der Arbeitnehmerbeiträge ausgezahlt worden ist. In Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen dieser Summe und der geleisteten Zahlung, mithin 341,73 DM, hat die Beklagte den Klageanspruch anerkannt. Im übrigen hat sie um Abweisung der Klage gebeten.
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 341,73 DM nebst Zinsen verurteilt und die weitergehende Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat darüber hinaus zwei in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsanträgen des klagenden Landes stattgegeben. Es hat festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet sei, innerhalb der Grenze des § 12 Abs. 1 Ziffer 1 StVG dem klagenden Land
- den Schaden zu ersetzen, den die Angestellte Ruth S. durch Minderung ihrer Ansprüche aus der Sozialversicherung und der zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung erleiden würde, wenn für sie in der Zeit vom 3. Juni 1961 bis zum 15. September 1961 Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung und die Versorgungsbeiträge VBL nicht abgeführt worden wären,
- die auf den Schadensbetrag von 1.670,77 DM von Frl. S. etwa zu zahlende Einkommen- und Kirchensteuer zu ersetzen.
Der Hauptantrag der Berufung auf Zuerkennung weiterer 822,44 DM nebst Zinsen ist zurückgewiesen worden. Hiergegen richtet sich die Revision des klagenden Landes, die den geforderten Betrag auf 783,94 DM nebst Zinsen beschränkt.
Entscheidungsgründe
Die Revision sieht davon ab, die Ansprüche auf Erstattung der anteiligen Lohnsummensteuer (34,04 DM) und des Beitrags zur Berufsgenossenschaft (4,46 DM) weiter zu verfolgen. Sie läßt es damit bei der zutreffenden Entscheidung des Berufungsgerichts bewenden, daß der Schaden insoweit nicht in der Person der Verletzten entstanden ist. Es handelt sich vielmehr um Lasten des klagenden Landes, die zwar an die Beschäftigung der Angestellten und damit an die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall geknüpft sind, die aber nicht zugunsten des Arbeitnehmers getragen werden. Mit Recht sind deshalb die beiden Posten nicht als Erwerbsschaden der Verletzten, sondern als – nicht erstattungsfähiger – Drittschaden des Arbeitgebers angesehen worden.
Anders verhält es sich jedoch mit den Aufwendungen des klagenden Landes, deren Ersatz die Revision weiterhin erstrebt. Es sind dies die Lohn- und Kirchensteuer, die infolge der Lohnfortzahlung unverändert einbehalten und abgeführt werden mußten, sowie die Beiträge (Arbeitnehmer- wie Arbeitgeberanteile) zur Sozialversicherung und zur zusätzlichen Altersversorgung. Das Berufungsgericht hat die Erstattungsfähigkeit im wesentlichen mit der Begründung verneint, der Erwerbsschaden der Verletzten lasse sich nur mit Hilfe der Annahme errechnen, daß sie während der Arbeitsunfähigkeit kein Gehalt bezogen habe. Dann ergebe sich als Verlust allein der Wegfall der Nettobezüge, allenfalls vermehrt um noch ungewisse Nachteile bei den künftigen Leistungen der Sozialversorgung und um die etwa vom Entschädigungsbetrag zu entrichtenden Steuern. Insoweit sei nur die mit dem Hilfsantrag begehrte Feststellung möglich.
Das Berufungsgericht hat sich damit auch für den Fall der Lohnfortzahlung auf den Boden der sogenannten „modifizierten Nettoberechnung” gestellt. Das Berufungsurteil ist vor den Entscheidungen des erkennenden Senats BGHZ 42, 76 und 43, 378 ergangen, in denen die umstrittene Frage im entgegengesetzten Sinne, also zugunsten der Erstattung des Bruttogehalts und der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, entschieden worden ist. An dieser Auffassung, der inzwischen auch der III. Zivilsenat im Ergebnis beigetreten ist (Urteil vom 23. Juni 1965 – III ZR 185/62 – = VersR 65, 793) ist festzuhalten. Da das Berufungsurteil keine bisher unberücksichtigten Gesichtspunkte enthält, kann in wesentlichen auf die Gründe der angezogenen Entscheidungen des erkennenden Senats verwiesen werden.
Auch das Berufungsgericht hat die Schwierigkeit zutreffend in der Frage gesehen, wie im Falle der Lohnfortzahlung, die die wirtschaftliche Lage des Verletzten unverändert läßt, der übergangsfähige Schaden ermittelt werden soll. Es ist zuzugeben, daß der Lösungsversuch durch einen Vergleich mit der Lage, wie sie ohne die Lohnfortzahlung bestehen würde, folgerichtig zu dem vom Berufungsgericht gewonnenen Ergebnis führt. Solange eine solche Unterstellung als unerläßlich angesehen und zugrunde gelegt wird, läßt sich ein Ersatz der vollen Aufwendungen des Arbeitgebers nicht einfach damit begründen, daß er dem Verletzten das Bruttogehalt schulde und daß bei der Lohnfortzahlung kein ausgleichungspflichtiger Vorteil eintrete. Denn die tatsächlich bestehende Lage ist durch die Fiktion der Nichtfortzahlung gerade aus der Betrachtung ausgeschaltet worden. Daß beim Verlust des Lohnanspruchs der konkrete Erwerbsschaden, gleichviel ob er vom Brutto- oder vom Nettolohn her errechnet wird, geringer als im Falle der Lohnfortzahlung sein kann und deshalb nicht ohne weiteres mit dem Bruttogehalt gleichgesetzt werden darf, steht ausser Frage. Der erkennende Senat verbleibt deshalb dabei, daß von der ungerechtfertigten Unterstellung der Nichtfortzahlung abgesehen werden muß, damit der Erwerbsschaden in den tatsächlich unveränderten, dem Schädiger aber nicht zugute kommenden Aufwendungen des Arbeitgebers erblickt werden kann, – wobei sich dann freilich keinerlei ausgleichungspflichtige Vorteile ergeben.
Wie unangemessen und künstlich das mittels der Fiktion gewonnene Ergebnis ist, zeigen besonders die auf den Hilfsantrag getroffenen Feststellungen des Berufungsurteils. Einen künftigen Schaden infolge Nichtzahlung der Sozialbeiträge, wie ihn die Beklagte hiernach gegebenenfalls ersetzen soll, wird die Verletzte niemals erleiden, weil die Beiträge während ihrer Arbeitsunfähigkeit tatsächlich fortentrichtet worden sind. Ebenso ist sicher, daß sie niemals wegen des Entschädigungsbetrages zur Lohn- und Kirchensteuer herangezogen werden wird, weil sie nicht diese Ersatzleistung, sondern ihr bereits versteuertes Gehalt empfängt. Im übrigen hätte – wenn überhaupt – insoweit auf Leistung geklagt und erkannt werden müssen. Denn wenn schon ein Steuertatbestand zugrunde gelegt wird, der weder jetzt noch in Zukunft eintritt, dann sind auch die nur vorgestellten Abgaben sogleich zu errechnen. Vor den dabei auftretenden, letztlich nur durch eine Schätzung nach § 287 ZPO zu überwindenden Schwierigkeiten hätte nicht auf eine Feststellung ausgewichen werden dürfen. – Alles dies ist beim unfallbedingten Verlust des Lohnanspruchs anders. Dort entstehen die bezeichneten Nachteile wirklich; sie sind deshalb vom Schädiger auch in diesem Umfang auszugleichen. Dagegen gelangt das Berufungsgericht vorliegend zu nur gedachten Einbußen. Der wirkliche Schaden in Gestalt des fortgezahlten Gehalts einschließlich der tatsächlich entrichteten Steuern und Beiträge bleibt unberücksichtigt. Daß er sich mangels jeder Veränderung im Einkommen des Verletzten nicht durch den Vergleich verschiedener Vermögenslagen erfassen läßt, ist keine Rechtfertigung hierfür. Wie der Senat in den angezogenen Entscheidungen dargelegt hat, ist die Differenzmethode bereits mit der Anerkennung eines übergangsfähigen Schadensersatzanspruchs trotz Gehalt- oder Lohnfortzahlung (BGHZ 7, 30; 21, 112) verlassen worden.
Zu Unrecht meint die Revisionserwiderung, die erörterte Rechtsprechung treffe auf den vorliegenden Fall nicht zu. Der Anspruch auf Erstattung des Bruttogehalts ist in BGHZ 42, 76, der auf Vergütung der Arbeitgeberbeiträge (bei Angestellten) in BGHZ 43, 378 zuerkannt worden, daß den Bundesangestellten das Gehalt im Krankheitsfalle nach § 37 BAT unter der Bezeichnung „Krankenbezüge” fortgezahlt wird, kann keinen Unterschied machen. Denn an der entscheidenden Verpflichtung, die Steuern und Sozialbeiträge in gleichbleibender Höhe zu entrichten, ändert sich hierdurch nichts. Das gilt auch für die Beiträge zur zusätzlichen Altersversorgung (VBL), die im übrigen ebenso wie die Beiträge zur Angestelltenversicherung zu dem gehören, was der unverletzte Angestellte durch seine Arbeitsleistung erwirbt. In § 38 Abs. 1 BAT ist nur die ohnehin bestehende Pflicht des Angestellten niedergelegt und erläutert, seine Ansprüche auf Schadensersatz wegen der Arbeitsunfähigkeit an den Arbeitgeber abzutreten. Entgegen der Meinung der Revisionsbeantwortung kann keine Rede davon sein, daß der verletzte Angestellte demnach nur einen Anspruch auf Bevorschussung dieser Ersatzleistung des Dritten, nicht aber auf Gehaltsfortzahlung habe. Die Krankenbezüge nach § 37 BAT sind unabhängig davon zu gewähren, ob und inwieweit ein Schädiger zum Ersatz herangezogen werden kann.
Demnach mußte das Berufungsurteil auf die Revision des klagenden Landes aufgehoben werden. Das landgerichtliche Urteil war auf die Berufung teilweise dahin abzuändern, daß dem klagenden Land die begehrten weiteren 783,94 DM nebst Zinsen zuerkannt werden. Die unbegründete Mehrforderung von insgesamt 38,50 DM hat keine besonderen Kosten verursacht. Daher waren der Beklagten in Abänderung der ergangenen Kostenentscheidungen die gesamten Kosten des Rechtsstreits nach §§ 91, 92 Abs. 2 ZPO aufzuerlegen.
Unterschriften
Engels, Hanebeck, Dr. Bode, Dr. Pfretzschner, Dr. Nüßgens
Fundstellen
Haufe-Index 1502208 |
NJW 1966, 199 |
Nachschlagewerk BGH |