Leitsatz (amtlich)
Die Gesellschafterversammlung ist befugt, zur Vertretung der Gesellschaft in einem von einem Gesellschafter gegen sie geführten Rechtsstreit einen besonderen Vertreter zu bestellen, wenn in dem Prozeß eine Pflichtverletzung eine Rolle spielt, die der Gesellschafter gemeinsam mit den Geschäftsführern begangen haben soll. Die von dem Vorwurf betroffenen Gesellschafter haben bei dem Beschluß über die Bestellung des Vertreters kein Stimmrecht.
Tatbestand
Die Geschäftsanteile der verklagten GmbH werden zu 10,375 % von der Erbengemeinschaft nach G. L.-W. (im folgenden: GLE), bestehend aus den drei Klägern zu je 1/3, und zu 89,625 % von der Erbengemeinschaft nach A. W. (im folgenden: AWE) gehalten; an dieser sind F. und G. A. W. zu je 37,5 % sowie die GLE zu 25 % beteiligt. Am 24. Oktober 1989 beantragten die Kläger in einer Gesellschafterversammlung, den Kläger zu 1 zum besonderen Vertreter anstelle des Geschäftsführers G. A. W. in einem zwischen F. W. und der Beklagten geführten Arbeitsgerichtsprozeß zu bestellen. In jenem Rechtsstreit, den das Landesarbeitsgericht bis zur Entscheidung des hier geführten Prozesses ausgesetzt hat, verlangt F. W. Zahlung angeblich rückständiger Angestelltenbezüge für die Zeit vom 8. November 1968 bis zum 31. Dezember 1987 in Höhe von 189.248,30 DM. Dabei stützt er sich auf einen angeblichen Gesellschafterbeschluß vom 22. Mai 1964. Mit Bezug auf diesen Beschluß hat G. A. W. als Geschäftsführer bereits knapp 1,3 Mio. DM an sich selbst sowie an F. W. und an ihre Mutter G. W. ausgezahlt. Diese ist neben G. A. W. Geschäftsführerin der Beklagten und war zu 25 % an der AWE beteiligt, bevor sie am 22. März 1988 ihren Erbanteil je zur Hälfte auf G. A. und F. W. übertrug; letzterer war in der Zeit von Ende 1957 bis Ende 1967 Geschäftsführer gewesen. Wegen jener Auszahlungen haben die Kläger es aufgrund einer Beschlußfassung in der Gesellschafterversammlung vom 10. August 1988 im Prozeßwege durchgesetzt, daß gegen G. A. und G. W. Schadensersatzansprüche gerichtlich geltend zu machen seien und der Kläger zu 3 zum Prozeßvertreter bestellt wurde. In der Gesellschafterversammlung vom 24. Oktober 1989 wurde der oben erwähnte Antrag der Kläger mit den Stimmen der AWE und gegen die Stimmen der GLE abgelehnt. Für die AWE stimmte dabei der Wirtschaftsprüfer K. ab; dieser war aufgrund einer zuvor von den Mitgliedern der AWE durchgeführten Abstimmung mit den Stimmen G. A. und F. W.s und gegen die Stimmen der Kläger zum Vertreter der Erbengemeinschaft für die Gesellschafterversammlung bestellt worden.
Die Kläger haben mit der am 31. Oktober 1989 eingereichten Klage beantragt, den Beschluß vom 24. Oktober 1989 für nichtig zu erklären und festzustellen, daß in jener Gesellschafterversammlung der Kläger zu 1 anstelle des Geschäftsführers G. A. W. zum besonderen Vertreter der Beklagten im Arbeitsgerichtsprozeß gegen F. W. bestellt worden sei. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgen die Kläger ihr Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
1. Das Berufungsgericht hat die Anfechtungs- und Beschlußfeststellungsklage mit der Begründung abgewiesen, die Führung des Rechtsstreits vor den Arbeitsgerichten falle nicht in die Beschlußzuständigkeit der Gesellschafter; es gehe nicht um die Geltendmachung von Ersatzansprüchen im Sinne des § 46 Nr. 8 GmbHG, sondern umgekehrt um gegen die Gesellschaft erhobene Ansprüche. Dieser Beurteilung liegt, wie die Revision zu Recht geltend macht, ein zu enges Verständnis von der Reichweite jener Vorschrift zugrunde.
§ 46 Nr. 8 GmbHG weist der Gesellschafterversammlung zwei voneinander zu unterscheidende Regelungsgegenstände zu: die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Geschäftsführer und Gesellschafter (1. Alternative) und die Vertretung der Gesellschaft in Prozessen gegen Geschäftsführer (2. Alternative). Der vorliegende Fall wird von der 2. Alternative, die hier allein in Betracht kommt, nicht unmittelbar erfaßt, denn F. W. ist zwar Gesellschafter, aber nicht (mehr) Geschäftsführer. Es kommt nicht darauf an, ob es von Bedeutung ist, daß F. W. früher einmal Geschäftsführer war; die Entscheidung, ob gegen einen ausgeschiedenen Geschäftsführer Ersatzansprüche geltend gemacht werden sollen, ist auch dann der Gesellschafterversammlung vorbehalten, wenn jener nicht mehr im Amt ist (BGHZ 28, 355, 357). Die Gesellschafterversammlung der Beklagten war jedenfalls auf der Grundlage der 2. Alternative des § 46 Nr. 8 GmbHG befugt, einen besonderen Prozeßvertreter zu bestellen. Die dort enthaltene Regelung, die sowohl für Aktiv- wie auch für Passivprozesse gilt, soll die unvoreingenommene Prozeßführung für die Gesellschaft in Rechtsstreitigkeiten sicherstellen, in denen die Geschäftsführer insgesamt oder teilweise als Vertretungsorgan nicht in Betracht kommen. Wegen dieses Normzwecks erwähnt die Vorschrift nur die Geschäftsführer als Prozeßgegner. Darin erschöpft sich ihr Regelungsgehalt aber nicht. Sie gilt entsprechend für den Rechtsstreit gegen einen Gesellschafter, in dem diesem dieselbe Pflichtverletzung vorgeworfen wird, derentwegen auch der Geschäftsführer in Anspruch genommen werden soll; denn dann ist dieser insoweit ebenfalls gehindert, die Gesellschaft zu vertreten (BGHZ 97, 28, 35). Darüber hinaus wird im Schrifttum die Ansicht vertreten, die Gesellschafterversammlung könne immer einen besonderen Vertreter bestellen, wenn gegen einen Gesellschafter Ersatzansprüche geltend gemacht werden sollen (Lindacher, ZGR 1987, 121, 123; Hachenburg/Hüffer, GmbHG 8. Aufl. § 46 Rdn. 103 m.w.N.).
Im hier zu entscheidenden Fall geht es nicht unmittelbar um die Durchsetzung eines Ersatzanspruchs gegen F. W., sondern um angebliche Gehaltsansprüche, die dieser gegen die Gesellschaft geltend macht. Die Kläger behaupten jedoch, er habe sich zusammen mit den jetzigen Geschäftsführern die Grundlage für seine und deren gleichgearteten Ansprüche oder jedenfalls für ihre Durchsetzung erst dadurch geschaffen, daß alle gemeinsam in jüngerer Zeit eine auf den 22. Mai 1964 rückdatierte Urkunde über einen damals tatsächlich nicht gefaßten Gesellschafterbeschluß errichtet hätten, wonach ihnen angeblich zustehende Gehälter zunächst nicht ausgezahlt, sondern bis auf weiteres gestundet worden sein sollen. In späteren Vereinbarungen vom 12. November und 31. Dezember 1985 sind die Beteiligten übereingekommen, die angeblich rückständigen Gehälter nunmehr nach und nach an sie auszuzahlen. Tatsächlich sind inzwischen in den Jahren 1985 bis 1988 insgesamt fast 1,3 Mio. DM an G. A., G. und F. W. ausgezahlt worden. Auch die im Arbeitsgerichtsprozeß zwischen F. W. und der Beklagten eingeklagte Geldsumme von 189.248,30 DM soll nach der Behauptung der Kläger bereits ausgezahlt sein; durch den in jenem Rechtsstreit erstrebten Titel soll, wie die Kläger weiter vorgetragen haben, eine in Wirklichkeit nicht vorhandene Rechtsgrundlage dafür geschaffen werden. Die Beklagte hat dort zwar Klageabweisung beantragt, ist aber im übrigen dem Klageanspruch nicht entgegengetreten.
Zwischen der von F. W. vor den Arbeitsgerichten geltend gemachten Forderung und den gegen ihn und die beiden Geschäftsführer der Beklagten gemeinsam erhobenen Vorwürfen besteht danach ein enger Zusammenhang. Obsiegt F. W. im Arbeitsgerichtsrechtsstreit, so haben nach der Ansicht der Kläger die Geschäftsführer das an ihn gezahlte Geld gleichwohl als Schadensersatz an die Gesellschaft zurückzuzahlen. Eine unvoreingenommene Vertretung der Beklagten im dortigen Prozeß ist bei diesen im jetzigen Rechtsstreit zugrunde zu legenden Gegebenheiten nicht zu erwarten. Ein Rückzahlungsanspruch gegen F. W. selbst ließe sich darüber hinaus wegen der Rechtskraft der dann im Arbeitsgerichtsprozeß getroffenen Entscheidung nicht mehr durchsetzen. Diese Umstände bilden einen wichtigen Grund dafür, den Gesellschaftern die Möglichkeit zu geben, durch Bestellung eines besonderen Vertreters dafür zu sorgen, daß bereits im Rechtsstreit über den von F. W. geltend gemachten Anspruch die Interessen der Gesellschaft mit dem gebotenen Nachdruck wahrgenommen werden können. Es kommt entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung hier nicht darauf an, ob der von den Klägern erhobene Vorwurf gemeinsamer Pflichtverletzung begründet ist. Ein Geschäftsführer, dem dieselbe Pflichtverletzung zur Last gelegt wird, die für die Beurteilung eines Anspruchs von Bedeutung ist, über den in einem Prozeß zwischen einem Gesellschafter und der Gesellschaft gestritten wird, ist nicht geeignet, dabei deren Interessen unbefangen und nachhaltig zu vertreten. Das ist ausschlaggebend.
Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß F. W. nicht unmittelbar, sondern nur als Mitglied der Erbengemeinschaft AWE an der Beklagten beteiligt ist. Die entsprechend § 46 Nr. 8 GmbHG gegebene Möglichkeit, den Geschäftsführern die Prozeßvertretung unter bestimmten Voraussetzungen auch für Rechtsstreitigkeiten mit Gesellschaftern zu entziehen, soll der Gefahr entgegenwirken, daß die Interessen der Gesellschaft deswegen nicht mit dem nötigen Nachdruck betrieben werden, weil die insoweit befangenen Geschäftsführer sich in einem besonderen Interessenkonflikt befinden. Ist der betroffene Gesellschafter Mitglied einer Erbengemeinschaft, die ihrerseits an der GmbH beteiligt ist, so besteht jene Konfliktsituation jedenfalls dann, wenn der Gesellschafter allein oder zusammen mit weiteren Mitgliedern, denen derselbe Vorwurf gemacht wird, einen bestimmenden Einfluß auf die Erbengemeinschaft ausüben kann. Das ist hier der Fall; F. W. ist zusammen mit G. A. W. an der Erbengemeinschaft AWE zu 75 % beteiligt.
2. Der am 24. Oktober 1989 mit den Stimmen der AWE gefaßte Beschluß, mit dem der Antrag der Kläger abgelehnt worden ist, ist nicht wirksam zustande gekommen; vielmehr ist, was das Landgericht auf die Beschlußfeststellungsklage hin im Ergebnis zu Recht festgestellt hat, der Antrag der Kläger mit den Stimmen der Erbengemeinschaft GLE angenommen worden.
a) Wären die Mitglieder der Erbengemeinschaft AWE nicht als solche, sondern je für sich Gesellschafter der Beklagten gewesen, so wäre nach § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG (2. Alternative) nicht nur F., sondern auch G. A. W. von der Teilnahme an der Abstimmung ausgeschlossen gewesen. Das ist für F. W. als Prozeßgegner selbstverständlich; denn von ihm kann nicht erwartet werden, daß er einen Prozeßvertreter auswählt, der gegen ihn die Interessen der Gesellschaft besonders nachdrücklich vertritt (vgl. BGHZ 97, 28, 34). Das gleiche gilt aus den Gründen, die hier die Bestellung eines besonderen Vertreters rechtfertigen, auch für den Geschäftsführer G. A. W.. Dagegen hätte der Kläger zu 3, wenn er unmittelbarer Gesellschafter der Beklagten gewesen wäre, mitstimmen dürfen (vgl. BGHZ 97, 28, 34 f.).
Es spielt hier keine Rolle, ob der für G. A. und F. W. bestehende Stimmrechtsausschluß auf die ebenfalls am 24. Oktober 1989 unmittelbar vor der Gesellschafterversammlung durchgeführte Abstimmung in der Erbengemeinschaft AWE über die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters – dabei war entgegen der Ansicht des Landgerichts eine Mehrheitsentscheidung zulässig – durchschlug (vgl. dazu schon ohne die Frage zu entscheiden BGHZ 49, 183, 193 f.), so daß die Kläger den Vertreter allein hätten bestellen können. Eine Beschlußfassung im Sinne der Kläger ist schon deshalb erreicht worden, weil die Stimmen der AWE in der Gesellschafterversammlung der Beklagten zumindest außer Betracht zu bleiben hatten. Ist von den Mitberechtigten an einem Geschäftsanteil nur ein Teil als befangen anzusehen, so kommt es darauf an, ob der oder die Betroffenen das Abstimmungsverhalten der Gesamtheit maßgeblich beeinflussen können (BGHZ 49, 183, 194; Sen.Urt. v. 15. Dezember 1975 – II ZR 17/74, WM 1976, 204, 205). Das war hier der Fall, weil G. A. und F. W. an der Erbengemeinschaft AWE zu 75 % beteiligt waren. Der sich daraus ergebende, in der Bestellung des Wirtschaftsprüfers K. und dessen Stimmabgabe sich niederschlagende Einfluß durfte in der Abstimmung der Gesellschafterversammlung nicht zum Tragen kommen. Das hat zur Folge, daß der Antrag der Kläger nicht abgelehnt, sondern mit den von ihnen als Mitgliedern der GLE abgegebenen Stimmen angenommen worden ist.
b) Die Beklagte hat in der Berufungsinstanz geltend gemacht, die Gesellschafterversammlung sei, wenn die Erbengemeinschaft AWE insgesamt nicht stimmberechtigt gewesen sei, nicht beschlußfähig gewesen. Nach § 8 Abs. 2 der Satzung der Beklagten ist die Gesellschafterversammlung nur beschlußfähig, wenn mindestens 2/3 der vorhandenen Stimmen vertreten sind. Diese Voraussetzung war im Hinblick auf die der AWE zukommende Beteiligungsquote von 75 % nicht erfüllt, wenn man deren Stimmen nicht mitzählt. Ob „anwesend” im Sinne jener Satzungsvorschrift auch derjenige ist, der für den konkreten Beschluß kein Stimmrecht hat, mag zweifelhaft sein. Im Aktienrecht wird für den Fall, daß die Satzung die Beschlußfähigkeit von der Repräsentation eines bestimmten Teils des Aktienkapitals abhängig macht, die Ansicht vertreten, daß Aktionäre, die vom Stimmrecht ausgeschlossen sind, nicht mitgezählt werden dürften (Barz, GroßKomm. z. AktG 3. Aufl. § 133 Anm. 11; Zöllner, KK z. AktG 1985, § 133 Rdn. 31); das Wohnungseigentumsgesetz sieht in § 25 Abs. 3 eine entsprechende Regelung ausdrücklich vor. Die Gesellschafterversammlung vom 24. Oktober 1989 war gleichwohl auch dann beschlußfähig, wenn die Erbengemeinschaft AWE als solche nicht stimmberechtigt war. Die mittelbar – über die beiden Erbengemeinschaften – an der Beklagten beteiligten Gesellschafter waren vollzählig erschienen. Die in § 8 Abs. 2 der Satzung vorgeschriebene Quote hätte deshalb, wenn man die nicht stimmberechtigten Kapitalanteile nicht mitzählt, auch dann nicht erreicht werden können, wenn, wie § 8 Abs. 3 der Satzung es vorsieht, binnen drei Wochen eine neue Gesellschafterversammlung mit der gleichen Tagesordnung einberufen worden wäre. In einem solchen Fall ist die Aussetzung der Beschlußfassung nutzlos. Die Beschlußfähigkeit ist deshalb immer gegebenen, wenn alle Gesellschafter erschienen sind (vgl. für das Aktienrecht Zöllner aaO).
Fundstellen
Haufe-Index 649116 |
BGHZ, 353 |
BB 1992, 224 |
NJW 1992, 977 |
ZIP 1992, 171 |
GmbHR 1992, 102 |