Leitsatz (amtlich)

Wer durch eine Körperverletzung arbeitsunfähig geworden ist, kann in der Regel von dem verantwortlichen Schädiger Ersatz der Beiträge verlangen, die er zur freiwilligen Fortsetzung der Rentenversicherung aufbringt.

 

Normenkette

BGB §§ 842-843; RVO § 1233; AngestelltenversicherungsG (AVG) § 10

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Urteil vom 30.12.1964)

LG Dortmund (Urteil vom 26.06.1964)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel des Klägers wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm (Westf.) vom 30. Dezember 1964 aufgehoben und das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund vom 26. Juni 1964 abgeändert.

Der Klageanspruch ist dem Grunde nach gerechtfertigt. Die Sache wird zur Entscheidung über die Höhe des Anspruchs und die Kosten des Rechtsstreits, einschließlich der Kosten der Revision, an das Landgericht Dortmund zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der am … 1907 geborene Kläger ist infolge einer am 1. Dezember 1952 durchgeführten Operation berufsunfähig; er bezieht eine Berufsunfähigkeitsrente der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Die Beklagten sind unter der Einschränkung des § 1542 RVO verpflichtet, ihm allen Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Operation entsteht; diese Verpflichtung ist durch das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 21. Juni 1956 – 3 O 110/56 – rechtskräftig festgestellt. In Höhe des entgangenen Bruttolohns einschließlich des Arbeitgeberanteils zur Sozialversicherung der Angestellten leisteten die Beklagten Schadensersatz bis zum 31. Dezember 1962; seit dem 1. Januar 1963 ersetzen sie lediglich den Nettoverdienstausfall des Klägers.

Der Kläger hat mit der Klage Schadensersatz in Höhe der Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung der Angestellten nach Maßgabe des entgangenen Bruttogehalts für die Zeit vom 1. Januar 1963 bis zum 30. April 1964 gefordert, und zwar für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 1963 monatlich 109,20 DM und für die Zeit ab 1. Juli 1963 monatlich 113,40 DM.

Der Kläger hat geltend gemacht, er würde nach einer Auskunft des Versicherungsamtes der Stadt Dortmund nach den für 1964 geltenden Rentenberechnungsfaktoren und bei einem zugrunde gelegten Bruttoverdienst von 800 DM bei Erreichung des 65. Lebensjahres folgende Leistungen als Altersruhegeld erhalten:

  1. monatlich 456,17 DM, wenn er keine weiteren Beiträge leiste,
  2. monatlich 624,12 DM, wenn er freiwillig Beiträge in Höhe der Pflichtbeiträge leiste,
  3. monatlich 654,60 DM, wenn er bei der freiwilligen Weiterversicherung die höchstmögliche Beitragsstufe wähle.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin-Wilmersdorf den Betrag von 1.789,20 DM als Beiträge für die freiwillige Weiterversicherung in der Rentenversicherung für die Zeit vom 1. Januar 1963 bis zum 30. April 1964 zu zahlen. Die Beklagten haben um Klageabweisung gebeten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Der Senat hat in BGHZ 43, 378 dargelegt, daß der verantwortliche Schädiger für den arbeitsunfähig gewordenen Verletzten die Beiträge zur Rentenversicherung zu übernehmen hat, soweit wegen des fortgezahlten Arbeitsentgeltes eine Pflicht, sei es des Geschädigten selbst, sei es des Arbeitgebers zur Zahlung dieser Beiträge an den Versicherungsträger besteht. Fällt mit Auflösung des Arbeitsverhältnisses die Pflicht zur Zahlung von Versicherungsbeiträgen weg, hat der Betroffene bei Erfüllung gewisser Voraussetzungen die Möglichkeit einer freiwilligen Weiterversicherung (§ 1233 BVO; § 10 AVG). Sie dient im Falle der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit des Versicherten dessen Interesse an einer Sicherung des Altersruhegeldes (§ 1245 RVO; § 22 AVG) und der Hinterbliebenenrente (§ 1263 RVO; § 40 AVG). Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 10. April 1954 – VI ZR 61/53 – = VersR 1954, 277 = NJW 1954, 1034 – entschieden, daß der Schädiger dem Verletzten auf Verlangen die Beiträge zur Weiterversicherung zu erstatten hat, um ihm die Möglichkeit zu geben, die Anwartschaft auf die Leistungen der Rentenversicherung zu erhalten. Der Senat hat dabei die Auffassung zurückgewiesen, es handele sich um einen zukünftigen Schaden und der Schädiger genüge infolgedessen seiner Ersatzpflicht, wenn er im Versicherungsfall die alsdann festzustellende Rentendifferenz erstatte. In der Begründung der Entscheidung ist ferner darauf hingewiesen worden, daß der Anspruch gegen den Schädiger auf einen künftigen Ausgleich eines Rentenausfalls einer gesicherten Anwartschaft auf eine Sozialrente wirtschaftlich nicht gleichwertig sei. Der Wert einer Anwartschaft auf eine Sozialversicherungsrente habe sich durch das Überdauern eines zweimaligen Währungszerfalls im Volksbewußtsein besonders befestigt, während der Anspruch gegen den Schädiger auf künftigen Ausgleich einer Rentendifferenz in … stärkerem Maße risikoanfällig sei.

II.

An dieser Beurteilung hält der Senat auch gegenüber den vom Berufungsgericht erhobenen Bedenken fest. Hat der durch eine Körperverletzung arbeitsunfähig gewordene Verletzte nicht mehr die Möglichkeit, durch Arbeitsleistung für seine Alterssicherung und die Sicherung seiner Familie zu sorgen, so ist es grundsätzlich eine schadensrechtlich beachtliche Maßnahme des Verletzten, wenn er das Sozialversicherungsverhältnis in der in den Versicherungsgesetzen vorgesehenen Weise durch freiwillige Beitragsleistungen fortsetzt. Die Weiterversicherung dient nämlich dazu, daß der Verletzte durch die Sozialversicherung dieselbe Zukunfts- und Familiensicherung erhält wie sie ohne den Unfall bestanden hätte. Sieht der Geschädigte die Zusicherung des Schädigers, er wolle in Zukunft Ausfälle von Leistungen des Sozialversicherungsträgers ausgleichen, nicht als eine gleichwertige Sicherung an, so ist das kein im Schadensrecht unbeachtliches persönliches Vorurteil, sondern in aller Regel eine wirtschaftlich verständliche Erwägung (vgl. auch Medicus SchlHA 1964, 179). Dem Senat erscheint es insbesondere nicht angängig, in dieser Frage die haftpflichtversicherten Unfälle im Prinzip anders zu beurteilen als die Unfälle, in denen der Schutz einer Haftpflichtversicherung nicht eingreift. Ebenfalls kann die Art der Schadensersatzleistung nicht grundsätzlich davon abhängig gemacht werden, ob im Einzelfall ein Vertrauen auf die andauernde Leistungsfähigkeit des Schädigers gerechtfertigt ist oder nicht. Die Verfolgung von Ansprüchen gegen den Schädiger in der fernen Zeit des Versicherungsfalles kann aus mannigfaltigen Ursachen wesentlich erschwert sein.

III.

Es fragt sich nur, ob die Reform des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, die im Jahre 1957 in Verwirklichung neuer sozialpolitischer Zielsetzungen die Ausgestaltung des Versicherungsverhältnisses grundsätzlich änderte, zur Folge hat, daß fortan die Erstattung der Beiträge zur freiwilligen Weiterversicherung vom Schädiger nicht mehr gefordert werden kann. Die Frage ist zu verneinen (a.M. Wussow, Unfallhaftpflichtrecht 8. Aufl, Rdnr. 1296; Hüskes VersR 1959, 250, 251; Poppe VersR 1963, 907; OLG Köln NJW 1960, 534; OLG Frankfurt VersR 1964, 854). Allerdings hat der Versicherte durch die Gesetze zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten vom 23. Februar 1957 eine wesentlich stärkere Gewähr erhalten, daß seine Rechte auf die Versicherungsleistungen auch bei Arbeitsausfallzeiten erhalten bleiben. Der gesetzliche Begriff der versicherungsrechtlichen Anwartschaft ist weggefallen. Die Rentengewährung und die Rentenhöhe ist nicht mehr in dem Maß beitragsbezogen, wie sie es vorher war. Infolge des für die Rentenbemessung fortan mitentscheidenden Faktors des durchschnittlichen Bruttoverdienstes aller Versicherten im Mittel des dreijährigen Zeitraums vor dem Versicherungsfall (§ 1255 Abs. 1 u. 2 RVO; § 32 Abs. 1 u. 2 AVG) nimmt der Rentner an der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung aller Arbeitenden teil. Der Einfluß dieses Bemessungsfaktors bewirkt gleichzeitig, daß dem Versicherten ein gewisser Lebensstandard im Alter auch gegenüber Veränderungen in der Kaufkraft des Geldes gesichert ist. Unter der Herrschaft der dynamischen Rentenformel kann im Schadensfall nicht mehr festgestellt werden, in welcher Höhe sich Beiträge zur freiwilligen Weiterversicherung für die zukünftige Alters- oder Hinterbliebenenversorgung rentensteigernd auswirken. Dessen ungeachtet wird der Versicherte auch nach der Rentenreform in aller Regel ein anzuerkennendes Interesse haben, seine durch den Schadensfall gestörte Rentenversicherung fortzusetzen. Das ist allerdings durch freiwillige Beitragszahlung nicht möglich, wenn eine gesetzliche Wartezeit (§§ 1248 bis 1252 RVO; §§ 25 bis 29 AVG) noch nicht erfüllt ist. Ist die Weiterversicherung zulässig, so kann durch diese einer möglicherweise drohenden Gefahr entgegengewirkt werden, daß Ausfallzeiten (§§ 1258, 1259 RVO; §§ 35, 36 AVG) bei der Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre (§§ 1253, 1254 RVO; §§ 30, 31 AVG) unberücksichtigt bleiben (§ 1259 Abs. 3 HVO; § 36 Abs. 3 AVG). Für eine solche Befürchtung ist in dem hier zu entscheidenden Fall allerdings keine Grundlage gegeben (vgl. zu Fällen dieser Art Medicus a.a.O. S. 181). Es geht vielmehr lediglich darum, ob die persönliche Bemessungsgrundlage für die Rentenbemessung (§ 1255 Abs. 1 RVO; § 32 Abs. 1 AVG) durch die Unterbrechung der obligatorischen Beitragsleistung nachteilig beeinflußt werden kann. Tritt eine solche Beeinflussung ein, so ist eine Minderung der Rente gegenüber dem Zustand, der ohne Ausscheiden aus dem Arbeitsleben bestanden hätte, die zwangsläufige Folge. Nun war es ein offenbarer Mangel des im Jahre 1957 eingeführten neuen Systems der Rentenbemessung, daß die Zahlung freiwilliger Versicherungsbeiträge während der Ausfallzeiten nicht notwendig zu einer Rentenverbesserung führte. Ja es kam sogar, wenn eine geringe Beitragsklasse gewählt wurde, in Einzelfällen vor, daß durch freiwillige Versicherungsleistungen eine Minderung des Altersruhegeldes und der Hinterbliebenenrenten eintrat (vgl. Schäfer, Die Sozialversicherung 1957, 348; Schmied, Die Sozialversicherung 1958, 341; Poppe VersR 1963, 907 ff; OLG Köln NJW 1960, 534). Aus diesem Grunde ist es auch wohl zu erklären, daß die Auffassung an Boden gewann, die Beiträge zur freiwilligen Weiterversicherung brauchten seit Einführung der Rentenreform vom Schädiger überhaupt nicht mehr erstattet zu werden. Ohne weiteres einsichtig war jedenfalls, daß der Schädiger dann nicht zur Erstattung von Beiträgen verpflichtet war, wenn die Weiterversicherung bei sachkundiger Beratung als eine unzweckmäßige oder sogar schädliche Maßnahme erschien.

Das Gesetz zur Behebung von Härten in der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 – BGBl 1965, 476 – hat die erkannten Mißstände der Regelung von 1957 abgestellt, die Bewertung beitragsloser Zeiten anders geregelt und gesichert, daß entsprechend versicherungsrechtlichen Prinzipien und sozialpolitischen Erfordernissen jede freiwillige Versicherungsleistung die Rente erhöht (vgl. Bundestagsdrucksache IV/3233, Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik zum Entwurf des RVÄndG, im einzelnen zu den §§ 1255, 1255 a, 1260 a RVO; Drucksache IV/2572, Begründung des Regierungsentwurfes zum RVÄndG, Teil B Art. 1 § 1 zu Nr. 12; vgl., ferner Jorks, Die Sozialversicherung 1965, 229, 230).

Die neuen Vorschriften gelten zwar erst mit Wirkung vom 1. Januar 1966 (Art. 5 § 10 des Gesetzes). Sie ergeben aber, daß der Gesetzgeber dem Versicherten durch die Einrichtung der freiwilligen Weiterversicherung die Möglichkeit sichern den will, bei Ausfallzeiten den versicherungsrechtlichen Status zu erhalten. Pur die Beurteilung des vorliegenden Falles ist entscheidend, daß das Berufungsgericht, dem eine Auskunft des Versicherungsamtes der Stadt Dortmund vom 7. Februar 1964 vorlag, auch unter der Herrschaft der alten Versicherungsvorschriften davon ausgeht, daß das Altersruhegeld des Klägers mit Sicherheit nachteilig beeinflußt wird, wenn in der langen Zeit der Berufsunfähigkeit des Klägers eine Weiterversicherung unterbleibt. Es liegt also eine wirtschaftlich sinnvolle Maßnahme des Klägers vor, wenn er sich zur freiwilligen Weiterversicherung entschlossen hat, um zu erreichen, daß der Schutz der Sozialversicherung nicht geringer ist als er ohne sein Ausscheiden aus dem Arbeitsleben gewesen wäre. Die Forderung auf Erstattung der Aufwendungen ist unter diesen Umständen gemäß §§ 842, 843 BGB begründet. Es handelt sich um den Ausgleich von Nachteilen, die die schadenstiftende Handlung für das „Fortkommen” des Verletzten herbeigeführt hat (vgl. RG JW 1916, 193). Wenn demgegenüber die Erwägung in den Vordergrund gestellt wird, ob man die Privatversicherer rechtlich zwingen dürfe, laufend hohe und möglicherweise „verlorene” Leistungen an die Sozialversicherung zu erbringen, so entfernt sich eine solche Erwägung weit von den gesetzlichen Vorschriften, die für die Bemessung des Schadensersatzes gelten. Ist das Risiko einer wesentlichen Rentenverschlechterung absehbar, so kann es sogar im Interesse des Schädigers und seines Haftpflichtversicherers liegen, daß der Betroffene von der Möglichkeit Gebrauch macht, die Rentenversicherung durch Beitragsleistungen fortzusetzen. Es kann sich später bei der Berechnung des im Versicherungsfall erreichten persönlichen Bemessungsfaktors herausstellen, daß der Aufwand für die Beiträge erheblich geringer war als die laufende Rentenminderung, die ohne Beitragsleistungen entstanden wäre. Bei einem solchen Ergebnis könnte sich der Betroffene sogar der Gefahr aussetzen, daß ihm aus der unterlassenen Weiterversicherung der Einwand des § 254 Abs. 2 BGB entgegengehalten wird, wenn er vom Schädiger Erstattung des Rentenausfalls fordert (vgl. Sieg VersR 1964, 8).

IV.

Der geltend gemachte Anspruch erweist sich nach allein dem Grunde nach als gerechtfertigt. Da auf die Höhe des Anspruchs bisher nicht eingegangen worden ist und dem Beklagten insoweit eine Stellungnahme nicht abgeschnitten werden kann, hat der Senat ein Zwischenurteil über den Grund des Anspruchs gemäß § 304 ZPO erlassen. Zur Entscheidung über die Höhe des Anspruchs war die Sache gemäß § 538 Abs. 1 Ziffer 3 ZPO an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen. Dieses wird auch über die Kosten des Rechtsstreites, einschließlich der Kosten der Revision zu entscheiden haben.

 

Unterschriften

Hanebeck, Dr. Bode, Dr. Hauß, Dr. Pfretzschner, Dr. Nüßgens

 

Fundstellen

Haufe-Index 1502237

BGHZ

BGHZ, 332

NJW 1967, 625

JR 1967, 300

Nachschlagewerk BGH

MDR 1967, 480

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