Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsbeugung
Tenor
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 22. April 1998 werden verworfen.
Die den Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
– Von Rechts wegen –
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagten vom Vorwurf der Rechtsbeugung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung freigesprochen.
1. Der Anklagevorwurf betrifft die Mitwirkung der Angeklagten als Richter des Stadtgerichts in Berlin(Ost) in einem politischen Strafverfahren im Jahre 1975.
a) Das Stadtbezirksgericht Berlin-Lichtenberg verurteilte einen Schweizer, der bei der Botschaft seines Landes in der DDR als Koch angestellt war, wegen zweier Fälle der Beihilfe zum „ungesetzlichen Grenzübertritt”, wegen Beihilfe zu einem entsprechenden Versuch und wegen mehrfacher Beihilfe zu entsprechender Vorbereitung zu fünf Jahren Freiheitsstrafe.
Unter Ausnutzung der Möglichkeit, als Botschaftsangehöriger mit seinem PKW regelmäßig nahezu unkontrolliert in beiden Richtungen die Grenzkontrolle zwischen Berlin(Ost) und Berlin(West) passieren zu können, war der Verfolgte im November 1974 mit seiner im Kofferraum seines PKW versteckten Verlobten, einer DDR-Bürgerin, zu einem Kurzaufenthalt nach Berlin(West) – und wenig später wieder zurück nach Berlin(Ost) – gefahren. Zur gleichen Zeit hatte er auf Veranlassung eines westdeutschen Bekannten dessen Freundin zur Flucht aus der DDR verholfen, indem er sie auf gleiche Weise nach Berlin(West) schleuste. Mit zwei weiteren DDR-Bürgerinnen war er im Dezember 1974 in Verhandlungen mit dem Ziel getreten, beide Frauen – nebst Kindern – auf entsprechendem Wege gegen eine Belohnung von über 10.000 DM nach Berlin(West) zu bringen. Als er im Februar 1975 erneut mit seiner im Kofferraum versteckten Verlobten den Grenzübergang nach Berlin(West) zu passieren versucht hatte, waren beide verhaftet worden; das Paar hatte geplant, daß die Frau im Mai 1975 auf gleichem Wege endgültig ausgeschleust werden sollte.
Der Verfolgte legte gegen das Urteil, das dem Antrag des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft entsprach, eine auf die Überprüfung des Strafmaßes beschränkte Berufung ein. Diese wurde von den Angeklagten als den drei Richtern des zuständigen Strafsenats neun Tage nach dem erstinstanzlichen Urteil einstimmig als offensichtlich unbegründet verworfen.
Der Verfolgte war insgesamt mehr als drei Jahre und drei Monate in der DDR inhaftiert.
b) Das Landgericht hat eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Rechtsbeugung verneint. Die Voraussetzungen für eine hier allein in Betracht zu ziehende willkürlich überhöhte Bestrafung lägen nach der für die Beurteilung maßgeblichen Sicht der DDR-Justiz zur Tatzeit nicht vor.
2. Die gegen die Freisprechung der drei Angeklagten gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt nicht vertreten werden, haben keinen Erfolg.
a) Die Verfahrensrügen sind jedenfalls sämtlich unbegründet. Es mußte sich dem Tatrichter nicht aufdrängen, einen der von der Beschwerdeführerin vermißten Beweise zur Frage zu erheben, ob das Strafmaß so hoch bemessen war, um den Verfolgten als wirksames „Faustpfand” für in der Schweiz inhaftierte DDR-Spione einsetzen zu können. In diesem Zusammenhang wesentliche Erkenntnisse, die sich zudem auch auf den Kenntnisstand der Angeklagten hätten erstrecken müssen, mußte der Tatrichter insbesondere weder vom Verfolgten selbst noch von anderen – insoweit gegebenenfalls ihrerseits verstrickten – DDR-Justizangehörigen erwarten.
b) Der Freispruch hält auch sachlichrechtlicher Prüfung stand.
aa) Greifbare Anhaltspunkte, die den Nachweis für eine rechtsbeugerische Verfahrensgestaltung, insbesondere für eine maßgeblich von sachwidrigen, verfahrensfremden Beweggründen getragene Straffestsetzung, nahelegen mußten, sind nicht gegeben. Sie ergeben sich weder aus aktenkundigen Erwägungen zur Möglichkeit eines Austausches des Verfolgten gegen in der Schweiz inhaftierte DDR-Spione noch aus dem Ablauf des Berufungsverfahrens, insbesondere der überaus raschen Durchführung.
bb) Die Verurteilung mit der Folge einer – zudem besonders langen – Inhaftierung des Verfolgten stellt sich nach rechtsstaatlicher Betrachtungsweise fraglos als Unrechtsakt dar. Gleichwohl ist die tatrichterliche Beurteilung, die Angeklagten hätten sich durch die Billigung der hohen Strafe noch nicht wegen Rechtsbeugung strafbar gemacht, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Für die Frage einer Strafbarkeit wegen Rechtsbeugung ist aus Gründen des Vertrauensschutzes – im Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG – maßgeblich auf die Sicht von DDR-Justizangehörigen zur Tatzeit abzustellen. Danach wies der Fall im Vergleich zu „üblichen” Fällen der Aburteilung einer Mitwirkung an „ungesetzlichem Grenzübertritt” (vgl. zur Annahme von Rechtsbeugung hierbei insbesondere BGHR StGB § 336 DDR-Richter 2) mehrfache als erschwerend bewertbare Besonderheiten auf, die der Tatrichter durchweg zutreffend aufgeführt hat.
Bei dieser Sachlage ist die Verneinung von Rechtsbeugung in Form überharter, ersichtlich willkürlicher Bestrafung im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Fall liegt nicht anders als bereits entschiedene Fälle der Aburteilung von aus Sicht der DDR-Justiz ebenfalls erschwerend gewerteten und daher besonders hart geahndeten Grenzverletzungen, in denen eine Verneinung von Rechtsbeugung jeweils vom Senat hingenommen worden ist, und zwar jedenfalls aus subjektiven Gründen unter maßgeblicher Berücksichtigung des Vertrauensschutzes und auch des Zweifelsgrundsatzes (vgl. nur BGH, Urteile vom 24. November 1998 - 5 StR 253/98 - und vom 21. Januar 1999 - 5 StR 565/98 -).
Unterschriften
Laufhütte, Häger, Basdorf, Tepperwien, Gerhardt
Fundstellen