Verfahrensgang
LG Hagen (Urteil vom 06.07.2004) |
Tenor
1. Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 6. Juli 2004 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Brandstiftung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts rügen; der Angeklagte beanstandet darüber hinaus das Verfahren. Beide Revisionen greifen die Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil an. Der Angeklagte wendet sich gegen die Feststellung seiner Täterschaft; die – vom Generalbundesanwalt vertretene – Revision der Staatsanwaltschaft erstrebt eine Verurteilung auch wegen eines versuchten Tötungsdelikts sowie wegen besonders schwerer Brandstiftung (§ 306 b Abs. 2 StGB). Beide Rechtsmittel haben Erfolg.
1. Das Landgericht hat im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte beabsichtigte, am 30. Dezember 2003 die K.filiale in L. nach Geschäftsschluß zu überfallen, um seine finanzielle Situation zu verbessern. Zu diesem Zweck hatte er seine Schreckschußpistole und einen Teleskopschlagstock eingesteckt. Er fuhr mit seinem Pkw in die Nähe des Kaufhauses. Gegen 19.50 Uhr zwang er auf dem Parkplatz des K.s dessen stellvertretenden Filialleiter, … O., der mit einer Verkäuferin als letzter das Kaufhaus verlassen hatte, unter Einsatz der – möglicherweise ungeladenen – Schreckschußpistole, die Personaleingangstür wieder aufzuschließen. Nachdem es dem Angeklagten nicht – wie beabsichtigt – gelungen war, an den Inhalt des Kaufhaus-Tresors zu gelangen, verlangte er von O. unter Vorhalt der Pistole, daß dieser zwei Schlüsselbunde, ein Handy und seine Geldbörse, in der sich ca. 40 Euro befanden, auf die Treppenstufen zum Büro legte. Die Sachen nahm er später an sich, um sie zu behalten. Er schob O. in einen Tiefkühlraum des Lagers und schloß die Tür. Als der Geschädigte um Hilfe schrie, öffnete der Angeklagte die Kühlraumtür und sagte wütend zu ihm, er solle leise sein. Er ging zu O. und schlug ihm mit dem Teleskopschlagstock, den er aus seiner Jacke gezogen hatte, mindestens dreimal auf Kopf, Hände und Arme. Hierdurch erlitt der Geschädigte eine ca. 4 cm großen Kopfplatzwunde und eine Schwellung an der Hand. Durch die Schläge ging er zu Boden; er verlor aber nicht das Bewußtsein. Der Angeklagte verließ den Tiefkühlraum, schloß die Tür und entfernte sich. Nachdem es O. gelungen war, die Tür von innen zu öffnen, versteckte er sich in einem anderen, entfernt liegenden Raum. Von einem dort befindlichen Telefon aus alarmierte er die Polizei und wartete. Der Angeklagte hatte inzwischen in einem durch eine Wand von dem Tiefkühlraum getrennten Lagerraum an mindestens vier Stellen Feuer gelegt, bevor er schließlich den K. verließ. Mit welcher Absicht er das Feuer gelegt hatte, war nicht feststellbar. O. konnte von Polizei und Feuerwehr aus dem Raum, in den er geflüchtet war, befreit werden. Das Feuer, an dessen Bekämpfung sich der Angeklagte als Mitglied der freiwilligen Feuerwehr beteiligte, verursachte einen Warenschaden von ca. 125.000 Euro; der Gesamtschaden betrug ca. 352.000 Euro.
2. Die Strafkammer hat das Geschehen rechtlich als schwere räuberische Erpressung (§§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 1 Nr. 1 b, 253 Abs. 1 und 2, 255 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) in Tatmehrheit mit Brandstiftung (§ 306 Abs. 1 Nr. 3 StGB) gewertet.
Die Voraussetzungen des § 250 Abs. 1 Nr. 1 a StGB seien nicht gegeben, weil zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen sei, daß die verwendete Schreckschußpistole nicht geladen gewesen sei. § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB liege nicht vor, weil der Angeklagte den Geschädigten zwar mit dem Teleskopschlagstock mehrfach geschlagen und damit ein gefährliches Werkzeug verwendet habe, aber keine sicheren Feststellungen dahingehend hätten getroffen werden können, daß die Verwendung des Schlagstocks nicht nur zur „Ruhigstellung” des Geschädigten, sondern noch zur Durchführung der Nötigung zur Wegnahme gedient habe. Zwischen schwerer räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung liege allerdings Tateinheit vor, weil insoweit zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen sei, daß der Einsatz des Schlagstocks noch zur Durchführung der Nötigungshandlung bzw. der Sicherung der Beute verwendet worden sei.
Durch den Brand im Warenlager habe sich der Angeklagte nur der Brandstiftung (§ 306 Abs. 1 Nr. 3 StGB) schuldig gemacht. Eine schwere Brandstiftung sei nicht nachweisbar, weil zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen sei, daß er sich, bevor er das Feuer – zu einer Zeit, in der sich grundsätzlich keine Menschen mehr in dem Gebäude aufzuhalten pflegten – gelegt habe, möglicherweise davon vergewissert habe, daß es O. gelungen sei, rechtzeitig aus dem Tiefkühlraum zu fliehen. Aus diesem Grunde komme auch eine Bestrafung nach § 306 b Abs. 2 StGB nicht in Betracht. Im übrigen sei weder erweislich, daß der Angeklagte den Geschädigten durch den Brand habe töten, noch, daß er damit seine bereits begangene Straftat habe verdecken wollen. Auch ein bedingter Tötungsvorsatz sei nicht nachweisbar.
3. Das Urteil muß auf beide Revisionen aufgehoben werden, weil es sowohl zu Lasten als auch zugunsten des Angeklagten durchgreifende Rechtsfehler bei der Beweiswürdigung aufweist.
a) Revision des Angeklagten
Eines Eingehens auf die Verfahrensrüge bedarf es nicht, weil bereits die Sachrüge Erfolg hat. Die Revision rügt zu Recht, daß die Beweiswürdigung des Landgerichts lückenhaft ist.
Das Schwurgericht hat im Hinblick auf die den Angeklagten belastenden Indizien ganz wesentlich (UA 41, 45, 55) darauf abgestellt, daß der Zeuge O. den Angeklagten bei der Stimmenidentifizierung in Verbindung mit der visuellen Gegenüberstellung wiedererkannt habe. Da der Geschädigte den Täter bei dessen Herankommen nur kurz ins Gesicht sehen (UA 55) und er Kopf und Gesicht des Täters bei der Tatausführung nicht genau wahrnehmen konnte, weil dieser einen schwarzen Schal oder ein schwarzes Tuch vor Mund und Nase geschoben hatte (UA 18) und er zudem eine Baseballkappe auf dem Kopf trug (UA 17, 88), war das Landgericht gehalten, alle Gesichtspunkte, die ein zuverlässiges Wiedererkennen des Täters durch den Geschädigten in Frage stellen konnten, eingehend zu erörtern (vgl. BGHR StPO § 261 Identifizierung 6). Das hat es nicht getan.
(1) Das Schwurgericht bewertet lediglich das Wiedererkennen des Angeklagten durch den Zeugen O. bei der Polizei (UA 41 ff.). Ob der Zeuge sich ganz sicher war und er den Angeklagten auch in der Hauptverhandlung als den Täter wiedererkannt hat, wird im Urteil nicht erörtert. Zwar hätte das Wiedererkennen in der Hauptverhandlung als „wiederholtes Wiedererkennen” nur einen beschränkten Beweiswert (vgl. BGHSt 16, 204, 205; BGHR StPO § 261 Identifizierung 3, 10, 12, 13); hätte der Zeuge den Angeklagten aber in der Hauptverhandlung nicht wiedererkannt, so wäre dies ein gewichtiger Umstand, der gegen die Zuverlässigkeit der früheren Identifizierung durch den Zeugen sprechen könnte (vgl. BGH StV 1997, 454). Die Frage, ob der Zeuge den Angeklagten auch in der Hauptverhandlung als den Täter wiedererkannt hat, hätte daher im Urteil abgehandelt werden müssen.
(2) Nach den Feststellungen des Landgerichts weist der Bruder des Angeklagten, … L., „vom Aussehen her eine starke Ähnlichkeit” mit dem Angeklagten auf (UA 51). Das Schwurgericht legt nicht dar, warum … L. als Täter ausscheidet. Der in diesem Zusammenhang lediglich gegebene Hinweis, es sei zu berücksichtigen, daß der Geschädigte den Angeklagten nicht nur visuell, sondern gerade an der Stimme erkannt habe, genügt nicht den rechtlichen Anforderungen, weil das Schwurgericht sich zur Stimme des Bruders – ob diese nämlich der des Angeklagten ähnlich ist – nicht äußert.
b) Revision der Staatsanwaltschaft
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, weil das Landgericht die Reichweite des Zweifelssatzes verkannt hat.
(1) Der Grundsatz „in dubio pro reo” ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann anzuwenden hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung vom Vorliegen einer für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch unmittelbar entscheidungserheblichen Tatsache zu gewinnen vermag (BGH NStZ 2001, 609 m.w.N.). Er bedeutet nicht, daß von der dem Angeklagten jeweils (denkbar) günstigsten Fallgestaltung auch dann auszugehen ist, wenn hierfür keine Anhaltspunkte bestehen (st. Rspr. – vgl. nur BGH StV 2001, 666, 667; NStZ-RR 2003, 166, 168). Unterstellungen zugunsten eines Angeklagten sind vielmehr nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter hierfür reale Anknüpfungspunkte hat (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 243; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 18).
(2) Das Landgericht legt in seiner Würdigung des Tatgeschehens eine Vielzahl von Unterstellungen zugunsten des Angeklagten zugrunde (UA 84 ff.). Insbesondere geht es im Hinblick auf die für einen (bedingten) Tötungsvorsatz entscheidungserhebliche Frage, ob der Angeklagte billigend in Kauf nahm, daß es dem Geschädigten nicht gelingen werde, aus dem Tiefkühlraum in Sicherheit zu fliehen, und er dessen Tod – durch Erfrieren oder durch die Brandlegung – in Kauf nahm, zugunsten des Angeklagten davon aus, daß er möglicherweise nicht gewußt habe, daß in dem Kühlraum minus 20 Grad Celsius herrschten, und er angenommen haben könne, dem Geschädigten sei die Flucht aus dem Tiefkühlraum möglich. Diese Unterstellungen zugunsten des Angeklagten haben keine realen Anknüpfungspunkte. Abgesehen von der – näherer Erörterung bedürftigen – eher lebensfremden Unterstellung, der Angeklagte könne nicht bemerkt haben, daß es sich bei dem Raum, in den er O. eingesperrt hatte und in den er selbst hineingegangen war (UA 22), um einen Tiefkühlraum handelte (UA 89), liegt es fern anzunehmen, er sei davon ausgegangen, O. werde sich selbst befreien; denn der Sinn des Einsperrens konnte ja nur gewesen sein, daß O. aus dem Raum nicht herauskam. Da der Geschädigte in dem Tiefkühlraum in Todesangst um Hilfe geschrieen hatte (UA 21), hatte der Angeklagte auch keinen Grund zu glauben, dieser werde sich selbst befreien, zumal er ihn danach noch mit dem Schlagstock zusammengeschlagen hatte (UA 22). Dafür, daß der Angeklagte – was das Landgericht auch nicht auszuschließen vermochte (UA 87, 91) – vor der Brandstiftung noch einen Blick in den Tiefkühlraum geworfen haben könnte, um sich davon zu überzeugen, daß O. die Flucht gelungen sei, bestehen ebenfalls keinerlei Anhaltspunkte.
Rechtsfehlerhaft ist auch die – gegen eine Verdeckungsabsicht – herangezogene Unterstellung, es könne nicht ausgeschlossen werden, daß der Angeklagte gedacht habe, O. könne ihn wegen seiner Maskierung nicht identifizieren (UA 88); denn eine Verdeckungsabsicht kann auch vorgelegen haben, wenn der Angeklagte nur befürchtete, O. könne ihn möglicherweise wiedererkennen. Das liegt hier nahe, weil – wovon der Angeklagte ausgehen mußte – O. ihn möglicherweise als Kunden des K.s kannte (UA 51). Auch das hat das Landgericht nicht erörtert.
4. Es ist nicht auszuschließen, daß das Urteil auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruht. Die Sache muß daher neu verhandelt werden.
In der nunmehr zu treffenden Entscheidung wird – sollte die Täterschaft des Angeklagten wiederum festgestellt werden – auch zu erörtern sein, ob das gewaltsame Einsperren des O. auch dazu diente, das ursprünglich geplante Raubvorhaben weiter durchzuführen. Dies liegt deshalb nahe, weil der Angeklagte dem Geschädigten den K.-Schlüsselbund abgenommen hatte (UA 21) und er sich daher in der Lage gesehen haben konnte, verschlossene Behältnisse mit stehlenswertem Inhalt zu öffnen und weitere Beute mitzunehmen.
Unterschriften
Maatz, Kuckein, Athing, Solin-Stojanović, Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 2557014 |
NStZ-RR 2005, 209 |
StV 2005, 421 |
StraFo 2005, 297 |