Leitsatz (amtlich)
a) Eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Reiseveranstalters, in der bestimmt ist "Die Abtretung von Ansprüchen gegen (den Reiseveranstalter), deren Rechtsgrund in Leistungsstörungen liegt, ist ausgeschlossen.", benachteiligt den Reisenden entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und ist daher unwirksam.
b) Verlegt der Veranstalter einer Flugreise den Rückflug vertragswidrig in die frühen Morgenstunden des vereinbarten Rückreisetags und weigert sich ausdrücklich oder stillschweigend, dem Reisemangel abzuhelfen, kann der Reisende grundsätzlich die Erstattung der Kosten eines anderweitigen Rückflugs verlangen, mit dem er seine vertragsgemäße Rückreise sicherstellt.
c) Ob ein Reisemangel die Reise erheblich beeinträchtigt, ist nach dem Anteil des Mangels in Relation zur gesamten Reiseleistung sowie danach zu beurteilen, wie gravierend sich der Mangel für den Reisenden ausgewirkt hat. Ein Reisemangel verliert insoweit nicht an Gewicht, wenn der Preis der Reise besonders gering war.
Normenkette
BGB § 307 Abs. 1, § 651c Abs. 3, §§ 651e, 651 f Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das am 20.5.2011 verkündete Urteil der 22. Zivilkammer des LG Düsseldorf unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage in Höhe eines Betrages von 437,36 EUR abgewiesen worden ist.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin macht gegenüber dem beklagten Reiseveranstalter Ansprüche wegen einer Minderung des Reisepreises und Schadensersatz geltend.
Rz. 2
Der Lebensgefährte der Klägerin buchte im Februar 2009 für sich und die Klägerin bei der Beklagten eine einwöchige Pauschalreise in die Türkei zum Preis von 369 EUR pro Person mit einem Hinflug am 25.5.2009 um 20 Uhr von München und einem Rückflug am 1.6.2009 um 16.40 Uhr. In den in den Vertrag einbezogenen allgemeinen Geschäftsbedingungen behielt sich die Beklagte die kurzfristige Änderung der Flugzeiten und Streckenführung vor, soweit dadurch der Gesamtzuschnitt der Reise nicht beeinträchtigt wird, und wurde die Abtretung von Ansprüchen gegen die Beklagte, die auf Leistungsstörungen beruhen, ausgeschlossen. Der Rückflug wurde am Vortag auf 5.15 Uhr des 1.6.2009 vorverlegt, wozu die Reisenden um 1.25 Uhr am Hotel abgeholt werden sollten. Die Klägerin und ihr Lebensgefährte bemühten sich um einen anderen Rückflug, den sie an dem vorgesehenen Rückflugtag um 14.00 Uhr antraten und selbst bezahlten. Der Lebensgefährte der Klägerin trat ihr seine Ansprüche ab.
Rz. 3
Mit der Klage verlangt die Klägerin die Rückzahlung des gesamten Reisepreises abzgl. 70 EUR für in Anspruch genommene Verpflegungsleistungen und eines bereits gezahlten Minderungsbetrages von 42,16 EUR. Weiterhin begehrt sie Ersatz von 504,52 EUR für die Rücktransportkosten, 7 EUR für ein nicht erhaltenes Abendessen, 46 EUR für Telefonkosten und eine Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit i.H.v. 480,80 EUR für sich selbst und von 2.193,10 EUR für ihren Lebensgefährten. Das AG hat der Klage i.H.v. 25 EUR stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin blieb ohne Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Berufung verfolgt die Klägerin ihren Berufungsantrag in vollem Umfang weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
I. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Klägerin könne nur ihre eigenen Ansprüche gegenüber der Beklagten geltend machen; Ansprüche ihres Lebensgefährten stünden ihr nicht zu. Dieser habe seine Ansprüche nicht abtreten können, weil eine Abtretung wirksam in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten ausgeschlossen worden sei. Dieser Ausschluss verstoße nicht gegen §§ 307 Abs. 1, 138 BGB, denn es seien keine berechtigten Belange des Kunden für eine Abtretbarkeit zu erkennen, die das schützenswerte Interesse der Beklagten an den Abtretungsausschluss überwögen.
Rz. 5
Zugunsten der Klägerin sei eine Minderung des auf sie entfallenden Reisepreises über die bereits geleistete Zahlung der Beklagten hinaus nur in Höhe der vom AG zugebilligten weiteren 25 EUR zu erkennen. Die Vorverlegung des Rückfluges sei ein Reisemangel i.S.d. §§ 651c, 651d BGB, nicht jedoch eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise i.S.d. § 651e BGB, der zur Kündigung berechtige. Faktisch sei der Klägerin zwar ein halber Urlaubstag entgangen und die Nachtruhe vor dem Rückflug entfallen. Mit einer solchen Beeinträchtigung müsse aber der Reisende in den Zeiten des Massentourismus, insb. bei besonders günstigen Reisen wie im Streitfall, wegen der Besonderheiten des Charterflugverkehrs stets rechnen. Auch bei einer solchen Reise könne er nicht geltend machen, dass damit der gesamte Erholungswert der Reise beeinträchtigt sei.
Rz. 6
Der Klägerin stehe kein Schadensersatz gem. § 651 f Abs. 1 BGB zu, weil die geltend gemachten materiellen Schäden auf dem Entschluss der Reisenden beruht hätten, in Eigenregie zu einem späteren Zeitpunkt zurück zu fliegen. Dies sei eine ungewöhnliche Reaktion eines Pauschalreisenden, die einem Zurechnungszusammenhang in Bezug auf die Vorverlegung des Rückfluges entgegenstehe. Für einen Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit gem. § 651 f Abs. 2 BGB fehle es an einer erheblichen Beeinträchtigung der Reise.
Rz. 7
II. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in vollem Umfang stand.
Rz. 8
1. Die Klägerin kann im Streitfall aufgrund des Abtretungsvertrages mit ihrem Mitreisenden auch dessen Ansprüche gegenüber der Beklagten geltend machen. Der Ausschluss dieser Abtretung in den mit der Beklagten vereinbarten allgemeinen Geschäftsbedingungen ist unwirksam, denn er stellt eine den Grundsätzen von Treu und Glauben widersprechende unangemessene Benachteilung des Reisenden dar (§ 307 Abs. 1 BGB).
Rz. 9
a) Grundsätzlich ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Regelung, mit der der Verwender die Abtretung von gegen ihn gerichteten Forderungen ausschließt, wirksam. Ein Abtretungsausschluss führt nicht notwendig zu einer unangemessenen Benachteiligung des Gläubigers, andererseits schützt er die berechtigten Interessen des Schuldners an der Klarheit und Übersichtlichkeit der Vertragsabwicklung. Grundsätzlich darf er deshalb mit einem Verbot oder zumindest einer Beschränkung der Abtretungsmöglichkeit die Vertragsabwicklung übersichtlicher gestalten und verhindern, dass ihm hierbei eine im Voraus nicht übersehbare Vielzahl von Gläubigern entgegentritt. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist daher ein Ausschluss der Abtretung durch allgemeine Geschäftsbedingungen wiederholt anerkannt worden, insb. wenn er die Hauptleistungspflichten des Verwenders betrifft (BGH, Urt. v. 28.11.1968 - VII ZR 157/66, BGHZ 51, 113 [117 ff.]; v. 12.5.1971 - VIII ZR 196/69, BGHZ 56, 173 [175 ff.]; v. 18.6.1980 - VIII ZR 119/79, BGHZ 77, 274 [275 f.]; v. 3.12.1987 - VII ZR 374/86, BGHZ 102, 293 [300]; v. 24.9.1980 - VIII ZR 273/79, NJW 1981, 117 [118]; v. 9.2.1990 - V ZR 200/88, BGHZ 110, 241 unter II 2). Indessen ist eine solche Klausel gleichwohl unwirksam, wenn ein schützenswertes Interesse des Verwenders an einem Abtretungsausschluss nicht besteht oder die berechtigten Belange des Kunden an der Abtretbarkeit vertraglicher Forderungen das entgegenstehende Interesse des Verwenders überwiegen (vgl. BGH, Urt. v. 8.12.1975 - II ZR 64/74, BGHZ 65, 364, 366 unter 1; v. 9.11.1981 - II ZR 197/80, BGHZ 82, 162, 171 unter III 6; v. 15.6.1989 - VII ZR 205/88, BGHZ 108, 52 unter I 1; vom 9.2.1990, a.a.O., unter II 2a).
Rz. 10
Für das Abwägen dieser einander gegenüberstehenden Interessen sind ein generalisierender, überindividueller Prüfungsmaßstab und eine typisierende Betrachtungsweise zugrunde zu legen; auf die speziellen Umstände des Einzelfalls kommt es insoweit nicht an, sondern darauf, wie die Klausel unter Berücksichtigung aller nicht fernliegender Fallgestaltungen verwendet werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 9.5.1996 - VII ZR 259/94, BGHZ 132, 383 unter III 2b cc m.w.N.; v. 21.2.2001 - IV ZR 11/00, NJW 2001, 3406 unter 3b cc; Erman/Roloff, BGB, 13. Aufl., § 307 Rz. 5).
Rz. 11
b) Im Streitfall sind die Interessen der Beklagten für einen Abtretungsausschluss nur von geringem Gewicht.
Rz. 12
aa) Der Abtretungsausschluss betrifft Ansprüche, die auf Leistungsstörungen beruhen. Die Hauptleistungspflichten der Beklagten werden von ihm nicht erfasst. Deren Übertragung wäre auch wegen § 651b BGB im Ergebnis nur unter bestimmten Bedingungen zu verhindern. Das Interesse an einer übersichtlichen Vertragsabwicklung und der Vorteil, mit einem Abtretungsausschluss eine Vielzahl von ggf. mehrfach wechselnden Gläubigern verhindern zu können, wirkt sich jedoch in erster Linie bei der Erfüllung der Hauptleistungspflichten aus, weil der Reiseveranstalter diese eigenverantwortlich organisieren muss und ein Wechsel in der Person des Gläubigers die organisatorischen Anstrengungen belastet.
Rz. 13
Hingegen unterliegt die Erfüllung von Ansprüchen, die wie im Streitfall auf Leistungsstörungen beruhen, nicht einem vorgegebenen Zeitplan; die Ansprüche werden regelmäßig auch nicht in Gegenwart des Gläubigers erbracht. Die Person des Gläubigers gewinnt typischerweise nur für den Adressaten der anlässlich dieser Ansprüche zu führenden Korrespondenz und das für eine Zahlung zu wählende Konto eine Bedeutung. Ein höherer Aufwand ist damit für die Beklagte kaum festzustellen.
Rz. 14
bb) Allerdings kann die Beklagte mit einem Abtretungsausschluss vermeiden, dass der Reisende, für dessen Person Gewährleistungs- und Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden, in einem Rechtsstreit hierüber als Zeuge aussagen kann (vgl. BGH, Urt. v. 21.4.2004 - IV ZR 113/03, NJW-RR 2004, 1100 unter II 2b). Ohne eine Abtretung kann der Reisende die Durchsetzung solcher Ansprüche nur als Kläger verfolgen, womit er hinsichtlich des Beweises eigener Wahrnehmung nur im Wege der Parteianhörung und der Parteivernehmung gehört werden kann. Diese Einschränkung wirkt sich aber bei Fehlen anderer Beweismittel größtenteils nur formal aus. Im Prozess ist das Gericht gehalten, die Partei jedenfalls gem. § 141 ZPO anzuhören, deren Glaubwürdigkeit und die Glaubhaftigkeit ihrer Bekundungen gem. § 286 Abs. 1 ZPO zu würdigen und ggf. die Partei von Amts wegen gem. § 448 ZPO zu vernehmen (vgl. BGH, Urt. v. 16.7.1998 - I ZR 32/96, NJW 1999, 363, 364 unter II 2b bb; v. 22.5.2001 - VI ZR 268/00, NJW-RR 2001, 1431, 1432 unter II 1a; v. 27.9.2005 - XI ZR 216/04, NJW-RR 2006, 61, 63 unter II 3b; v. 9.6.2011 - IX ZR 75/10, NJW 2011, 2889 Rz. 19). Der prozessuale Vorteil für die Beklagte, mit dem Abtretungsausschluss eine Zeugenstellung des Reisenden verhindern zu können, dem zugleich ein prozessualer Nachteil auf Seiten des Reisenden entspricht, hat deshalb bei Beachtung der vorgenannten Grundsätze nur einen geringfügigen Einfluss auf den Verlauf des Prozesses und sollte keinen entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis eines Rechtsstreits haben.
Rz. 15
cc) Für die von der Beklagten geltend gemachte Gefahr, der ursprüngliche Gläubiger könne durch eine Abtretung einen mittellosen Zessionar vorschieben, gegen den im Falle einer Klageabweisung Prozesskostenerstattungsansprüche nicht wirksam vollstreckt werden könnten, sieht der Senat nur eine geringe praktische Relevanz.
Rz. 16
c) Dem gegenüber sind Interessen zugunsten des Reisenden zu erkennen, die einem Abtretungsausschluss entgegenstehen.
Rz. 17
aa) Allerdings ergeben sich diese Interessen nicht aus Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der rechtzeitigen Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen, um der Ausschlussfrist gem. § 651g Abs. 1 BGB gerecht werden zu können (a.A. OLG Köln, RRa 2009, 18 unter II 2). Bei Familien- oder Gruppenreisen kann es zwar vorkommen, dass sich nach der Reise nur eine Person um die Geltendmachung von Gewährleistungsrechten kümmert und diese dabei nicht bedenkt, welche Ansprüche welchem Reisenden rechtlich zustehen und inwieweit danach eine Vollmacht erforderlich wäre. Ein solches Übersehen führt indessen kaum dazu, dass stattdessen ein Abtretungsvertrag über die Ansprüche geschlossen wird. Ein Abtretungsvertrag ist auch im Nachhinein nicht erforderlich, um eine Anspruchsanmeldung i.S.d. § 651g Abs. 1 BGB auf alle betroffenen Reisenden zu erstrecken. Hierfür reicht es in der Regel aus, die fremde Ansprüche betreffende Anspruchsanmeldung, für die als geschäftsähnliche Handlung die Regeln der Stellvertretung Anwendung finden, nachträglich zu genehmigen (vgl. BGH, Urt. v. 26.5.2010 - Xa ZR 124/09, NJW 2010, 2950 Rz. 17 ff.).
Rz. 18
bb) Indessen kann für die von den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten angesprochenen Verkehrskreise das Bedürfnis entstehen, die aus dem Reisevertrag resultierenden Gewährleistungsansprüche an den Mitreisenden abtreten zu können, dem sie wirtschaftlich zustehen.
Rz. 19
Für Reisebuchungen, die mehrere als Gruppe oder als Familie zusammen reisende Personen betreffen, hat die Rechtsprechung und Literatur verschiedene Grundsätze entwickelt, den jeweiligen Vertragspartner des Reiseveranstalters zu bestimmen, der zur Zahlung des Reisepreises verpflichtet und zur Geltendmachung von Minderungsansprüchen sowie zur Erklärung einer Kündigung berechtigt ist (s. dazu OLG Düsseldorf, NJW 1988, 636 f. unter II 1; OLG Hamburg, RRa 1996, 132; OLG Frankfurt NJW-RR 2004, 1285 unter II 2.2; Führich, Reiserecht, 6. Aufl., § 5 Rz. 117 f.; Staudinger/Staudinger, BGB, Bearb. 2011, § 651a Rz. 85 bis 86; Tonner in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 651a Rz. 84 bis 89). Mit diesen Grundsätzen wird versucht, diejenige Person der Reisegruppe als Vertragspartner des Reiseveranstalters zu bestimmen, die wirtschaftlich innerhalb der Gruppe für den Reisepreis letzten Endes aufzukommen hat. Gleichwohl kann dieses Ziel in einer nicht unerheblichen Zahl der Fälle nicht erreicht werden, weil der Buchende bei der Buchung die zur Übernahme des Reisepreises unter den Reiseteilnehmern intern getroffenen Absprachen nicht offenbart.
Rz. 20
In diesen Fällen haben die Reiseteilnehmer im Falle von Minderungsansprüchen und Ansprüchen auf Rückzahlung des Reisepreises nach einer Kündigung das Interesse, diese Ansprüche untereinander an denjenigen abzutreten, der für die Zahlung des Reisepreises aufgekommen ist, weil diesem die Rückzahlungen am Ende auch zukommen sollen. Das Auseinanderfallen von vertraglich berechtigtem Anspruchsinhaber und wirtschaftlich an der Rückzahlung Berechtigten würde dazu führen, dass der Anspruchsinhaber einen Anspruch ggf. gerichtlich verfolgen und hierfür auch zunächst das Prozesskostenrisiko tragen müsste, obwohl ihm dieser Anspruch letzten Endes nicht zugute kommt. Dies widerspräche in erheblichem Maße einem interessengerechten Vorgehen für die Geltendmachung solcher Ansprüche.
Rz. 21
d) Infolgedessen ist angesichts des geringen Gewichts der Interessen des Reiseveranstalters an einem Ausschluss der Abtretung von Ansprüchen der Reisenden, die auf Leistungsstörungen beruhen, ein deutliches Übergewicht für die Interessen der Reisenden zu erkennen, die ihnen sich aus § 398 BGB bietende Möglichkeit einer Abtretung solcher Ansprüche wahrnehmen zu können. Die sich daraus ergebende unangemessene Benachteiligung der Kunden der Beklagten führt gem. § 307 Abs. 1 BGB zur Unwirksamkeit des Abtretungsausschlusses.
Rz. 22
2. Ansprüche der Reisenden auf den Ersatz der Kosten für den in Eigenregie gebuchten Rückflug nach München sind auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht auszuschließen.
Rz. 23
a) Nach § 651c Abs. 3 BGB kann der Reisende den Ersatz der Aufwendungen verlangen, die er erbringen musste, um einem Reisemangel selbst abzuhelfen, wenn er zuvor vom Reiseveranstalter erfolglos Abhilfe innerhalb einer angemessenen Frist verlangt hat. Der Fristsetzung bedarf es nicht, wenn die Abhilfe vom Reiseveranstalter verweigert wird oder die sofortige Abhilfe durch ein besonderes Interesse des Reisenden geboten ist (§ 651c Abs. 3 Satz 2 BGB). Gegebenenfalls kann auch das Abhilfeverlangen entbehrlich sein, wenn der Reiseveranstalter von vornherein unmissverständlich zu erkennen gibt, zur Abhilfe nicht bereit zu sein, wobei sich eine solche Verweigerung auch aus den Umständen ergeben kann, etwa wenn der Reiseveranstalter den Reisemangel bewusst begründet und ihn als unvermeidlich darstellt (vgl. AG Hamburg-Altona, RRa 2000, 182; Tonner in MünchKomm/BGB, a.a.O., § 651c Rz. 62). In diesen Fällen wäre ein Abhilfeverlangen eine unnötige Förmelei, an der kein vertraglich relevantes Interesse besteht.
Rz. 24
b) Gemäß § 651 f Abs. 1 BGB kann der Reisende weiterhin Ersatz für den Schaden verlangen, der ihm dadurch entstanden ist, dass er dem Reisemangel selbst abgeholfen hat, es sei denn der Reiseveranstalter hat den Umstand, auf dem der Mangel beruht, nicht zu vertreten. Auch insoweit ist für einen Ersatz des Schadens grundsätzlich ein vorangegangenes Abhilfeverlangen erforderlich (vgl. BGH, Urt. v. 20.9.1984 - VII ZR 325/83, BGHZ 92, 177 unter I 2).
Rz. 25
Ist ein Schadensersatzanspruch gem. § 651 f Abs. 1 BGB dem Grunde nach gegeben, ist dieser als Schadensersatz wegen Nichterfüllung auf das positive Leistungsinteresse des Reisenden gerichtet. Der Reisende ist mithin so zu stellen, wie er stehen würde, wenn der Reiseveranstalter den Vertrag mangelfrei erfüllt hätte (vgl. zu § 281 BGB: BGH, Urt. v. 11.2.2009 - VIII ZR 328/07, JZ 2010, 44 Rz. 20). Der Ersatzanspruch umfasst insb. den Ersatz des Aufwandes aus einem Deckungsgeschäft, das im Sinne einer Selbstabhilfe zur Behebung eines Mangels darauf gerichtet ist, dem Gläubiger den geschuldeten Leistungserfolg doch noch zu verschaffen (vgl. zu § 635 BGB a.F.: BGH, Urt. v. 10.3.2005 - VII ZR 321/03, NJW-RR 2005, 1039 unter II 2a m.w.N.; zu § 326 BGB a.F.: v. 27.5.1998 - VIII ZR 362/96, NJW 1998, 2901 unter II 2b). Damit sollen die Nachteile ausgeglichen werden, die dem Reisenden aus der mangelhaften Reiseleistung entstanden sind. Der Zweck dieses Anspruchs würde unterlaufen, wenn der Reiseveranstalter als Ausgleich für das mangelhafte Werk nur Ersatz der objektiven Minderung der Reiseleistung schuldete, auch wenn der Ersatz der Aufwendungen für eine Selbstabhilfe wesentlich höher ausfällt (vgl. BGH, Urt. v. 10.3.2005, a.a.O., Rz. 11, 13).
Rz. 26
c) Das Berufungsgericht hat einen Reisemangel auch unter Berücksichtigung der Klausel in den allgemeinen Geschäftsbedingungen, in den sich die Beklagte die kurzfristige Änderung der Flugzeiten und der Streckenführung vorbehalten hat, soweit dadurch der Gesamtzuschnitt der Reise nicht beeinträchtigt wird, bejaht. Angesichts des Umstands, dass die Abreisezeit um fast einen halben Tag und unter Berücksichtigung der für den Transfer notwendigen Zeit in die Nacht zum vorgesehenen Abreisetag vorverlegt wurde, lässt dies keinen Rechtsfehler erkennen und wird auch von der Revisionsbeklagten nicht angegriffen.
Rz. 27
d) Das Berufungsgericht hat weder Feststellungen dazu getroffen, ob die Klägerin und ihr Lebensgefährte zuvor Abhilfe verlangt und hierfür eine Frist gesetzt haben, noch ob eine solche Abhilfe verweigert oder ein entsprechendes Verlangen aus anderen Gründen entbehrlich war. Für die weitere revisionsrechtliche Prüfung ist dies zugunsten der Klägerin zu unterstellen.
Rz. 28
e) Davon ausgehend sind nicht nur die Voraussetzungen für einen Ersatzanspruch gem. § 651c Abs. 3 BGB, sondern auch diejenigen für einen Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens gem. § 651 f Abs. 1 BGB dem Grunde nach erfüllt. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts fehlt es für einen Schadensersatzanspruch gem. § 651 f Abs. 1 BGB nicht an einem Zurechnungszusammenhang zwischen dem Reisemangel und den Handlungen der Klägerin und ihres Lebensgefährten zum Abschluss des Deckungsgeschäfts.
Rz. 29
Der für den Schadensersatz notwendige Zurechnungszusammenhang setzt voraus, dass für solche Schäden, die mitursächlich auch auf einem Willensentschluss des Geschädigten beruhen, nach dem haftungsbegründenden Ereignis ein rechtfertigender Anlass bestand oder dieser Willensentschluss durch das haftungsbegründende Ereignis zumindest herausgefordert oder wesentlich mitbestimmt wurde und dieser Entschluss keine ungewöhnliche Reaktion darauf darstellt (vgl. BGH, Urt. v. 17.10.2000 - X ZR 169/99, NJW 2001, 512 unter 2d; Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl., vor § 249 Rz. 41; jeweils m.w.N.). Der Zweck des Schadensersatzanspruchs, dem Reisenden nach Möglichkeit den beeinträchtigten Leistungserfolg doch noch zugute kommen zu lassen, begründet regelmäßig einen rechtfertigenden Anlass zum Abschluss eines Deckungsgeschäfts, das geeignet ist, den Reisemangel vollständig oder zumindest weitgehend zu beheben. Auf die Üblichkeit eines solchen Verhaltens kommt es hierfür nicht an. Insoweit bleibt es ohne Bedeutung, wie häufig Pauschalreisende versuchen, einen Mangel der hier vorliegenden Art durch eine Ersatzbuchung selbst zu beseitigen.
Rz. 30
3. Hingegen hat das Berufungsgericht die weiterhin geltend gemachten Ansprüche auf eine angemessene Entschädigung in Geld wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit (§ 651 f Abs. 2 BGB) und die auf eine Kündigung des Reisevertrages gestützten Rückforderungsansprüche für den Reisepreis (§ 651e BGB) im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Rz. 31
a) Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung können solche Ansprüche allerdings nicht verneint werden.
Rz. 32
Sowohl eine Kündigung des Reisevertrags gem. § 651e BGB als auch ein Entschädigungsanspruch wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit gem. § 651 f Abs. 2 BGB sind dem Reisenden eröffnet, wenn die Reise "erheblich beeinträchtigt" wird. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff ist für beide Vorschriften grundsätzlich einheitlich auszulegen (vgl. Tonner in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 651 f Rz. 51). Ob eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise vorliegt, unterliegt der tatrichterlichen Würdigung, die vom Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüft werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 20.9.1984 - VII ZR 325/83, BGHZ 92, 177 unter III). Die revisionsrechtliche Überprüfung bezieht sich dabei - abgesehen von hier nicht gerügten Verfahrensfehlern - darauf, ob der Tatrichter die dem Zweck und der Bedeutung des unbestimmten Rechtsbegriffs entsprechenden Wertungsmaßstäbe angewendet und deren Grenzen zutreffend erkannt sowie alle hierfür wesentlichen Tatsachen, Denkgesetze und Erfahrungssätze beachtet hat (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 29. Aufl., § 546 Rz. 12; Wenzel in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 546 Rz. 14; Musielak/Ball, ZPO, 9. Aufl., § 546 Rz. 12).
Rz. 33
Das Berufungsgericht hat im Streitfall die Grenzen der tatrichterlichen Würdigung überschritten, indem es die Erheblichkeit des Reisemangels insb. mit der Erwägung verneint hat, der Preis der Reise sei besonders niedrig gewesen.
Rz. 34
Ein hoher Reisepreis kann zwar neben anderen Aspekten einen erhöhten Qualitätsstandard für die Reiseleistung begründen und damit die Schwelle für das Vorliegen eines Mangels senken. Damit kann der Reisepreis Einfluss darauf haben, ob ein Reisemangel vorliegt und als ein Kriterium für die Grenze zwischen Mangelfreiheit und der Bejahung eines Reisemangels wirken. Für die Wertung der Erheblichkeit eines Reisemangels i.S.d. §§ 651e, 651 f Abs. 2 BGB kommt es aber auf diese Grenze auch nicht in dem Sinne an, welchen Abstand der festgestellte Mangel zu dieser Grenze hat. Für diese Wertung bildet der Reisepreis deshalb keinen Maßstab und hat dieser darauf keinen Einfluss. Vielmehr ist für die Erheblichkeit der Beeinträchtigung darauf abzustellen, welchen Anteil der Mangel in Relation zur gesamten Reiseleistung hat, sowie darauf, wie gravierend sich der Mangel für den Reisenden ausgewirkt hat. Dabei ist das Maß, mit dem ein Mangel die Reise beeinträchtigt, aufgrund einer an Zweck und konkreter Ausgestaltung der Reise sowie Art und Dauer der Beeinträchtigung orientierten Gesamtwürdigung zu beurteilen (BGH, Urt. v. 7.10.2008 - X ZR 37/08, NJW 2009, 287 Rz. 15). Die Auswirkungen eines den Mangel begründenden Ereignisses können insoweit im Einzelfall auch den Erholungswert der Reise in der davor liegenden Zeit beeinträchtigen (vgl. BGH, Urt. v. 15.7.2008 - X ZR 93/07, BGHZ 177, 249 unter I 2b). Ein Reisemangel verliert indessen nicht an Gewicht und wird auch nicht erträglicher, wenn der Preis der Reise besonders gering war.
Rz. 35
b) Die Abweisung der auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise gestützten Ansprüche erweist sich jedoch im Ergebnis als zutreffend.
Rz. 36
Die geltend gemachte erhebliche Beeinträchtigung der Reise wird von der Klägerin in der Vorverlegung des Rückflugs in die frühen Morgenstunden des 1.6.2009 gesehen. Den darin zugleich liegenden Mangel der Reise haben die Reisenden jedoch dadurch beseitigt, dass sie den von der Beklagten angebotenen Rückflug nicht genutzt haben, sondern im Wege der Selbstabhilfe einen anderen Rückflug zu der ursprünglich vorgesehenen Zeit angetreten haben. Für eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise ist hiernach kein Raum.
Rz. 37
4. Soweit das Berufungsgericht die Abweisung des Anspruchs auf Erstattung von Telefonkosten i.H.v. 46 EUR mit der Begründung bestätigt hat, es fehle insoweit an einem Berufungsangriff, ist auch die Revision nicht begründet worden. Das Berufungsurteil hat daher auch insoweit Bestand.
Rz. 38
III. Im Übrigen ist das Berufungsurteil aufzuheben, und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das die erforderlichen Feststellungen zum Vorliegen eines Abhilfeverlangens nebst Fristsetzung oder deren Entbehrlichkeit sowie ggf. zu den den Reisenden durch die Selbstabhilfe entstandenen Aufwendungen zu treffen haben wird, die i.H.v. 504,52 EUR geltend gemacht wurden. Da die Beklagte den Reisenden vorprozessual bereits 42,16 EUR gezahlt und das AG der Klägerin weitere 25 EUR zuerkannt hat, ist insoweit noch über einen Klagebetrag von 437,36 EUR zu entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 3017318 |
NJW 2012, 2107 |
NJW 2012, 8 |
NWB 2012, 1415 |
EBE/BGH 2012, 197 |
ZAP 2012, 784 |
JuS 2013, 167 |
MDR 2012, 894 |
MDR 2012, 9 |
NJ 2012, 7 |
RRa 2012, 170 |
VersR 2012, 999 |
ZfS 2012, 242 |
NWB direkt 2012, 472 |
RÜ 2012, 485 |
RdW 2012, 466 |
VRR 2012, 296 |
GreifRecht 2012, 4 |
LL 2012, 561 |
SRTour 2013, 2 |
ZJS 2012, 539 |