Leitsatz (amtlich)
a) Die Frage der Erhebung bzw. Rechtzeitigkeit einer Verzögerungsrüge betrifft nicht die Zulässigkeit, sondern die Begründetheit einer Entschädigungsklage nach § 198 GVG.
b) Eine Verzögerungsrüge ist noch "unverzüglich" i.S.d. Art. 23 Satz 2 ÜGRG erhoben, wenn sie spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren beim Ausgangsgericht eingegangen ist (Anschluss an BGH, Urt. v. 10.4.2014 - III ZR 335/13, NJW 2014, 1967).
Normenkette
GVG § 198 Abs. 3 S. 1; ÜGRG Art. 23 S. 2
Verfahrensgang
OLG Rostock (Urteil vom 22.05.2013; Aktenzeichen 1 SchH 2/12) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des OLG Rostock vom 22.5.2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das OLG zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt das beklagte Land im Wege der Feststellungs- und Leistungsklage auf Entschädigung für materielle und immaterielle Nachteile wegen überlanger Dauer eines Zivilrechtsstreits in Anspruch.
Rz. 2
Das Ausgangsverfahren betrifft einen Zivilprozess, der im Januar 2001 vor dem LG S. eingeleitet wurde und Schadensersatzansprüche des Klägers wegen unberechtigter außerordentlicher Kündigung eines Vertrags zur Jungviehaufzucht zum Gegenstand hat. Hinsichtlich eines Betrags von 30.000 EUR erklärten die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Nach Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens und mehrerer ergänzender Stellungnahmen erging am 21.4.2009 ein Teilurteil. Soweit das LG darin auf Zahlung eines Betrags von rund 44.000 EUR an den Kläger erkannte, wurde das Urteil rechtskräftig. Im Übrigen wurde es durch Berufungsurteil des OLG R. vom 1.10.2009 aufgehoben. Im weiteren Verfahrensgang holte das LG ein Obergutachten ein und verkündete schließlich am 23.3.2012 ein Schlussurteil, in dem es dem Kläger weitere 116.700 EUR zusprach. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Es befindet sich derzeit im Berufungsrechtszug.
Rz. 3
Mit Anwaltsschriftsatz vom 28.12.2011, der am 30.12.2011 beim LG einging, erhob der Kläger eine Verzögerungsrüge unter Hinweis auf § 198 GVG. Bereits zuvor hatte er am 8.4.2004 und 16.1.2009 förmliche Untätigkeitsbeschwerden erhoben, die das OLG als unzulässig verwarf. Einen mit Schriftsatz vom 22.1.2009 gegenüber der Justizverwaltung geltend gemachten Anspruch auf immateriellen Schadensersatz i.H.v. 10.000 EUR lehnte der Präsident des LG mit Bescheid vom 11.5.2011 ab. Die dagegen an das Justizministerium des beklagten Landes gerichtete Beschwerde blieb erfolglos.
Rz. 4
Mit Anwaltsschriftsatz vom 23.4.2012, der am 26.4.2012 beim OLG R. einging, reichte der Kläger die vorliegende Entschädigungsklage ein, die dem Beklagten - nach verzögerter Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses durch den Kläger - erst am 9.8.2012 zugestellt wurde.
Rz. 5
Der Kläger hat geltend gemacht, die streitgegenständliche Verfahrensdauer von inzwischen mehr als elf Jahren sei schon dem ersten Anschein nach nicht mehr angemessen. Der derzeit noch nicht bezifferbare materielle Schaden resultiere daraus, dass ihm während der Prozessdauer ein Betrag von nahezu 200.000 EUR vorenthalten worden sei. Wegen der erlittenen Existenzängste und des offenkundigen Desinteresses der Justiz an der Bearbeitung seiner Ansprüche sei eine Entschädigung für immaterielle Nachteile i.H.v. mindestens 50.000 EUR gerechtfertigt. Da er die Verfahrensdauer kontinuierlich beanstandet habe, komme es auf die am 30.12.2011 erhobene Verzögerungsrüge nicht mehr an.
Rz. 6
Das OLG hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.
I.
Rz. 8
Das OLG hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 9
Die Entschädigungsklage sei unzulässig. Nach Art. 23 Satz 1 Halbs. 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGRG) vom 24.11.2011 (BGBl. I, 2302) sei die Entschädigungsregelung der §§ 198 ff. GVG auf das seit Januar 2001 anhängige Ausgangsverfahren anwendbar. Die sechsmonatige Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG habe der Kläger zwar nicht einhalten müssen, weil das verzögerte erstinstanzliche Verfahren bei Erhebung der Entschädigungsklage am 23.4.2012 bereits abgeschlossen gewesen sei und die Verzögerungsrüge deshalb die ihr vom Gesetzgeber beigemessene Funktion nicht mehr habe entfalten können. Der Kläger habe jedoch die Vorgabe des Art. 23 Satz 2 ÜGRG, wonach die Verzögerungsrüge unverzüglich nach dem Inkrafttreten des Gesetzes (am 3.12.2011) zu erheben sei, nicht erfüllt. Die am 30.12.2011 eingegangene Verzögerungsrüge sei mehr als drei Wochen und sechs Tage nach diesem Zeitpunkt erhoben worden. Sie sei daher verspätet, da "unverzüglich" i.S.d. Art. 23 Satz 2 ÜGRG "ohne schuldhaftes Zögern" (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) bedeute. Die in der Regel als Obergrenze anzunehmende Frist von zwei Wochen gelte auch im Streitfall. Die neue Entschädigungsregelung sei frühzeitig Gegenstand von Fachpublikationen gewesen. Der eindeutige Gesetzeswortlaut habe dem Prozessbevollmächtigten des Klägers bekannt sein müssen. Der Kläger sei daher zur Wahrung seiner Rechte gehalten gewesen, eine Verzögerungsrüge gem. § 198 Abs. 3 Satz 1 GV binnen zwei Wochen nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zu erheben. Er könne sich auch nicht darauf berufen, die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bereits vor dem Inkrafttreten der neuen Entschädigungsregelung mehrfach gerügt zu haben. Frühere Beanstandungen der Verfahrensdauer stünden einer Verzögerungsrüge gem. § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG nicht gleich.
II.
Rz. 10
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung in mehreren Punkten nicht stand.
Rz. 11
Entgegen der Auffassung des OLG betrifft die Frage der Erhebung bzw. Rechtzeitigkeit einer Verzögerungsrüge nicht die Zulässigkeit, sondern die Begründetheit der Entschädigungsklage.
Rz. 12
Die am 30.12.2011 beim LG eingegangene Verzögerungsrüge ist "unverzüglich" nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGRG) erhoben worden. Sie hat damit gem. Art. 23 Satz 2 und 3 ÜGRG Entschädigungsansprüche auch für den der Rüge vorausgehenden Zeitraum gewahrt.
Rz. 13
1. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das OLG angenommen, dass die Entschädigungsregelung bei überlanger Verfahrensdauer (§§ 198 ff. GVG) nach der Übergangsvorschrift des Art. 23 Satz 1 Halbs. 1 ÜGRG auf den Streitfall Anwendung findet. Danach gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten am 3.12.2011 (gemäß Art. 24 ÜGRG) bereits anhängig waren. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Das im Januar 2001 eingeleitete Ausgangsverfahren war zum maßgeblichen Stichtag weder rechtskräftig abgeschlossen noch anderweitig erledigt.
Rz. 14
2. Anders als das OLG meint, hat das Fehlen einer Verzögerungsrüge (§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG) oder die nicht unverzügliche Erhebung einer solchen Rüge (Art. 23 Satz 2 ÜGRG) nicht die Unzulässigkeit der Entschädigungsklage zur Folge. Vielmehr ist die Verzögerungsrüge als materielle Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs konzipiert und nicht als Zulässigkeitskriterium für dessen prozessuale Geltendmachung (BT-Drucks. 17/3802, 20). § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG normiert als zwingende Entschädigungsvoraussetzung, dass der Betroffene in dem Verfahren, für dessen Dauer er entschädigt werden möchte, eine Verzögerungsrüge erhoben hat. Dabei handelt es sich um eine haftungsbegründende Obliegenheit (BGH, Urt. v. 23.1.2014 - III ZR 37/13, NJW 2014, 939 Rz. 27; v. 10.4.2014 - III ZR 335/14, NJW 2014, 1967 Rz. 21; s. auch BFHE 243, 126 Rz. 24 und BSG NJW 2014, 253 Rz. 27). Wird die Verzögerungsrüge nicht unverzüglich gem. Art. 23 Satz 2 ÜGRG erhoben, hat dies zur Folge, dass Entschädigungsansprüche wegen überlanger Verfahrensdauer bis zum Rügezeitpunkt materiell-rechtlich präkludiert sind (grundlegend Senatsurteil vom 10.4.2014, a.a.O., Rz. 27 ff.). Die Zulässigkeit der Klage bleibt davon unberührt (vgl. BFHE, a.a.O.; BSG, a.a.O.).
Rz. 15
3. Entgegen der Auffassung der Revision haben die förmlichen Untätigkeitsbeschwerden des Klägers vom 8.4.2004 und 16.1.2009 sowie sein Schadensersatzverlangen vom 22.1.2009 die Erhebung einer Verzögerungsrüge nicht entbehrlich gemacht. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 23 Satz 2 ÜGRG muss in anhängigen, bereits verzögerten Verfahren die Verzögerungsrüge "unverzüglich nach Inkrafttreten" des Gesetzes erhoben werden. Allein dadurch wird der Entschädigungsanspruch rückwirkend in vollem Umfang gewahrt (Art. 23 Satz 3 ÜGRG; BT-Drucks. 17/3802, 31). Bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes erhobene Verzögerungsrügen erfüllen diese Voraussetzung nicht. Da sie keine präventive Warnfunktion i.S.d. §§ 198 ff. GVG entfalten konnten, sind sie nicht geeignet, einen Entschädigungsanspruch zu begründen (BFHE, a.a.O., Rz. 25; OLG Bremen NJW 2013, 2209, 2010). Dementsprechend bestimmt Art. 23 Satz 4 ÜGRG, dass es einer Verzögerungsrüge dann nicht bedarf, wenn bei einem anhängigen Verfahren die Verzögerung in einer - bei Inkrafttreten des Gesetzes - schon abgeschlossenen Instanz erfolgt ist (s. auch BT-Drucks. 17/3802, 31).
Rz. 16
4. Dem OLG kann nicht darin gefolgt werden, dass die Einhaltung der Wartefrist gem. § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG im Streitfall entbehrlich war. Allerdings hat das Gericht zugleich verkannt, dass die Entschädigungsklage nicht schon am 23.4.2012 (Fertigung der am 26. April beim OLG eingegangenen Klageschrift), sondern erst am 9.8.2012 (Zustellung der Klageschrift an den Beklagten) - mithin nicht vorzeitig - erhoben worden ist.
Rz. 17
a) Nach § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG kann der Entschädigungsanspruch frühestens sechs Monate nach wirksamer Erhebung der Verzögerungsrüge gerichtlich geltend gemacht werden. Der Sinn dieser Wartefrist besteht darin, dem Gericht des Ausgangsverfahrens die Möglichkeit einzuräumen, auf eine Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken und dadurch (weiteren) Schaden zu vermeiden (Senat, Urt. v. 21.5.2014 - III ZR 355/13, BeckRS 2014, 12289 Rz. 17). Zugleich sollen die Entschädigungsgerichte vor verfrühten Entschädigungsklagen geschützt werden (Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rz. 245). Die Einhaltung der Frist ist eine besondere Sachurteilsvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist. Eine vor Fristablauf erhobene Klage wird nach Ablauf der Frist nicht zulässig. Es liegt kein heilbarer Mangel vor. Nach dem Gesetzeswortlaut kommt es für die Einhaltung der Wartefrist allein auf den Zeitpunkt der Klageerhebung an. Zudem könnte andernfalls die vorgenannte Schutzfunktion der Frist für die Entschädigungsgerichte unterlaufen werden (Marx in Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, § 198 GVG Rz. 152, 154; Ott, a.a.O., § 198 GVG Rz. 247, 250; anders Loytved, SGb 2014, 293, 295 f für den Fall, dass bei Klageerhebung bereits mehrere Monate seit der Verzögerungsrüge vergangen sind).
Rz. 18
b) Nach der Rechtsprechung des Senats kann eine Entschädigungsklage ausnahmsweise vorzeitig erhoben werden, wenn das betroffene Verfahren schon vor Fristablauf beendet wurde. Ein Abwarten der Frist würde insofern im Hinblick auf den Zweck des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG keinen Sinn mehr machen. In diesen Fällen ist die Fristenregelung des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG teleologisch dahin einzuschränken, dass dann, wenn das als verspätet gerügte Verfahren schon vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist abgeschlossen wurde, bereits vom Moment des Verfahrensabschlusses an eine Entschädigungsklage zulässig ist (Senatsurteil vom 21.5.2014, a.a.O., Rz. 17). So liegt der Fall hier aber nicht.
Rz. 19
Das Ausgangsverfahren ist noch nicht beendet, da das am 23.3.2012 verkündete Schlussurteil des LG mit der Berufung angefochten wurde. Vor dem Hintergrund des Zwecks des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG - das Ausgangsgericht soll genügend Zeit haben, das Verfahren zu fördern und in angemessener Zeit abzuschließen oder jedenfalls eine weitere Verzögerung zu vermeiden - besteht keine Veranlassung, auf das Fristerfordernis bereits dann zu verzichten, wenn lediglich die Instanz, auf deren Dauer das Entschädigungsverlangen gestützt wird und in der die Verzögerungsrüge erhoben wurde, vor Ablauf von sechs Monaten nach Rügeerhebung abgeschlossen wurde (so aber Marx, a.a.O., § 198 GVG Rz. 150 f.). Das zunächst verzögerte Verfahren kann in einer höheren Instanz besonders zügig geführt werden, so dass die Wahrung der Sechs-Monats-Frist auch nach Abschluss einer Instanz sinnvoll ist. Sie gibt nämlich dem Rechtsmittelgericht Gelegenheit, eine in der Vorinstanz eingetretene Verzögerung zu kompensieren. Demgemäß muss das Entschädigungsgericht bei der abschließenden Würdigung nach § 198 Abs. 1 GVG das gesamte Verfahren in den Blick nehmen und prüfen, ob Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Prozesses ausgeglichen wurden (BGH, Urt. v. 14.11.2013 - III ZR 376/12, NJW 2014, 220 Rz. 30; v. 5.12.2013 - III ZR 73/13, NJW 2014, 789 Rz. 41; v. 23.1.2014 - III ZR 37/13, NJW 2014, 939 Rz. 37; v. 13.2.2014 - III ZR 311/13, NJW 2014, 1183 Rz. 28; v. 10.4.2014 - III ZR 335/13, NJW 2014, 1967 Rz. 39). Es ist zudem nicht erkennbar, dass ein Zuwarten von wenigen Wochen oder Monaten bis zum Ablauf der Frist eine nennenswerte Einschränkung des Rechtsschutzes für den Entschädigungskläger darstellen würde (vgl. Stahnecker, Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren, Rz. 166).
Rz. 20
c) Der Kläger hat die sechsmonatige Wartefrist eingehalten. Die Fristberechnung bestimmt sich nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 222 ZPO und §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB (Marx, a.a.O., § 198 GVG Rz. 153; Ott, a.a.O., § 198 GVG Rz. 249). Für den Beginn der Frist war der Eingang der Verzögerungsrüge am 30.12.2011 als Ereignis i.S.d. § 187 Abs. 1 BGB maßgebend. Die Frist endete gem. § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 30.6.2012. Der Umstand, dass die Entschädigungsklage bereits am 26.4.2012 beim OLG eingereicht wurde, ist unschädlich. Vielmehr ist entscheidend, dass die Klage, nachdem der Kläger den Gerichtskostenvorschuss gem. §§ 12a, 12 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. KV Nr. 1212 erst am 7.8.2012 eingezahlt hatte, an das beklagte Land am 9.8.2012 zugestellt worden ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Einhaltung der Wartefrist ist nach dem klaren Wortlaut des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG nicht die Einreichung, sondern die Erhebung der Entschädigungsklage (Marx, a.a.O., Rz. 154). Letztere erfolgt nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 253 Abs. 1 ZPO durch Zustellung der Klageschrift an den Beklagten, sobald die Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen gem. §§ 12a, 12 Abs. 1 Satz 1 GKG eingezahlt ist.
Rz. 21
Eine Rückwirkung der Zustellung der Klageschrift nach § 167 ZPO kommt im vorliegenden Zusammenhang nicht in Betracht. Die Vorschrift soll den Zustellungsveranlasser vor den Nachteilen aus Zustellungsverzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebs bewahren (vgl. nur BGH, Urt. v. 6.3.2008 - III ZR 206/07, NJW 2008, 1674 Rz. 12 m.w.N.), ihm aber nicht - umgekehrt - einen Nachteil zufügen. Aus diesem Grund besteht vorliegend auch keine Veranlassung zu prüfen, ob der Kläger alles Erforderliche unternommen hat, um eine zügige Zustellung zu gewährleisten.
Rz. 22
5. Die Annahme des OLG, die am 30.12.2011 eingegangene Verzögerungsrüge sei nicht "unverzüglich" i.S.v. Art. 23 Satz 2 ÜGRG erhoben worden, wird von der Revision zu Recht beanstandet. Diese Frage hat der Senat - nach Verkündung des angefochtenen Urteils - mit Urteil vom 10.4.2014 (III ZR 335/13, NJW 2014, 1967) grundlegend dahin entschieden, dass eine Verzögerungsrüge noch "unverzüglich" erhoben ist, wenn sie spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren beim Ausgangsgericht einging. Da die neue Entschädigungsregelung am 3.12.2011 in Kraft getreten ist, lag die Verzögerungsrüge noch innerhalb der dem Kläger eingeräumten Zeitspanne.
Rz. 23
Wird die Entschädigungsregelung - wie hier - nach Art. 23 Satz 1 Halbs. 1 ÜGRG auf Altfälle angewandt, die am 3.12.2011 bereits anhängig, aber noch nicht abgeschlossen waren, wird das Recht der Verzögerungsrüge durch Art. 23 Satz 2 und 3 ÜGRG an die Besonderheiten dieser Verfahrenskonstellation angepasst (BT-Drucks. 17/3802, 31). Bei Verfahren, die beim Inkrafttreten der Regelung schon verzögert sind, muss die Verzögerungsrüge "unverzüglich" erhoben werden.
Rz. 24
Da das OLG zu dem bestrittenen Vorbringen des Klägers, das Ausgangsverfahren hätte bei angemessener Verfahrensförderung innerhalb eines Jahres vollständig abgeschlossen werden können, keine Feststellungen getroffen hat, ist bei der revisionsgerichtlichen Nachprüfung zugunsten des Klägers davon auszugehen, dass das Verfahren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der §§ 198 ff. GVG bereits erheblich verzögert war.
Rz. 25
"Unverzüglich" bedeutet nach der Gesetzesbegründung "ohne schuldhaftes Zögern" (BT-Drucks. 17/3802, 31). Damit wird die Legaldefinition in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB in Bezug genommen, die nach allgemeiner Auffassung auch über die Fälle des § 121 BGB hinaus gilt (Palandt/Ellenberger, BGB, 73. Aufl., § 121 Rz. 3).
Rz. 26
Soweit Art. 23 Satz 2 ÜGRG die unverzügliche Erhebung der Verzögerungsrüge nach Inkrafttreten der Entschädigungsregelung verlangt, ist kein sofortiges Handeln geboten. Vielmehr muss dem Betroffenen eine angemessene Prüfungs- und Überlegungsfrist eingeräumt werden, um entscheiden zu können, ob er seine Rechte durch eine Verzögerungsrüge wahren muss. Die von der Rechtsprechung zu § 121 BGB herausgebildete Obergrenze von zwei Wochen bzw. die zweiwöchige gesetzliche Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB stellen insoweit einen zu engen Maßstab dar (Senatsurteil vom 10.4.2014, a.a.O., 25 m.w.N.). Bei der Bemessung der gem. Art. 23 Satz 2 ÜGRG angemessenen Überlegungsfrist ist vor allem der Zweck des Gesetzes in den Blick zu nehmen, durch Einräumung eines Entschädigungsanspruchs gegen den Staat bei überlanger Verfahrensdauer eine Rechtsschutzlücke zu schließen und eine Regelung zu schaffen, die sowohl den Anforderungen des Grundgesetzes (Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG) als auch denen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art. 6 Abs. 1, Art. 13 EMRK) gerecht wird (BT-Drucks. 17/3802, 15). Es kommt hinzu, dass das Gesetz nur einen Tag vor seinem Inkrafttreten verkündet worden ist (Art. 24 ÜGRG). Diese Gesichtspunkte sprechen dafür, den Begriff der "Unverzüglichkeit" in Art. 23 Satz 2 ÜGRG weit zu verstehen. Der Senat hat deshalb eine Drei-Monats-Frist für erforderlich gehalten, um den Erfordernissen eines effektiven Menschenrechtsschutzes zu entsprechen und den Betroffenen in allen Fällen ausreichend Zeit für die Prüfung zu geben, ob eine entschädigungspflichtige Verzögerung bereits eingetreten und eine Rügeerhebung deshalb geboten ist (BGH, a.a.O.; s. auch BFHE 243, 126 Rz. 31 ff.; Loytved, SGb 2014, 293, 295).
III.
Rz. 27
Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO). Das OLG wird nunmehr erstmals zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1, 2 GVG vorliegen.
Fundstellen
Haufe-Index 7183575 |
NJW 2014, 2588 |
EBE/BGH 2014 |
ZIP 2014, 1856 |
JZ 2014, 562 |
MDR 2014, 1200 |
NJ 2014, 6 |