Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinterbliebenenrente
Leitsatz (amtlich)
- T495) Die Anspruchsbeschränkung nach § 91a SVG gilt nicht gegenüber dem SVT, auf den Amtshaftungsanspruche gem. § 1542 RVO übergegangen sind.
- Gewähren der Dienstherr und ein SVT den Hinterbliebenen eines durch eine vorsätzliche Amtspflichtverletzung getöteten Soldaten Versorgungsbezüge und Hinterbliebenenrenten, die zusammen die Schadensersatzansprüche der Hinterbliebenen übersteigen, so sind sie hinsichtlich der überschießenden Beträge nicht Gesamtgläubiger.
Normenkette
SVG § 91a; RVO § 1542
Tatbestand
Der bei der Beklagten versicherte Soldat S. wurde am 26. Juli 1980 durch einen Schuß aus einer Pistole getötet, die ein anderer Soldat unter Verstoß gegen die Dienstvorschriften gehandhabt hatte. Seine Hinterbliebenen erhalten Versorgungsbezüge nach § 80 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) in Verbindung mit § 38 Bundesversorgungsgesetz und von der beklagten Landesversicherungsanstalt Hinterbliebenenrenten. Die Klägerin erstattete der Beklagten die Rentenzahlungen.
Versorgungsleistungen und Rentenzahlungen zusammen übersteigen den den Hinterbliebenen nach § 844 Abs. 2 BGB zu ersetzenden Unterhaltsschaden. Die Klägerin hat für die Jahre 1983 bis 1985 überschießende Beträge von insgesamt 46 701,93 DM errechnet. Sie hat von der Beklagten Rückzahlung dieser Beträge verlangt, da den Hinterbliebenen insoweit kein übergangsfähiger Schadensersatzanspruch zugestanden habe.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Ersatzansprüche der Hinterbliebenen nicht um die ihnen zustehenden Versorgungsansprüche gemindert gewesen und in Höhe der gezahlten Renten auf die Beklagte übergegangen seien.
Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung das erstinstanzliche Urteil geändert und die Beklagte - bis auf einen Teil der geltend gemachten Zinsen - dem Klageantrag gemäß verurteilt.
Die Revision der Beklagten führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückweisung der Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil.
Entscheidungsgründe
Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Rückgewähr eines Teils der von ihr geleisteten Beträge, weil ihre Zahlungen nicht rechtsgrundlos erfolgt sind.
1.
(von der weiteren Darstellung wird abgesehen)
2.
Die Beklagte hat nach § 1542 RVO Schadensersatzansprüche wegen Entziehung des Unterhalts gegen die Klägerin erworben, die die Höhe der von ihr gezahlten Hinterbliebenenrenten überstiegen.
a)
Die Annahme des Berufungsgerichts, der Tod des Versicherten der Beklagten sei durch eine vorsätzliche Amtspflichtverletzung eines anderen Soldaten verursacht worden, läßt Rechtsfehler nicht erkennen. (von der weiteren Darstellung wird abgesehen)
Aus dieser Amtspflichtverletzung konnten die Hinterbliebenen des Versicherten der Beklagten einen Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB herleiten, der sich gemäß Art. 34 GG gegen die Klägerin als Dienstherrin des Schädigers richtete.
b)
Dem Erwerb dieses Anspruchs durch die Beklagte im Wege des § 1542 RVO stand § 91 a SVG nicht entgegen. Diese Vorschrift lautet:
(1) Die nach diesem Gesetz versorgungsberechtigten Personen haben aus Anlaß einer Wehrdienstbeschädigung gegen den Bund nur die auf diesem Gesetz beruhenden Ansprüche. Sie können Ansprüche nach allgemeinen gesetzlichen Vorschriften, die weitergehende Leistungen als nach diesem Gesetz begründen, gegen den Bund, einen anderen öffentlich-rechtlichen Dienstherrn im Bundesgebiet einschließlich des Landes Berlin oder gegen die in deren Dienst stehenden Personen nur dann geltend machen, wenn die Wehrdienstbeschädigung durch eine vorsätzliche unerlaubte Handlung einer solchen Person verursacht worden ist.
(von der weiteren Darstellung wird abgesehen)
§ 91 a SVG ist indes im Verhältnis zwischen den Parteien nicht anzuwenden.
aa)
Seit dem Senatsurteil vom 24. April 1952 BGHZ 6, 3 legt der Bundesgerichtshof den vergleichbaren § 124 DBG seiner Zweckbestimmung folgend eng aus (vgl. zuletzt BGH Urteil vom 15. März 1988 - VI ZR 163/87 - VersR 1988, 614, 615 = BGHR DBG § 124 Abs. 2 a. F. Ersatzansprüche, allgemeine 1). Dabei läßt er sich von folgender Erwägung leiten:
Die Beschränkung der Schadensersatzansprüche findet ihre Rechtfertigung darin, daß dem verletzten Bediensteten und seinen Hinterbliebenen mit dem Anspruch auf die beamtenrechtlichen Versorgungsleistungen eine Existenzsicherung zuwächst, die vor allem nicht an die zuweilen schwer nachweisbaren Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs gebunden ist. Diese Vorstellung von einer Wechselbeziehung zwischen Vorteilsgewährung und Rechtsbeschränkung beherrscht Inhalt und Reichweite der Anspruchseinschränkung des § 124 DBG (§ 46 BeamtVG); das führt dazu, daß die Rechtsbeschränkung nur so weit wirkt, wie die Wechselwirkung trägt (vgl. BGH Urteil vom 15. März 1988 aaO).
Deshalb nimmt § 124 DBG - anders als die verwandte Vorschrift des § 636 RVO - die materiellen Ersatzansprüche nach allgemeinen Vorschriften gegen den Dienstherrn oder öffentliche Bedienstete nicht von Grund auf, sondern schränkt sie nur der Höhe nach in der Hand des verletzten Beamten bzw. seiner Hinterbliebenen ein (Senatsurteil vom 9. Juli 1962 - III ZR 22/61 - NJW 1962, 1961). Dies findet auch in dem Wortlaut der Vorschrift Ausdruck, der nur die Möglichkeit der Geltendmachung von Ansprüchen einschränkt. Da der Dienstunfall nur für den öffentlichen Bediensteten bzw. seine Hinterbliebenen Versorgungsansprüche auslöst, hat der Bundesgerichtshof anerkannt, daß § 124 DBG den Übergang von Ansprüchen aufgrund der allgemeinen gesetzlichen Vorschriften auf den Dienstherrn des durch einen Dienstunfall Geschädigten nicht hindert (vgl. BGHZ 6, 3, 12 ff.; BGH Urteil vom 29. März 1977 - VI ZR 52/76 - VersR 1977, 649, 650 m. w. Nachw.).
Diese Erwägungen können für den Sozialversicherungsträger, auf den die Schadensersatzansprüche des Versicherten oder seiner Hinterbliebenen übergehen, nicht anders gelten. Er steht - wie übrigens auch der Dienstherr - außerhalb der Wechselbeziehung von Rechtsgewinn und Rechtseinbuße. Für ihn ist die Anspruchseinschränkung nach § 124 DBG deshalb innerlich nicht gerechtfertigt, zumal sie zu einer Zurücksetzung des Sozialversicherungsträgers gegenüber dem Dienstherrn führen würde, dem das Gesetz die Regreßforderung gegen den Schädiger beläßt. Im übrigen ist nicht erkennbar, daß es in der Zielrichtung des Gesetzgebers gelegen hätte, mit dienstrechtlichen Vorschriften der vorliegenden Art anspruchseinschränkend in das sozialversicherungsrechtliche Leistungs- und Ausgleichssystem einzugreifen; dies hätte einer ausdrücklichen, die Rechtsfolgen klar bezeichnenden Regelung bedurft (BGH Urteil vom 15. März 1988 aaO).
bb)
Für die Auslegung des § 91 a SVG kann nichts anderes gelten. § 91 a Abs. 1 Satz 2 SVG stimmt mit § 124 Abs. 2 DBG inhaltlich und in der Verwendung der maßgebenden Begriffe überein.
§ 91 a SVG stellte hinsichtlich der weitergehenden Ansprüche aufgrund anderer Gesetze die Berufssoldaten mit der für die Beamten in § 151 BBG getroffenen Regelung gleich (BT-Drucks. 3/1910 S. 8). § 151 BBG, an dessen Stelle inzwischen § 46 BeamtVG getreten ist, hatte die Regelung des § 124 DBG im Grundsatz übernommen. Weder aus der Formulierung der einzelnen Vorschriften noch aus ihrer Entstehungsgeschichte ergibt sich irgendein Anhaltspunkt dafür, daß der Gesetzgeber bei Erlaß der neueren Vorschriften eine Abweichung von § 124 DBG beabsichtigt hätte. Auch die Interessenlage der Beteiligten ist nach wie vor die gleiche.
c)
Die Schadensersatzansprüche nach § 844 Abs. 2 BGB sind somit - ungehindert durch § 91 a SVG - in voller Höhe auf die Beklagte übergegangen, und zwar im Zeitpunkt des Schadensereignisses (BGHZ 48, 181, 188).
Dieser Annahme steht nicht entgegen, daß die Beklagte damit unter bestimmten Voraussetzungen mehr Rechte erwirbt, als dem ursprünglich Geschädigten zustanden. Dies steht nicht im Widerspruch dazu, daß die Rechtsstellung des Sozialversicherungsträgers nach § 1542 RVO von der des ursprünglich Geschädigten abgeleitet ist.
Die Konstruktion des Anspruchsübergangs vom unmittelbar Geschädigten auf den Sozialversicherungsträger anstelle der Begründung eines originär eigenen Anspruchs ist vom Gesetzgeber im Interesse des Sozialversicherungsträgers und nicht des Schädigers gewählt worden. Der Begründung eigener Ansprüche des Sozialversicherungsträgers steht entgegen, daß dieser auch bei Ungewißheit, ob und wieweit er in Zukunft Versicherungsleistungen zu erbringen haben wird, geschützt werden soll. Gerade weil der Forderungsübergang durch den Eintritt der Gewißheit, daß keine Versicherungsleistungen zu erbringen sind, auflösend bedingt ist, reicht die Gewährung eigener Ansprüche zur Sicherung des Sozialversicherungsträgers nicht aus (vgl. Senatsurteil BGHZ 48, 181, 191). Deshalb rechtfertigt die Konstruktion eines abgeleiteten Anspruchs es nicht, den Sozialversicherungsträger schlechter als bei einem originär eigenen Anspruch zu stellen (Senatsurteil BGHZ 99, 62, 68).
d)
Im übrigen handelt es sich hier um einen Fall vorsätzlicher Schädigung. Deshalb kann der Geschädigte nach § 91 a Abs. 1 Satz 2 SVG auch Ansprüche auf "weitergehende Leistungen" nach anderen Gesetzen geltend machen.
Erhielte § 91 a Abs. 1 Satz 2 SVG dem Geschädigten damit nur die über die Versorgungsansprüche hinausgehenden Teile anderer Ansprüche, dann könnten freilich diese Ansprüche auch nur in der Höhe auf einen Dritten - hier den Sozialversicherungsträger - übergehen, in der sie die Versorgungsansprüche übersteigen, und die Entscheidung des Berufungsgerichts wäre zutreffend. In diesem Sinne ist § 91 a Abs. 1 Satz 2 SVG aber nicht auszulegen.
Ansprüche auf "weitergehende Leistungen" im Sinne von § 91 a SVG sind nicht - wie das Berufungsgericht meint - nur die über die Versorgungsansprüche hinausgehenden Teile anderer Ansprüche, sondern diese Ansprüche als ganze, sofern sie nur weitergehen als die Versorgungsansprüche. Die gegenteilige Auslegung, die das Berufungsgericht dem § 91 a SVG gibt, wird dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht gerecht. Sie würde auch zu dem unzuträglichen Ergebnis führen, daß der Geschädigte im Streitfall seine Ansprüche jeweils teilweise in verschiedenen Rechtswegen geltend machen müßte.
Wenn nach der Rechtsprechung durch den Ausschluß "weitergehender Ansprüche" diese nicht dem Geschädigten von Grund auf genommen, sondern nur der Höhe nach beschränkt sind (BGHZ 6, 3, 9), in dieser beschränkten Höhe also neben den Versorgungsansprüchen bestehen bleiben, so folgt daraus, daß in den Fällen, in denen - wie hier bei § 91 a Abs. 1 Satz 2 SVG - die neben den Versorgungsansprüchen bestehenden Schadensersatzansprüche nicht beschränkt sind, diese neben den Versorgungsansprüchen in vollem Umfang - und nicht nur in der die Versorgungsansprüche übersteigenden Höhe - bestehen bleiben und nach § 1542 RVO auf den Sozialversicherungsträger übergehen können.
Steht damit § 91 a SVG dem Erwerb des Schadensersatzanspruchs durch die Beklagte nicht entgegen, so ist dieser Anspruch in Höhe der gesetzlichen Hinterbliebenenrente vollen Umfangs auf die Beklagte übergegangen.
2.
Die Klägerin kann der Beklagten auch keine eigenen Ansprüche entgegenhalten, die zu einer Kürzung der der Beklagten zustehenden Ansprüche im Wege eines Gesamtgläubigerausgleichs führen könnten.
Wären die Parteien Gesamtgläubiger gegenüber einem dritten Schädiger, so könnte jede ihren Anspruch gegenüber dem Schädiger bis zur Höhe des gesamten Schadens geltend machen, wäre aber im Verhältnis zu dem anderen Gesamtgläubiger zur Ausgleichung verpflichtet (vgl. BGHZ 28, 68; BGH Urteil vom 17. November 1959 - VI ZR 207/58 - VersR 1960, 85); die Gesamtgläubiger wären im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet, soweit nichts anderes bestimmt ist (§ 430 BGB). Im vorliegenden Fall steht der Klägerin aber kein eigener Anspruch zu, den sie mit den Ansprüchen der Beklagten zur Ausgleichung bringen könnte. Nach § 30 Abs. 3 SoldatG in Verbindung mit § 87 a BBG geht zwar ein Schadensersatzanspruch gegen einen Dritten auf den Dienstherrn über, soweit dieser zur Gewährung von Versorgungsleistungen verpflichtet ist. Ein solcher Anspruch besteht aber nicht, wenn der Dienstherr nach Art. 34 GG selbst auf Ersatz des entstandenen Schadens haftet (vgl. Wilke/Wunderlich, Bundesversorgungsgesetz 4. Aufl. Erl. 2 zu Verwaltungsvorschriften). In diesem Fall kann dem Dienstherrn zwar ein (originärer) Regreßanspruch gemäß § 24 Abs. 2 SoldatG zustehen. Dieser Anspruch liegt aber nicht auf der gleichen Ebene wie der auf den Sozialversicherungsträger übergegangene Schadensersatzanspruch der Hinterbliebenen; denn er ist nicht auf Ersatz des den Hinterbliebenen entstandenen Schadens, sondern auf Erstattung der dem Dienstherrn im Hinblick auf Art. 34 GG entstandenen Aufwendungen gerichtet. Er kann daher keine Gesamtgläubigerschaft zwischen der Klägerin und der Beklagten begründen.
Fundstellen
Haufe-Index 1456327 |
BGHZ, 13 |
NJW 1989, 1735 |