Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindungswirkung eines gemeinschaftlichen Testaments nach DDR-Recht
Leitsatz (amtlich)
Die Bindung des überlebenden Ehegatten an das gemeinschaftliche Testament gemäß § 390 Abs. 2 ZGB gilt ausschließlich für Verfügungen von Todes wegen.
Normenkette
EGBGB 1986 Art. 235 § 2 S. 2; ZGB DDR § 390; ZGB DDR § 388
Verfahrensgang
OLG Naumburg |
LG Magdeburg |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 8. Februar 1994 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 23. Juli 1993 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien, deren Väter Brüder sind, leben im Beitrittsgebiet im gleichen Ort. Sie streiten um ein Hausgrundstück in ihrem Wohnort, das ihren verstorbenen Großeltern väterlicherseits gehört hat.
Die Großeltern errichteten am 14. Juni 1987 gemeinsam ein Testament. Danach sollte die Klägerin das Hausgrundstück bekommen, während die übrigen landwirtschaftlichen Grundstücke anderweitig auf Söhne und Enkel verteilt wurden. Weiter heißt es im Testament:
Das nach dem Tode des Letztlebenden vorhandene Guthaben bekommt zur Hälfte unser Sohn H. E., zur Hälfte (die Klägerin), die dafür die Pflege des Letztlebenden im Krankheitsfall übernimmt.
Im Zeitpunkt der Testamentserrichtung lebten im Erdgeschoß des Hauses die Großeltern, im ersten Stock die Klägerin mit ihrer Familie. Der Großvater starb wenig später am 25. Juni 1987. Aufgrund Erbscheins vom 24. März 1988 wurde die Großmutter als Eigentümerin eingetragen. Sie übertrug das Hausgrundstück am 5. März 1990 durch notariellen Vertrag auf den im Testament nicht bedachten Beklagten. In einer eidesstattlichen Versicherung vom 12. August 1991, die sie in einem vor dem Kreisgericht W. von der Klägerin angestrengten Verfahren abgab, erklärte die Großmutter, sie wolle der Klägerin das Grundstück nicht mehr zuwenden, weil diese sich nicht genug um sie kümmere. Der Beklagte wurde als Eigentümer eingetragen. Die Großmutter starb im November 1991.
Die Klägerin meint, die Großmutter habe wegen des gemeinschaftlichen Testamentes das Hausgrundstück nicht mehr dem Beklagten übertragen dürfen. Das Landgericht hat ihre Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat den Beklagten verurteilt, die Eintragung der Klägerin als Eigentümerin zu bewilligen und ihr das Grundstück herauszugeben. Dagegen wendet er sich mit seiner Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
I.
Gemäß Art. 235 § 2 Satz 2 EGBGB wird die Bindung des Erblassers bei einem gemeinschaftlichen Testament nach dem bisherigen Recht beurteilt, sofern das Testament vor dem Wirksamwerden des Beitritts errichtet worden ist. Das am 14. Juni 1987 errichtete Testament der Großeltern ist ein gemeinschaftliches Testament im Sinne von §§ 388 und 390 ZGB. Dem Landgericht und dem der Großmutter erteilten Erbschein folgend legt das Berufungsurteil das gemeinschaftliche Testament dahin aus, daß die Großmutter als überlebender Ehegatte Alleinerbe des gesamten Nachlasses und nach ihrem Tod eine Schlußerbeneinsetzung wirksam werden sollte. Das ist insbesondere im Hinblick auf die im Testament für den Fall des Todes des Letztlebenden getroffenen Anordnungen nicht zu beanstanden. Schließlich ist dem Berufungsurteil auch darin zu folgen, daß für die Entscheidung der Frage nach dem Umfang der Bindungswirkung des § 390 ZGB, ob nämlich die Übertragung des Hausgrundstücks auf den Beklagten wirksam ist, die frühere Rechtspraxis im Beitrittsgebiet maßgeblich ist (BGHZ 124, 270, 277; Urteile vom 27.1.1993 – XII ZR 178/91 – BGHR DDRFGB § 41 Vertretungsbefugnis 1 und vom 22.6.1993 – VI ZR 302/92 – NJW 1993, 2531 unter II 1).
II.
Diese Frage wird im Berufungsurteil aber falsch beantwortet.
1. Das Berufungsgericht meint, aus den Regelungen in den §§ 45 Abs. 3 Satz 2, 47 Abs. 1, 68 Abs. 1 ZGB den allgemeinen Rechtsgedanken entnehmen zu können, daß ein Rechtsgeschäft keinen Bestand haben soll, das einen Vertragspartner oder einen schutzwürdigen Dritten bewußt schädigen soll. Danach sei der Übertragungsvertrag vom 5. März 1990 nichtig. Die Klägerin habe Schlußerbin des Hausgrundstücks werden sollen. Der Schlußerbe sei nach § 390 Abs. 2 Satz 2 ZGB gegenüber beeinträchtigenden Verfügungen des überlebenden Ehegatten nicht völlig schutzlos. Diese Bestimmung sei mit § 2271 Abs. 2 BGB vergleichbar. Deshalb sei es gerechtfertigt, die Grundsätze zum Schutz des Vertragserben in analoger Anwendung der §§ 2287, 2288 BGB heranzuziehen. Deren Voraussetzungen seien erfüllt. Die Klägerin sei dadurch erheblich beeinträchtigt, daß die Großmutter ohne anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse zur „Bestrafung” der Klägerin den wesentlichen Nachlaßgegenstand dem Beklagten schenkweise überlassen habe.
2. Es kann unterstellt werden, daß die Klägerin nach dem gemeinschaftlichen Testament alleinige Schlußerbin werden sollte. Diese Stellung und das gemeinschaftliche Testament hinderten die Großmutter nicht, zu Lebzeiten anderweitig über das Hausgrundstück zu verfügen.
a) Wortlaut und Aufbau von § 390 ZGB belegen, daß Verfügungen des Überlebenden „frei” möglich sind. Der Überlebende ist nur hinsichtlich des bei seinem Tod noch vorhandenen (nicht „wegverfügten”) Nachlasses gebunden. Diese Bestimmung lautet:
Wirkung des gemeinschaftlichen Testaments
(1) Die Ehegatten sind an das gemeinschaftliche Testament gebunden, solange es nicht widerrufen oder aufgehoben wird. Die Ehegatten können sich gegenseitig ermächtigen, vom gemeinschaftlichen Testament abweichende Verfügungen zu treffen.
(2) Der überlebende Ehegatte kann über den Nachlaß frei verfügen. Testamentarische Verfügungen des überlebenden Ehegatten, die dem gemeinschaftlichen Testament widersprechen, sind nichtig.
Die freie Befugnis zu „verfügen” des § 390 Abs. 2 Satz 1 ist uneingeschränkt. Ein rechtsgeschäftlich vereinbartes Verbot solcher Verfügungen wäre wegen Verstoßes gegen § 371 Abs. 2 ZGB nichtig (so Anm. 2 zu § 390 ZGB in dem Kommentar des Ministeriums der Justiz). Die freie Befugnis erstreckt sich auf alle Verfügungen, die der überlebende Ehegatte zu seinen Lebzeiten vornimmt. Zwar mag das Zivilgesetzbuch das Abstraktionsprinzip des Bürgerlichen Gesetzbuches aufgegeben haben (dazu Westen/Schleider, Zivilrecht im Systemvergleich, Rechtwiss. Veröff. des Osteuropa Instituts der Freien Universität Berlin Bd. 13, Baden-Baden 1984 S. 315-320). Dennoch ist nichts dafür ersichtlich, daß der Begriff „verfügen” in § 390 Abs. 2 Satz 1 ZGB für die Übertragung von Eigentum zu Lebzeiten anders verwendet wird als im sonstigen Sprachgebrauch des bürgerlichen Rechts. Demgemäß handelt es sich dabei um ein Rechtsgeschäft unter Lebenden, das unmittelbar auf die bestehende Rechtslage an einem Gegenstand einwirkt. Eine Unterscheidung zwischen entgeltlichen und unentgeltlichen Verfügungen, wie sie etwa § 2113 Abs. 2 BGB vornimmt, enthält § 390 ZGB nicht.
Diese Vorschrift statuiert in Abs. 2 Satz 2 eine Ausnahme von der freien Befugnis nur für „testamentarische Verfügungen”. Eine solche Verfügung – von Todes wegen – ist etwas grundsätzlich anderes als eine Verfügung unter Lebenden (MünchKomm/Leipold, BGB 2. Aufl. § 1937 Rdn. 5). Sie wird in § 370 Abs. 1 ZGB als weitere Möglichkeit zur Begründung der Erbfolge neben die gesetzliche Erbfolge der §§ 364 ff. ZGB gestellt. Nur für die Verfügung von Todes wegen, also nur für die Regelung der testamentarischen Erbfolge gilt die Bindung des § 390 Abs. 2 Satz 2 ZGB. Deshalb ist es rechtsfehlerhaft, daß das Berufungsgericht aus der für die Verfügung von Todes wegen geltenden Ausnahme vom Grundsatz der freien Verfügbarkeit schließen will, auch zu Lebzeiten sei die Verfügungsbefugnis nicht uneingeschränkt.
b) Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift spricht gegen die Auffassung des Berufungsgerichts. Durch das Zivilgesetzbuch wurde der Erbvertrag mit seinen weitreichenden aber dennoch vom Berufungsgericht analog herangezogenen Bindungen in §§ 2287, 2288 BGB ersatzlos ab geschafft. Mit Recht hebt die Revision, wie schon das Urteil des Landgerichts, hervor, daß das Zivilgesetzbuch die Bindung des Überlebenden im Vergleich mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch schwächer ausgestattet und seine Rechtsstellung stärkt (Lüdtke-Handjery, Betrieb 1976, 229, 231 unter III 6; Meincke, JR 1976, 47, 50 unter III 3; Palandt/Edenhofer, 54. Aufl. EGBGB Art. 235 § 2 Rdn. 4; MünchKomm/Leipold, BGB 2. Aufl. Erbrecht Einl. Rdn. 248 und Ergänzungsband EinigVtr Rdn. 713). Der überlebende Ehegatte wird freier gestellt abweichend von Todes wegen zu verfügen und die Wechselbezüglichkeit zu beseitigen. Wenn er das gemeinschaftliche Testament widerruft und die Erbschaft ausschlägt, behält er nach § 392 Abs. 4 Satz 2 ZGB trotz dieser Ausschlagung – anders als im Bürgerlichen Gesetzbuch (§§ 2271 Abs. 2 Satz 1 und 2303 BGB, dazu Palandt/Edenhofer, 54. Aufl. Vorbem. 2 zu § 2303) – den Pflichtteilsanspruch. Er kann trotz Annahme der Erbschaft seine Verfügung von Todes wegen aufheben, wenn er das aus der Erbschaft Erlangte unter Abzug seines gesetzlichen Erbteils an die eingesetzten Erben herausgibt, oder wenn diese darauf verzichten (§ 393 Abs. 1 ZGB).
c) Die maßgebliche Rechtspraxis im Beitrittsgebiet hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt. Nach dem bereits oben unter a) erwähnten Regierungskommentar hindert das gemeinschaftliche Testament „den überlebenden Ehegatten nicht, Nachlaßgegenstände zu veräußern”. Der Begriff „veräußern” wird im bürgerlichen Recht seit jeher (vgl. die einhellige Meinung zu §§ 135, 136 BGB) in gleicher Weise wie der Begriff „verfügen” gebraucht. Wiederum spricht nichts dafür, daß dieser Begriff in der genannten Kommentierung anders, etwa eingeschränkt im Sinne einer entgeltlichen Verfügung verstanden worden sein soll. Vielmehr zeigt der folgende Satz der Kommentierung, wonach Verbote von Verfügungen zu Lebzeiten nichtig sind, daß Veräußerung und Verfügung synonym verwendet werden. Folgerichtig hat Schweizer, Notar beim Staatlichen Notariat Berlin, in NJ 1987, 289, 290 den DDR-Notar für verpflichtet gehalten, bei Errichtung eines gemeinschaftlichen Testamentes darauf hinzuweisen, daß der Überlebende den Nachlaß veräußern oder sogar verschenken kann.
d) Die Erwägung des Berufungsgerichts, aus §§ 45 Abs. 3 Satz 2 und 68 Abs. 1 ZGB könne bei Benachteiligungsabsicht wegen der Regelungen der §§ 2271 Abs. 2, 2287 und 2288 BGB doch eine Bindung zu Lebzeiten entnommen werden, ist danach rechtsfehlerhaft (MünchKomm/Leipold, BGB 2. Aufl. Ergänzungsband EinigVtr. Rdn. 713; Limmer, ZEV 1994, 290, 294).
Dennoch kommt das Berufungsurteil sogar zur Nichtigkeit, nicht etwa nur wie § 2287 BGB zu einem Bereicherungsanspruch. §§ 45 Abs. 3 Satz 2 und 68 Abs. 1 ZGB sind aber die Entsprechungen zu §§ 134 und 138 BGB. Die Nichtigkeit, die aus diesen vergleichbaren ZGB- und BGB-Bestimmungen folgt, kann aus der besonderen, nur für den Erbvertrag gedachten Regelung des § 2287 BGB mit ihrer Bereicherungsfolge nicht hergeleitet werden, insbesondere nicht unter dem Gesichtspunkt der Umgehung (BGHZ 59, 343, 348). Anhaltspunkte dafür, daß die Großmutter bei Abschluß des Überlassungsvertrages sittenwidrig handelte (vgl. auch dazu BGHZ frei zu verfügen aaO), sind angesichts ihrer Befugnis nicht ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 604921 |
BGHZ, 302 |
NJW 1995, 1087 |
DRiZ 1971, 26 |
DNotZ 1996, 44 |
JZ 1996, 105 |