Leitsatz (amtlich)
Zur Haftung eines Automobilherstellers nach § 826 BGB gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs in einem sog. Dieselfall (hier: Verkauf eines Gebrauchtwagens; kein Wegfall des Schadens durch Software-Update).
Normenkette
BGB § 249 (Cb)
Verfahrensgang
OLG Koblenz (Urteil vom 07.11.2019; Aktenzeichen 1 U 247/19) |
LG Mainz (Entscheidung vom 08.02.2019; Aktenzeichen 9 O 83/18) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des OLG Koblenz vom 7.11.2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.
Rz. 2
Der Kläger erwarb am 4.6.2012 von einem Autohaus, einer Tochtergesellschaft der früheren Beklagten zu 1), einen gebrauchten VW Passat 2.0 TDI zum Kaufpreis von 26.900 EUR. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten zu 2) (im Folgenden: Beklagte) hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA189 ausgestattet. Zum Zeitpunkt des Erwerbs enthielt dieser eine Steuerungssoftware, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus durchlief oder sich im normalen Straßenverkehr befand. Im Prüfstandsbetrieb bewirkte die Software eine im Vergleich zum Normalbetrieb erhöhte Abgasrückführungsrate, wodurch die Grenzwerte für Stickoxidemissionen der Abgasnorm Euro 5 auf dem Prüfstand eingehalten werden konnten.
Rz. 3
Nachdem das Kraftfahrtbundesamt diese Abgassteuerung als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft hatte, rief die Beklagte Fahrzeuge mit Motoren der Baureihe EA189 zurück, um eine geänderte Software aufzuspielen. Das Fahrzeug des Klägers wurde am 20.9.2016 nachgerüstet.
Rz. 4
Mit seiner Klage verlangt der Kläger Schadensersatz i.H.v. 24.267,91 EUR (Kaufpreis zzgl. Finanzierungskosten abzgl. Nutzungsvorteile) nebst ausgerechneter Zinsen von 3.973,01 EUR sowie weiterer Zinsen aus 31.734,78 EUR i.H.v. 4 % seit dem 1.4.2018 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs seit dem 24.4.2018, Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und Feststellung, dass dem Kläger weitere Schäden zu ersetzen sind, die ihm aus der Manipulation des Motors oder entsprechenden Behebungsmaßnahmen am Fahrzeug entstehen.
Rz. 5
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die nur gegen den beklagten Fahrzeughersteller geführte Berufung des Klägers hat das OLG zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel gegen die Beklagte weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 6
Das Berufungsgericht, dessen Urteil unter BeckRS 2019, 42803 veröffentlicht ist, hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Rz. 7
Ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB komme schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger ein gebrauchtes Fahrzeug erworben habe und es daher an den tatbestandlichen Voraussetzungen des Anspruchs fehle. Ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. europarechtlichen Vorschriften scheitere daran, dass die betreffenden europarechtlichen Normen keinen individualschützenden Charakter hätten und damit keine Schutzgesetze seien. Es lägen auch die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB nicht vor. Denn der Beklagten könne ein sittenwidriges Verhalten nur beim erstmaligen Inverkehrbringen eines Neuwagens vorgeworfen werden, nicht aber beim Weiterverkauf als Gebrauchtwagen. Nur beim Verkauf eines Neuwagens fließe der Beklagten ein wirtschaftlicher Vorteil zu. Deshalb könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger mit verwerflichem Gewinnstreben und damit sittenwidrig gehandelt habe. Der Schaden des Klägers, der im Erhalt eines mangelhaften, mit der Untersagung des Betriebs bedrohten Fahrzeugs gelegen habe, das objektiv den für ein mangelfreies Fahrzeug gezahlten Kaufpreis nicht wert gewesen sei, sei im Übrigen nach dem Aufspielen des Softwareupdates entfallen. Schließlich seien im Rahmen des § 826 BGB nur solche Schäden ersatzpflichtig, die auch in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fielen. Die europarechtlichen Vorschriften, gegen die die Beklagte verstoßen haben könnte, hätten aber keinen individualschützenden Charakter.
II.
Rz. 8
Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Schadensersatzanspruch des Klägers wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus § 826 BGB nicht verneint werden.
Rz. 9
1. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, ein Anspruch aus § 826 BGB scheitere bereits daran, dass der Kläger das von der Beklagten hergestellte Fahrzeug als Gebrauchtwagen gekauft habe.
Rz. 10
Der Senat hat im Urt. v. 25.5.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rz. 16 ff. auf der Grundlage der im dortigen Verfahren getroffenen Feststellungen ausgeführt, dass und warum das Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen der mit der Manipulationssoftware versehenen Motoren auch gegenüber Gebrauchtwagenkäufern als mittelbar Geschädigten objektiv sittenwidrig war (vgl. auch BGH, Urt. v. 30.7.2020 - VI ZR 5/20 NJW 2020, 2798 Rz. 33 v. 30.7.2020 - VI ZR 367/19, NJW 2020, 2804 Rz. 12 f.; v. 26.1.2021 - VI ZR 405/19 ZIP 2021, 368 Rz. 12 f.). Unter den dort genannten Voraussetzungen trifft die Beklagte das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, im Hinblick auf die Schädigung aller unwissenden Käufer der bemakelten Fahrzeuge (vgl. BGH, Urt. v. 25.5.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rz. 25; v. 30.7.2020 - VI ZR 367/19 NJW 2020, 2804 Rz. 13; v. 26.1.2021 - VI ZR 405/19 ZIP 2021, 368 Rz. 13). Das Berufungsgericht hat aufgrund der rechtsfehlerhaften Annahme, dass ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten gegenüber einem Gebrauchtwagenkäufer von vornherein ausscheide, zur Frage des haftungsbegründenden Tatbestands des § 826 BGB keine weiteren Feststellungen getroffen.
Rz. 11
2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fällt der vom Kläger geltend gemachte Schaden nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck des § 826 BGB. Auf den Schutzzweck der §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV und der zur vollständigen Harmonisierung der technischen Anforderungen für Fahrzeuge erlassenen Rechtsakte der Europäischen Union kommt es im Rahmen des Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB, anders als das Berufungsgericht meint, nicht an (vgl. BGH, Urt. v. 26.1.2021 - VI ZR 405/19, ZIP 2020, 368 Rz. 24 m.w.N.).
Rz. 12
3. Das Berufungsgericht hat weiter rechtsfehlerhaft angenommen, dass ein Schaden entfallen sei, weil die vom Kläger gerügte Beeinträchtigung - die illegale Abschalteinrichtung - durch das im September 2016 durchgeführte Software-Update beseitigt worden sei.
Rz. 13
Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Der Geschädigte muss sich von dieser auf einem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer "ungewollten" Verpflichtung wieder befreien können. Schon eine solche Verpflichtung stellt einen gem. § 826 BGB zu ersetzenden Schaden dar (vgl. BGH, Urt. v. 25.5.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rz. 45 f., 58 m.w.N.). Dieser Schaden entfällt nicht dadurch, dass sich der Wert oder Zustand des Vertragsgegenstandes nachträglich verändert. Das Aufspielen eines Software-Updates führt nicht dazu, dass der ungewollte Vertragsschluss rückwirkend zu einem gewollten wird (vgl. BGH, Urt. v. 30.7.2020 - VI ZR 367/19 ZIP 2020, 1763 Rz. 22).
Rz. 14
4. Das Berufungsurteil war aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen treffen kann (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Fundstellen