Leitsatz (amtlich)
Zahlt der selbstschuldnerische Bürge aufgrund eines rechtskräftigen Vorbehaltsurteils an den Gläubiger, so geht dessen Forderung gegen den Hauptschuldner erst mit dem Abschluß des Nachverfahrens auf ihn über. Er kann daher, falls sich nichts anderes aus dem Innenverhältnis zum Hauptschuldner ergibt, gegen diesen erst nach Abschluß des Nachverfahrens Rückgriff nehmen.
Normenkette
BGB §§ 774, 362
Verfahrensgang
LG Düsseldorf |
OLG Düsseldorf |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 15. Oktober 1981 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Aufgrund eines Darlehens- und Sicherungsübereignungsvertrages vom 18. Dezember 1972 erhielt der Beklagte von Frau Ursula Eva W… (Gläubigerin) ein verzinsliches, in jährlichen Raten rückzahlbares Darlehen in Höhe von 165.000 DM. Die Klägerin übernahm wegen eines Teilbetrages dieses Darlehens in Höhe von 45.000 DM zuzüglich Zinsen und etwaigen Mahn- und Rechtsverfolgungskosten am 18. Dezember 1972 eine selbstschuldnerische Bürgschaft. Auf Klage der Gläubigerin wurde die Klägerin im Urkundenprozeß als Bürgin unter Vorbehalt der Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren am 14. November 1979 zur Zahlung der Bürgschaftssumme nebst Zinsen verurteilt. Auf ihre Berufung hin, die die Klägerin wegen der Zinshöhe eingelegt hatte, kam zwischen der Klägerin und der Gläubigerin ein gerichtlicher Vergleich dahingehend zustande, daß das Begehren eines Teiles des geltend gemachten Zinsanspruchs im Urkundenprozeß unstatthaft sei und daß dieser Teil des Zinsanspruchs der Gläubigerin im ordentlichen Verfahren anhängig bleibe. Im übrigen ist das Vorbehaltsurteil rechtskräftig geworden. Als die Gläubigerin aus dem Vorbehaltsurteil die Zwangsvollstreckung betrieb, hat die Klägerin insgesamt 100.431,62 DM bezahlt.
Diesen Betrag nebst 11% Zinsen verlangt die Klägerin vom Beklagten als Hauptschuldner gemäß § 774 Abs. 1 BGB erstattet.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Das Nachverfahren in dem Rechtsstreit zwischen der Gläubigerin und der Klägerin ist noch anhängig.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
1. Das Berufungsgericht führt aus, der gesetzliche Forderungsübergang auf die Klägerin als Bürgin nach § 774 Abs. 1 BGB habe bisher noch nicht stattgefunden. Die Klägerin habe nämlich nur aufgrund des rechtskräftigen Vorbehaltsurteils an die Gläubigerin bezahlt, wobei ihr die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorbehalten geblieben sei. Eine solche Zahlung führe nicht zur Befriedigung des Bürgschaftsgläubigers. Es handele sich nur um eine vorläufige Regelung zugunsten des Titelgläubigers, vergleichbar der Zahlung aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Urteils oder einer auf Zahlung lautenden einstweiligen Verfügung.
2. Die Revision meint, die Zahlung des Bürgen aufgrund eines rechtskräftigen Vorbehaltsurteils bewirke den Forderungsübergang gemäß § 774 Abs. 1 BGB. Das Vorbehaltsurteil solle dem Berechtigten schnell einen formell rechtskräftigen – wenn auch auflösend bedingten – Titel zur Durchsetzung seines Rechts verschaffen. Es sei mit einem vorläufig vollstreckbaren Endurteil, das noch mit einem Rechtsmittel angefochten werden könne, nicht vergleichbar, weil das Nachverfahren im Urkundenprozeß kein Rechtsmittel sei.
II.
1. Ein Schuldverhältnis erlischt grundsätzlich, wenn die geschuldete Leistung – endgültig – an den Gläubiger bewirkt wird (§ 362 BGB). Diese Folge tritt deshalb dann nicht ein, wenn der Schuldner ohne Anerkennung seiner Schuld unter Vorbehalt einer Rückforderung ohne Veränderung der den Gläubiger treffenden Beweislast seine Leistung erbringt (Soergel/Schmidt, BGB, 10. Aufl. § 362 Rdnr. 12; Heinrichs in MünchKomm, BGB, § 362 Rdnr. 4). Ein so verstandener Vorbehalt ist immer dann auch anzunehmen, wenn die Zahlung des Schuldners an den Gläubiger nur aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Urteils zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erfolgt (vgl. Weber in RGRK BGB, 12. Aufl. § 362 Rdnr. 36; Palandt/Heinrichs, BGB, 42. Aufl. § 362 Anm. 2; Soergel/Schmidt a.a.O. Rdnr. 9). Dasselbe gilt auch, wenn der Schuldner zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem Vorbehaltsurteil zahlt, das zwar ein formell rechtskräftiges, aber durch eine etwaige Aufhebung im Nachverfahren auflösend bedingtes Endurteil ist (vgl. hierzu BGHZ 69, 270, 272 m. w. Nachw.).
2. Der gesetzliche Forderungsübergang der Hauptschuld vom Gläubiger auf den an ihn zahlenden Bürgen (§ 774 Abs. 1 BGB) tritt ein, wenn der Bürge den Gläubiger befriedigt. Eine Befriedigung des Gläubigers liegt noch nicht vor, wenn der Bürge aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Urteils zur Abwendung der Zwangsvollstreckung an den Gläubiger bezahlt hat und den Rechtsstreit mit dem Bürgschaftsgläubiger in der Rechtsmittelinstanz weiterführt; denn eine solche Zahlung bewirkt nur eine vorläufige Regelung des Streitfalls unter voller Wahrung der Rechte des Bürgen gegen den Gläubiger (RGZ 98, 328, 329; Mormann in RGRK BGB, 12. Aufl. § 774 Rdnr. 1; Soergel/Schmidt a.a.O. § 774 Rdnr. 3; Erman/Seiler, BGB, 7. Aufl. § 774 Rdnr. 3; Palandt/Thomas, BGB, 42. Aufl. § 774 Anm. 2 a; Jauernig/Vollkommer, BGB, 2. Aufl. § 774 Rdnr. 2 a; a. A. Pecher in MünchKomm, BGB § 774 Rdnr. 3; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 20. Aufl. § 708 Rdnr. 6).
3. Die Rechtslage ist nicht anders zu beurteilen, wenn ein selbstschuldnerischer Bürge aufgrund eines gegen ihn im Urkundenprozeß ergangenen, formell rechtskräftigen Vorbehaltsurteils an den Gläubiger die Bürgschaftssumme bezahlt hat. Nach Erlaß eines Vorbehaltsurteils bleibt nämlich der Rechtsstreit im Nachverfahren anhängig (§ 600 Abs. 1 ZPO; Senatsurteil vom 17. Januar 1973 – VIII ZR 48/71 = WM 1973, 733; BGH Urteil vom 12. November 1959 – II ZR 40/58 = NJW 1960, 100) und wird fortgesetzt, wenn eine Partei den Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens stellt (Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 13. Aufl. § 58 V 5; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 19. Aufl. § 600 Anm. II; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 41. Aufl. § 600 Anm. 1 A).
Im vorliegenden Falle wird der Streit um das Bestehen der Bürgschaftsschuld im Nachverfahren zwischen der Gläubigerin und der Klägerin weitergeführt. Die Klägerin, der im Urkundenprozeß die Ausführung ihrer Rechte vorbehalten worden ist, bestreitet dort ihre Zahlungsverpflichtung als Bürgin. Auch wenn sie aufgrund des formell rechtskräftigen Vorbehaltsurteils zur Abwendung der Zwangsvollstreckung bereits bezahlt hat, hat sie ihre Leistung an die Gläubigerin doch nur unter dem Vorbehalt des Bestehens ihrer Schuld mit dem Recht der Rückforderung erbracht. Sie kann im Nachverfahren nunmehr auch klagebegründende Tatsachen bestreiten, die sie im Vorverfahren, im Urkundenprozeß also, nicht bestritten hat, weil sie mit den ihr zugänglichen Beweismitteln im Urkundenprozeß ausgeschlossen war (vgl. Rosenberg/Schwab a.a.O. § 164, III 6). Ein Vorbehalt des zahlenden Schuldners aber, der nicht zu einer Veränderung der Beweislast dahingehend geführt hat, daß nunmehr der Schuldner das Vorliegen einer Bereicherung des Leistungsempfängers darzulegen hätte, läßt die Schuldtilgung in der Schwebe und ist keine Erfüllung im Sinne von § 362 BGB (Soergel/Schmidt a.a.O.; Palandt/Heinrichs a.a.O.; MünchKomm a.a.O.; Weber in RGRK BGB a.a.O. Rdnr. 35).
Voraussetzung des Übergangs der Forderung gegen den Hauptschuldner auf den zahlenden Bürgen ist die Befriedigung des Gläubigers durch den Bürgen. Erforderlich ist aber stets eine endgültige Befriedigung des Gläubigers (Mormann in RGRK BGB a.a.O. Rdnr. 1, vgl. auch RGZ 106, 311). Wird eine solche vom Bürgen vorgenommen, so tritt abweichend von der im Gesetz in § 362 BGB vorgesehenen Regel des Erlöschens des Schuldverhältnisses nach § 774 Abs. 1 BGB kraft Gesetzes ein Übergang der Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner auf den Bürgen ein. Kann eine Zahlung aufgrund eines rechtskräftigen Vorbehaltsurteils bei noch anhängigem Nachverfahren nicht das Erlöschen des Schuldverhältnisses nach § 362 BGB bewirken, besteht vielmehr bis zur Beendigung des Nachverfahrens das streitige Schuldverhältnis trotz der Zahlung auf ein Vorbehaltsurteil fort, dann kann in der Zahlung des Bürgen aufgrund eines gegen ihn im Urkundenprozeß ergangenen Vorbehaltsurteils an den Gläubiger noch nicht dessen Befriedigung wegen der Hauptschuld eingetreten sein. Dann aber ist, darin hat das Berufungsgericht recht, die Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner auch noch nicht kraft Gesetzes auf den Bürgen übergegangen. Das Berufungsgericht hat deshalb mit Recht die Klage abgewiesen, weil die Klägerin derzeit gegen den Beklagten als Hauptschuldner die Forderung der Bürgschaftsgläubigerin noch nicht geltend machen kann.
4. Aus der Entscheidung BGHZ 69, 270 kann die Revision nichts für sich herleiten. Dort war eine Bankbürgschaft als Prozeßbürgschaft zur Abwendung der Vollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Vorbehaltsurteil gegeben worden. Diese Bürgschaftsschuld war bei Inanspruchnahme des Bürgen fällig, als das Vorbehaltsurteil in – formeller – Rechtskraft erwachsen war; denn Zweck der Bürgschaft war es dort, dem Gläubiger eine Sicherheit dafür zu verschaffen, daß der Hauptschuldner nach Eintritt der Rechtskraft des Vorbehaltsurteils und vor Abschluß des Nachverfahrens die Urteilssumme bezahlen würde, wenn ein weiterer Vollstreckungsaufschub (§ 707 ZPO) nicht bewilligt würde. Gerade diese prozessuale Verpflichtung war dort als Hauptschuld Gegenstand des Vertrages zwischen dem Hauptschuldner, dem Gläubiger und dem Bürgen, nicht aber das endgültige Bestehen der eingeklagten Forderung, so daß – was in dem damaligen Urteil nicht zu entscheiden war – die Rückgriffsmöglichkeit des Bürgen auf den Hauptschuldner schon aufgrund des zwischen beiden bestehenden Innenverhältnisses (Avalvertrag) gegeben war.
5. Der Senat verkennt nicht, daß sich die Möglichkeit eines späteren Rückgriffs des Bürgen auf den Hauptschuldner nach § 774 Abs. 1 BGB während der Dauer des Nachverfahrens erheblich verschlechtern kann, wenn der selbstschuldnerische Bürge aufgrund eines Vorbehaltsurteils hatte zahlen müssen und im Nachverfahren weiter über das Bestehen der Bürgschaftsschuld gestritten wird. Diese Folge ergibt sich aber aus dem Gesetz für den Fall, daß der Bürge mit seinen Einwendungen gegen seine Zahlungsverpflichtung auch im Nachverfahren nicht obsiegt. Der Bürge hat im übrigen die Möglichkeit, noch im Nachverfahren dem Hauptschuldner den Streit zu verkünden und ihn damit zur Beteiligung an diesem Prozeß mit Streithilfewirkung (§§ 74, 68 ZPO) aufzufordern, um so seine Nachteile zu verringern.
6. Daß sich hier aus dem Innenverhältnis zwischen dem Hauptschuldner und dem Bürgen für diesen kein von § 774 BGB unabhängiger, sofortiger Ausgleichsanspruch ergibt, hat das Berufungsgericht festgestellt. Die Revision hat hiergegen Angriffe nicht erhoben.
III.
Da die Revision der Klägerin erfolglos geblieben ist, hat sie auch die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen (S 97 Abs. 1 ZPO).
Fundstellen
Haufe-Index 609712 |
BGHZ, 267 |
ZIP 1983, 278 |
JZ 1983, 446 |