Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung einer Rechtswahlvereinbarung.
Normenkette
BGB §§ 133, 157
Verfahrensgang
LG Darmstadt |
OLG Frankfurt am Main |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 13. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 16. September 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin befaßt sich mit der Entwicklung und Herstellung von Software. Sie entwickelte das Computerprogramm WORK NC, das im Maschinenbau die computergesteuerte Konstruktion und Herstellung von Werkzeugen unterstützt.
Mit Händlervertrag vom 5. März 1992 räumte die Klägerin der Beklagten als Vertragshändlerin das Recht zum Vertrieb des Programmpakets WORK NC ein. Den Vertrieb an Endkunden hatte die Beklagte durch im eigenen Namen abzuschließende Lizenzverträge zu bewirken. Art. 16 Nr. 5 des Händlervertrages lautet:
„Dieser Vertrag sowie alle Einzelverträge, die in Ausfüllung dieses Vertrages geschlossen werden, unterliegen dem deutschem Recht. Der Vertrag ist in deutscher und französischer Sprache abgefaßt. Im Zweifelsfalle ist die deutsche Fassung zwischen den Parteien maßgeblich.”
Mit Schreiben vom 1. Dezember 1994 kündigte die Klägerin das Vertragsverhältnis zum 5. März 1995. Die Parteien setzten es dennoch unter „Aufhebung” der erklärten Kündigung mit Nachtragsvereinbarung vom 1. Juni 1995 bis zum 5. März 1998 fort. Der Fortbestand des Vertragsverhältnisses wurde an bestimmte auflösende Bedingungen geknüpft. Unter anderem sollte die Beklagte spätestens bis zum 8. Mai 1995 an die Klägerin 144.900 DM zahlen und bis zum 30. September 1995 entweder verschiedene Dongles (Sicherheitsschlüssel), die einen Zugriff auf die Programme ermöglichten, zurückgeben oder die dazu gehörenden Programme bestellen und bezahlen. Die Beklagte gab die Dongles nicht zurück. Sie bestellte am 27. September 1995 22 den Dongles entsprechende Programme, die die Klägerin mit 572.000 DM berechnete. Die Beklagte leistete hierauf keine Zahlungen.
Am 9. November/4. Dezember 1995 schlossen die Parteien einen Vergleich, wonach der Händlervertrag mit Unterzeichnung der Vergleichsurkunde aufgehoben werden und die Beklagte unter anderem zum Ausgleich aller Forderungen der Klägerin 200.000 DM zahlen sollte. Ein Teilbetrag von 150.000 DM sollte am Tage der Unterzeichnung des Vergleichs per Banküberweisung, die restlichen 50.000 DM bis zum 30. Juni 1996 gezahlt und über diesen Restbetrag innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung der Vergleichsurkunde eine Bankgarantie vorgelegt werden. Art. 3 Abs. 7 und 8 des in französischer Sprache abgefaßten Vergleichs lauten in deutscher Übersetzung:
„Die Parteien verzichten ausdrücklich auf jedes Verfahren und jede Forderung, die ihren Ursprung in der Unterzeichnung, der Ausführung oder der Beendigung des Händlervertrages oder seines Nachtrages (einschließlich der Rechnungen von C. [= Bekl.] im Anschluß an die Ereignisse vom 15. September 1995) haben.
Die vorliegende Urkunde stellt einen Vergleich im Sinne der Art. 2044 und folgende des Zivilgesetzbuches [im Original: code civil] dar.”
Am 12. Dezember 1995 mahnten die französischen Anwälte der Klägerin die Zahlung der Erstrate von 150.000 DM an und setzten dafür sowie für die Übermittlung der Kundenlisten eine Frist bis zum nächsten Tag. Mit Schreiben vom 22. Dezember 1995 erinnerten sie die Beklagte an die ausstehende Zahlung, setzen ihr unter Hinweis auf „Artikel 326 des Deutschen Zivilgesetzbuchs” eine Frist bis zum 27. Dezember 1995 und teilten mit, falls die Frist fruchtlos verstreiche, verzichte die Klägerin auf den geschlossenen Vergleich und lehne seine Erfüllung entsprechend „Artikel 326 des Deutschen Zivilgesetzbuchs” ab. Am 29. Dezember 1995 zahlte die Beklagte 53.202,40 DM. Gegenüber dem Restbetrag von 146.797,60 DM erklärte sie mit Schreiben vom 2. Februar 1996 die Aufrechnung mit drei Gegenforderungen über 75.831 DM, 18.556,40 DM und 52.325 DM.
Die Klägerin ist der Auffassung, sie sei nach § 326 BGB wirksam von dem Vergleich zurückgetreten, weil die Beklagte diesen nicht erfüllt habe. Sie nimmt die Beklagte auf Erfüllung der ursprünglichen Forderungen – Zahlung von (796.800 DM abzüglich bezahlter 53.202,40 DM =) 743.597,60 DM sowie auf Herausgabe mehrerer Dongles – in Anspruch.
Die Beklagte meint demgegenüber, die Klägerin könne nicht auf Ansprüche zurückgreifen, die Gegenstand des Vergleichs seien. Von diesem Vergleich habe sich die Klägerin nicht wirksam gelöst. Zum einen habe sie, die Beklagte, den Vergleich erfüllt. Zum anderen sei auf den Vergleich französisches Recht anzuwenden, das einen Rücktritt vom Vergleich wegen Nichterfüllung nicht vorsehe (RB 8). Hilfsweise hat sie gegen die Klageforderung mit weiteren – von der Klägerin bestrittenen – Gegenforderungen über insgesamt 498.467,72 DM aufgerechnet.
Das Landgericht hat einen Rücktritt der Klägerin vom Vergleich nach § 326 BGB angenommen, die erhobenen Gegenforderungen für unbegründet gehalten und der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt sie ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – ausgeführt: Hinsichtlich der landgerichtlichen Verurteilung zur Herausgabe der Dongles sei die Berufung der Beklagten mangels einer Begründung bereits nicht zulässig; im übrigen – bezüglich der Verurteilung zur Zahlung – sei sie unbegründet.
Die Klägerin habe unter Berücksichtigung der gezahlten 53.202,40 DM noch einen Restanspruch aus den verschiedenen Einzelgeschäften in Höhe von 743.597,60 DM. Der Geltendmachung dieser Forderung stehe der am 9. November/4. Dezember 1995 geschlossene Vergleich nicht entgegen, denn von diesem sei die Klägerin nach § 326 BGB wirksam zurückgetreten. Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift sei nicht zugunsten des französischen Rechts ausgeschlossen, denn der Vergleich der Parteien unterliege deutschem Recht. Die nachträgliche Umgestaltung der Rechtsbeziehungen durch den geschlossenen Vergleich sei ein Einzelvertrag, der in Ausfüllung des Ursprungsvertrages geschlossen worden sei. Für derartige Verträge hätten die Parteien aber in Art. 16 Nr. 5 des Händlervertrages die Geltung deutschen Rechts vereinbart.
Ein Wechsel dieser im Ursprungsvertrag getroffenen klaren Rechtswahl sei nicht erfolgt. Dazu fehle es an einer entsprechenden unmißverständlichen Vereinbarung. Allein aus der Formulierung im Vergleich, die vorliegende Urkunde stelle einen Vergleich im Sinne der Art. 2044 und folgende code civil dar, lasse sich derartiges nicht herleiten. Hinzu komme, daß die Klägerin in ihrem Schreiben vom 22. Dezember 1995 den Rücktritt ausdrücklich auf § 326 BGB gestützt und auch die Beklagte in der Klageerwiderung die Ansicht vertreten habe, der Vergleich unterliege deutschem Recht. Im übrigen sei es auch nicht nachvollziehbar, warum die Parteien unter Abweichung vom übrigen Vertragswerk lediglich den Vergleich von der Geltung deutschen Rechts hätten ausnehmen sollen.
Der Vergleich regele synallagmatische Beziehungen zwischen den Parteien und sei daher ein gegenseitiger Vertrag im Sinne der §§ 325, 326 BGB. Da die Beklagte ihre Verpflichtungen aus diesem Vergleich nicht erfüllt habe, sei die Klägerin von demselben wirksam zurückgetreten. Als Folge des Rücktritts lebe der Rechtszustand wieder auf, der vor Abschluß des Vergleichs bestanden habe. Danach seien die mit der Klage verfolgten Ansprüche der Klägerin begründet.
II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.
1. Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht zunächst, soweit es die Berufung gegen die Verurteilung der Beklagten zur Herausgabe mehrerer Dongles mangels Begründung für unzulässig gehalten hat. Diese Auffassung knüpft ersichtlich an die gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an, nach der bei einer Mehrzahl zuerkannter Ansprüche das Rechtsmittel grundsätzlich hinsichtlich jedes selbständigen prozessualen Anspruchs, über den zu Lasten des Rechtsmittelführers entschieden worden ist, begründet werden muß (z.B. BGH, Urteil vom 22. Januar 1998 – I ZR 177/95, NJW 1998, 1399 unter II 1 m.w.Nachw.). Daran fehlt es hier, denn die Berufungsbegründung der Beklagten setzt sich lediglich mit dem der Klägerin erstinstanzlich zuerkannten Zahlungsanspruch auseinander. Gleichwohl ist die Berufung auch hinsichtlich des der Klägerin daneben zuerkannten Herausgabeanspruchs ausreichend begründet. Einer nach einzelnen prozessualen Ansprüchen differenzierenden Begründung bedarf es nämlich nach der erwähnten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur insoweit, als die Vorinstanz die erhobenen Ansprüche aus jeweils unterschiedlichen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für begründet erachtet hat. Decken sich dagegen die Voraussetzungen für die verschiedenen Ansprüche, so reicht es aus, wenn die Berufungsbegründung einen einheitlichen Rechtsgrund, auf dem alle zuerkannten Ansprüche beruhen, im ganzen angreift (BGH aaO m.w.Nachw.).
So liegt es hier. Das Landgericht hat einen Rückgriff der Klägerin auf die ursprünglich gegen die Beklagte bestehenden Zahlungs- und Herausgabeansprüche deshalb für möglich gehalten, weil es von einem wirksamen Rücktritt der Klägerin von dem geschlossenen Vergleich ausgegangen ist. Dem ist die Beklagte in der Berufungsbegründung, wenn auch ausdrücklich nur in Bezug auf den Zahlungsanspruch, mit der Auffassung entgegengetreten, die Klägerin sei in Ermangelung eines einseitigen Lösungsrechts an den geschlossenen Vergleich und den darin erklärten Verzicht auf die ursprünglich bestehenden Ansprüche gebunden. Der damit in Frage gestellte Wegfall des Verzichts auf die vor Abschluß des Vergleichs bestehenden Ansprüche betrifft die einheitliche Rechtsgrundlage sowohl des Zahlungs- wie auch des Herausgabeanspruchs.
2. Mit Erfolg wendet sich die Revision ferner gegen die Annahme des Berufungsgerichts, auf den von den Parteien geschlossenen Vergleich sei deutsches Recht anzuwenden. Die dieser Auffassung zugrundeliegende Auslegung individualvertraglicher Vereinbarungen unterliegt zwar nur beschränkter revisionsrechtlicher Nachprüfung (BGH, Urteil vom 28. Januar 1997 – XI ZR 42/96, WM 1997, 560 unter II 1 a aa); sie leidet indessen an revisionsrechtlich beachtlichen Rechtsfehlern und bindet den erkennenden Senat infolgedessen nicht (BGH, Urteil vom 18. Mai 1998 – II ZR 19/97, WM 1998, 1535 = NJW 1998, 2966 unter B I 1; Urteil vom 5. Januar 1995 – IX ZR 101/94, WM 1995, 331 unter 2; BGHZ 124, 39, 45). Sofern für die Auslegung hinsichtlich der Rechtswahl für den von den Parteien geschlossenen Vergleich deutsches Recht (§§ 133, 157 BGB, Art. 27 EGBGB) anwendbar sein sollte, verletzt die Auslegung des Berufungsgerichts gesetzliche Auslegungsregeln und anerkannte Auslegungsgrundsätze. Sofern, was offenbleiben kann, die in dem Vergleich getroffene Rechtswahl nach französischen Auslegungsregeln auszulegen sein sollte, krankt die Auslegung des Berufungsgerichts daran, daß die hiernach maßgeblichen Auslegungsregeln vom Berufungsgericht nicht festgestellt und der Auslegung nicht zugrunde gelegt worden sind.
a) Nach §§ 133, 157 BGB ist bei der Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen der wirkliche Wille der Erklärenden zu erforschen. Dabei ist vom Wortlaut der Erklärung auszugehen (BGH, Urteil vom 18. Mai 1998 aaO unter B I 2; Urteil vom 31. Januar 1995 – XI ZR 56/94, WM 1995, 743 = NJW 1995, 1212 unter II 2; BGHZ 124, 39, 45; BGHZ 121, 13, 16). In einem zweiten Auslegungsschritt sind sodann die außerhalb des Erklärungsaktes liegenden Begleitumstände in die Auslegung einzubeziehen, soweit sie einen Schluß auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen (Palandt/Heinrichs, BGB, 59. Aufl., § 133 Rdnr. 15). Diesen Auslegungsgrundsätzen wird die Auslegung der getroffenen Vereinbarungen seitens des Berufungsgerichts nicht gerecht.
aa) Für die im Wege der Auslegung zu beantwortende Frage, welchem Recht die Parteien den im November/Dezember 1995 geschlossenen Vergleich unterstellt haben, ist in erster Linie von dessen Wortlaut auszugehen. Die Auslegung des Berufungsgerichts setzt demgegenüber beim Wortlaut des im Jahr 1992 geschlossenen Händlervertrages an und prüft die in den Vergleich aufgenommene, auf eine Rechtswahl hindeutende Abrede „Die vorliegende Urkunde stellt einen Vergleich im Sinne der Art. 2044 und folgende code civil dar” allein darauf, ob die Parteien damit in unmißverständlicher Weise von der im Ursprungsvertrag getroffenen Rechtswahl abgerückt sind.
bb) Das Berufungsgericht hat sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, welchen Sinn die zitierte Abrede nach dem Willen der Vertragschließenden haben soll. Es zeigt insbesondere nicht auf, welche andere Bedeutung als die einer Rechtswahlabrede der in den Vergleich aufgenommenen Vereinbarung nach dem Willen der Parteien beizulegen sein könnte. Darin liegt zum einen ein Verstoß gegen § 133 BGB, der als Ziel jeder Auslegung die Ermittlung des Willens des oder der Erklärenden bestimmt. Zum anderen fehlt es unter den gegebenen Umständen an einer nachvollziehbaren Grundlage für die Auffassung des Berufungsgerichts, die in den Vergleich aufgenommene Abrede bringe den Willen der Vertragsschließenden, den Vergleich der Geltung des französischen Rechts zu unterstellen, nicht unmißverständlich zum Ausdruck. Fehlt es nämlich an alternativen Deutungsmöglichkeiten, so kann der einzig in Betracht kommende Sinngehalt der Regelung nicht mißverständlich sein.
cc) Das Berufungsgericht überspannt zudem die Anforderungen, die an die Eindeutigkeit einer Rechtswahlvereinbarung zu stellen sind. Nach Art. 27 Abs. 1 Satz 2 EGBGB reicht es aus, wenn die Rechtswahl sich mit hinreichender Sicherheit aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen des Falles ergibt. Für eine nachträgliche Änderung der einmal getroffenen Rechtswahl stellt Art. 27 Abs. 2 EGBGB keine höheren Anforderungen. Auch für eine abändernde Rechtswahlvereinbarung, deren es nach Auffassung des Berufungsgerichts deswegen bedurfte, weil es den von den Parteien geschlossenen Vergleich als einen „in Ausfüllung” des Ursprungsvertrages geschlossenen „Einzelvertrag” ansieht, genügt es mithin, daß der Wille der Vertragschließenden, anstelle des zuvor vereinbarten nunmehr ein anderes Recht zu wählen, sich mit hinreichender Sicherheit aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen ergibt. Dem Berufungsurteil ist nicht zu entnehmen, inwiefern die gewählte Formulierung nicht mit hinreichender Sicherheit ergibt, daß der Vergleich abweichend von der für den Ursprungsvertrag zuvor getroffenen Rechtswahl französischem Recht unterliegen soll. Die ausdrückliche Bezugnahme auf Vorschriften einer bestimmten Rechtsordnung spricht für eine stillschweigende Rechtswahl (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 1996 – V ZR 154/95, NJW-RR 1996, 1034 unter II 1; Urteil vom 14. Januar 1999 – VII ZR 19/98, WM 1999, 1177 unter II 2; MünchKomm/Martiny, BGB, 3. Aufl., Art. 27 EGBGB Rdnr. 46). Im gegebenen Fall wird sogar ausgesprochen, daß der zwischen den Parteien geschlossene Vergleich einen solchen im Sinne der Art. 2044 folgende des code civil darstellen soll. Das ließe sich zumindest als kollisionsrechtliche Teilverweisung im Sinne des Art. 27 Abs. 1 Satz 3 EGBGB deuten (MünchKomm/Martiny aaO Rdnr. 54).
dd) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht schließlich außerhalb der Urkunde liegende Umstände, die für die Auslegung wesentliche Bedeutung haben können, unberücksichtigt gelassen. Das gilt insbesondere für die von der Beklagten vorgetragenen und durch das Schreiben des Rechtsanwalts R. belegten äußeren Umstände, unter denen der Vergleich verhandelt und abgeschlossen worden ist. Nach dieser Darstellung, von der in Ermangelung abweichender Feststellungen des Berufungsgerichts für das Revisionsverfahren auszugehen ist, wurden die Vergleichsverhandlungen von den beiderseits durch französische Anwälte vertretenen Parteien in Mâcon (Frankreich) in französischer Sprache geführt. Auch der Vergleich ist im Original in französischer Sprache abgefaßt worden. Diese Umstände, insbesondere die Beteiligung französischer Anwälte auf beiden Seiten, liefert entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch eine zumindest naheliegende Erklärung dafür, warum der Vergleich anders als der Ursprungsvertrag französischem Recht unterstellt werden sollte.
b) Die Umstände, die das Berufungsgericht für seine gegenteilige Auffassung anführt, fallen demgegenüber nicht entscheidend ins Gewicht.
aa) Soweit das Berufungsgericht annimmt, die im Ursprungsvertrag getroffene Rechtswahl sei auch auf den im November/Dezember 1995 geschlossenen Vergleich der Parteien anzuwenden, und daraus folgert, eine hiervon abweichende Rechtswahl habe einer „entsprechend eindeutigen Vereinbarung” bedurft, ist ihm schon im Ansatz nicht zu folgen. Die in Art. 16 Nr. 5 des Händlervertrages getroffene Wahl deutschen Rechts gilt außer für diesen Vertrag auch für alle „Einzelverträge, die in Ausfüllung dieses Vertrages geschlossen werden”. Darunter sind nach Wortlaut und erkennbarem Sinn der Regelung die Einzelverträge über Lieferungen und Leistungen zu verstehen, die zur Durchführung des Händlervertrages zwischen der Klägerin als Herstellerin und Lieferantin und der Beklagten als Händlerin der Softwareprodukte abzuschließen sein würden. Der Vergleich vom November/Dezember 1995, durch den der Händlervertrag aufgehoben, die Zusammenarbeit der Parteien beendet und Regelungen zur Abgeltung der noch offenen Ansprüche getroffen werden sollten, ist weder ein „Einzelvertrag” im Sinne des Art. 16 Nr. 5 des Händlervertrages noch „in Ausfüllung” desselben geschlossen worden. Die gegenteilige Auslegung des Berufungsgerichts ist weder mit dem Wortlaut noch mit dem erkennbaren Sinngehalt des Art. 16 Nr. 5 des Händlervertrages zu vereinbaren. Wegen dieses Verstoßes gegen §§ 133, 157 BGB ist sie für den Senat mithin nicht bindend.
bb) Ein gegen die Wahl französischen Rechts sprechendes Indiz könnte allerdings mit dem Berufungsgericht darin zu sehen sein, daß in erster Instanz anfangs beide Parteien übereinstimmend die Auffassung vertreten haben, auch für den im November/Dezember 1995 geschlossenen Vergleich gelte deutsches Recht. Zwingend ist ein solcher Schluß indessen nicht, zumal keine der Parteien zu erklären vermochte, welchen anderen Sinn als den einer Rechtswahl die in den Vergleich aufgenommene Abrede haben soll, die Urkunde stelle einen Vergleich im Sinne der Art. 2044 ff code civil dar. Überdies ist die Beklagte alsbald von ihrer ursprünglich geäußerten Auffassung abgerückt und hat unter Bezugnahme auf die gegenteilige Bestätigung des Rechtsanwalts R., der sie beim Abschluß des Vergleichs im November/Dezember 1995 beraten hatte, den gegenteiligen Standpunkt eingenommen. Damit setzt sich das Berufungsgericht nicht auseinander.
c) Die zu Prozeßbeginn vorübergehend übereinstimmende Auffassung der Parteien über die Anwendbarkeit deutschen Rechts auf den Vergleich hat nicht zu einer nachträglichen Änderung der bei Abschluß des Vergleichs getroffenen Wahl französischen Rechts geführt. Zwar kann es für die Annahme einer nachträglichen konkludenten Rechtswahl ausreichen, wenn die Vertragsparteien im Prozeß deutlich auf eine bestimmte Rechtsordnung Bezug nehmen oder diese ihren rechtlichen Ausführungen zugrunde legen. Zumindest für eine die ursprünglich getroffene Wahl abändernde Rechtswahl bedarf es aber eines dahingehenden beiderseitigen Gestaltungswillens (vgl. Senatsurteil vom 12. Dezember 1990 – VIII ZR 332/89, WM 1991, 464 = NJW 1991, 1292 unter II 1 a; Palandt/Heldrich aaO Art. 27 EGBGB Rdnrn. 5 ff, 7 m.w.Nachw.). Die übereinstimmend geäußerte irrige Auffassung, eine bestimmte Rechtsordnung sei maßgeblich, reicht dafür nicht aus (Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 5. Aufl., Rdnr. 83). Einen auf die Änderung der ursprünglich getroffenen Wahl gerichteten Gestaltungswillen lassen indessen weder die Erklärungen der Klägerin noch die der Beklagten zur Maßgeblichkeit deutschen Rechts erkennen. Die Klägerin hat stets die Auffassung vertreten, auf den Vergleich sei das in Art. 16 Nr. 5 des Händlervertrages gewählte deutsche Recht anwendbar; von ihrem Standpunkt aus kam eine nachträgliche Abänderung einer zuvor getroffenen Wahl französischen Rechts mithin nicht in Betracht. Auch die Beklagte hat, solange sie deutsches Recht für maßgeblich hielt, nichts weiter als die unbegründete Ansicht geäußert, in dem Verweis auf die Art. 2044 ff code civil könne keine „Vergleichsschließung” nach französischem Recht gesehen werden; ein auf eine nachträgliche abändernde Rechtswahl gerichteter Gestaltungswille kommt auch hierin nicht zum Ausdruck.
d) Schließlich hat die Beklagte entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung auch nicht zugestanden, daß für den Vergleich die Geltung deutschen Rechts vereinbart worden sei. Der von der Revisionserwiderung dafür angeführte Sachvortrag in der Klageschrift, dessen Richtigkeit die Beklagte eingeräumt hat, bezieht sich auf die in Art. 16 Nr. 5 des Händlervertrages getroffene Rechtswahl, die, wie oben (unter b aa) dargelegt, den von den Parteien später geschlossenen Vergleich nicht erfaßt.
III. Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Der Senat kann nicht selbst in der Sache entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 565 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 ZPO). Ob und unter welchen Voraussetzungen das französische Recht eine einseitige Lösung von einem privatschriftlichen Vergleich vorsieht, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Nach der Darstellung der Beklagten, auf die die Revision verweist, kann ein privatschriftlicher Vergleich, der nach Art. 2052 Abs. 1 code civil wie ein rechtskräftiges Urteil wirkt, nur durch richterliches Urteil aufgehoben werden. An einem solchen fehlt es bislang. Das Berufungsgericht hat sich zwar für den Fall, daß auf den Vergleich französisches Recht Anwendung finden sollte, auch insoweit für zuständig gehalten und gemeint, gegebenenfalls wäre der Vergleich durch Urteil aufzulösen und der Klage auch dann stattzugeben gewesen. Diese bloße Erwägung in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils vermag indessen die nach der Darstellung der Beklagten erforderliche – und offenbar auch vom Berufungsgericht für erforderlich gehaltene – Aufhebung des Vergleichs durch richterliches (Gestaltungs-)Urteil nicht zu ersetzen. Das Berufungsgericht hat zudem keine Feststellungen dazu getroffen, unter welchen Voraussetzungen nach französischem Recht ein Vergleich durch richterliches Urteil aufgelöst werden kann. Daß der Beklagten die Gegenforderungen, mit denen sie gegen den Zahlungsanspruch der Klägerin aus dem Vergleich aufgerechnet hat, nicht zustehen, ist kein Gesichtspunkt, der zwangsläufig zur Auflösung des Vergleichs führen müßte.
Unterschriften
Dr. Deppert, Dr. Hübsch, Ball, Dr. Leimert, Wiechers
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 19.01.2000 durch Mayer, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 556356 |
NJW 2000, 2894 |
NJW-RR 2000, 1002 |
EWiR 2000, 967 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2000, 1643 |
CI 2000, 133 |
IPRax 2002, 37 |
JZ 2000, 1115 |
MDR 2000, 692 |