Entscheidungsstichwort (Thema)
Bauvorhaben
Leitsatz (amtlich)
Die Regelung des § 16 Nr. 3 Abs. 2 bis 5 VOB/B über den Ausschluß von Nachforderungen bei vorbehaltloser Annahme einer Schlußzahlung oder einer ihr gleichstehenden Schlußzahlungserklärung verstößt auch nach der Neufassung vom 19. Juli 1990, soweit nicht die VOB/B „als Ganzes” vereinbart worden ist, gegen § 9 AGBG und ist deswegen unwirksam (im Anschluß an Senatsurteil vom 17. September 1987 – VII ZR 155/86 = BGHZ 101, 357).
Leitsatz (redaktionell)
Die Regelung des § 16 Nr. 3 Abs. 2 bis 5 VOB/B über den Ausschluss von Nachforderungen bei vorbehaltloser Annahme einer Schlusszahlung oder einer ihr gleichstehenden Schlusszahlungserklärung verstößt auch nach der Neufassung vom 19.7.1990, soweit nicht die VOB/B „als Ganzes” vereinbart worden ist, gegen § 9 AGB und ist deswegen unwirksam.
Normenkette
VOB/B § 16D Nr. 3 Abs. 2; VOB/B § 16D Nr. 3 Abs. 5 J: 1990; VOB/B 1990 § 16D Nr. 3 Abs. 2, 5J
Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 20.02.1997) |
LG Dortmund (Urteil vom 12.06.1996) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 20. Februar 1997 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das am zugrundeliegende Verfahren im Umfang der Klageabweisung aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen worden ist.
In diesem Umfang wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
I.
Die Klägerin verlangt vom Beklagten restlichen Werklohn in Höhe von 121.601,21 DM aus einem Bauvorhaben über die Errichtung eines Wohn- und Geschäftshauses in D. Der Betrag setzt sich zusammen aus dem Restbetrag einer Schlußrechnung in Höhe von 101.824,84 DM sowie zwei weiteren Rechnungen über die Beträge von 19.608,78 DM und 3.786,13 DM abzüglich eines Skontoabzugs von 3.618,54 DM.
II.
Nach dem Auftrag des Beklagten vom 4. September 1991 lagen dem Vertrag zugrunde neben dem Leistungsverzeichnis und den Ausschreibungsunterlagen in nachstehender Reihenfolge unter anderem die besonderen Vertragsbedingungen, die zusätzlichen Vertragsbedingungen (ZVB), das Verhandlungsprotokoll vom 4. September 1991 sowie nachrangig die VOB Teil B und C. Nach Rechnungsprüfung durch den Architekten des Beklagten und Verhandlungen zwischen den Parteien hatte der Architekt erklärt, daß er zugunsten der Klägerin zu einer Schlußzahlung von 11.634,91 DM gelangt sei. Diese Zahlung werde wegen vorhandener Mängel nicht geleistet. Ferner hatte er unter Hinweis auf § 16 Nr. 3 Abs. 2 und 5 VOB/B (1990) erklärt, daß die Schlußzahlung verweigert werde und die Klägerin darauf hingewiesen, daß sie hiergegen rechtzeitig Vorbehalte erheben und diese begründen müsse.
III.
Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung des Betrages von 3.786,13 DM verurteilt und die Klage im übrigen wegen des Schlußzahlungseinwandes der Beklagten abgewiesen.
Auf die Berufung der Klägerin und Anschlußberufung des Beklagten hat das Berufungsgericht durch Teil- und Schlußurteil den vom Landgericht zuerkannten Betrag geringfügig gekürzt und im übrigen das landgerichtliche Urteil und das zugrundeliegende Verfahren aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.
Hiergegen richtet sich die Revision des Beklagten. Er beantragt, das Urteil des Berufungsgerichts teilweise aufzuheben und unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin die Klage abzuweisen, soweit das Berufungsgericht das Urteil des Landgerichts und das ihm zugrundeliegende Verfahren teilweise aufgehoben und die Sache insoweit an das Landgericht zurückverwiesen hat.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt im beantragten Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht ist der Ansicht, das erstinstanzliche Verfahren leide an einem wesentlichen Mangel, weil das Landgericht den Schlußzahlungseinwand des Beklagten durch dessen Architekten fehlerhaft habe durchgreifen lassen. Es sieht § 286 Abs. 1 ZPO verletzt, weil das Landgericht die Anwendbarkeit von § 16 Nr. 3 VOB/B (1990) nicht von Amts wegen geprüft habe. Die VOB/B sei hier nicht als Ganzes vereinbart, da die vorrangig vereinbarten zusätzlichen Vertragsbedingungen mehrfach in den Kernbereich der VOB/B eingriffen. § 16 Nr. 3 Abs. 2 bis 5 VOB/B halte auch in der Neufassung der isolierten Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG nicht stand.
II.
Die Revision rügt zu Recht, daß die Zurückverweisung der Sache durch das Berufungsgericht in § 539 ZPO keine Grundlage findet.
1. Ein schwerer Verfahrensmangel im Sinne des § 539 ZPO liegt jedenfalls vor, wenn das erstinstanzliche Gericht den Anspruch der Partei auf rechtliches Gehör dadurch verletzt hat, daß es den Kern ihres Vorbringens verkannt und daher eine entscheidungserhebliche Frage verfehlt oder einen wesentlichen Teil des Klagvortrags übergangen hat. Hingegen kann nicht von einem Verfahrensmangel in diesem Sinne gesprochen werden, wenn das erstinstanzliche Gericht das Parteivorbringen lediglich unter einem sachlich rechtlich fehlerhaften Gesichtspunkt gewürdigt oder deshalb nicht weiter erörtert hat, weil es hierauf nach seinem materiell-rechtlichen (möglicherweise unrichtigen) Standpunkt nicht ankommt. In besonderen Fällen kann auch die Vertragsauslegung auf Verfahrensfehlern beruhen. Dies wäre etwa dann zu bejahen, wenn das Gericht Vertragsbestimmungen nicht lediglich inhaltlich unzutreffend gewürdigt hätte, sondern wenn es erkennbar vertragliche Regelungen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder sprachlich falsch verstanden hat (BGH, Urteil vom 3. November 1992 – VI ZR 362/91 = NJW 1993, 538 = BGHR ZPO § 539 Verfahrensmangel 10; Urteil vom 10. Dezember 1996 – VI ZR 314/95 = NJW 1997, 1447 = LM ZPO § 539 Nr. 25, jeweils m.w.N.).
2. Nach diesen Grundsätzen kann der Auffassung des Berufungsgerichts, das Verfahren vor dem Landgericht leide an einem erheblichen Mangel, nicht gefolgt werden.
a) Das Landgericht hat den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht dadurch verletzt, daß es einen wesentlichen Klagvortrag übergangen oder den Kern des Vorbringens der Parteien verkannt hat. Es hat festgestellt, daß dem Vertragsverhältnis „u.a.” die VOB/B zugrunde lag. Auch den Kern des Vorbringens der Parteien hat das Landgericht nicht verkannt; denn in erster Instanz kam es aus der Sicht der Parteien und des Landgerichts auf die Frage, ob die VOB/B „als Ganzes” vereinbart wurde, nicht an. Diese Frage wurde erstmals in der Berufungsbegründung erörtert.
b) Bei der Frage, ob die VOB/B „als Ganzes” vereinbart wurde, handelt es sich um eine sachlich-rechtliche Frage, bei der hier zu prüfen war, ob die vorrangig vereinbarten Besonderen und Zusätzlichen Vertragsbedingungen und das Verhandlungsprotokoll den Kernbereich der VOB/B berühren (vgl. Senatsurteil vom 17. September 1987 – VII ZR 155/86 = BGHZ 101, 357). Dies setzt die Kenntnis und die Auslegung der Vertragsbestimmungen voraus. Nach dem oben Ausgeführten hat das Landgericht die Vertragsbestimmungen zur Kenntnis genommen. Wenn es das Vorbringen der Parteien materiellrechtlich fehlerhaft würdigt, liegt darin kein Verfahrensmangel, so daß § 539 ZPO keine Anwendung finden kann.
III.
Auf der aufgezeigten Rechtsverletzung beruht das Berufungsurteil. Entgegen der Ansicht der Revision ist eine Entscheidung des Senats in der Sache nicht möglich. Das Berufungsgericht geht zu Recht davon aus, daß die ab Juli 1990 neu geltende Schlußzahlungsklausel gemäß § 16 Nr. 3 Abs. 2 bis 5 VOB/B, soweit nicht – wie vom Berufungsgericht hier richtig erkannt – die VOB/B „als Ganzes” vereinbart ist, gegen § 9 AGBG verstößt und daher unwirksam ist.
Auch nach der Neuregelung führt die Schlußzahlungseinrede zu einer unangemessenen Benachteiligung des Vertragspartners.
1. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 17. September 1987 – VII ZR 155/86 = BGHZ 101, 357, 364 ff) ist § 16 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B (1973) wegen Verstoßes gegen§ 9 AGBG unwirksam. Die dafür maßgeblichen Gründe treffen im wesentlichen auch auf die Neuregelung zu (so einhellig das Schrifttum, vgl. nur: Ingenstau/Korbion, VOB, 13. Aufl., Teil B, § 16 Rdn. 201; Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, 8. Aufl., Teil B, § 16.3 Rdn. 71; Nicklisch/Weick, VOB/B, 2. Aufl., § 16 Rdn. 42; Werner/Pastor, Der Bauprozeß, 8. Aufl. 2288; Kleine-Möller/Merl/Oelmaier, Handbuch des privaten Baurechts, 2. Aufl., § 2 Rdn. 486; Staudinger-Peters, BGB, 13. Bearb., § 641 Rdn. 100).
2. Die Neuregelung hat nichts daran geändert, daß eine Werklohnforderung innerhalb kurzer Zeit aus formalen Gründen undurchsetzbar wird. Sie weicht weiterhin erheblich von den Grundgedanken des dispositiven Rechts ab, daß eine Werklohnforderung durch Leistung zu tilgen ist (§ 362 Abs. 1 BGB) und daß sie der Auftragnehmer nur dann nicht mehr realisieren kann, wenn sie verjährt oder verwirkt ist.
3. Mit den Änderungen der formalen Voraussetzungen fürdie Ausschlußwirkung – Einführung der schriftlichen Mitteilung- und Hinweispflicht (Abs. 2), Verlängerung der Vorbehaltsfrist auf 24 Werktage und Fristbeginn bei Zugang der Mitteilung (Abs. 5 Satz 1) – wurde nur einigen der vom Senat angeführten Umstände Rechnung getragen, die zur Unwirksamkeit der alten Fassung führten. Die Möglichkeit des Auftragnehmers, rechtzeitig einen Vorbehalt anzubringen, hat sich dadurch zwar verbessert. Auch in den danach und nach der Einschränkung des Anwendungsbereichs (Abs. 6) verbleibenden Fällen kann die Regelung aber dazu führen, daß ein Werklohnanspruch in kurzer Zeit undurchsetzbar wird, ohne daß es darauf ankommt, ob die Forderung oder die vom Auftraggeber vorgenommenen Kürzungen berechtigt sind oder ob der Auftragnehmer die Vorbehaltsfrist unverschuldet versäumt hat. Dies erscheint insbesondere im Hinblick darauf unangemessen, daß die Bestimmung nach wie vor nur einseitig zu Lasten des Auftragnehmers eine beschleunigte Klärung von Abrechnungsfragen ermöglicht. Eine den Auftragnehmer entsprechend begünstigende Regelung ist weiterhin nicht vorgesehen. Er muß die zweimonatige Frist zur Schlußrechnungsprüfung (§ 16 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B) hinnehmen. Außerdem kann der Auftraggeber Überzahlungen nach §§ 812 ff BGB im Rahmen der dafür geltenden langen Verjährungsfristen zurückverlangen, auch nach Leistung einer Schlußzahlung oder nach einer schlußzahlungsgleichen Erklärung. Endgültiger Rechtsfriede wird damit nicht erreicht.
Einseitig sind auch die Begründungspflichten verteilt.
Der Auftragnehmer muß seinen Vorbehalt grundsätzlich begründen, nicht dagegen der Auftraggeber die hinter der Schlußrechnung zurückbleibende Schlußzahlung. Unterbleibt eine solche Begründung, kann der Auftragnehmer nicht beurteilen, ob dem Auftraggeber Aufmaß-, Rechen- und Übertragungsfehler im Sinne des § 16 Nr. 3 Abs. 6 VOB/B unterlaufen sind. Sein Recht, die Korrektur der Schlußzahlung wegen derartiger Fehler ohne fristgerechten Vorbehalt verlangen zu können, kann er so nur erschwert durchsetzen.
Unterschriften
Thode, Haß, Hausmann, Wiebel, Kuffer
Fundstellen
Haufe-Index 1129047 |
BGHZ |
BGHZ, 176 |
BB 1998, 1131 |
DB 1998, 1129 |
NJW 1998, 2053 |
BauR 1998, 614 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 1998, 419 |
ZIP 1998, 959 |
MDR 1998, 710 |
ZfBR 1998, 193 |