Verfahrensgang
LG Kiel (Urteil vom 26.06.2012) |
Tenor
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 26. Juni 2012 mit den Feststellungen zum Vorsatz der Angeklagten hinsichtlich des Ausmaßes der Gewaltanwendung aufgehoben. Die Maßregelanordnung gegen den Angeklagten H. bleibt aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Gegen den Angeklagten H. hat es eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verhängt und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Gegen die übrigen Angeklagten hat es jeweils zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafen verhängt, gegen den Angeklagten K. eine solche von zwei Jahren, gegen den Angeklagten D. eine solche von einem Jahr und neun Monaten und gegen den Angeklagten C. – unter Einbeziehung einer Strafe aus einer früheren Verurteilung – eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten. Die hiergegen von der Staatsanwaltschaft erhobenen – vom Generalbundesanwalt nur hinsichtlich der Angeklagten K. und C. vertretenen – Revisionen wenden sich jeweils mit der Sachrüge gegen die unterbliebene Anwendung des Qualifikationstatbestandes des besonders schweren Raubes nach § 250 Abs. 2 Nr. 3 lit. a StGB. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts überfielen die Angeklagten den Nebenkläger, den sie für einen Drogenhändler hielten, in seiner Wohnung, um Geld und Drogen zu erbeuten. Sie gingen davon aus, dem Nebenkläger aufgrund ihrer Überzahl deutlich überlegen zu sein, und erwarteten, dessen Widerstand „nur für kurze Zeit ohne erhebliche Gewaltanwendung überwinden zu müssen” (UA S. 10). Als sie die Wohnung stürmten, wurde der kräftig gebaute Nebenkläger weggestoßen und kam zu Fall. Während die Angeklagten H. und D. absprachegemäß die Räume nach Drogen und Geld durchsuchten, stürzten sich die Angeklagten K. und C. auf den sich heftig wehrenden Nebenkläger, schlugen nach ihm und versuchten, ihn festzuhalten. Dabei versetzte ihm einer dieser beiden Angeklagten einen so heftigen Tritt gegen das rechte Bein, knapp unterhalb des Knies, dass der Nebenkläger eine Schienbein-Trümmerfraktur und eine Knorpelverletzung im Knie verbunden mit heftigen, andauernden Schmerzen erlitt. K. und C. hielten den sich wehrenden und laut vor Schmerz und Angst schreienden Nebenkläger weiter fest. D. hatte im Wohnzimmer Bargeld in Höhe von 120 EUR, Drogen und Zigaretten an sich genommen. Das laute Schreien des Nebenklägers „verstörte” die Angeklagten; „sie befürchteten mehr und mehr” (UA S. 13), dass Nachbarn auf ihre Anwesenheit aufmerksam und die Polizei verständigen würden. Der Angeklagte D. gab deshalb das Kommando zur Flucht, woraufhin die Angeklagten die Wohnung verließen. Eine durch das Schreien des Nebenklägers auf den Überfall aufmerksam gewordene Nachbarin alarmierte die Polizei.
Rz. 3
Das Landgericht hat nicht feststellen können, welcher der beiden Angeklagten K. oder C. den Nebenkläger getreten hatte. Es ist nicht davon ausgegangen, „dass die übrigen Angeklagten diesen Fußtritt sahen oder mit einer solchen Attacke auch nur rechneten” (UA S. 25). Dagegen spreche die von allen Angeklagten geschilderte Erwartung, den Nebenkläger ohne „erhebliche” Gewaltanwendung durch einen zügig durchgeführten Überfall in dessen Wohnung berauben zu können. Dies gelte umso mehr, als die lauten Schmerzensschreie den Angeklagten ungelegen gekommen seien. Die Strafkammer hat deshalb den Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 3 lit. a StGB bezüglich aller Angeklagten verneint.
Rz. 4
2. Dies hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 5
a) Der dem Nebenkläger bei der Raubtat von einem der Angeklagten zugefügte Tritt stellt aufgrund seiner schwerwiegenden Verletzungsfolgen und der erheblichen damit verbundenen Schmerzen eine körperlich schwere Misshandlung im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 3 lit. a StGB dar (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 1998 – 5 StR 216/98, BGHR StGB § 250 Abs. 2 Nr. 3 lit. a Misshandlung, körperlich schwere 1; MünchKommStGB/Sander, 2. Aufl., § 250 Rn. 66 mwN).
Rz. 6
b) Zwar haftet jeder Täter für das Handeln eines Mittäters nur im Rahmen seines eigenen Vorsatzes, ist also für den tatbestandlichen Erfolg nur so weit verantwortlich, wie sein Wille reicht; ein Exzess des anderen fällt ihm nicht zur Last. Allerdings werden Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des Falles gerechnet werden muss, vom Willen des Mittäters umfasst, auch wenn er sich diese nicht besonders vorgestellt hat; ebenso ist er für jede Ausführungsart einer von ihm gebilligten Straftat verantwortlich, wenn er mit der Handlungsweise seines Tatgenossen einverstanden oder sie ihm zumindest gleichgültig war (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 1 StR 517/10; Urteile vom 5. August 2010 – 3 StR 210/10 – und vom 26. April 2012 – 4 StR 51/12, NStZ 2012, 563; jeweils mwN).
Rz. 7
Das Landgericht hätte sich demnach eingehender mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Angeklagten nach den gesamten Umständen des Falls von vornherein auch mit einer intensiveren Gewaltanwendung gegen den Nebenkläger rechnen mussten, die dann auch Tritte gegen das Schienbein umfassten. Die Angeklagten kannten den Nebenkläger vor der Tat nicht und konnten sich – soweit ersichtlich – weder ein Bild über dessen körperliche Konstitution und Wehrhaftigkeit machen, noch wussten sie, ob der Nebenkläger, den sie für einen Drogenhändler hielten, bewaffnet sein würde und sie ihn überhaupt allein in seiner Wohnung antreffen würden. Diese Umstände, die unter Beweiswürdigungsgesichtspunkten ungeachtet der Vielzahl der Angreifer bereits gegen einen auf nicht „erhebliche” Gewaltanwendung beschränkten Tatplan sprechen können, wären im Urteil zu erörtern gewesen.
Rz. 8
c) Das Landgericht hat auch nicht die Möglichkeit einer Vorsatzerweiterung in Betracht gezogen. Infolge der von Beginn an heftigen Gegenwehr des kräftig gebauten Nebenklägers (UA S. 19, 25) war der von der Strafkammer angenommene ursprüngliche Tatplan, „den Widerstand des Nebenklägers nur für kurze Zeit ohne erhebliche Gewaltanwendung” zu überwinden (UA S. 10), jedenfalls ersichtlich nicht aufgegangen. Angesichts des fortdauernden Kampfgeschehens war es naheliegend, dass die unmittelbar hieran beteiligten Angeklagten K. und C. ihren Tatvorsatz der geleisteten Gegenwehr anpassten und mit der dann durch einen von ihnen tatsächlich verübten Gewalt rechneten und sie billigten. Dass auch der Angeklagte H., der das Gerangel zumindest teilweise optisch wahrnahm, und der im Wohnzimmer befindliche Angeklagte D. aufgrund akustischer Eindrücke inzwischen die unerwartet heftige Gegenwehr des Nebenklägers bemerkt hatten und mit erheblicher Gewaltanwendung der beiden Mitangeklagten zur Überwindung dieser Gegenwehr rechneten, liegt gleichfalls nahe und bedurfte ebenso näherer Erörterung. Ein ganz kurzer zeitlicher Ablauf des Tatgeschehens, wie ihn die Verteidiger in der Revisionshauptverhandlung behauptet haben, würde an dieser Beurteilung nichts ändern.
Rz. 9
d) Die Feststellungen legen es überdies nahe, dass spätestens nach dem Tritt alle Angeklagten bei gleichzeitiger Fortsetzung des Raubes mit der schweren körperlichen Misshandlung einverstanden waren oder ihr zumindest gleichgültig gegenüberstanden (Prinzip der sukzessiven Mittäterschaft). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die konkrete Verletzungshandlung für jeden der Angeklagten wahrnehmbar war. Zumindest der durch sie hervorgerufene Erfolg war aufgrund der lauten und anhaltenden Schmerzensschreie des Nebenklägers, die bis in die Nachbarwohnung drangen, für jeden der Angeklagten – insbesondere aber für K. und C. – erkennbar und legte den Rückschluss auf eine schwere körperliche Misshandlung nahe. Dass sich die Angeklagten unmittelbar nach den Schmerzensschreien des Nebenklägers von der Gewaltanwendung distanziert hätten, hat das Landgericht nicht festgestellt. Die Angeklagten K. und C. setzten den Kampf trotz der anhaltenden Schmerzensschreie des Nebenklägers bis zu dessen Erschöpfung und Nachlassen seiner Gegenwehr fort. Den Urteilsgründen lässt sich auch nicht entnehmen, dass die Angeklagten H. und D. ihre Suche nach Drogen und Geld angesichts der Schmerzensschreie des Nebenklägers sofort abbrachen. Erst nach dem Ruf des um Entdeckung fürchtenden Angeklagten D. beendeten alle Angeklagten die Tatausführung und verließen mit der Beute die Wohnung.
Rz. 10
3. Die Schuld- und damit einhergehend die Strafaussprüche bedürfen daher auf der Basis neuer und ergänzender Feststellungen zum jeweiligen Mittätervorsatz neuer tatgerichtlicher Würdigung. Sämtliche, mit Ausnahme der im Tenor genannten, Feststellungen, sowohl die zum gesamten objektiven Tatablauf als auch diejenigen zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten, werden vom Revisionsangriff nicht berührt und können bestehen bleiben; möglich sind insoweit lediglich ergänzende Feststellungen, die den bislang getroffenen nicht widersprechen. Der Maßregelausspruch gegen den Angeklagten H. bleibt von der Aufhebung unberührt.
Rz. 11
Im Falle von Schuldsprüchen wegen besonders schweren Raubes wird hinsichtlich aller Angeklagten nach dem Gesamtbild von Tat – verhältnismäßig geringe Beute, „Milieutat” mit nicht vorgeplanter massiver Gewalt – und Tätern – ein erheblich süchtiger Persönlichkeitsgestörter, drei zur Tatzeit Unbestrafte – bei der Strafrahmenwahl ungeachtet bestehender Strafschärfungsgründe die Annahme eines minder schweren Falls nahe liegen.
Unterschriften
Basdorf, Sander, Schneider, Dölp, Bellay
Fundstellen
Haufe-Index 3686903 |
NStZ 2013, 400 |
JuS 2013, 943 |
NStZ-RR 2013, 365 |