Entscheidungsstichwort (Thema)
Zurechnung eines Arbeitsunfalls. Mehrere Versicherungstatbestände ohne mehrfachen Versicherungsschutz. Bindende Zuordnung als Versicherungsfall an zuständigen Unfallversicherungsträger. Haftungsprivilegierung. Ausschluss einer weiteren Zuordnung. Bindung des Gerichts
Leitsatz (amtlich)
Hat der Unfallversicherungsträger die Versicherung des Unfalls nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII angenommen und ist die Entscheidung ggü. den Beteiligten unanfechtbar geworden, ist der Zivilrichter nach § 108 SGB VII daran gebunden. Der Haftungsfall darf keinem weiteren Unternehmer nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII zugeordnet werden.
Normenkette
SGB VII §§ 108, 135, 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Teil- und Grundurteil des 8. Zivilsenats des OLG Koblenz vom 8.2.2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Die Klägerin verlangt Ersatz ihres materiellen und immateriellen Schadens infolge eines Unfalls in einem Kindergarten, dessen Träger die beklagte Kirchengemeinde ist.
[2] Die Klägerin, eine gelernte Zahntechnikerin, begann im September 2003 wegen eines Asthmaleidens eine von der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik (künftig: BGFE) finanzierte Umschulung zur Erzieherin. Im April 2004 absolvierte sie im Rahmen der Ausbildung ein Praktikum im Kindergarten der Beklagten. Als auf dem Spielplatz des Kindergartens eine 1993 errichtete Markisenkonstruktion zusammenbrach, deren tragende Holzpfosten in Bodennähe verfault waren, wurde die Klägerin durch herabfallende Teile verletzt. Dem Rechtsanwalt der Klägerin teilte die BGFE am 31.3.2005 mit: "Sachstandsmitteilung/Zuständigkeit ... nach aktuellem Stand sind wir nach § 2 Abs. 1 Nr. 15c SGB VII der zuständige Kostenträger, da die Verletzte ... zum Unfallzeitpunkt ein Praktikum im Rahmen einer Umschulung gem. § 3 Berufskrankheitenverordnung ... absolvierte".
[3] Der Klage auf Schmerzensgeld von mindestens 10.000 EUR, Schadensersatz von 6.571,18 EUR und Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden hat das LG im Wesentlichen stattgegeben. Dagegen haben die Beklagte Berufung und die Klägerin Anschlussberufung eingelegt. Die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht mit einem Teil- und Grundurteil zurückgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte das Ziel der Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
I.
[4] Das Berufungsgericht, dessen Urteil in r+s 2009, 171 veröffentlicht ist, hat die Berufung zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die dem Grunde nach zugesprochenen Ansprüche der Klägerin und die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige materielle und immaterielle Schäden, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind, gerichtet hat. Zur Begründung hat es ausgeführt:
[5] Dem Grunde nach seien Ansprüche aus § 836 BGB gegen die Beklagte gegeben. Die Markisenkonstruktion sei ein mit dem Grundstück verbundenes Werk. Es spreche bereits der Beweis des ersten Anscheins für dessen Fehlerhaftigkeit, da die tragenden Holzpfosten in Erdnähe verfault waren und teilweise mit den Fingern zerbröselt werden konnten. Das Umkippen der Konstruktion beruhe nicht auf einem außergewöhnlichen Geschehensablauf. Das nach § 836 BGB vermutete Verschulden habe die Beklagte nicht widerlegt. Sie habe insb. nicht substantiiert dargetan, welche Maßnahmen sie zum Schutz des Holzes gegen Witterungseinflüsse ergriffen habe.
[6] Eine Haftungsprivilegierung der Beklagten als Unternehmerin gem. § 104 SGB VII scheide aus. Dabei sei der Umstand, dass die BGFE ihre Einstandspflicht unter Hinweis auf § 2 Abs. 1 Nr. 15c SGB VII anerkannt habe, ohne Bedeutung. Selbst wenn darin eine unanfechtbare Entscheidung i.S.d. § 108 SGB VII zu sehen sei, erstrecke sich die Bindungswirkung nicht auf die Frage, ob ein weiterer Unternehmer hafte oder ein Haftungsprivileg in Anspruch nehmen könne. Es sei anerkannt, dass ein Schadensereignis mehreren Betrieben zugerechnet werden könne. Der streitgegenständliche Unfall sei jedoch kein Arbeitsunfall im Betrieb der Beklagten, weil die Klägerin dort weder nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 SGB VII noch nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII versichert gewesen sei. Sie sei nicht "für den Unfallbetrieb" der Beklagten, sondern "für die Schule" tätig gewesen, weil das Praktikum der Überprüfung ihrer Eignung für den von ihr eingeschlagenen Ausbildungsweg gedient habe. Die Praktikantenausbildung werde durch inhaltliche Vorgaben von der Schule gelenkt, deshalb sei die Klägerin nicht in die betriebliche Organisation des Unfallbetriebs der Beklagten eingegliedert gewesen.
II.
[7] Das Urteil hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
A.
[8] Soweit die Revision rügt, das Berufungsurteil umfasse nicht die von der Klägerin mit der Anschlussberufung in zweiter Instanz geltend gemachten weiteren Ansprüche, weshalb insoweit eine Entscheidung zum Grunde dieser Ansprüche nicht gegeben sei und widersprechende Entscheidungen künftig nicht auszuschließen seien, vermag sich der erkennende Senat dieser Sichtweise nicht anzuschließen. Nach dem Wortlaut der Entscheidungsgründe des Berufungsurteils hat das Berufungsgericht alle zum Entscheidungszeitpunkt rechtshängigen Ansprüche dem Grunde nach für gerechtfertigt gehalten. Das Berufungsgericht hat mithin über die Anträge der Berufung und der Anschlussberufung dem Grunde nach entschieden. Bei dem unter Einbeziehung der Urteilsgründe gebotenen Verständnis umfasst somit die Urteilsformel sowohl die mit der Berufung angegriffenen als auch die mit der Anschlussberufung gestellten Ansprüche.
B.
[9] Das Urteil begegnet aber im Übrigen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
[10] I. Die Revision wendet sich nicht dagegen, dass das Berufungsgericht die Anspruchsvoraussetzungen nach §§ 836 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB bejaht hat. Dies ist rechtlich auch nicht zu beanstanden (vgl. OLG Celle VersR 1985, 345 mit NA-Beschluss des Senats v. 13.11.1984 - VI ZR 20/84).
[11] II. Jedoch hat das Berufungsgericht bei der Prüfung, ob die Beklagte gem. § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII von dieser Haftung befreit ist, den Umfang der Bindungswirkung des § 108 Abs. 1 SGB VII verkannt. Zwar geht das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend davon aus, dass die Zivilgerichte grundsätzlich von Amts wegen die Bindungswirkung des § 108 SGB VII zu beachten haben, weil diese ihrer eigenen Sachprüfung - auch der des Revisionsgerichts - Grenzen setzt (BGH BGHZ 158, 394, 397; Urt. v. 19.10.1993 - VI ZR 158/93, VersR 1993, 1540, 1541; v. 12.6.2007 - VI ZR 70/06, VersR 2007, 1131, 1132; v. 20.11.2007 - VI ZR 244/06, VersR 2008, 255, 256; v. 22.4.2008 - VI ZR 202/07, VersR 2008, 820, 821). Jedoch hat es fälschlicherweise angenommen, dass es auf die Bindung an die versicherungsrechtliche Zuordnung des Schadensfalls unter Hinweis auf § 2 Abs. 1 Nr. 15c SGB VII an die BGFE im zivilrechtlichen Haftungsprozess nicht ankomme, weil der Zivilrichter unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt einen Unfall als versicherten Arbeitsunfall einem weiteren Unternehmer zurechnen dürfe.
[12] 1. Diese Sichtweise des Berufungsgerichts beruht auf der früheren, inzwischen aufgegebenen Rechtsprechung des Senats, wonach die Zivilgerichte durch § 108 SGB VII nicht grundsätzlich gehindert waren, einen Arbeitsunfall einem weiteren Unternehmer zuzurechnen mit der Folge, dass auch diesem Unternehmer eine Haftungsprivilegierung zugute kommen konnte (grundlegend BGHZ 24, 247, 248 ff. und Urt. v. 11.7.1972 - VI ZR 21/71, VersR 1972, 945, 946; daran anknüpfend BGHZ 129, 195, 198 f. und Urt. v. 1.7.1975 - VI ZR 87/74, VersR 1975, 1002; v. 7.6.1977 - VI ZR 99/76, VersR 1977, 959; v. 6.12.1977 - VI ZR 79/76, VersR 1978, 150, 151; v. 29.1.1980 - VI ZR 125/79, VersR 1980, 578; v. 22.6.1982 - VI ZR 240/79, VersR 1983, 31, 32; v. 3.5.1983 - VI ZR 68/81, VersR 1983, 728; v. 3.4.1984 - VI ZR 288/82, VersR 1984, 652 f.; v. 15.5.1990 - VI ZR 266/89, VersR 1990, 995, 996; v. 26.6.1990 - VI ZR 233/89, VersR 1990, 1161, 1162). Insofern vertritt der erkennende Senat im Hinblick auf die geänderte Rechtslage diese Rechtsauffassung nicht mehr (BGH, Urt. v. 22.4.2008 - VI ZR 202/07, VersR 2008, 820, 821 m.w.N.). Die Zivilgerichte sind nunmehr durch § 108 SGB VII hinsichtlich der Frage, ob ein Versicherungsfall vorliegt, in welchem Umfang Leistungen zu erbringen sind und ob der Unfallversicherungsträger zuständig ist, an unanfechtbare Entscheidungen der Sozialbehörden und SG gebunden. Das gilt unabhängig davon, ob sie diese Entscheidungen für richtig halten (BGH, Urt. v. 22.4.2008 - VI ZR 202/07 -, a.a.O., m.w.N.).
[13] a) Für die Frage, ob Unfälle unter den sozialrechtlichen Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3, 6 SGB VII fallen, ist in der Regel maßgebend, dass zwischen der Verrichtung und der versicherten Tätigkeit im Zeitpunkt des Unfalls ein sachlicher Zusammenhang besteht (vgl. BT-Drucks. 13/2204, 77), während ein rein örtlicher oder zeitlicher Zusammenhang nicht genügt (vgl. KassKomm Sozialversicherungsrecht/Ricke, Stand: 60. Lfg. 2009, § 8 Rz. 10). Der sachliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der den Unfall verursachenden Verrichtung ist wertend zu ermitteln. Maßgebliches Kriterium hierfür ist die Handlungstendenz des Versicherten (BSG, NZS 2006, 100 f.; 154, 155 jeweils m.w.N.). Ergibt die wertende Betrachtung, dass die Verrichtung mit mehreren versicherten Tätigkeiten in einem inneren Zusammenhang steht und somit die Merkmale mehrerer Versicherungsschutztatbestände erfüllt sind (BSG, NZS 2007, 38 zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5a SGB VII; NJW 2009, 937 zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 13a SGB VII; KassKomm/Ricke, a.a.O., § 2 Rz. 4, § 8 Rz. 10, § 133 Rz. 8, § 135 Rz. 2; Brackmann/Kruschinsky, SGB VII, 12. Aufl., Stand: 172. Lfg. 2008, § 2 Rz. 820; so schon zur RVO BSG, BSGE 5, 168, 175; 56, 279, 282), führt dies allerdings nicht zu einem mehrfachen Versicherungsschutz und zur Zuständigkeit mehrerer Unfallversicherungsträger. Das verhindern seit der Regelung der Unfallversicherung im Sozialgesetzbuch VII die Konkurrenzregelungen für die "Versicherung nach mehreren Vorschriften" in § 135 SGB VII. Nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift soll es auch dann, wenn der Arbeitsunfall von zwei verschiedenen Unfallversicherungsträgern anzuerkennen und zu entschädigen wäre, keine Doppelzuständigkeiten geben. Dem entspricht der zwingende Charakter der Zuständigkeitsregeln im Sozialgesetzbuch VII, mit denen verwaltungspraktischen Bedürfnissen sowohl auf Seiten der Unfallversicherungsträger als auch des Verletzten Rechnung getragen wird, für den damit der Ansprechpartner für seinen Versicherungsfall feststeht (BSG, NZS 2007, 38, 39). § 135 SGB VII hat mit seiner umfassenden Regelung der Konkurrenzen beim Zusammentreffen mehrerer Versicherungstatbestände in dieser Form kein Vorbild in der Reichsversicherungsordnung, sondern ist im Zuge der Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch VII neu geschaffen worden (vgl. BSG, NJW 2009, 937, 939). Zuvor hatte das BSG unter Geltung der Reichsversicherungsordnung die damals bestehende Regelungslücke ausgefüllt, indem es, wenn mehrere Versicherungstatbestände in Frage kamen, die Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers nach dem Schwerpunkt der Tätigkeit unter Berücksichtigung der Handlungstendenz des Verletzten bestimmte (BSGE 5, 168, 174 f.; anknüpfend an RVA, EuM Bd. 18, S. 101, 103 f.; Bd. 40, S. 185, 186). Aufgrund der Regelung in § 135 SGB VII besteht hierfür inzwischen kein Bedarf mehr (BSG, NJW 2009, 937, 939 entgegen LSG Rheinland-Pfalz, Breith. 2007, 408, 412; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 5. Aufl., Stand: Februar 2009, § 135 Rz. 4; Quabach in jurisPK-SGB VII, § 135 Rz. 21; Hauck/Noftz-Graeff, SGB VII, Stand: 38. Lfg. 2009, § 135 Rz. 3). Einzig in § 135 Abs. 6 SGB VII wird auf das Schwerpunktkriterium noch abgestellt (vgl. BSG, NZS 2007, 38, 39).
[14] b) Für die bisherige Rechtslage war folgendes kennzeichnend:
[15] Das RG hatte für die zivilrechtliche Haftung die Auffassung vertreten, dass eine bindende Bestimmung des Unternehmers im sozialrechtlichen Verfahren, dem der geschädigte Beschäftigte versicherungsrechtlich zuzuordnen sei, für die Zivilgerichte die Annahme ausschließe, dass noch ein anderer Unternehmer sei und auch diesem eine Haftungsprivilegierung zugute komme (RGZ 111, 159, 160 f.; 171, 393, 397; anders noch RGZ 97, 202, 206).
[16] Demgegenüber hat der erkennende Senat zur Vermeidung von Privilegierungslücken die Auffassung vertreten, dass der Zivilrichter durch die Zuordnung des Unfalls zu einem Unternehmer im Sozialverfahren nicht gehindert sei, einen versicherten Arbeitsunfall für einen weiteren Unternehmer anzunehmen (grundlegend BGHZ 24, 247, 248 ff. und BGHZ 129, 195, 198 f. m.w.N.). Indessen hat er für die Frage der Versicherung des Nothelfers nach § 539 Abs. 1 Nr. 9a RVO die Bindungswirkung der unanfechtbaren sozialrechtlichen Entscheidung für den Zivilrichter stets bejaht (BGHZ 129, 195; v. Gerlach, DAR 1996, 205, 207 ff.; H. Müller, VersR 1995, 1209 ff.). Dementsprechend hat der erkennende Senat im Urteil vom 24.1.2006 (BGHZ 166, 42) auch für eine nach der neuen Regelung in § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII versicherte Nothilfe die Bindungswirkung der unanfechtbaren sozialrechtlichen Entscheidung im zivilrechtlichen Haftungsprozess angenommen und die Möglichkeit der Zuordnung des Versicherungsfalls zu einem anderen Unternehmen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 2 Satz 1 SGB VII mit der Begründung abgelehnt, dass eine weitere Zuordnung in diesen Fällen nicht in Frage komme, weil der Versicherungsschutz für Verletzungen, für die eine Berufsgenossenschaft ihre Leistungspflicht aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen Hilfeleistungen unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Unfallfürsorge anerkannt hat, subsidiär sei zum Versicherungsschutz nach anderen Vorschriften (BGHZ 166, 42, 45). Die Feststellung des Sozialversicherungsträgers oder des SG, dass die Einstandspflicht der Unfallversicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII (früher § 539 Abs. 1 Nr. 9a RVO) gegeben sei, schließe somit die Entscheidung mit ein, dass die Versicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII im betreffenden Fall ausgeschlossen sei (BGHZ 166, 42, 45).
[17] Mit dem Urt. v. 22.4.2008 - VI ZR 202/07 - (a.a.O.) hat der erkennende Senat für den Fall, dass der Unfallversicherungsträger die Versicherung des Unfalls nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII angenommen hat und die Entscheidung ggü. den Beteiligten unanfechtbar geworden ist, eine Zuordnung des Unfalls zu einem weiteren Unternehmer nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII ebenfalls abgelehnt, weil der Zivilrichter nach § 108 SGB VII gebunden sei. Nach der Konkurrenzregelung in § 135 Abs. 1 Nr. 7 SGB VII geht die Versicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII der nach § 2 Abs. 2 SGB VII vor. Im Hinblick auf die Regelung in § 135 Abs. 1 Nr. 7 SGB VII muss nun nicht mehr geprüft werden, ob die Aufgaben dem Stamm- oder Fremdbetrieb des Tätigen zuzuordnen sind, bei deren Verrichtung es zum Unfall gekommen ist (Wannagat/Waltermann, Sozialgesetzbuch VII, 18. Lfg. 2009, § 104 Rz. 12, § 108 Rz. 4). Die entsprechenden Kriterien (BSG, BSGE 5, 168, 174; 57, 91, 93; SozR 2200 § 539 RVO Nr. 25, S. 71; NZA 1986, 410; SozR 3-2200 § 539 RVO Nr. 25, S. 86 f.; SozR 3-2200 § 539 RVO Nr. 28 S. 105 f.; VersR 1999, 1517, 1518; Spellbrink in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 2, § 24 Rz. 36 ff.) spielen nur noch dann eine Rolle, wenn es um die Abgrenzung einer nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII versicherten Tätigkeit von einer privaten, nicht versicherten Tätigkeit geht (vgl. BSG, NZS 2006, 100 f.; 154f.; 375 f.). Frühere Absprachen der Unfallversicherungsträger, mit denen Konkurrenzfragen bei Tätigkeiten, die mehreren Unternehmen dienten, geregelt worden sind, werden vom Schrifttum als "gegenstandslos" betrachtet (Lauterbach/Schwerdtfeger, Unfallversicherung, 4. Aufl. Stand 172. Lfg. 2008, § 135 Rz. 4, § 2 Rz. 720; Bereiter/Hahn-Mehrtens, a.a.O., § 2 Rz. 34.31).
[18] aa) Soweit gegen dieses Verständnis des § 135 SGB VII eingewendet wird, dass die Regelung zum Unterabschnitt "Gemeinsame Vorschriften über die Zuständigkeit" gehöre und bei Vorliegen mehrerer Versicherungstatbestände lediglich die Leistungszuständigkeit und nicht den Versicherungsschutz regle (vgl. Lemcke, r+s 2008, 309), kann dieser formale Gesichtspunkt nicht überzeugen. Eine solche Beschränkung des Regelungsgehalts legen weder der Wortlaut der Vorschrift noch die Gesetzesmaterialien nahe (vgl. BT-Drucks. 13/2208, 108; zur Frage des Regelungsgehalts des § 135 SGB VII im Einzelnen Meike Lepa, Haftungsbeschränkungen bei Personenschäden nach dem Unfallversicherungsrecht, 2004, S. 69, 71). Die Vorschrift enthält nicht nur Zuständigkeitsregelungen. Vielmehr sind an die einzelnen Tatbestände sowohl leistungsrechtliche - weil sich die Leistungsgrundlagen im Rahmen der Satzungsermächtigungen unterscheiden können (vgl. Quabach in jurisPK-SGB VII, § 135 Rz. 49) - als auch beitragsrechtliche - weil das nach der Konkurrenzregelung mit dem Versicherungsfall belastete Unternehmen gem. § 162 SGB VII Nachteile im Beitragsausgleichsverfahren hat (vgl. KassKomm/Ricke, a.a.O., § 135 Rz. 2) - Konsequenzen geknüpft. Auch andere Vorschriften des Unterabschnitts regeln nicht nur Fragen der Zuständigkeit. So bestimmt sich etwa nach § 136 Abs. 3 SGB VII, wer Unternehmer i.S.d. §§ 104 ff. SGB VII ist.
[19] bb) Auch kommt es auf Seiten des Schädigers nicht zu unbilligen "Privilegierungslücken", wenn der Arbeitsunfall im Haftungsprozess nicht einem weiteren Unternehmer zugeordnet werden kann. Zwar kommt die Haftungsfreistellung des Unternehmers des Fremdbetriebs und der dort Beschäftigten nach den §§ 104, 105 SGB VII nicht mehr in Betracht, doch hat sich inzwischen die Rechtslage mit der Haftungsprivilegierung nach § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII geändert (vgl. zur früheren Rechtslage: BGH BGHZ 8, 330 und BGHZ 24, 247 und zur Rechtslage nach Inkrafttreten des SGB VII: BSG, NJOZ 2008, 3465, 3469 ff.; Meike Lepa, a.a.O., S. 67 f.).
[20] Danach ist ein Beschäftigter ggü. dem Betriebsfremden ebenso haftungsbefreit wie der Unternehmer des Unfallbetriebs, wenn er mit dem Geschädigten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte tätig und selbst versichert war (vgl. BGH BGHZ 148, 209, 211 ff.; 148, 214, 217 ff. und Urt. v. 20.11.2007 - VI ZR 244/06 -, a.a.O., 256). Konzeptionell bedeutet die Erweiterung der Haftungsbeschränkung über den Unternehmer und seine Repräsentanten hinaus auf alle im Betrieb tätigen Personen eine Weiterentwicklung von der reinen Haftungsbeschränkung aufgrund von Beitragszahlungen zu einer Haftungsbeschränkung aufgrund der bestehenden Gefahrengemeinschaft und des der gesetzlichen Unfallversicherung innewohnenden sozialen Schutzprinzips im Grundverhältnis Unternehmer (= Arbeitgeber) und Beschäftigter (= Arbeitnehmer) (vgl. BSG, NJOZ 2008, 3465, 3469; Meike Lepa, a.a.O., S. 49 f.; Waltermann, NJW 2002, 1225, 1227). Auch wenn Haftungsfälle verbleiben werden, für die kein Haftungsprivileg eingreift, so wenn beispielsweise der nicht auf der gemeinsamen Betriebsstätte tätige Unternehmer die Pflicht zur Gefahrensicherung in seinem Organisationsbereich verletzt hat (vgl. KassKomm/Ricke, a.a.O., § 106 Rz. 13) oder die Voraussetzungen für das Zusammenwirken auf einer gemeinsamen Betriebsstätte fehlen (vgl. Meike Lepa, a.a.O., S. 68), muss dies im nunmehr geltenden System in Kauf genommen werden. Hierfür spricht auch, dass im Sozialgesetzbuch VII eine § 1739 RVO entsprechende Vorschrift fehlt, wonach bei Arbeitsunfällen die Teilung der Entschädigung unter mehreren Unfallversicherungsträgern vorgesehen war (vgl. BGH BGHZ 24, 247, 249). Hierdurch zeigt sich, dass die Beschränkung der Zuordnung eines Arbeitsunfalls zu einem bestimmten Unternehmen mit Hilfe der Konkurrenzregelungen des § 135 SGB VII dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Aus der Regelung in § 174 SGB VII folgt nichts anderes, da diese lediglich die Lastenteilung bei Berufskrankheiten betrifft (vgl. BT-Drucks. 13/2204, 114; Münch in jurisPK-SGB VII, § 174 Rz. 6; Wolber, SozVers 1997, 121 und 1999, 225; Schlaeger, BG 2009, 144).
[21] Somit ist der Zivilrichter an die Zuordnung des Unfalls zu einem bestimmten Unternehmen durch die Sozialbehörden oder das SG gebunden, wenn die Feststellung unanfechtbar geworden ist.
[22] 2. Hiernach wird das Berufungsgericht festzustellen haben, ob es sich bei dem Schreiben der BGFE vom 31.5.2005 um eine ggü. der Beklagten bindende Entscheidung i.S.v. § 108 SGB VII handelt. Das bedarf tatsächlicher Feststellungen, weil die Bestandskraft der Entscheidung voraussetzt, dass die Beklagte an dem Verfahren in der gebotenen Weise beteiligt worden ist, denn ihre Rechte dürfen durch die Bindungswirkung nach § 108 SGB VII nicht verkürzt werden.
[23] a) Um das rechtliche Gehör von Personen, für die der Ausgang des Verfahrens rechtsgestaltende Wirkung hat, zu gewährleisten, bestimmt § 12 Abs. 2 SGB X, dass sie auf ihren Antrag zu dem Verfahren hinzuzuziehen sind. Für die Anwendung dieser Vorschrift reicht es aus, dass der Bescheid ihre Rechtsstellung berührt oder berühren kann. Die Rechtsstellung des Schädigers ist einerseits berührt, wenn ein Unfall nicht als Versicherungsfall anerkannt wird, weil er dann für den Personenschaden des Geschädigten grundsätzlich selbst aufkommen muss (BGH, Urt. v. 20.11.2007 - VI ZR 244/06, VersR 2008, 255; dazu Konradi, BG 2008, 245 ff.). Die Rechtsstellung wird aber auch dadurch berührt, dass der Unfall als Versicherungsfall für einen anderen Unternehmer anerkannt wird, weil die im sozialrechtlichen Verfahren getroffene Zuordnung eine weitere Zuordnung unter einem anderen Versicherungstatbestand ausschließt. Die sozialrechtliche Entscheidung wirkt mithin zu Lasten desjenigen, dem die Zuordnung des Unfalls als Arbeitsunfall die Möglichkeit der Haftungsprivilegierung nach den §§ 104, 105 SGB VII eröffnen könnte (vgl. BGH BGHZ 129, 195, 201 zur Rechtslage nach der RVO).
[24] b) Diese Voraussetzungen liegen bei der Beklagten vor. Ist der Unfall bindend als Versicherungsfall der BGFE zugeordnet, scheidet eine Haftungsprivilegierung für die Beklagte und ihre Bediensteten nach den §§ 104, 105 SGB VII von vornherein aus. Ist die Beklagte nicht in der gebotenen Weise an dem Verfahren zwischen der BGFE und der Klägerin beteiligt gewesen, was mangels entsprechender Feststellungen revisionsrechtlich zu unterstellen ist, ist das sozialrechtliche Verfahren mit einem Fehler behaftet, mit der Folge, dass der Bescheid an die Klägerin der Beklagten gegenüber nicht bindend geworden ist. Das Berufungsgericht ist dann an einer Entscheidung über die Klage gehindert (BGH BGHZ 129, 195, 202; 158, 394, 397 f.; Urt. v. 20.11.2007 - VI ZR 244/06 -, a.a.O., 257). Nach § 108 Abs. 2 SGB VII hat es sein Verfahren auszusetzen, bis eine Entscheidung nach Abs. 1 ergangen ist. Die Bestandskraft eines etwaigen Bescheides ggü. der Klägerin tritt ggü. der Beklagten erst ein, wenn sie auf Anfrage erklärt, an einer Wiederholung des Verfahrens kein Interesse zu haben, oder wenn sie keine Erklärung abgibt (vgl. BSGE 55, 160, 163). Andernfalls wäre das Verwaltungsverfahren auf ihren Antrag zu wiederholen und die Beteiligung nachzuholen (BGH, Urt. v. 12.6.2007 - VI ZR 70/06 -, a.a.O.; Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht/Rolfs 9. Aufl., § 108 SGB VII Rz. 5), wodurch der in einem etwaigen Verstoß gegen § 12 Abs. 2 Satz 2 SGB X liegende Verfahrensmangel gem. § 41 Abs. 1 Nr. 6 SGB X geheilt würde (vgl. v. Wulffen/v. Wulffen SGB X, 5. Aufl., § 12 Rz. 13). Dann könnte die Entscheidung auch der Beklagten gegenüber unanfechtbar werden und Bindungswirkung im vorliegenden Haftpflichtprozess haben. Bis dahin hätte das Berufungsgericht das Verfahren gem. § 108 Abs. 2 SGB VII - ggf. unter Fristsetzung - auszusetzen (BGH BGHZ 129, 195, 202; Urt. v. 12.6.2007 - VI ZR 70/06 -, a.a.O.; Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht/Rolfs, a.a.O.). Die Aussetzung steht nicht im Ermessen des Berufungsgerichts (vgl. BGH, Urt. v. 22.4.2008 - VI ZR 202/07 -, a.a.O.). Eine eigenständige Prüfung, ob die Beklagte grundsätzlich zivilrechtlich haftet, aber nach § 104 SGB VII haftungsprivilegiert ist, ist dem Berufungsgericht vor Abschluss des sozialrechtlichen Verfahrens grundsätzlich verwehrt (BGH, Urt. v. 20.11.2007 - VI ZR 244/06 -, a.a.O.).
[25] c) Die Aussetzung ist auch nicht schon deshalb entbehrlich, weil die Beklagte im Streitfall durch die Entscheidung der BGFE in ihrer Rechtsstellung nicht nachteilig betroffen würde (vgl. BGH, Urt. v. 17.6.2008 - VI ZR 257/06, VersR 2008, 1260, 1261). Ob den von der Revision ins Auge gefassten nicht näher bezeichneten "Mitarbeitern und Organen" der Beklagten als Erstschädiger bei persönlicher Haftung eine Haftungsprivilegierung zugute käme und die Beklagte, wie die Revision meint, als Zweitschädiger nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld von der Haftung frei würde (vgl. etwa BGH BGHZ 61, 51, 55; 94, 173, 176; 155, 205, 212 ff.; 157, 9, 14; v. 13.3.2007 - VI ZR 178/05, VersR 2007, 948, 949; v. 22.1.2008 - VI ZR 17/07, VersR 2008, 642, 643), lässt sich schon deshalb nicht beantworten, weil auch hierfür vorrangig zu klären ist, welchem Betrieb der Unfall als Arbeitsunfall zuzuweisen ist. Außerdem fehlen zur Frage der persönlichen Haftung der Mitarbeiter der Beklagten mangels des erforderlichen Sachvortrags hinreichende Feststellungen des Berufungsgerichts.
C.
[26] Das Berufungsurteil war deshalb aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 2182765 |
BGHZ 2010, 160 |