Leitsatz (amtlich)

Die im Jahre 1993 vorgenommene Neugliederung der Einzugsbereiche der Tierkörperbeseitigungsanstalten im Land Thüringen und die dadurch bewirkte Stillegung bisheriger Tierkörperbeseitigungsanstalten stellte einen einen Entschädigungsanspruch begründenden Eingriff in den bestandsgeschützten Gewerbebetrieb der von der Stillegung betroffenen, in der Rechtsform einer GmbH geführten Tierkörperbeseitigungsanstalten nicht dar.

 

Normenkette

GG Art. 14; Thüringer Tierkörperbeseitigungsgesetz (ThürTierKBG) vom 3. Dezember 1992 (GVBl. S. 566) § 7

 

Verfahrensgang

Thüringer OLG (Urteil vom 04.07.1995)

LG Erfurt

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Thüringer Oberlandesgerichts – 3. Zivilsenat – in Jena vom 4. Juli 1995 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsrechtszuges zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Rechtsvorgänger der Klägerin, der volkseigene Betrieb Futtermischwerk C., führte in den Betriebsstätten E. und S. für Teile des heutigen Landes Thüringen die Beseitigung von Tierkörpern durch. Im Zuge des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland wurde der VEB Futtermischwerk in die Klägerin, eine GmbH, umgewandelt, die die Tierkörperbeseitigung zunächst im bisherigen Umfang weiterbetrieb. Durch die Thüringer Verordnung über die Einzugsbereiche der Tierkörperbeseitigungsanstalten vom 15. März 1993 (GVBl. S. 234) wurde das gesamte Gebiet des Landes Thüringen auf die Tierkörperbeseitigungsanstalten in K. und in Sch. aufgeteilt. Dadurch verloren gemäß § 6 des Thüringer Tierkörperbeseitigungsgesetzes vom 3. Dezember 1992 (GVBl. S. 566) die Betriebe der Klägerin in E. und S. die Eigenschaften als Tierkörperbeseitigungsanstalten. Die Klägerin stellte dementsprechend ab April 1993 die Tierkörperbeseitigung ein.

Die Klägerin verlangt wegen der Stillegung ihrer Tierkörperbeseitigungsanstalten von dem beklagten Freistaat Thüringen eine Entschädigung in Höhe von 5.830.674,81 DM nebst Zinsen.

Das Landgericht hat die Klageforderung dem Grunde nach für berechtigt erklärt; das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Forderung weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.

I.

Die Verfahrensrüge der Revision, das Berufungsgericht sei nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, weil an der Urteilsfindung ein planmäßiger Richter am Oberlandesgericht als Vorsitzender und zwei Richter am Landgericht als Beisitzer mitgewirkt haben, geht fehl. Die Revisionserwiderung weist mit Recht darauf hin, daß der Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 13. Juli 1995 (V ZB 6/94 = NJW 1995, 2791), auf den sich die Revision beruft, hier nicht einschlägig ist. Für die neuen Bundesländer gilt § 3 RpflAnpG (hier i.d.F. vom 26. Juni 1992, BGBl. I S. 1147), wonach Vorschriften, welche die Tätigkeit von Richtern, die nicht Richter auf Lebenszeit mit einem Amt bei dem Gericht sind, bei dem sie tätig werden, ausschließen oder beschränken oder Richtern auf Lebenszeit bestimmte Aufgaben vorbehalten, in diesen Ländern – zunächst bis zum Ablauf des 31. Dezember 1995 – keine Anwendung finden. Damit galten auch beim Berufungsgericht die Beschränkungen für den Einsatz von Hilfsrichtern zur Zeit des Erlasses der angefochtenen Entscheidung nicht (BGH, Beschluß vom 6. März 1996 – VIII ZR 218/95 – m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, daß die konkrete Senatsbesetzung des Berufungsgerichtes etwa willkürlich oder aus sonstigen sachfremden Erwägungen zustandegekommen ist, liegen nicht vor.

II.

1. Die Revision stützt den Entschädigungsanspruch der Klägerin auf § 7 ThürTierKBG. Diese Vorschrift lautet:

„Stellen Bestimmungen dieses Gesetzes oder der auf ihm beruhenden Rechtsverordnungen oder Maßnahmen aufgrund dieser Rechtsvorschriften eine wirtschaftliche Belastung für den Eigentümer dar, die die Grenzen zumutbarer inhaltlicher Festlegungen des Eigentums überschreitet, ist eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Die Grundsätze der Entschädigung bei förmlicher Enteignung sind entsprechend anzuwenden”.

Das Thüringer Tierkörperbeseitigungsgesetz ist an sich nichtrevisibles Landesrecht (§ 549 Abs. 1 ZPO). Die für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ausschlaggebende Frage, ob die Stillegung der Tierkörperbeseitigungsanstalten der Klägerin ein die Entschädigungspflicht auslösender Eingriff in eine eigentumsmäßig geschützte Rechtsposition gewesen ist, ist jedoch anhand des bundesrechtlichen Rechtsbegriffs des Eigentums zu beurteilen und unterliegt damit der Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts (vgl. Senatsurteil BGHZ 121, 328, 333).

2. In der amtlichen Begründung zu § 7 ThürTierKBG heißt es, die Vorschrift erfülle die Anforderungen von Art. 14 Abs. 3 GG für den Fall, daß Maßnahmen nach diesem Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes im Einzelfalle eine Enteignung darstellten und eine Entschädigung hierfür nicht ausdrücklich vorgesehen sei. Diese Betrachtungsweise knüpft ersichtlich an den in der früheren Rechtsprechung des Senates bis zum Naßauskiesungsbeschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 58, 300) vertretenen weiten Enteignungsbegriff an (vgl. Senatsurteil BGHZ 121, 328, 332). Im Lichte der inzwischen gewandelten höchstrichterlichen Rechtsprechung stellt diese „salvatorische” Entschädigungsvorschrift eine Ausgleichsregelung im Rahmen der Inhaltsbestimmung des Eigentums dar, die nicht an Art. 14 Abs. 3 GG zu messen ist (vgl. dazu Senatsurteile BGHZ 121, 73, 78; 121, 328, 332; 123, 242, 244; 126, 379, 381; Urteil vom 15. Februar 1996 – III ZR 49/95 = DVBl. 1996, 671, 672 sowie Urteil III ZR 82/95 vom heutigen Tage, für BGHZ vorgesehen). Ausgleichspflichtig ist die Beeinträchtigung einer als Eigentum geschützten Rechtsposition, durch die – wenn kein Ausgleich in Geld erfolgt – der Eigentümer unverhältnismäßig oder im Verhältnis zu anderen ungleich in unzumutbarer Weise belastet wird (so zuletzt Senatsurteil vom 15. Februar 1996 a.a.O.). Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, daß ein „Eingriff” in eine eigentumsmäßig geschützte Rechtsposition der Klägerin bereits tatbestandsmäßig nicht vorgelegen hat.

3. Allerdings würde – unterstellt, die Tierkörperbeseitigung hätte zum bestandsgeschützten Kernbereich des Gewerbes der Klägerin gehört – die Stillegung der beiden Tierkörperbeseitigungsanstalten den Rahmen einer noch zulässigen Inhaltsbestimmung des Eigentums auch dann überschreiten, wenn der Klägerin insoweit ein Ausgleich zuerkannt werden könnte. Diese Kompensationsmöglichkeit gestattet es nämlich nicht, auch besonders schwerwiegende, in die Substanz des Eigentums eingreifende Belastungen noch als verfassungsrechtlich unbedenkliche Inhaltsbestimmungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG anzusehen. Eine zulässige Inhaltsbestimmung kann daher bei besonders einschneidenden, etwa existenzbedrohenden oder gar existenzvernichtenden Eingriffen in einen bestandsgeschützten Gewerbebetrieb zu verneinen sein (Senatsurteil BGHZ 121, 328, 337 f). Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin bereits in der Klageschrift vorgetragen, ihr werde durch die Stillegung der Tierkörperbeseitigungsanstalten die wirtschaftliche Grundlage völlig entzogen. Auch bei der Berechnung ihres Entschädigungsanspruchs hatte sie geltend gemacht, die Tierkörperbeseitigungsanstalt S. sei komplett stillgelegt worden, und der Betrieb der Tierkörperbeseitigungsanstalt E. habe nur in dem Restbereich der Herstellung von Flüssigfutter weitergeführt werden können.

4. Indessen stellte nach den gesetzlichen Regelungen, die für die Tätigkeit der Klägerin maßgebend waren, die Möglichkeit, die Tierkörperbeseitigung durchzuführen, keine Rechtsposition dar, die von der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG erfaßt und damit vor einem entschädigungslosen Entzug durch die kraft Gesetzes oder aufgrund eines Gesetzes vorgenommene Neugliederung der Tierkörperbeseitigungsanstalten im Lande Thüringen geschützt war.

a) Insbesondere fehlte es an einem schutzwürdigen Vertrauen der Klägerin, die Tierkörperbeseitigung auch in Zukunft durchführen zu können. Die Funktion der Eigentumsgarantie besteht gerade darin, dem Bürger Rechtssicherheit hinsichtlich der durch Art. 14 GG geschützten Güter zu gewährleisten und das Vertrauen auf das durch die verfassungsmäßigen Gesetze ausgeformte Eigentum zu schützen. Insoweit hat der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes für die Vermögenswerten Güter im Eigentumsgrundrecht eine eigene Ausprägung und verfassungsrechtliche Ordnung erfahren (Senatsurteil BGHZ 78, 41, 45 m.w.N.).

b) Bis zur Umwandlung in eine GmbH wurden die Tierkörperbeseitigungsanstalten als volkseigener Betrieb geführt. Als solcher unterfielen sie von vornherein nicht der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland und dem Schutzbereich des Art. 14 GG. Die Umwandlung selbst wurde am 28. September 1990, also noch vor Inkrafttreten des Einigungsvertrages, durch Eintragung in das Handelsregister auf der Grundlage der §§ 11, 13 des Treuhandgesetzes vom 17. Juni 1990 (GBl.-DDR I S. 300) bewirkt. In der Folgezeit, in der die Klägerin als juristische Person des Privatrechts auf privatrechtlicher Grundlage die Tierkörperbeseitigung weiter durchführte, konnte ein eigentumsmäßig geschütztes Vertrauen darauf, daß dies auch in Zukunft so sein werde, nicht begründet werden. Mit der Einführung der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland in den neuen Bundesländern mußte auch das Recht der Tierkörperbeseitigung entsprechend angepaßt werden. Dem trug die im Einigungsvertrag enthaltene Regelung Rechnung, daß für eine Übergangszeit bestimmte Modifikationen in der Anwendung der Tierkörperbeseitigungsanstalten-Verordnung vom 1. September 1976 (BGBl. I S. 2587) zugelassen wurden (EinigV Anl. I B Kap. VI Sachgebiet A Abschn. III Nr. 13 [BGBl. II 1990 S. 1014/1015]). Daher war auch für das Gebiet des Landes Thüringen zu erwarten, daß die Tierkörperbeseitigung als öffentliche Daseinsvorsorge in den dafür gegebenen Handlungsformen, nämlich durch eine begrenzte Zahl von Tierkörperbeseitigungsanstalten als beliehene Unternehmer (vgl. dazu Senatsbeschluß vom 22. November 1994 – III ZR 66/94 = BGHR TierKBG § 4 Abs. 2 Beleihung 1 m.w.N.), durchgeführt werde. Ein Individualanspruch der Klägerin, mit diesen Aufgaben betraut zu werden, bestand nicht (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 3 TierKBG). Der Gewerbebetrieb der Klägerin stand daher von vornherein unter dem Vorbehalt, daß er einer Anpassung der Tierkörperbeseitigung an die in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Organisationsformen zum Opfer fallen werde.

c) Auch während der kurzen Übergangszeit zwischen der Umwandlung der Klägerin in eine GmbH (28. September 1990) und dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages (3. Oktober 1990) konnte ein eigentumsrechtlicher Bestandsschutz des Gewerbebetriebes der Klägerin aufgrund des Art. 2 der Verfassungsgrundsätze der DDR vom 17. Juni 1990 (GBl.-DDR I S. 299) nicht geschaffen werden. Die der Eintragung in das Handelsregister folgende notarielle Beurkundung der Gründung (§ 19 TreuhG i.V.m. § 2 Abs. 1 GmbHG) fand erst nach Inkrafttreten des Einigungsvertrages statt. Schon der Gründungsvorgang der Klägerin als juristischer Person des Privatrechts reicht mithin in die Zeit hinein, in der nach den vorstehenden Ausführungen der Fortbestand des Tierkörperbeseitigungsgewerbes ungesichert war. Diese Ungewißheit bestand darüber hinaus nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts aber auch schon im Zeitpunkt der Eintragung der Klägerin in das Handelsregister; denn der Klägerin war von Anfang an bekannt, daß ihr die Aufgabe der Tierkörperbeseitigung allenfalls noch für eine Übergangszeit zufallen werde. Die bevorstehende Neuregelung des Tierkörperbeseitigungswesens ergab sich zudem auch aus dem Einigungsvertrag selbst, der von den beteiligten Regierungen am 31. August 1990 unterzeichnet und vom Deutschen Bundestag und der Volkskammer am 20. September 1990 gebilligt worden war und dessen Inkrafttreten zum Zeitpunkt der Umwandlung unmittelbar bevorstand.

5. Dieses Ergebnis entspricht der übereinstimmenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichtshofs zu den rechtlichen Auswirkungen, die die Übernahme bisher privatrechtlich erbrachter Daseinsvorsorgeleistungen durch öffentlich-rechtliche Körperschaften auf die betroffenen privaten Gewerbebetriebe hat: Die Übertragung der Abfallbeseitigung auf öffentlich-rechtliche Körperschaften gemäß § 3 Abs. 2 AbfG hat gegenüber privatrechtlichen Müllabfuhrunternehmen nicht schon deshalb einen enteignenden Eingriff zur Folge, weil diese hierdurch einen Teil ihres bisherigen Kundenstamms verlieren (BVerwG NJW 1982, 63). In demselben Sinn hat der Senat entschieden, daß die Einführung einer gemeindlichen Müllabfuhr mit Benutzungszwang grundsätzlich kein enteignender Eingriff ist, auch nicht gegenüber einem Gewerbebetrieb, der sich bisher mit der Müllabfuhr befaßte; es sei denn, daß der private Unternehmer aufgrund von Zusicherungen oder eines Auftrags der Gemeinde auf eine unbeschränkte Fortdauer oder jedenfalls lang andauernde Ausübung seines Gewerbebetriebes vertrauen konnte und durfte (Senatsurteil BGHZ 40, 355). Auch in dem Senatsurteil vom 29. Mai 1967 (III ZR 72/66 = LM GG Art. 14 [Cf] Nr. 35), das zum Tierkörperbeseitigungsgesetz von 1939 ergangen ist und in dem einem Abdeckereibesitzer wegen der Stillegung seines schon lange vor dem Inkrafttreten jenes Gesetzes bestehenden Betriebes eine Entschädigung zuerkannt worden ist, hat der Senat den Entschädigungszeitraum auf eine Übergangszeit von etwa 2 Jahren begrenzt und damit der Sache nach den Vertrauensschutz auf einen angemessenen Umfang eingeschränkt. Die eigentumsmäßig geschützte Rechtsposition des Unternehmers beruhte in jenem Falle auf einem Abkommen mit der öffentlichen Hand, das ihn nach den bindenden tatrichterlichen Feststellungen berechtigte, die Tierkörperbeseitigung mit Ausschließlichkeit für den Landkreis zu betreiben, und ihm eine Privatentnahme in bestimmter Höhe garantierte. Ein solcher Sachverhalt ist hier nicht gegeben.

 

Unterschriften

Rinne, Richter am BGH Dr. Engelhardt hat Urlaub und kann deshalb nicht unterschreiben. Rinne, Werp, Wurm, Dörr

 

Fundstellen

Haufe-Index 1683275

BGHZ

BGHZ, 265

NJW 1997, 391

BGHR

NVwZ 1997, 414

Nachschlagewerk BGH

DÖV 1997, 127

MDR 1997, 47

DVBl. 1997, 123

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