Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgangener Gewinn. Abstrakte Schadensberechnung. Gewinn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge
Leitsatz (amtlich)
Zur Darlegung des entgangenen Gewinns im Rahmen der abstrakten Schadensberechnung nach § 252 S. 2 BGB.
Normenkette
BGB § 252 S. 2
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 18.11.2003; Aktenzeichen 24 U 108/03) |
LG Darmstadt (Entscheidung vom 26.03.2003) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 24. Zivilsenats in Darmstadt des OLG Frankfurt v. 18.11.2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Beklagte war Konkursverwalter des Bauunternehmens D. Im Zuge des Konkursverfahrens ließ er am 21.3.1998 Geräte und Baumaschinen der Gemeinschuldnerin versteigern. Die Klägerin, die mit neuen und gebrauchten Ausrüstungsgegenständen für das Baugewerbe handelt, erhielt den Zuschlag u.a. für verschiedene näher bezeichnete Gerüstbau- und Schalungsmaterialien sowie eine Funkfernsteuerung für Baukräne. Für diese und einige weitere von ihr ersteigerte Sachen zahlte die Klägerin insgesamt 11.981,85 DM einschließlich Mehrwertsteuer und Versteigerungsentgelt. Die Gerüstbau- und Schalungsmaterialien sowie die Funkfernsteuerung wurden der Klägerin nicht übergeben, sondern anderweitig verkauft und übereignet.
In dem vorliegenden Rechtsstreit nimmt die Klägerin den Beklagten deswegen auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung des durch den Zuschlag in der Versteigerung zu Stande gekommenen Kaufvertrages in Anspruch. Sie begehrt Ersatz des ihr angeblich entgangenen Veräußerungserlöses i.H.v. 72.205 DM = 36.917,83 EUR nebst Zinsen. Das LG hat der Klage nur i.H.v. 6.126,22 EUR (= 11.981,85 DM) nebst Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Der Beklagte hat sein Rechtsmittel zurückgenommen. Die Berufung der Klägerin hat das OLG zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom erk. Senat zugelassene Revision der Klägerin, mit der sie ihre Klageforderung weiterverfolgt, soweit ihr das LG diese nicht zugesprochen hat.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Über das Rechtsmittel ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden, da der Beklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung in der mündlichen Revisionsverhandlung nicht anwaltlich vertreten war. Inhaltlich beruht das Urteil indessen nicht auf einer Säumnisfolge, sondern auf einer umfassenden Würdigung des Sach- und Streitstands (BGHZ 37, 79 [81 f.]).
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Zwar sei der Grund der Haftung des Beklagten nicht mehr im Streit. Nach wie vor aber habe die Klägerin einen ihr über den vom LG zugesprochenen Betrag hinausgehenden Schadensersatzanspruch nicht genügend dargelegt. Es fehlten konkrete Angaben darüber, welches der fehlenden Teile sie zu welchem konkreten Preis an welchen Aufkäufer hätte veräußern können. Die allgemein gehaltene Behauptung, die fehlenden Teile seien zu 50 % ihres Neupreises veräußerbar gewesen, reiche auch mit Blick auf § 252 S. 2 BGB nicht aus. Ein gewöhnlicher Verlauf der Dinge und besondere Umstände im Sinne dieser Vorschrift, die einen entgangenen Gewinn in der geltend gemachten Höhe begründen könnten, seien im Hinblick auf die Vielzahl unterschiedlicher Gegenstände unterschiedlicher Beschaffenheit, um die es gehe, nicht genügend dargetan. Angesichts dessen komme die Einholung eines Sachverständigengutachtens ebenso wenig in Betracht wie die Vernehmung des von der Klägerin benannten Zeugen.
II.
Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen und des revisionsrechtlich als richtig zu unterstellenden Vorbringens der Klägerin hat das Berufungsgericht den von der Klägerin gegen den Beklagten geltend gemachten Schadensersatzanspruch aus § 325 Abs. 1 BGB (gem. Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB in der bis zum 1.1.2002 geltenden Fassung; im Folgenden a.F.) wegen Nichterfüllung des durch den Zuschlag in der Versteigerung zu Stande gekommenen Kaufvertrages (§ 433 BGB a.F.) über bestimmte Gerüstbau- und Schalungsmaterialien sowie eine Funkfernsteuerung für Baukräne in der noch streitigen Höhe von 30.791,61 EUR zu Unrecht verneint.
1. Mit Erfolg wendet sich die Revision gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe den in der Berufungsinstanz dem Grunde nach nicht mehr streitigen Anspruch hinsichtlich der über den vom LG zugesprochenen Betrag hinausgehenden Höhe nicht hinreichend dargelegt.
a) Wie auch das Berufungsgericht nicht verkannt hat, begehrt die Klägerin nach § 252 S. 1 BGB Schadensersatz in Form des entgangenen Gewinns bei einem Weiterverkauf der ersteigerten Gegenstände. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht insoweit jedoch konkrete Angaben der Klägerin darüber vermisst, welches der fehlenden Teile sie zu welchem konkreten Preis an welchen Aufkäufer hätte veräußern können. Dieser Angaben bedurfte es hier entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts gem. § 252 S. 2 BGB nicht.
Nach dieser Vorschrift gilt als entgangen der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Danach bietet die Vorschrift dem Geschädigten zwei Möglichkeiten der Schadensberechnung, nämlich zum einen die abstrakte Methode, die von dem regelmäßigen Verlauf im Handelsverkehr ausgeht, dass der Kaufmann gewisse Geschäfte im Rahmen seines Gewerbes tätigt und daraus Gewinn erzielt, und zum anderen die konkrete Methode, bei der der Geschädigte nachweist, dass er durch die schädigende Handlung an der Durchführung bestimmter Geschäfte gehindert worden ist und dass ihm wegen der Nichtdurchführbarkeit dieser Geschäfte Gewinn entgangen ist (BGH, Urt. v. 30.5.2001 - VIII ZR 70/00, MDR 2001, 1249 = BGHReport 2001, 718 = WM 2001, 2010 unter II 1a, m.w.N.). Im Fall der abstrakten Schadensberechnung ist die volle Gewissheit, dass der Gewinn gezogen worden wäre, nicht erforderlich; vielmehr genügt der Nachweis einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Ist ersichtlich, dass der Gewinn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte, wird vermutet, dass er erzielt worden wäre; dem Ersatzpflichtigen obliegt dann der Beweis, dass er nach dem späteren Verlauf oder aus irgendwelchen anderen Gründen dennoch nicht erzielt worden wäre (BGH, Urt. v. 30.5.2001 - VIII ZR 70/00, MDR 2001, 1249 = BGHReport 2001, 718 = WM 2001, 2010 unter II 1a, m.w.N.). Ist der Geschädigte Kaufmann, so entspricht es dem gewöhnlichen Lauf der Dinge, dass er marktgängige Waren jederzeit zum Marktpreis absetzen kann (BGH v. 29.6.1994 - VIII ZR 317/93, BGHZ 126, 305 [308] = MDR 1994, 1085, m.w.N.).
Hier hat die Klägerin die abstrakte Schadensberechnung gewählt, indem sie dieser zu Grunde gelegt hat, dass sie die gekauften Gegenstände im Rahmen ihres Geschäftsbetriebes zu 50 % des Neuwertes hätte weiterveräußern können. Daher waren die vom Berufungsgericht vermissten konkreten Angaben zu bestimmten verhinderten Geschäften, die lediglich im Rahmen einer konkreten Schadensberechnung erforderlich gewesen wären, entbehrlich.
b) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht weiter angenommen, dass die Behauptung der Klägerin, sie hätte die fehlenden Teile zu 50 % ihres Neupreises weiterveräußern können, auch unter Berücksichtigung von § 252 S. 2 BGB unzureichend sei.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist diese Behauptung der Klägerin nicht allgemein gehalten. Vielmehr hat die Klägerin, die gewerbsmäßig mit gebrauchten Baumaschinen, Baugeräten und sonstigem Zubehör für das Baugewerbe handelt, in den Vorinstanzen im Einzelnen vorgetragen, dass sie im Rahmen ihres Geschäftsbetriebs die Verkaufspreise der für das Baugewerbe bestimmten Waren mit 50 % des Neupreises kalkuliere. Diese Kalkulation sei branchenüblich und die damit errechneten Verkaufspreise auch erzielbar. Die von ihr erworbenen Teile des Deckenschalsystems dienten der Ergänzung und Komplettierung vorhandener Systeme, wodurch deren Wert gesteigert würde. Die Teile des Gerüstsystems würden seit Jahren unverändert hergestellt. Die verschiedenen Zubehörteile des Schalsystems seien besonders gefragt, weil sie auf den Baustellen häufig verloren gingen. Diesen detaillierten Vortrag hat die Klägerin unter Sachverständigen- und Zeugenbeweis gestellt. Darüber hinaus hat sie verschiedene Rechnungen vorgelegt, in denen sie für die verkauften Schalungs- und Gerüstbauteile jeweils 50 % des Neupreises berechnet.
Soweit das Berufungsgericht demgegenüber auf die "Vielzahl unterschiedlicher Gegenstände unterschiedlicher Beschaffenheit" verweist, hat es verkannt, dass es nach dem unter Sachverständigenbeweis gestellten Vortrag der Klägerin gerade dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge i.S.d. § 252 S. 2 BGB entspricht, dass bei dem von ihr betriebenen Handel mit gebrauchten Gegenständen des Baugewerbes der Wiederverkaufspreis unabhängig von der Eigenart des jeweiligen Gegenstandes mit 50 % des Neupreises kalkuliert wird.
c) Ist der Vortrag der Klägerin nach alledem entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hinreichend substantiiert, ist mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts in der Revisionsinstanz von der Richtigkeit dieses Vortrags auszugehen. Danach erweist sich der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzanspruch auch der noch streitigen Höhe nach als berechtigt.
2. Darüber hinaus beanstandet die Revision zu Recht, dass das Berufungsgericht nicht wenigstens gem. § 287 ZPO einen Mindestschaden geschätzt hat. Steht - wie hier - eine Schadensersatzforderung dem Grunde nach fest und ist nur ihre Höhe nicht sicher zu ermitteln, so darf das Gericht die Klage nicht einfach abweisen, sondern muss prüfen, in welchem Umfang der Sachverhalt eine hinreichende Grundlage für die Schätzung eines in jedem Fall gegebenen Mindestschadens bietet (BGH, Urt. v. 30.5.2001 - VIII ZR 70/00, MDR 2001, 1249 = BGHReport 2001, 718 = WM 2001, 2010 unter II 3, m.w.N.). Das hat das Berufungsgericht hier versäumt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das LG der Klägerin als Mindestschaden den von ihr gezahlten Kaufpreis von 6.126,22 EUR (= 11.981,85 DM) zugesprochen hat. Hierbei handelt es sich nicht um den von der Klägerin begehrten entgangenen Gewinn.
III.
Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif, da es noch tatsächlicher Feststellungen bedarf. Daher ist das Berufungsurteil aufzuheben, und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
Fundstellen