Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung eines Teilungsabkommens zwischen Sozialversicherungsträger und Haftpflichtversicherer:
- Der Sozialversicherungsträger erhält die abkommensmäßige Quote nur einmal, wenn mehrere an einem Unfall Beteiligte bei dem gleichen Haftpflichtversicherer versichert sind.
- Zum zeitlichen Umfang eines vereinbarten Stillhalteabkommens (Ergänzung zu BGH LM BGB § 202 Nr. 12 = VersR 1970, 837).
Normenkette
Teilungsabkommen; BGB § 202; RVO § 1542
Verfahrensgang
OLG Hamburg (Urteil vom 22.02.1972) |
LG Hamburg |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg vom 22. Februar 1972 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Zwischen den Parteien besteht ein Teilungsabkommen. Hiernach ersetzt der Beklagte der Klägerin ohne Prüfung der Haftpflichtfrage bei Gefährdungshaftung 60 %, bei Verschuldenshaftung und in den Fällen, in denen der Verletzte beim Betrieb eines Kfz verunglückt ist, 50 % ihrer tatsächlich aufgewendeten Sozialversicherungsleistungen im Rahmen des bestehenden Haftpflichtversicherungsvertrages. Von wesentlicher Bedeutung ist § 4 Abs. 1 des Teilungsabkommens; er lautet:
„Von der Schadenteilung sind diejenigen Regreßansprüche ausgeschlossen, in denen im Einzelfall die gesamten Leistungen der BG DM 15.000,– übersteigen, jedoch mit der Maßgabe, daß bei Überschreitung dieses Grenzbetrages bis zum Betrage von DM 15.000,– stets abkommensgemäß verfahren und nur über den darüber hinausgehenden Betrag der Sach- und Rechtslage entsprechend abgerechnet wird.”
Am 3. Mai 1962 ereignete sich auf der Bundesautobahn Frankfurt/M. – Mannheim ein Verkehrsunfall. Der Kraftfahrer B. fuhr mit einem Lastzug der Speditionsfirma Welzel auf einen Lastzug der Firma Gebr. S. auf. Durch den von B. verschuldeten Auffahrunfall wurde sein Beifahrer W. getötet. Auch B. verstarb noch am gleichen Tage an den erlittenen Verletzungen. Beide Lastzüge waren bei dem Beklagten haftpflichtversichert. Mitversicherte Personen waren die beteiligten Fahrer.
Die Schadensersatzansprüche, die den Hinterbliebenen des Beifahrers W., der Witwe und seinen drei Kindern, wegen entgangenen Unterhalts zustehen, sind gemäß § 1542 RVO auf die Klägerin und die LVA übergegangen. Bis zum 28. September 1963 hatten die Leistungen der Klägerin an die Hinterbliebenen bereits den Gesamtbetrag von 15.000,– DM überschritten. Der Beklagte zahlte der Klägerin, die ihre Ansprüche zur Police der Firma S. angemeldet hatte, 1.090,– DM und am 14. November 1963 weitere 3.210,– DM. Damit sollten 50 % der bis zur Erreichung der Abkommensgrenze auf die Klägerin übergegangenen Schadensersatzansprüche reguliert sein. Der Beklagte erklärte in seinem Begleitschreiben, daß er mit der letzten Zahlung die Angelegenheit als erledigt betrachte. Auch bei der Klägerin wurde die Regreßakte als erledigt weggelegt.
Im Februar 1968 wurde bei der Klägerin entdeckt, daß die Angelegenheit „fehlerhaft” bearbeitet worden sei. Sie stellte nunmehr weitere Ansprüche an den Beklagten, die dieser ablehnte. Mit der Klage begehrt die Klägerin vom Beklagten die Zahlung von 30.485,45 DM. Das ist der Gesamtbetrag, den die Klägerin für Unterhaltsleistungen an die Hinterbliebenen des Beifahrers W. vom 29. Dezember 1963 bis zum 31. Dezember 1969 errechnet hat. Ihre Klageforderung begründet sie damit, daß sie auch nach der Police We. den ihr zustehenden Anteil geltend machen könne. Außerdem habe der Beklagte ihre restlichen Aufwendungen nach der tatsächlichen Sach- und Rechtslage (Verschulden des Fahrers B.) zu ersetzen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
I. Der Beklagte hat das „Schadenereignis” vom 3. Mai 1962 „abkommensgemäß reguliert”, soweit die Klägerin Sozialversicherungsleistungen auf Grund der Police S. geltend gemacht hat; er hat die der Klägerin auf Grund des Teilungsabkommens zustehenden Ansprüche erfüllt. Die Klägerin hat daneben keinen Anspruch mehr darauf, von dem Beklagten noch einmal eine abkommensgemäße Regulierung, und zwar aus der Police We., zu erhalten. Diese von der Klägerin erstrebte Möglichkeit hat das Berufungsgericht zu Recht abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Es sei anzunehmen, daß bei Bemessung der ausgehandelten Schadensquote bereits Regreßfälle, in denen mehrere Schädiger vorhanden und bei demselben Haftpflichtversicherer versichert seien, berücksichtigt worden seien. Das Begehren der Klägerin sei auch aus einem weiteren Grunde nicht gerechtfertigt. Wenn nämlich einer der mehreren Schädiger nach den gesetzlichen Haftpflichtbestimmungen den Schaden voll zu ersetzen habe, so werde die Entschädigungsleistung seines Haftpflichtversicherers an den Geschädigten nicht deshalb höher, weil dieser noch für einen zweiten, ebenfalls bei ihm versicherten Schädiger einzutreten habe. Es könne aber nicht der Sinn eines Teilungsabkommens sein, daß in solchen Fällen der Haftpflichtversicherer die doppelte Leistung zu erbringen habe.
Es mag dahingestellt bleiben, ob diese Begründung des Berufungsgerichts voll überzeugt. Jedenfalls ist der getroffenen Entscheidung im Ergebnis zuzustimmen. Ohne Teilungsabkommen würden weder Halter noch Fahrer des Lastzuges der Firma Gebrüder S. – auch nicht ihr Haftpflichtversicherer – der Klägerin haften, weil der Schaden für sie auf einem unabwendbaren Ereignis beruht, auf dem allein von B. verschuldeten Auffahrunfall. Das Teilungsabkommen sieht jedoch eine abkommensgemäße Regulierung ohne Prüfung der Haftpflichtfrage vor und läßt als Voraussetzung dafür allein eine ursächliche Beteiligung genügen. Das hat zur Folge, daß die Klägerin auf Grund des Teilungsabkommens gegen die Beklagte Ansprüche allein daraus herleiten kann, daß Halter und Fahrer der Police S. an dem Unfall beteiligt waren. Daneben kann sie Ansprüche gegen die wirklichen Schädiger der Police We. haben. Sind nun die mehreren beteiligten Schädiger (Schädiger oder sonst an dem Unfall Beteiligte) zufällig alle bei demselben Haftpflichtversicherer versichert, mit dem das Teilungsabkommen besteht, so muß sich die Klägerin nach übereinstimmender Ansicht im Schrifttum (Lahr, Schadensteilungsabkommen zwischen Allgemeinen Ortskrankenkassen und Haftpflichtversicherungsgesellschaften, herausgegeben vom Verband der Ortskrankenkassen in Lahr, 1953, S. 33; Seitz, die Ersatzansprüche der Sozialversicherungsträger nach §§ 640, 1542 RVO, 2. Aufl., S. 186; Wussow, Teilungsabkommen, 3. Aufl., S. 101) mit der einmaligen Zahlung der Schadensquote zufriedengeben. Die Klägerin kann sich nicht auf den Standpunkt stellen, daß mehrere Versicherungsverhältnisse des Haftpflichtversicherers durch den Schadenfall berührt worden seien und der Haftpflichtversicherer infolgedessen die vereinbarte Quote mehrmals zahlen müsse. Das folgt aus einer sinnentsprechenden Auslegung des Teilungsabkommens.
Auf Grund dieses Abkommens soll das Schadenereignis als solches, nicht aber sollen die verschiedenen Versicherungsverhältnisse, die mit den an diesem Ereignis Beteiligten bestehen, reguliert werden. Der Beklagte ist deshalb für einen Schadenfall nur zu einer einmaligen Zahlung der Quote verpflichtet, gleichviel wieviel Versicherungsnehmer an dem einzelnen Schadenfall beteiligt sind. Diese Beschränkung ist im Teilungsabkommen zwar nicht ausdrücklich bestimmt, ist aber seiner Regelung zu entnehmen. So schließt z.B. § 5 Abs. 1 des Teilungsabkommens jeden weiteren Ersatzanspruch der BG gegen einen evtl. an dem Schadenfall beteiligten Dritten aus, soweit eine solche Forderung der BG zu weiteren Ansprüchen auf Grund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen gegen den Beklagten oder seine Versicherungsnehmer bzw. Versicherten führen würde. Was danach aber für jeden Ersatzanspruch der Klägerin gilt, der letzthin dem Beklagten zur Last fällt, muß um so mehr gelten, wenn der Beklagte unmittelbar wegen eines Schadenfalles mehrmals in Anspruch genommen werden soll.
II. Neben dem Anspruch auf quotenmäßige Befriedigung nach dem Teilungsabkommen aus der Police We., für den es aus den unter I behandelten Gründen keinen Rechtsgrund gibt, verlangt die Klägerin noch ihre restlichen Aufwendungen auf Grund einer der Sach- und Rechtslage entsprechenden Abrechnung erstattet.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist übereinstimmend mit dem Berufungsgericht anzunehmen, daß die Beklagte auch für diesen Anspruch passiv legitimiert ist. Zwar können Schadensersatzansprüche, die aus einem Unfall im Mai 1962 herrühren, weder von dem Verletzten noch von seinem Rechtsnachfolger (SVTr gemäß § 1542 RVO) unmittelbar beim Haftpflichtversicherer, sondern stets nur beim Schädiger selbst geltend gemacht werden. Der Versicherer ist dafür erst seit Einführung der „action directe” durch das Pflichtversicherungsgesetz vom 5. April 1965 legitimiert. Das Gesetz ist am 1. Oktober 1965 in Kraft getreten und gilt nicht rückwirkend für frühere Versicherungsfälle.
Die Passivlegitimation des Beklagten ergibt sich aber auch insoweit aus dem abgeschlossenen Teilungsabkommen. Teilungsabkommen sind Rahmenvergleiche, durch die sich der Haftpflichtversicherer verpflichtet, in etwa anfallenden Schadenfällen die Aufwendungen der Sozialversicherungsträger durch Zahlung der in dem Abkommen vorgesehenen Quote zu begleichen. Ihr Sinn und Zweck geht dahin, die Aufwendungen an Arbeit und Kosten einzusparen, die bei einer Bearbeitung der Fälle nach der Rechtslage entstehen würden. Zugleich soll das Risiko, das eine gerichtliche Klärung zweifelhafter Rechtsansprüche für beide Teile mit sich bringt, vermieden werden. Der Schaden des Sozialversicherungsträgers soll dabei unter Ausschaltlang des Haftpflichtschuldners (Haftpflichtversicherten) unmittelbar zwischen den Vertragsschließenden abgewickelt werden. Der dadurch begründete, aus dem Abkommen erwachsene Anspruch richtet sich unmittelbar gegen den hieran beteiligten Haftpflichtversicherer.
Nicht anders ist es, wenn es sich, wie im vorliegenden Fall, um die Geltendmachung von Ansprüchen handelt, die über den Abkommensbereich des eigentlichen Teilungsabkommens, über 15.000,– DM, hinausgehen und nach der tatsächlichen Sach- und Rechtslage (§ 4 TA) abgerechnet werden sollen. Auch sie sind, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, nach dem Sinn und Zweck des Teilungsabkommens in das Abkommen einbezogen worden, um den Vertragsparteien die Möglichkeit zu bieten, sich auch über diese Ansprüche gütlich zu einigen.
Zutreffend hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, daß diese Ansprüche in dem hier zu entscheidenden Fall verjährt sind. Zwar verjährt der Anspruch auf quotenmäßige Regulierung des Schadens nach dem Teilungsabkommen gemäß § 195 BGB erst nach 30 Jahren (BGH VersR 1963, 1066/67). Denn hierbei handelt es sich um einen durch das Abkommen selbst begründeten, vertraglichen Anspruch. Das Teilungsabkommen hat jedoch keine neuen Ansprüche geschaffen, soweit es sich um Ansprüche handelt, die über die abkommensgemäße Quote hinausgehen und nach der wirklichen Sach- und Rechtslage abzurechnen sind. Die Rechtsnatur dieser Ansprüche bleibt einschließlich der für sie geltenden Verjährungsregelung in vollem Umfange bis zur schließlichen Befriedigung erhalten.
Wie die Revision mit Recht bemerkt hat, ist es allerdings Sinn und Zweck eines Teilungsabkommens, die Schadenfälle rasch und kostensparend zu erledigen. Ob Ansprüche bestehen, die die Haftungsgrenze überschreiten, läßt sich oft erst nach geraumer Zeit beurteilen. Das Teilungsabkommen würde einen großen Teil seiner Bedeutung verlieren, wenn der Sozialversicherungsträger diese Ansprüche alsbald vorsorglich geltend machen müßte, um einer drohenden Verjährung vorzubeugen. Diesen Nachteilen können aber bei zweckentsprechender Auslegung des Teilungsabkommens Grenzen gesetzt werden, indem man die von der Klägerin zugunsten des Schädigers eingegangene Stillhalteverpflichtung (pactum de non petendo) erst dann enden läßt, wenn die Leistungen der Klägerin den abkommensmäßigen Höchstbetrag – hier 15.000,– DM – erreicht haben. Bis zu diesem Zeitpunkt ist dann die Verjährung der die Abkommensgrenze übersteigenden Ansprüche der Klägerin nach § 202 Abs. 1 BGB gehemmt.
Trotz der danach zu berücksichtigenden Hemmung der Verjährung waren die geltend gemachten Ansprüche im vorliegenden Falle gemäß § 14 StVG, § 852 BGB bereits Ende 1966 bzw. schon Ende 1965 verjährt, da die Sozialversicherungsleistungen der Klägerin schon Ende des Jahres 1963 die Abkommensgrenze von 15.000,– DM erreicht hatten.
III. Nach alledem erweist sich die Revision der Klägerin als unbegründet; sie ist daher zurückzuweisen.
Unterschriften
Johannsen, Dr. Pfretzschner, Dr. Reinhardt, Dr. Bukow, Knüfer
Fundstellen
Haufe-Index 1745809 |
NJW 1974, 698 |
Nachschlagewerk BGH |