Leitsatz (amtlich)
Ist in einem Vergleich vereinbart, daß eine Zahlung an einem bestimmten Termin zu leisten ist, widrigenfalls ein teilweiser Forderungserlaß in Wegfall kommt, dann liegt in der Geltendmachung der ganzen Forderung durch den Gläubiger auch bei nur geringfügigem Überschreiten des Zahlungstermins in der Regel noch keine treuwidrige Wahrnehmung einer formalen Rechtsposition im Übermaß.
Normenkette
BGB §§ 779, 242
Verfahrensgang
OLG Köln (Teilurteil vom 29.11.1978) |
LG Köln |
Tenor
Die Revision gegen das Teilurteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 29. November 1978 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin hatte dem früheren Mitbeklagten Tiefbauingenieur Werner Kr. (Hauptschuldner) einen Kredit gewährt. Ihre Forderung gegen den Hauptschuldner belief sich bei Fälligkeit der Kreditsumme auf 377.781,89 DM. Insoweit ist zugunsten der Klägerin in diesem Rechtsstreit ein Anerkenntnisurteil gegen den Hauptschuldner ergangen.
Der Kredit war u.a. abgesichert durch eine selbstschuldnerische Bürgschaft, die die Beklagte, die Ehefrau des Hauptschuldners, „zur Sicherung aller gegenwärtigen und zukünftigen – auch bedingten und befristeten – Ansprüche aus bankmäßiger Geschäftsverbindung” bis zum Höchstbetrag von 200.000 DM zuzüglich Zinsen, Provisionen und Kosten am 11. Februar 1971 für den Hauptschuldner und dessen Firma gegenüber der Klägerin übernommen und nochmals am 12. Juli 1976 bestätigt hatte. Die Klägerin hat die Beklagte aus der Bürgschaft auf Zahlung von 200.000 DM nebst Zinsen in Anspruch genommen und deshalb Klage erhoben. Während das Verfahren im ersten Rechtszug anhängig war, schloß die Klägerin mit dem diesem Rechtsstreit in den Tatsacheninstanzen beigetretenen Streithelfer als Vertreter der Beklagten am 6. August 1976 ohne Einschaltung der beiderseitigen Prozeßbevollmächtigten folgende außergerichtliche Vereinbarung:
„1) Zur vollständigen Erfüllung der Bürgschaftsverpflichtung vom 11.2.1971, erneut bestätigt am 12.7.1976, in Höhe von DM 200.000,– der Frau Lilli Kr. gegenüber der K. Bank von 1867 eG V. bank in K. für alle Verbindlichkeiten des Herrn Werner Kr., K., Vor der H., die im Gesamtbetrag nach dem Zuschlag auf das Gebot der K. Bank von 1867 eG V. bank in K. von DM 1.200.000,– im Zwangsversteigerungsverfahren, Aktenzeichen des Amtsgerichts Köln: 176 K 320/75, bestehen bleiben, zahlt Frau Lilli Kr. den Betrag von DM 50.000,– bis spätestens zum 10.11.1976. Bisherige Zahlungen von Frau Lilli Kr. werden auf diese Zahlungsverpflichtung über DM 50.000,– nicht angerechnet.
Bei Zahlungsverzug über das genannte Datum hinaus lebt die Forderung der K. Bank von 1867 eG V. bank in K. aus der Bürgschaft gegen Frau Lilli Kr. in Höhe von DM 200.000,– nebst Zinsen, Provisionen und Kosten wieder auf.
2) Gegen diese Vereinbarung verzichtet Frau Lilli Kr. im anhängigen Zwangsversteigerungsverfahren über den Grundbesitz Wu. Str. …/T.str. … auf ihr Ablösungsrecht sowie auf sämtliche, eine Zuschlagserteilung für die K. Bank von 1867 eG Volksbank in Köln für das Gebot von DM 1.200.000,– entgegenstehenden Maßnahmen und Rechtsmittel, auch soweit sie mittelbar darauf Einfluß hat.
3) Sollte aus irgendeinem Grunde der Zuschlag im Zwangsversteigerungsverfahren am 9.8.1976 der K. Bank von 1867 eG V. bank in K. nicht erteilt werden, wird diese Vereinbarung auch bezüglich vor- und nebenvertraglicher Wirkungen, hinfällig.
…”
Am 17. September 1976 fragte eine Firma Lilli Kr. KG (KG) mit dem Hinweis, es sei beabsichtigt, den Vergleich „termingerecht zum 15.11.1976 zu erfüllen”, bei der Klägerin an, ob sie zur Vermeidung weiterer Kosten die anhängige Klage zurücknehmen würde. Die Klägerin antwortete darauf, sie mache gegen die anfragende KG keine Ansprüche geltend und sei mit einer Klagerücknahme einverstanden unter der Voraussetzung, daß die Beklagte die Kosten des Verfahrens übernehme. Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten teilte dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 29. Oktober 1976 mit, „ihm sei zu Ohren gekommen”, daß sich die Beklagte von der Bürgschaft durch Zahlung von 50.000 DM freikaufen könne, wenn dies bis spätestens 15. November 1976 geschehen sei.
Am 15. November 1976 bot die Beklagte der Klägerin die Bezahlung von 50.000 DM an. Die Klägerin erklärte hierzu, sie nehme diese verspätete Zahlung nur als Teilzahlung auf die Klagesumme an.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 200.000 DM nebst 12 % Zinsen seit dem 30. März 1975, abzüglich am 6. April 1977 gezahlter 50.000 DM zu verurteilen.
Das Landgericht hat die Klage wegen eines Teilbetrags von 41.481,77 DM für erledigt erklärt und im übrigen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin hiergegen zurückgewiesen.
Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. 1. Das Berufungsgericht läßt offen, ob die Einwendungen der Beklagten durchgreifen, sie habe ihre Bürgschaftserklärung wegen widerrechtlicher Drohung wirksam angefochten und die Bürgschaft sei außerdem nur auflösend bedingt abgegeben gewesen und infolge Eintritts der Bedingung erloschen; denn die Beklagte sei zu weiteren Zahlungen an die Klägerin nicht mehr verpflichtet. Zwar treffe es zu, so meint das Berufungsgericht, daß die Beklagte den nach der Vereinbarung von ihr zu zahlenden Ablösungsbetrag nicht fristgemäß gezahlt habe und deshalb die Forderung der Klägerin aus der Bürgschaft an sich wieder in voller Höhe aufgelebt wäre. Die Klägerin könne sich jedoch auf diese ihr günstige, formale Rechtsposition unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht berufen; denn die Klägerin habe nichts dafür vorgetragen, daß etwa die Wahl des 10. November 1976 als des letzten Zahlungstermins eine geschäftliche Notwendigkeit gewesen sei. Ersichtlich habe die Bestimmung eines Termins mit Verfallklausel die Beklagte nur unter einen gewissen Druck setzen sollen. Hier sei das Wahrnehmen ihrer formalen Rechtsposition durch die Klägerin „wegen Übermaßes” rechtsmißbräuchlich. Aus einer irrtümlichen Datumsangabe in verschiedenen Schreiben der Beklagten, der die Klägerin nicht widersprochen habe, folge dies allerdings noch nicht.
2. Die Revision verweist darauf, daß die Beklagte mit ihrer Zahlungsverpflichtung aus dem Vergleich in Verzug gewesen sei. Nur unter ganz besonderen Umständen müsse ein Gläubiger bei schuldloser Überschreitung einer Frist seitens des Schuldners die ihm geschuldete Leistung noch als rechtzeitig gelten lassen. Hier habe aber die Beklagte offensichtlich nicht fristgemäß zahlen können, was sie zu vertreten habe.
II. 1. a) Die außerhalb des damals bereits anhängigen Prozesses geschlossene Vereinbarung der Parteien vom 6. August 1976 war – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – ein Vergleich, durch den der Streit der Parteien über die Bürgschaft der Beklagten im Wege beiderseitigen Nachgebens beseitigt werden sollte (vgl. § 779 BGB). Danach verzichtete die Klägerin auf 150.000 DM der von ihr eingeklagten Bürgschaftsforderung unter zwei – auflösenden – Bedingungen. Die erste Bedingung war, daß ihr der Zuschlag in einem laufenden Zwangsversteigerungsverfahren aufgrund ihres dort abgegebenen Gebotes nicht verweigert würde.
Diese Bedingung ist in Wegfall gekommen, weil die Klägerin den Zuschlag nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erhalten hat. Weiter war der Verzicht der Klägerin auf Dreiviertel ihrer eingeklagten Bürgschaftsforderung davon abhängig gemacht, daß die Beklagte bis 10. November 1976 den Restbetrag von 50.000 DM bezahlte. Bei Zahlungsverzug über das genannte Datum hinaus sollte die Forderung der Klägerin in voller Höhe wieder aufleben, bei Eintritt der auflösenden Bedingung also der Teilverzicht der Klägerin auf ihre Forderung in Wegfall kommen. Diese auflösende Bedingung ist eingetreten; denn die Beklagte hat die von ihr geschuldete Leistung nicht fristgerecht zu dem Endtermin erbracht. Das hatte an sich vereinbarungsgemäß zur Folge, daß der Verzicht der Klägerin wegfiel und die volle Bürgschaftsschuld der Beklagten wieder auflebte. Die Verhinderung des Eintritts der Bedingung lag allein in der Macht der Beklagten, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts den geschuldeten Betrag zur Verfügung hatte. Wenn sie fristgerecht erfüllt hätte, wäre die Bedingung, die zu ihrem Nachteil den von der Klägerin ausgesprochenen Teilverzicht auflöste, weggefallen.
b) Die von den Parteien in der Vereinbarung vom 6. August 1976 getroffene Regelung war nichts anderes als eine Verfallklausel, wie sie häufig bei vergleichsweiser Bereinigung von Streitfällen vereinbart wird. In solchen Fällen verzichtet ein Beteiligter auf einen Teil seiner Forderung unter der Bedingung, daß der Vertragspartner seine Leistung zu einem fest bestimmten Zeitpunkt erbringt. Bei einer solchen Fallgestaltung ist es grundsätzlich verfehlt, die an den Eintritt der Bedingung geknüpften Folgen über eine Anwendung von § 242 BGB wieder aufzuheben, wenn die Verhinderung des Bedingungseintritts allein im Belieben des leistungspflichtigen Teiles liegt und der andere Partner keinen unzulässigen Einfluß auf den Eintritt der Bedingung genommen hat (§ 162 BGB). Etwas anderes mag nur dann gelten, wenn der Leistungspflichtige Umstände vorträgt, aus denen sich ergibt, daß er ohne eigenes Verschulden an der Erfüllung der ihn treffenden Leistungspflicht gehindert war. Der durch den Eintritt einer solchen Verfallklausel Begünstigte braucht auch entgegen der Meinung des Berufungsgerichts nicht ein besonderes Interesse an der pünktlichen Einhaltung der vereinbarten Zahlungsfrist darzulegen.
2. Zu Unrecht beruft sich das Berufungsgericht zur Unterstützung seiner Rechtsmeinung, hier liege auf jeden Fall eine Rechtsausübung „im Übermaß” seitens der Klägerin vor, auf die Rechtsprechung, die bestimmte schwerwiegende Rechtsfolgen bei nur geringfügigen Mietrückständen (RGZ 86, 334, 335; LG Berlin NJW 1972, 1324), bei Prämienrückständen (BGHZ 21, 122, 136) oder sonstigen geringfügigen Zahlungsrückständen (RGZ 169, 140, 143; 152, 251, 258), oder bei geringfügigen, die Stellung eines Versicherers nicht beeinflussenden Verletzungen der Obliegenheitspflicht durch den Versicherten (BGH Urteile vom 30. April 1969 – IV ZR 550/68 = NJW 1969, 1384, 1385 und vom 5. Mai 1969 – IV ZR 532/68 = NJW 1969, 1385) nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht eintreten läßt. Den erstgenannten drei Fällen von Rückständen mit einer Verpflichtung ist gemeinsam, daß jeweils nur ein geringfügiger Teil der geschuldeten Leistung nicht fristgerecht erbracht worden war. Bei sanktionslos gebliebenen Verletzungen von Obliegenheitspflichten durch den Versicherungsnehmer ist von der Rechtsprechung gefordert worden, daß diese nur geringfügig sein und die Stellung des Versicherers nicht verschlechtern dürfen. Alle diese Fälle, in denen der Eintritt einer notwendigen Rechtsfolge nach dem Übermaßverbot nach Treu und Glauben als nicht geschehen betrachtet worden ist, können nicht damit verglichen werden, daß eine Partei eines Vergleichs eine von ihr als Bedingung übernommene, termingebundene Zahlungsfrist nicht einhält; denn der Sinn solcher Regelungen ist es gerade, feste Fristen und Termine zu schaffen, durch deren Nichteinhaltung Rechtswirkungen im Sinne auflösender oder aufschiebender Bedingungen ausgelöst werden. Die vom Berufungsgericht gegebene Begründung trägt demnach das Urteil nicht.
III. Das Berufungsurteil hat im Ergebnis jedoch aus anderen Gründen Bestand.
Hier hatte die Beklagte sich – wenn auch unter der Bezeichnung der KG – am 17. September 1976 an die Klägerin gewandt, ihre grundsätzliche Absicht, den Vergleich termingerecht zu erfüllen, angezeigt und einen Vorschlag wegen der Erledigung des anhängigen Rechtsstreits gemacht. Dabei hatte sie allerdings den 15. November 1976 fälschlich als Erfüllungszeitpunkt für den Vergleich angegeben. Die Klägerin hat dieses Schreiben als von der Beklagten stammend erkannt, wie sich aus ihrer Antwort ergibt. Sie ist in ihrer Antwort jedoch nicht auf die unrichtige Zeitangabe eingegangen. Die Klägerin hat einen für sie erkennbaren Irrtum der Beklagten, der zu einer verspäteten Zahlung der Vergleichssumme führen konnte, also nicht richtiggestellt, möglicherweise, wie das Berufungsgericht in anderem Zusammenhang meint, weil sie dem Termin angesichts der geringfügigen Zeitdifferenz keine besondere Bedeutung beimaß. Damit ist, das hat das Berufungsgericht zu eng gesehen, ein Vertrauenstatbestand zugunsten der Beklagten entstanden, zumal das Schreiben ihres Prozeßbevollmächtigten vom 29. Oktober 1976 an den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, das ebenfalls die unrichtige Datumsangabe „15. November 1976” enthielt, gleichfalls unwidersprochen geblieben ist. Wenn die Klägerin bei dieser Sachlage das Angebot der Vergleichssumme am 15. November 1976 als verspätet bezeichnete und in der Folgezeit auf Bezahlung der vollen eingeklagten Bürgschaftssumme bestand, dann handelte sie wider Treu und Glauben (§ 242 BGB); denn ihr Nichteingehen auf die ihr mitgeteilte unrichtige Datumsangabe unter gleichzeitiger Beantwortung eines anderen von der Beklagten im Schreiben vom 17. September 1976 angesprochenen Punktes erzeugte hier bei dieser den Eindruck, die Klägerin werde eine Zahlung am 15. November 1976 noch als vergleichsgemäß anerkennen. Das so auch für die Klägerin erkennbare entstandene Vertrauen der Beklagten in die Zahlungsmöglichkeit am 15. November 1976 hätte die Klägerin durch einen Hinweis auf den im Vergleich festgelegten Zahlungstermin zerstören müssen. Nachdem die Klägerin dies jedoch unterlassen hatte, handelte sie wider Treu und Glauben, wenn sie trotz der geringfügigen Zeitdifferenz von fünf Tagen auf dem Wiederaufleben ihrer vollen Forderung beharrte.
IV. Da das Rechtsmittel im Ergebnis erfolglos geblieben ist, treffen die Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Unterschriften
Braxmaier, Claßen, Wolf, Merz, Dr. Brunotte
Fundstellen
Haufe-Index 1502298 |
NJW 1980, 1043 |
Nachschlagewerk BGH |