Leitsatz (amtlich)
1. Eine Umqualifizierung einer vor Eintritt der Unternehmenskrise der Gesellschaft gewährten Gesellschafterleistung in Eigenkapitalersatz findet nicht statt, wenn die Gesellschaft in angemessener Zeit nach Krisenbeginn Konkursantrag stellt.
2. Zur Länge der im Fall des „Stehenlassens” einer Gesellschafterleistung dem Gesellschafter einzuräumenden Überlegungsfrist.
3. Die Aufrechnung mit dem Anspruch auf Rückforderung einer den Kapitalersatzvorschriften unterliegenden Gesellschafterleistung ist nach GmbHG § 32a Abs 1 ausgeschlossen.
Orientierungssatz
Eine zweiwöchige Überlegungsfrist ist zumindest im Regelfall nicht zu lang bemessen.
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 27. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München mit dem Sitz in Augsburg vom 3. November 1993 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 14. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Konkursverwalter über das Vermögen der E. GmbH. Die Gemeinschuldnerin wurde am 24. September 1984 gegründet. Sie führte das bis dahin von der Beklagten, einer Kommanditgesellschaft, betriebene Bauunternehmen fort. Das gesamte Anlagevermögen einschließlich der Betriebsgrundstücke und der Baumaschinen stellte die Beklagte der GmbH auf der Grundlage von Mietverträgen, die am 1. November 1985 abgeschlossen wurden, zur Nutzung zur Verfügung. Gesellschafter der Gemeinschuldnerin sind zu gleichen Anteilen G. K. und M. E.; sie sind auch die einzigen Gesellschafter der Beklagten, und zwar G. K. als persönlich haftender Gesellschafter. Von den der Gemeinschuldnerin vermieteten Gegenständen gehören die beweglichen Anlagen und Geräte der Beklagten, das Betriebsgrundstück H.straße Frau M. E. und das Betriebsgrundstück E.straße Frau A. E.; die Beklagte hatte die beiden Grundstücke ihrerseits von den Eigentümerinnen gemietet.
Im Jahre 1987 geriet die GmbH in finanzielle Schwierigkeiten. Sie war ab August nicht mehr in der Lage, die fälligen Sozialversicherungsbeiträge und Steuern zu entrichten. Auf ihren Antrag vom 24. September 1987 wurde am 20. November 1987 über ihr Vermögen das Konkursverfahren eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt wies ein am 1. November 1985 vereinbartes, bei der GmbH eingerichtetes Verrechnungskonto gegen die Beklagte eine Forderung von 91.777,24 DM aus. Am 18. Januar 1988 kündigte der Kläger die mit der Beklagten bestehenden Mietverträge.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Begleichung des Saldos aus dem Verrechnungskonto in Anspruch. Die Beklagte hat demgegenüber mit Mietzinsforderungen für die Zeit von Oktober 1987 bis Juni 1988 in Höhe von 68.310,– DM sowie verschiedenen auf das Mietverhältnis gestützten Ersatzansprüchen in Höhe von insgesamt 28.857,76 DM aufgerechnet. Der Kläger hält diese Gegenforderungen für unbegründet, weil die Überlassung des Anlagevermögens zur Nutzung durch die GmbH bei dieser fehlendes Eigenkapital ersetzt habe.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie zunächst durch Urteil vom 10. Juli 1991 abgewiesen. Nach Aufhebung dieses Urteils durch den erkennenden Senat (BGHZ 121, 31) und Zurückverweisung hat das Berufungsgericht nunmehr unter Abweisung der weitergehenden Klage die Beklagte zur Zahlung von 85.494.14 DM nebst Zinsen verurteilt. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf volle Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Das Berufungsgericht hat – von der Revision unbeanstandet – festgestellt, die Gemeinschuldnerin sei spätestens am 10. September 1987 in eine die Anwendung der Kapitalersatzvorschriften rechtfertigende Krise geraten; da sie die Anfang September 1987 fälligen Sozialversicherungsbeiträge und die am 10. September 1987 fälligen Steuerforderungen für den Monat August nicht mehr habe begleichen können, sei sie jedenfalls im letztgenannten Zeitpunkt zahlungsunfähig gewesen. Auch unter Zubilligung einer Überlegungsfrist wäre, so hat das Berufungsgericht gemeint, die Beklagte gehalten gewesen, der Gemeinschuldnerin noch vor dem 1. Oktober 1987 den Gebrauch der Mietgegenstände zu entziehen. Da sie dies nicht getan habe, sei spätestens hierdurch die Gebrauchsüberlassung kapitalersetzend geworden; auf die im ersten Revisionsurteil erörterte Frage, ob der Kapitalersatzcharakter schon zu einem früheren Zeitpunkt – möglicherweise bereits bei Gründung der Gemeinschuldnerin und Abschluß des Mietvertrages – bestanden habe, komme es nicht an. Hierzu hat das Berufungsgericht dementsprechend keine Feststellungen getroffen.
2. Diese rechtliche Beurteilung ist unzutreffend. Die von der Rechtsprechung entwickelten Kapitalersatzregeln beruhen ebenso wie die diesbezüglichen gesetzlichen Vorschriften auf dem Gedanken, daß ein Gesellschafter, der die vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch stehende Gesellschaft anstatt durch Zuführung neuen Eigenkapitals auf andere Weise zu stützen versucht, das damit verbundene Risiko nicht auf die außenstehenden Gläubiger abwälzen darf (BGHZ 75, 334, 336 f.). Deshalb darf er der Gesellschaft die in einer solchen Situation zur Verfügung gestellten Mittel nicht entziehen, solange und soweit das Stammkapital nicht auf andere Weise gedeckt ist. Will er diese Rechtsfolge vermeiden, so muß er die aus eigener Kraft nicht mehr lebensfähige Gesellschaft beseitigen, indem er ihr seine Unterstützung versagt. Für das „Stehenlassen” von Mitteln, die der Gesellschafter der Gesellschaft zu einer Zeit zur Verfügung gestellt hat, zu der diese noch wirtschaftlich gesund war, bedeutet das: Der Gesellschafter muß, wenn er eine Einstufung der der Gesellschaft gewährten Unterstützung als Kapitalersatz vermeiden will, innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach Eintritt der Krise (BGHZ 121, 31, 35 f. m.w.N.) – vorausgesetzt, daß er wenigstens die Möglichkeit hatte, die den Eintritt der Krise begründenden Umstände bei Wahrnehmung seiner Verantwortung für eine ordnungsgemäße Finanzierung der Gesellschaft zu erkennen (Sen.Urt. v. 7. November 1994 – II ZR 270/93, ZIP 1994, 1934, 1937 ff., zum Abdruck in BGHZ bestimmt) – die hierdurch entstandene Lage, in der die Gesellschaft durch die nicht in Form von Eigenkapital gegebene Hilfe am Leben erhalten wird, beenden, indem er sie, sofern ihm dies möglich ist, in die Liquidation entläßt. Das kann dadurch geschehen, daß er der Gesellschaft die Unterstützung entzieht und diese dadurch gezwungen wird, mit oder ohne Konkurs das Unternehmen zu liquidieren. Dasselbe Ergebnis kann aber, wenn der Gesellschafter gesellschaftsrechtlich hierzu in der Lage ist, auch dadurch erreicht werden, daß er – wiederum mit oder ohne Konkursantrag – unmittelbar die Liquidation einleitet (BGHZ 121, 31, 36). Auch auf diese Weise wird es vermieden, ein aus eigener Kraft nicht mehr lebensfähiges Unternehmen unter einseitiger Verlagerung des damit verbundenen Risikos auf die Gesellschaftsgläubiger fortzuführen. Darauf allein kommt es an. Entscheidend ist deshalb nicht, daß der Gesellschafter in angemessener Frist nach Krisenbeginn der Gesellschaft die lebenserhaltend gewordene Unterstützung entzieht; dies ist nur ein Mittel zur Vermeidung jenes die Risikoverlagerung bedingenden Zustands. Entscheidend ist, daß dieser innerhalb einer angemessenen Zeitspanne beendet wird.
Das Berufungsgericht hat ausschließlich darauf abgestellt, daß die Beklagte der Gemeinschuldnerin bis zum 1. Oktober 1987 – dem Beginn des Zeitraums, für den diese aufrechnungsweise Mietzinsansprüche geltend macht – den Gebrauch der Mietgegenstände nicht entzogen habe. Daß am 24. September 1987 Konkursantrag gestellt worden ist, hat es unbeachtet gelassen. Hierin liegt ein Rechtsfehler, der zur Aufhebung des Berufungsurteils führt. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, daß der Zeitraum von zwei Wochen, der zwischen dem 10. September 1987 – dem Zeitpunkt, zu dem spätestens die Krise eintrat – und dem 24. September 1987 lag, unangemessen lang gewesen wäre. Dies war, was der Senat selbst feststellen kann, nicht der Fall. Eine zweiwöchige Überlegungsfrist ist zumindest im Regelfall jedenfalls nicht zu lang bemessen (vgl. auch § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG); besondere Umstände, die für den vorliegenden Fall eine andere Beurteilung rechtfertigten, sind nicht ersichtlich. Die Konkursantragstellung am 24. September 1987 reichte daher aus, die Umqualifizierung der Nutzungsüberlassung in Kapitalersatz, falls sie nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt eingetreten war, zu verhindern. Denn damit wurde gerade das getan, was ein Gesellschafter tun muß, um es nicht zur Fortführung der aus eigener Kraft nicht mehr lebensfähigen Gesellschaft unter einseitiger Risikoverlagerung auf die Gläubiger kommen zu lassen: Mit der Stellung des Konkursantrags wurde die Liquidation der Gesellschaft eingeleitet. Das reichte aus. Es war nicht erforderlich, daß gleichzeitig der Gemeinschuldnerin die weitere Nutzung der Mietgegenstände einschließlich des Betriebsgrundstücks untersagt und damit der Betrieb eingestellt wurde. Wie die Abwicklung des Unternehmens im einzelnen zu gestalten war, war Sache des Konkursverwalters. Insbesondere hatte dieser darüber zu entscheiden, ob der Betrieb sofort stillgelegt oder etwa zum Zweck der besseren Verwertung vorübergehend fortgeführt wurde und wann er dementsprechend von seiner Kündigungsmöglichkeit nach § 19 KO Gebrauch machte, sofern die Beklagte nicht ihrerseits das Mietverhältnis beendete. Die allgemeinen und besonderen Kündigungsrechte blieben, wenn nicht bereits früher die Umqualifizierung der Gebrauchsüberlassung zu Eigenkapitalersatz eingetreten war, bestehen. Nach Stellung des Konkursantrags konnte es zu einer solchen Umstufung und damit zu einem Wegfall der Mietzinsansprüche der Beklagten nicht mehr kommen. Die vom Berufungsgericht erwähnte Senatsentscheidung vom 14. Juni 1993 (II ZR 252/92, ZIP 1993, 1072, 1073 f.), wonach bei einer kapitalersetzenden Nutzungsüberlassung auch im Konkurs kein Nutzungsentgelt zu entrichten ist, betrifft den Fall, daß es bereits vor Einleitung des Konkursverfahrens zur Umqualifizierung gekommen ist. Das trifft im vorliegenden Fall nach dem bisher festgestellten Sachverhalt nicht zu.
3. In der Revisionsbegründung wird geltend gemacht, ein Beschluß der beiden Gesellschafter zur vorzeitigen Beendigung des Mietverhältnisses – und damit wohl auch über die Herbeiführung der Liquidation der Gemeinschuldnerin – habe nicht gefaßt werden können, weil die Gesellschafterin E. aufgrund ihres hohen Alters die Probleme nicht habe überblicken können und außerdem auf die Mieteinkünfte angewiesen gewesen sei. Dies wäre, wenn es so gewesen sein sollte, kein Grund, die gesellschaftsrechtliche Möglichkeit, die Gesellschaft zu liquidieren, als nicht gegeben anzusehen. Durch derartige Umstände wird ein Gesellschafter vor den Folgen seiner Finanzierungsentscheidung nicht bewahrt. Es geht nur darum, ihm – und nicht den Gläubigern – das Risiko aufzuerlegen, daß der Versuch, die Gesellschaft durch eine ihr in der Krise gewährte oder belassene Unterstützung zu retten, mißlingt. Diese Risikoverteilung ist von Umständen der Art, wie die Revision sie ins Feld führt, nicht abhängig.
4. Die Revision meint schließlich, der Kläger könne sich deswegen nicht auf die Kapitalersatzvorschriften berufen, weil er die für die Anfechtung nach § 32 a KO geltende Jahresfrist nach § 41 Abs. 1 KO nicht gewahrt habe. Dieser Einwand ist nicht begründet. Die Aufrechnung mit dem Anspruch auf Rückforderung einer den Kapitalersatzregeln unterliegenden Gesellschafterleistung – dazu gehören auch Mietzinsansprüche aufgrund einer eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung – ist nach § 32 a Abs. 1 GmbHG ausgeschlossen. Denn es würde dem Grundanliegen dieser Vorschrift widersprechen, wenn dem Gesellschafter gestattet würde, sich im Konkurs wegen derartiger Ansprüche dadurch Befriedigung zu verschaffen, daß er damit gegen eine der Konkursmasse zustehende Forderung aufrechnet (h.M.; vgl. Scholz/K. Schmidt, GmbHG 8. Aufl. §§ 32 a, 32 b Rdn. 55 m.w.N.). Einer Anfechtung nach § 32 a KO bedarf es insoweit nicht.
5. Es kommt danach darauf an, ob, was das Berufungsgericht bislang offengelassen hat, die Gemeinschuldnerin, falls die Überlassung der Mietgegenstände nicht nach Maßgabe der Ausführungen im ersten Revisionsurteil von vornherein Eigenkapital ersetzte, schon zu einem so frühen Zeitpunkt in die Krise geraten war, daß die Stellung des Konkursantrags am 24. September 1987 die Anwendbarkeit der Kapitalersatzregeln nicht mehr verhindern konnte. Die hierzu nötigen Feststellungen müssen nunmehr getroffen werden. Zu diesem Zweck ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der Senat hat dabei von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.
Fundstellen
Haufe-Index 647895 |
BB 1995, 377 |
NJW 1995, 658 |
ZIP 1995, 280 |
DNotZ 1995, 486 |
GmbHR 1995, 219 |
ZBB 1995, 186 |