Leitsatz (amtlich)
a) Sind im Rahmen einer vor dem 3. Oktober 1990 erfolgten urheberrechtlichen Nutzungsrechtseinräumung die Lizenzgebiete zwischen Lizenzgeber und Lizenznehmer in der Weise aufgeteilt worden, daß das fragliche Werk von dem einen in der DDR und von dem anderen in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich West-Berlin verbreitet werden durfte, verbleibt es auch nach der Wiedervereinigung bei den gespaltenen Lizenzgebieten. Eine räumliche Erstreckung des jeweiligen Nutzungsrechts auf den anderen Teil Deutschlands findet nicht statt.
b) Bringt der in dieser Weise beschränkt Nutzungsberechtigte ein Werkstück innerhalb seines Lizenzgebietes in Verkehr, kann der für den anderen Teil Deutschlands Berechtigte die Weiterverbreitung in seinem Lizenzgebiet nicht mit Hilfe des ihm zustehenden Verbreitungsrechts unterbinden.
Normenkette
EinigVtg Anl. I Kap. III Sachgeb. E Abschn. II Nr. 2; UrhG § 17
Verfahrensgang
KG Berlin (Urteil vom 05.11.1999) |
LG Berlin |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen das Urteil des 5. Zivilsenats des Kammergerichts vom 5. November 1999 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Verurteilung der Beklagten zur Unterlassung (Ziff. 1 Buchst. a des Tenors des landgerichtlichen Urteils) sowie zur Auskunftserteilung hinsichtlich der Auswertung der unter Ziff. 1 Buchst. a aufgeführten Einspielungen in der Zeit nach dem 2. Februar 1996 (Ziff. 1 Buchst. b des Tenors des landgerichtlichen Urteils) bestätigt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter im Konkurs über das Vermögen der früheren Klägerin, der M. Tonträger Produktionsgesellschaft mbH, eines Unternehmens, das Tonträger hergestellt und unter den Marken „Ars Vivendi” und „Lunar” vertrieben hat (im folgenden: Gemeinschuldnerin). Die Beklagte ist ebenfalls Tonträgerherstellerin; sie vertreibt ihre Produktionen u.a. unter den Marken „Eterna” und „Berlin Classic”. 1993 erwarb sie von der DSB Deutsche Schallplatten GmbH (im folgenden: DS GmbH) – der Rechtsnachfolgerin des VEB Deutsche Schallplatten – die weltweiten Leistungsschutzrechte an deren gesamtem Repertoire klassischer Musik. Mit der Klage wendet sich der Kläger dagegen, daß das Repertoire, das der Gemeinschuldnerin vom VEB Deutsche Schallplatten zur ausschließlichen Nutzung überlassen worden sei, auch von der Beklagten genutzt wird.
Die Gemeinschuldnerin schloß 1987 mit dem VEB Deutsche Schallplatten einen Vertrag über die kommerzielle Verwertung von – in den Anlagen zum Vertrag aufgeführten – Produktionen klassischer Musik, den sogenannten Grundvertrag. Zu dem Grundvertrag gehören drei Anlagen, in denen insgesamt 78 Einspielungen – darunter auch die sechzehn im Streit befindlichen Titel – aufgeführt sind. Nach dem Grundvertrag sollte der VEB Deutsche Schallplatten der Gemeinschuldnerin jeweils das Band mit der digitalen Aufnahme zu einem festen Preis liefern (§ 5). Der Gemeinschuldnerin wurde das Recht eingeräumt, von den Aufnahmen CDs herzustellen (§ 1 Abs. 1) und diese während einer beschränkten Auswertungszeit von – zunächst – drei Jahren, beginnend mit dem 1. Januar 1988 (§ 1 Abs. 2), weltweit mit Ausnahme der Staaten des Ostblocks, teilweise auch mit Ausnahme von USA, Kanada und Japan (§ 2), exklusiv zu vermarkten. Die Gemeinschuldnerin verpflichtete sich, die CDs jeweils innerhalb eines Jahres nach Bandübergabe erscheinen zu lassen (§ 6 Abs. 1). Für den Fall der Nichteinhaltung dieser Frist war ein Heimfall der Rechte an den VEB Deutsche Schallplatten vereinbart (§ 6 Abs. 2). Zusammen mit dem Grundvertrag unterzeichnete die Gemeinschuldnerin eine vom VEB Deutsche Schallplatten nachgereichte Änderungsvereinbarung, nach der die Auswertungszeit von drei Jahren um weitere sieben Jahre bis zum 31. Dezember 1997 verlängert wurde.
In der Folge stellte die Gemeinschuldnerin von den ihr überlassenen Einspielungen CDs her und brachte diese zwischen August 1989 und Oktober 1990 auf den Markt. Die im Grundvertrag festgelegte Jahresfrist wurde dabei hinsichtlich einiger Aufnahmen überschritten. Am 20. September 1990 trafen die DS GmbH und die Gemeinschuldnerin eine Vereinbarung, wonach „die begrenzte Auswertungszeit von 3 + 7 Jahren sich automatisch verlängert, solange die im Grundvertrag beschriebenen Produktionen weiter auf den Labeln der … [Gemeinschuldnerin] oder deren Rechtsnachfolgern veröffentlicht sind”. Für den Fall von Katalogstreichungen sollte es bei dem Heimfall der Rechte verbleiben.
Ferner bestand zwischen der DS GmbH und der Gemeinschuldnerin ein „Repertoire-Lizenz-Vertrag” (die Vertragsurkunde ist mit dem Datum des 31.5.1991 versehen), der aber andere als die Einspielungen betraf, die Gegenstand des Grundvertrages aus dem Jahre 1987 waren. Durch diesen Repertoire-Lizenz-Vertrag wurde eine 1990 geschlossene Vereinbarung über eine Repertoire- und Lizenzgemeinschaft geändert und ergänzt. In diesem Zusammenhang regelten die DS GmbH und die Gemeinschuldnerin in einer Vereinbarung über abwicklungstechnische Modalitäten (im folgenden: Abwicklungsvertrag) einleitend, daß „jeder Vertragspartner … sein eigenes bzw. ihm aufgrund anderer Verträge zur Verfügung stehendes Repertoire künftig eigenständig auswerten sowie auf Tonträgern vervielfältigen und vertreiben” wird. Ferner heißt es in dieser Vereinbarung:
Die Ergänzung bzw. Änderung des Vertrages über die Repertoire- und Vertriebsgemeinschaft wird unter folgenden Voraussetzungen wirksam:
1. Die als Warenzeichen der … [der Gemeinschuldnerin] geschützten Labelbezeichnungen Ars Vivendi, lunar/cd und Dorado werden von DS für eigene Veröffentlichungen künftig nicht mehr benutzt. Das bisher auf diesen Labels veröffentlichte Repertoire fällt im Rahmen der Bestimmungen des Repertoire-Lizenz-Vertrages in das alleinige Auswertungsrecht der … [Gemeinschuldnerin]. …
Die Gemeinschuldnerin hat die Ansicht vertreten, ihr stünden an den sechzehn noch im Streit befindlichen Einspielungen Auswertungsrechte zu; im Abwicklungsvertrag seien diese Rechte auf eine weltweite Nutzung erstreckt worden.
Soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung, hat die Gemeinschuldnerin die Beklagte hinsichtlich sechzehn – im einzelnen benannter – Aufnahmen auf Unterlassung in Anspruch genommen; dabei handelt es sich um Titel, die zu dem der Gemeinschuldnerin im Grundvertrag überlassenen Repertoire gehören und unter einem ihrer Label (Ars Vivendi oder Lunar) erschienen, darüber hinaus aber auch von der Beklagten unter dem Label Berlin Classic oder Eterna auf den Markt gebracht worden sind. Ferner hat die Gemeinschuldnerin im Wege der Stufenklage Auskunft begehrt und nach erteilter Auskunft einen bezifferten Zahlungsantrag angekündigt.
Hinsichtlich dieser sechzehn Einspielungen hat das Landgericht der Klage mit den Unterlassungs- und Auskunftsanträgen in einem Teilurteil stattgegeben.
Im Laufe des Berufungsverfahrens wurde über das Vermögen der Gemeinschuldnerin durch Beschluß des Amtsgerichts Charlottenburg vom 1. Januar 1996 das Konkursverfahren eröffnet. Mit Schreiben ihrer Prozeßbevollmächtigten vom 2. Februar 1996 kündigte die Beklagte „das von der Gemeinschuldnerin behauptete ausschließliche Nutzungsrecht an den Einspielungen, die ihr von der [DS GmbH] in Lizenz übertragen worden sein sollen”. Zur Erläuterung heißt es in diesem an den Kläger gerichteten Schreiben u.a.:
Wir wenden uns an Sie in Ihrer Eigenschaft als Konkursverwalter in dem am 1.1.1996 vom Amtsgericht Charlottenburg eröffneten Konkursverfahren … über das Vermögen der … [Gemeinschuldnerin]. Wir vertreten ständig die Interessen der … [Beklagten], so u.a. auch in einem derzeit vor dem KG Berlin anhängigen Rechtsstreit zwischen unserer Mandantin und der Gemeinschuldnerin (Az. 5 U 2413/95). In diesem Rechtsstreit macht die Gemeinschuldnerin Unterlassungsansprüche gegen unsere Mandantin wegen des Vertriebs bestimmter Einspielungen klassischer Musik geltend. Sie beruft sich in diesem Zusammenhang auf ein ihr angeblich zustehendes ausschließliches Nutzungsrecht an den streitgegenständlichen Einspielungen; diese Rechte will sie von der … [DS GmbH], der Nachfolgegesellschaft eines VEB der DDR erworben haben. Unsere Mandantin ist wiederum die Rechtsnachfolgerin der … [DS GmbH] für deren Repertoire klassischer Musik.
Das von der Gemeinschuldnerin behauptete ausschließliche Nutzungsrecht an den Einspielungen, die ihr von der … [DS GmbH] in Lizenz übertragen worden sein sollen, kündigen wir namens und im Auftrag unserer Mandantin mit sofortiger Wirkung.
Im folgenden wurden die vertraglichen Grundlagen dargestellt. Im Zusammenhang mit dem sog. Abwicklungsvertrag heißt es in dem Schreiben ferner:
Zwar sind unserer Ansicht nach die Einspielungen, über die derzeit vor dem KG Berlin zwischen unserer Mandantin und der Gemeinschuldnerin gestritten wird, nicht von der Lizenzgewährung in diesem „Repertoire-Lizenz-Vertrag” umfaßt und auch nicht durch den sogenannten „Vertrag über die abwicklungstechnischen Modalitäten” … hineingenommen. Die Gemeinschuldnerin beruft sich jedoch darauf, daß sie die ausschließlichen Nutzungsrechte an den streitgegenständlichen Einspielungen durch Ziffer 1 dieses letztgenannten Abwicklungsvertrages eingeräumt bekommen habe. …
Sofern durch den Abwicklungsvertrag in Verbindung mit den Bestimmungen des Repertoire-Lizenz-Vertrages der Gemeinschuldnerin ein ausschließliches Lizenzrecht an Einspielungen aus dem ehemaligen Repertoire der … [DS GmbH] eingeräumt worden sein sollte, so kündigen wir diese Lizenzvergabe mit sofortiger Wirkung. …
Nachdem der Kläger das aufgrund der Konkurseröffnung unterbrochene Verfahren aufgenommen hatte, hat das Kammergericht auf die Berufung der Beklagten die ausgesprochene Verurteilung zur Unterlassung und Auskunftserteilung in der Weise beschränkt, daß sie sich bei keiner der sechzehn Einspielungen auf den Vertrieb in den Staaten des ehemaligen Ostblocks (einschließlich der ehemaligen DDR) sowie bei einigen, im einzelnen aufgeführten Aufnahmen nicht auf Japan, USA und Kanada beziehe.
Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, daß dem Kläger ein – territorial beschränkter – Unterlassungs- und Auskunftsanspruch aus § 97 Abs. 1, § 85 Abs. 1 UrhG zusteht. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Durch den Grundvertrag mit dem VEB Deutsche Schallplatten habe die Gemeinschuldnerin für das dort angeführte Vertriebsgebiet die ausschließlichen Leistungsschutzrechte des Tonträgerherstellers hinsichtlich der in Rede stehenden sechzehn Einspielungen erworben. Die Rechte seien nicht nach § 6 Abs. 2 des Grundvertrages an den VEB Deutsche Schallplatten zurückgefallen. Dabei sei nicht entscheidend, ob die Gemeinschuldnerin ihrer Verpflichtung nach § 6 Abs. 1 nachgekommen sei, die Aufnahmen jeweils innerhalb eines Jahres nach Bandübergabe erscheinen zu lassen. Dies ergebe sich daraus, daß sich die Vertragsparteien zu einem Zeitpunkt auf eine Verlängerung der Auswertungszeit geeinigt hätten, zu dem bereits deutlich gewesen sei, daß einzelne Aufnahmen erst nach Ablauf der Jahresfrist und zwei Aufnahmen noch gar nicht erschienen seien. Die Aufteilung der Verbreitungsgebiete bestehe auch nach der Wiedervereinigung fort. Nach dem Beitritt der DDR bestehe diese zwar nicht mehr als selbständiges Staatsgebiet, wohl aber als tatsächliches Verbreitungsgebiet.
Die Beklagte habe den Grundvertrag auch nicht wirksam gekündigt. Mit dem Schreiben vom 2. Februar 1996 sei nicht die hier in Rede stehende Lizenzvergabe, sondern allein der Abwicklungsvertrag gekündigt worden. Dieser Vertrag enthalte lediglich eine Regelung für die Titel, die im Anhang zum Repertoire-Lizenz-Vertrag aufgeführt seien, nicht dagegen auch für die Titel, die Gegenstand des Grundvertrags gewesen seien.
Schließlich sei die Auswertungszeit auch nicht deswegen beendet, weil die Produktionen nicht mehr auf einem der Label der Gemeinschuldnerin oder ihrer Rechtsnachfolger veröffentlicht seien (Heimfall bei Streichung der Aufnahmen aus dem Katalog). Denn die Beklagte habe keinen Beweis dafür angeboten, daß die m.media CD Produktionsgesellschaft mbH keine Rechtsnachfolgerin der Gemeinschuldnerin sei.
II. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Revision nicht in allen Punkten stand. Sie führen insoweit, als das Berufungsgericht die Verurteilung der Beklagten zur Unterlassung sowie zur Auskunftserteilung hinsichtlich der Zeit nach Zugang der (per Telefax übermittelten) fristlosen Kündigung vom 2. Februar 1996 bestätigt hat, zur Aufhebung und Zurückverweisung. Im übrigen – also hinsichtlich der Auskunftserteilung für die Zeit bis 2. Februar 1996 – ist die Revision nicht begründet.
1. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die der Gemeinschuldnerin übertragenen Rechte an den Einspielungen seien nicht wegen Überschreitung der Einjahresfrist an den VEB Deutsche Schallplatten oder an die DS GmbH als seine Rechtsnachfolgerin zurückgefallen.
Das Berufungsgericht hat der Vereinbarung vom 20. September 1990, nach der sich die auf zehn Jahre begrenzte Auswertungszeit unter bestimmten Voraussetzungen automatisch verlängerte, entnommen, daß die Regelung über den Heimfall der Rechte abbedungen und durch eine andere Regelung ersetzt worden sei. Diese tatrichterliche Auslegung läßt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Sie wird auch durch das von der Revision als übergangen gerügte Parteivorbringen nicht in Zweifel gezogen.
Im September 1990 waren zwölf der hier in Rede stehenden sechzehn Einspielungen bereits unter einem der Label der Gemeinschuldnerin erschienen, wobei die im Grundvertrag ausbedungene Jahresfrist nach dem Vortrag der Beklagten in sechs Fällen überschritten worden war, und zwar bei vier Aufnahmen um maximal einen Monat und bei zwei Einspielungen um etwa acht Monate. Für die vier noch nicht erschienenen Aufnahmen war die Jahresfrist am 20. September 1990 seit drei Wochen abgelaufen. Die entsprechenden CDs erschienen nach diesem Vortrag im Oktober 1990; ihr Erscheinen stand also zum Zeitpunkt des Abschlusses der Zusatzvereinbarung unmittelbar bevor. Unter diesen Umständen hätte es nahegelegen, daß die DS GmbH – wenn sie sich auf den Heimfall hätte berufen wollen – die Vertragsverlängerung nur für die vier Einspielungen, bei denen die Aufnahmen unter einem der Label der Gemeinschuldnerin wirklich innerhalb eines Jahres auf den Markt gekommen waren, gewährt und hinsichtlich der anderen acht Einspielungen auf den eingetretenen Heimfall der Rechte verwiesen hätte.
Im übrigen wird die vom Berufungsgericht gefundene Auslegung durch den zweiten Absatz der Vereinbarung vom 20. September 1990 („im Falle von Katalog-Streichungen gilt der Heimfall nach § 6 Abs. 2 des Grundvertrages”) gestützt. Denn die Neuregelung des Heimfalls verstärkt den Eindruck, daß die Parteien – nachdem die entsprechenden Titel erschienen waren oder ihr Erscheinen unmittelbar bevorstand – aus dem nicht rechtzeitigen Erscheinen der Einspielungen keine Konsequenzen gezogen und sich statt dessen nunmehr auf die fortdauernde Marktpräsenz als Voraussetzung für den Verbleib der Auswertungsrechte bei der Gemeinschuldnerin geeinigt haben.
2. Begründet ist jedoch die Rüge, mit der sich die Revision dagegen wendet, daß das Berufungsgericht in dem Schreiben vom 2. Februar 1996 lediglich eine Kündigung des Abwicklungsvertrages, nicht hingegen des Grundvertrages erblickt hat.
a) Die tatrichterliche Auslegung ist für das Revisionsgericht nicht bindend, wenn gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt sind. Zu den allgemein anerkannten Auslegungsregeln gehört der Grundsatz einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung (BGHZ 131, 136, 138; 137, 69, 72; BGH, Urt. v. 5.3.1998 – I ZR 250/95, GRUR 1998, 673, 676 – Popmusikproduzenten; Urt. v. 18.10.2001 – I ZR 91/99, GRUR 2002, 280, 281 = WRP 2002, 221 – Rücktrittsfrist; BGHZ 149, 337, 353; 150, 32, 39 – Unikatrahmen, jeweils m.w.N.). Diesen Grundsatz hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet.
b) Das Berufungsgericht hat sich bei seiner Annahme, die Beklagte habe mit dem Schreiben ihrer Prozeßbevollmächtigten vom 2. Februar 1996 lediglich den Abwicklungsvertrag kündigen wollen, allein von einer Passage dieses Schreibens leiten lassen, die bei vordergründiger Betrachtung ein solches Verständnis nahelegen mag. Wird dagegen das gesamte Schreiben herangezogen, wird bereits deutlich, daß es der Beklagten nicht um den Abwicklungsvertrag, sondern allein darum ging, die hier in Streit stehende Lizenzvergabe zu kündigen. Die Kündigung des Abwicklungsvertrages erfolgte danach nurmehr hilfsweise für den Fall, daß dieser Vertrag – entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht – für die Lizenzvergabe von Bedeutung sein sollte. Worum es der Beklagten in erster Linie ging, wird vor allem durch die Eingangspassage des Kündigungsschreibens deutlich: gekündigt werden sollte die Lizenzvergabe zugunsten der Gemeinschuldnerin – gleichgültig, in welchem Vertrag die Übertragung oder Einräumung des Nutzungsrechts erfolgt war.
c) Daß es aus der Sicht der Beklagten erforderlich schien, auch den Abwicklungsvertrag zu kündigen, ergibt sich nicht nur aus dem Kündigungsschreiben selbst, sondern darüber hinaus auch aus dem Prozeßverlauf. In erster Instanz hatte die Gemeinschuldnerin sich auf diesen Vertrag berufen, während die Beklagte sich auf den Standpunkt gestellt hatte, der Abwicklungsvertrag betreffe nicht die bereits durch den Grundvertrag von 1987 übertragenen Rechte. Das Landgericht hatte – anders als später das Berufungsgericht – in seinem Urteil vom 16. Februar 1995 im Sinne der Gemeinschuldnerin entschieden und angenommen, daß sich der Umfang ihrer Berechtigung an den vorliegend im Streit stehenden Einspielungen aus Ziffer 1 des Abwicklungsvertrages ergebe. Diesem Umstand trugen die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten in ihrem Kündigungsschreiben Rechnung.
d) Nach den bislang getroffenen Feststellungen kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Kündigung der Lizenzvergabe durch die Beklagte wirksam ist. Das Berufungsgericht hat – aus seiner Sicht folgerichtig – keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Beklagten ein Festhalten am Vertrag mit der Gemeinschuldnerin zuzumuten gewesen wäre. Hierfür ist zu klären, ob die Gemeinschuldnerin aus der Sicht der Beklagten in der Lage war, die Auswertungsverpflichtung trotz der eingetretenen Insolvenz zuverlässig zu erfüllen. Für die Frage der Zumutbarkeit eines Festhaltens am Vertrag ist es auch von Bedeutung, ob die DS GmbH für die Verlängerung der Auswertungszeit irgendeine Gegenleistung erhalten hat. War dies nicht der Fall, handelte es sich vielmehr um ein Entgegenkommen der DS GmbH gegenüber der Gemeinschuldnerin, kann dies bedeuten, daß die Schwelle für eine Kündigung aus wichtigem Grund vorliegend niedriger anzusetzen ist als in anderen Fällen. Unabhängig davon stand der Beklagten möglicherweise ein besonderes Kündigungsrecht aus der auf Lizenzverträge entsprechend anwendbaren Bestimmung des § 19 KO zu, die im Streitfall nach § 103 EGInsO noch heranzuziehen ist (zur entsprechenden Anwendbarkeit des § 19 KO auf Lizenzverträge vgl. Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl., § 19 Rdn. 2a).
3. Entgegen der Auffassung der Revision kann nach den bislang vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht davon ausgegangen werden, daß das Nutzungsrecht aus dem Grundvertrag ohnehin – also ungeachtet der ausgesprochenen Kündigung – wegen einer späteren Streichung der Titel aus dem Katalog untergegangen ist. Die Revision verweist insofern auf die Vereinbarung vom 20. September 1990, nach der die Rechte im Falle von „Katalog-Streichungen” an die DS GmbH zurückfallen sollten. Der Kläger beruft sich demgegenüber auf den Passus derselben Vereinbarung, wonach sich die Auswertungszeit für die in Rede stehenden Aufnahmen automatisch verlängert, „solange die im Grundvertrag beschriebenen Produktionen weiter auf den Labeln der … [Gemeinschuldnerin] oder deren Rechtsnachfolgern veröffentlicht sind”. Zwischen den Parteien ist jedoch streitig, ob es sich – wie vom Kläger behauptet – bei der m.media CD Produktionsgesellschaft mbH, die inzwischen die Auswertung übernommen hat, in diesem Sinne um eine Rechtsnachfolgerin der Gemeinschuldnerin handelt.
Die Revision rügt mit Recht, daß es nicht Sache der Beklagten, sondern des Klägers gewesen wäre, darzutun und gegebenenfalls zu beweisen, daß es sich bei der m.media CD Produktionsgesellschaft mbH um eine Rechtsnachfolgerin der Gemeinschuldnerin handelt. Da die Sache zur Klärung der Wirksamkeit der Kündigung aus wichtigem Grund ohnehin an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden muß, werden die Parteien Gelegenheit haben, zu diesem Punkt ergänzend vorzutragen. Falls es auf diese Frage noch ankommen sollte, wird der Kläger dartun müssen, daß es sich bei der m.media CD Produktionsgesellschaft mbH um eine „Rechtsnachfolgerin” der Gemeinschuldnerin im Sinne der Vereinbarung vom 20. September 1990 handelt. Allerdings stünde die Eigenschaft als Rechtsnachfolgerin bereits dann außer Zweifel, wenn es sich bei der m.media CD Produktionsgesellschaft mbH um eine Auffanggesellschaft handelt, die die laufende Produktion der Tonträger von der Gemeinschuldnerin im Einverständnis mit dem Kläger übernommen hat.
4. Keinen Erfolg hat die Revision, soweit sie sich mit ihrem auf die vollständige Abweisung der Klage zielenden Antrag dagegen wendet, daß das Berufungsgericht in der Nutzung des in Rede stehenden Repertoires durch die Beklagte im Lizenzgebiet der Gemeinschuldnerin für die Zeit bis zum Zugang des Kündigungsschreibens vom 2. Februar 1996 eine Verletzung der der Gemeinschuldnerin zustehenden Leistungsschutzrechte gesehen hat. Dies gilt auch, soweit eine Nutzung durch die Beklagte in den alten Bundesländern nach dem 3. Oktober 1990 in Rede steht.
Das der Gemeinschuldnerin vom VEB Deutsche Schallplatten eingeräumte ausschließliche Nutzungsrecht bezog sich u.a. auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und somit – da die Rechtseinräumung 1987 erfolgte – lediglich auf die alten Bundesländer einschließlich West-Berlin, während die Nutzungsrechte für das Gebiet der ehemaligen DDR beim VEB Deutsche Schallplatten verblieben. Daß die Beklagte, die ihre Rechte vom VEB Deutsche Schallplatten ableitet, die fraglichen Aufnahmen im Gebiet der ehemaligen DDR verbreiten darf, steht daher im Revisionsverfahren mit Recht nicht mehr in Zweifel. Das Berufungsgericht hat aber auch zutreffend angenommen, daß es nach dem 3. Oktober 1990 bei den gespaltenen Lizenzgebieten geblieben ist, die Berechtigung der Beklagten sich also auch nach der Wiedervereinigung nicht auf die alten Bundesländer einschließlich West-Berlin erstreckt. Im Gegensatz zu anderen Schutzrechten sehen weder der Einigungsvertrag noch das Erstreckungsgesetz für das Urheberrecht eine solche Erstreckung vor. Sie kann – entgegen einer im Schrifttum vertretenen Ansicht (vgl. Schwarz/Zeiss, ZUM 1990, 468, 469; Hertin in Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 9. Aufl., vor § 31 UrhG Rdn. 33 a.E.) – auch nicht aus der Natur des Verbreitungsrechts abgeleitet werden (so bereits OLG Hamm GRUR 1991, 907, 908; ferner Wandtke, GRUR 1991, 263, 266; Wandtke in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, EVtr Rdn. 44 ff.; Katzenberger, GRUR Int. 1993, 2, 17; Schricker/Katzenberger, Urheberrecht, 2. Aufl., vor §§ 120 ff. UrhG Rdn. 37; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 2. Aufl., Rdn. 542; vgl. zum Senderecht BGHZ 133, 281, 296 f. – Klimbim). Auch wenn heute das Recht zur Verbreitung eines geschützten Werks nicht mit dinglicher Wirkung auf einen Teil Deutschlands beschränkt werden kann, gilt für eine vor der Wiedervereinigung vereinbarte Rechtseinräumung etwas anderes. Eine Beeinträchtigung des Wirtschaftsverkehrs tritt dadurch nicht ein; denn die entsprechenden Waren können – wenn sie einmal innerhalb des lizenzierten Gebietes in Verkehr gebracht worden sind – innerhalb Deutschlands und innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums frei zirkulieren (a.A. insofern Katzenberger, GRUR Int. 1993, 2, 18).
III. Die Revision der Beklagten ist danach insoweit zurückzuweisen, als es um die Verurteilung zur Auskunftserteilung hinsichtlich der Zeit bis zum 2. Februar 1996 geht. Dagegen kann die Verurteilung zur Unterlassung sowie zur Auskunftserteilung hinsichtlich der Zeit nach dem 2. Februar 1996 keinen Bestand haben. In diesem Umfang ist das Berufungsurteil aufzuheben; die Sache ist insoweit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Ullmann, Bornkamm, Pokrant, Büscher, Schaffert
Fundstellen
Haufe-Index 943160 |
BGHR 2003, 1022 |
BGHR |
GRUR 2003, 699 |
Nachschlagewerk BGH |
VIZ 2003, 452 |
AfP 2003, 478 |
WRP 2003, 994 |
ZUM 2003, 681 |
KUR 2003, 97 |
Mitt. 2003, 425 |