Entscheidungsstichwort (Thema)
Entfall der Belehrungspflicht des Steuerberaters gegenüber seinem Mandanten über seine eigene Haftung
Leitsatz (amtlich)
Die Pflicht des Steuerberaters, seinen Auftraggeber über die eigene Regreßhaftung zu belehren (zur Veröffentlichung bestimmtes Senatsurteil vom 20.1.1982 – IVa ZR 314/80), entfällt dann, wenn der Auftraggeber rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist im Hinblick auf die Regreßfrage anwaltlich beraten wird.
Leitsatz (redaktionell)
Der Beginn der Verjährung nach § 68 StBerG muß in der Regel an einen „Akt des Finanzamtes” anknüpfen, der den schadenstiftenden Fehler des Steuerberaters offenbart. Dieser „Akt des Finanzamtes” kann auch in der Ablehnung eines Antrags auf Verlängerung einer Frist, von deren Einhaltung Steuervergünstigungen abhängen, zu sehen sein (hier: Unverwertbarkeit der Bilanz für die Frage der Steuervergünstigungen, wegen deren verspäteter Erstellung).
Normenkette
StBerG § 68; BGB §§ 675-676
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OLG (Urteil vom 29.02.1980; Aktenzeichen 1 U 15/79) |
LG Lübeck (Urteil vom 13.11.1978; Aktenzeichen 12 O 283/76) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht in Schleswig vom 29. Februar 1980 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
Der Kläger verlangt mit der am 29. Dezember 1976 zugestellten Klage Schadensersatz wegen entgangener Steuervergünstigungen. Der Beklagte beruft sich auf Verjährung. Er hatte als Steuerbevollmächtigter des Klägers die Bilanz und die Steuererklärung für 1971 erst im April 1975 vorgelegt. Deshalb wurde bei einer Betriebsprüfung gemäß Prüfungsbericht vom 23. Juli 1975 die Buchhaltung nicht als ordnungsgemäß anerkannt. Infolgedessen wurden Steuervergünstigungen für die Bewertungsfreiheit geringwertiger Wirtschaftsgüter sowie die Vortragsfähigkeit entstandener Verluste versagt.
Der Beklagte erledigte für den Kläger seit Jahresbeginn 1970 die Buchführung. Die von ihm 1973 mehrfach beantragte Verlängerung der Frist zur Abgabe der Steuererklärung für 1971 wurde vom Finanzamt mit Schreiben vom 2. Oktober 1973 letztmalig bis zum 15. Oktober 1973 gewährt. Dieses Schreiben enthielt den Hinweis, daß nach fruchtlosem Fristablauf die Besteuerungsgrundlagen im Wege der Schätzung ermittelt werden müßten. Der Beklagte unterrichtete den Kläger von diesem Schreiben nicht. Streitig ist, ob er dem Kläger eine Abschrift des Schreibens des Finanzamtes vom 7. November 1973 übersandte, in welchem unter Bezugnahme auf das Schreiben vom 2. Oktober 1973 dem gleichwohl erneut gestellten Verlängerungsantrag nicht stattgegeben wurde.
Der Kläger hat ein Gutachten vorgelegt, wonach ihm ein Schaden von 33.438 DM entstanden ist. Gegen diese Forderung hat der Beklagte hilfsweise mit unstreitigen Honoraransprüchen in Höhe von 8.331,08 DM aufgerechnet. Das Landgericht hat die daraufhin ermäßigte Klage dem Grunde nach zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt. Das Oberlandesgericht hat aufgrund der Verjährungseinrede des Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision kann keinen Erfolg haben, weil das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers mit Recht als verjährt angesehen hat.
1. Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch des Klägers wegen positiver Forderungsverletzung aufgrund des zwischen den Parteien abgeschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrages mit der Erwägung bejaht, daß der Beklagte pflichtwidrig die Bilanz nicht innerhalb der einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entsprechenden Zeit erstellt habe. Ein etwaiges Mitverschulden des Klägers dadurch, daß er möglicherweise auf nicht näher begründete Forderungen des Beklagten nach weiteren Unterlagen nicht reagiert habe, sei so gering, daß es nicht zu berücksichtigen sei. Da der Beklagte nach Ablauf der letzten Frist im Oktober 1973 eine ordnungsgemäße Bilanz nicht mehr habe aufstellen können, sei in diesem Zeitpunkt der Schaden für den Kläger bereits eingetreten und damit der Ersatzanspruch gegen den Beklagten entstanden. Dieser sei jedoch verjährt. Der Lauf der dreijährigen Verjährungsfrist gemäß § 68 StBerG habe im gleichen Zeitpunkt begonnen, so daß die Klage am 1. Dezember 1976 nach Ablauf der Verjährungsfrist eingereicht worden sei.
Demgegenüber beruft sich die Revision auf die Rechtsprechung des VII. Zivilsenats, nach welcher die Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegen einen Steuerberater aus Fehlern, die durch eine Außenprüfung (Betriebsprüfung) aufgedeckt und deretwegen dann Steuern nacherhoben worden sind, erst mit der Schlußbesprechung über das Ergebnis der Außenprüfung beginnt (BGHZ 73, 363 und Urteil vom 18. Juni 1979 – VII ZR 257/78 – NJW 1979, 2211).
2. Dem Berufungsgericht ist zu folgen.
a) Nach § 68 StBerG verjährt der Anspruch des Auftraggebers auf Schadensersatz aus dem zwischen ihm und dem Steuerbevollmächtigten bestehenden Vertragsverhältnis in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem der Anspruch entstanden ist. Der Wortlaut dieser Vorschrift ist eindeutig. In ihr kommt das Ziel des Gesetzgebers klar zum Ausdruck, in diesem Vertragsverhältnis wie in dem Verhältnis zwischen einem Rechtsanwalt und seinem Mandanten für schnelle Klärung von Schadensersatzansprüchen zu sorgen (zur Entwicklung der Gesetzgebung vgl. BGHZ 73, 363, 369 und BGHZ 78, 335, 340 ff). Deshalb kann die vereinzelt geforderte (vgl. van Venrooy DB 1981, 2364, 2372) offene Restriktion der Vorschrift durch den Richter dahingehend, daß wie in § 852 BGB nicht die Entstehung des Anspruches, sondern die Kenntnis des Geschädigten maßgeblich sein soll, nicht in Betracht kommen. An eine unmißverständliche Wertung des Gesetzgebers ist der Richter gebunden. Der Gesetzgeber hat im zweiten Gesetz zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes vom 11. August 1972 (BGBl. I 1401) die Verjährung des Regreßanspruches gegen den Steuerberater trotz der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 51 BRAO und zur Regreßhaftung des Rechtsanwalts wie in § 198 BGB an die Entstehung des Ersatzanspruches geknüpft und dennoch die Frist auf drei Jahre eingeschränkt.
b) Die Ersatzforderung gegen den Steuerberater oder Steuerbevollmächtigten ist entstanden, wenn er schuldhaft vertragswidrig gehandelt hat und dadurch für den Auftraggeber ein Schaden eingetreten ist. Liegen diese Anspruchsvoraussetzungen vor, dann kann der Auftraggeber seinen Schadensersatzanspruch gerichtlich geltend machen. Dafür kommt es gerade nicht auf die tatsächlich vorhandene Kenntnis vom Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen an, sondern nach dem Grundsatz der Anspruchseinheit (BGHZ 50, 21, 24) nur darauf, ob der vorausgesetzte Tatbestand voll verwirklicht ist, so daß jedenfalls Feststellungsklage erhoben werden kann (RGZ 153, 101, 107; BGHZ 55, 340, 341).
c) Allerdings muß bei der Beantwortung der Frage, ob der Tatbestand voll verwirklicht ist, den Besonderheiten Rechnung getragen werden, die mit der üblichen Abwicklung von Steueransprüchen und der Durchführung der Besteuerung überhaupt verbunden sind (dazu im einzelnen BGHZ 73, 363, 366 f). Ob dabei das weitgehende Auseinanderfallen von Entstehung und Fälligkeit der Ansprüche im Steuerrecht maßgebliche Bedeutung hat (so mit beachtlichen Gründen Prütting, WM 1978, 130, 132), kann hier dahingestellt bleiben.
Denn im vorliegenden Fall bestand die Möglichkeit der gerichtlichen Geltendmachung eines Schadens für den Kläger seit spätestens November 1973.
aa) Der Schaden des Klägers besteht in den entgangenen Steuervergünstigungen nach § 6 Abs. 2 EStG (Bewertungsfreiheit geringwertiger Wirtschaftsgüter) und nach § 10 d EStG bzw. § 10 a GewStG (Vortragsfähigkeit entstandener Verluste). Unabdingbare Voraussetzung für die Anerkennung der Bewertungsfreiheit gemäß § 6 Abs. 2 EStG und auch für den Abzug eines Vorjahresverlustes nach § 10 d EStG war steuerrechtlich bis zur Einkommensteuerreform durch das EStRG vom 5. August 1974 (BGBl I 1769; vgl. Neufassung des § 6 Abs. 2 und Änderung des § 10 d EStG gemäß Art. 1 Ziff. 10 und 20, zum Inkrafttreten Neufassung des § 52 Abs. 6 und 16 EStG gemäß Art. 1 Ziffer 68; vgl. weiter BMF-Einführungsschreiben zum EStRG vom 29. November 1974, DB Beilage Nr. 25/74 Seite 3 unter Ziffer 6) und damit bis 1975, daß das Vorhandensein geringwertiger Wirtschaftsgüter bzw. das Eintreten des Verlustes aufgrund der zugrundezulegenden ordnungsgemäßen Buchführung ermittelt worden war (vgl. Grau DB 1976, 1245; Dreiss/Eitel-Dreiss DB 1980, 1858, 1859). Nach § 158 AO 1977 (= § 208 AO a.F.) soll ohnehin nur eine ordnungsgemäße Buchführung der Besteuerung zugrundegelegt werden, weil nur bei ihr „nach den Umständen des Einzelfalles kein Anlaß ist, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden”. Deshalb können auch heute noch gewichtige Mängel in der Buchführung zum Wegfall von Steuervergünstigungen führen.
Zur Buchführung ist nach einhelliger Ansicht auch die Bilanz zu rechnen (vgl. BFH Urteil vom 12. Dezember 1972 – VIII R 112/69 – BStBl. II 1973, 555, 556 m.w.N.), weil die Buchführung nicht nur die Aufzeichnung der Geschäftsvorfälle durch den Kaufmann und deren Übertragung in das Journal, sondern auch die Rechenschaft umfaßt, die er sich selbst und auch seinen Gläubigern bei der Zusammenfassung des gesamten Buchungsstoffes in der Jahresbilanz gibt. Wird die Bilanz nicht rechtzeitig aufgestellt, dann kann schon wegen des Verstoßes gegen das Gebot des § 39 Abs. 2 Satz 2 HGB, die Bilanz innerhalb der einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entsprechenden Zeit aufzustellen, die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung zu verneinen sein; jedenfalls aber rechtfertigt der in der Verspätung liegende Buchführungsfehler dann die Verwerfung der Buchführung, wenn der Kaufmann infolge der Verspätung bei vernünftiger Beurteilung nicht mehr in der Lage sein kann, die Verhältnisse am Bilanzstichtag noch verläßlich zu beurteilen (vgl. dazu im einzelnen die Ausführungen des BFH aaO 556 und 557). Aus diesem Grunde kann steuerrechtlich gesehen eine Buchführung nicht mehr ordnungsgemäß sein, wenn die Bilanz für ein Geschäftsjahr mehr als 2 Jahre nach Ablauf dieses Geschäftsjahres aufgestellt wird (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. schon Urteil vom 5. März 1965 – VI 154/63 U – NJW 1965, 2078; weiter Urteile vom 12. Dezember 1972 – VIII R 112/69 – BStBl. II 1973, 555, 557, vom 24. September 1974 – VIII R 123/70 – BStBl. II 1975, 78, 79, vom 26. Oktober 1977 – I R 131/73 – BStBl. II 1978, 315, 316 und vom 25. April 1978 – VIII R 96/75 – BStBl. II 1978, 525, 526, jeweils m.w.N.). Im Schrifttum und in der Rechtsprechung zum Handelsrecht werden noch kürzere Fristen angenommen (Baumbach/Duden HGB 24. Aufl. § 39 Anm. 1 C; Brüggemann in Großkommentar 3. Aufl. § 39 Anm. 3 jeweils m.w.N.; zur Frage der Verspätung als Konkursvergehen vgl. BGH Urteil vom 9. Dezember 1954 – 3 StR 198/54 – BB 1955, 109 und OLG Düsseldorf DB 1979, 2317).
bb) Ob und ggfs. für welchen Zeitraum das Finanzamt eine Bilanz, die nach Ablauf der von ihm gewährten letzten Frist vorgelegt wurde, noch zugrundeliegen konnte und ob überhaupt das Bestehen einer solchen Möglichkeit den Schadenseintritt, damit die Entstehung des Regreßanspruches und weiter den Verjährungsbeginn hindern konnte, braucht hier nicht entschieden zu werden. Im vorliegenden Fall durfte nämlich spätestens seit dem Schreiben des Finanzamtes vom 7. November 1973 nicht mehr mit einer solchen Möglichkeit gerechnet werden. Jedenfalls mit diesem Schreiben war geklärt, daß die in Rede stehenden Steuervergünstigungen für das Jahr 1971 zwangsläufig entfielen. Selbst wenn deren Höhe im November 1973 noch nicht festzustellen war, lag dennoch die Möglichkeit einer Feststellungsklage auf der Hand. Deshalb hätte zur Unterbrechung der Verjährung die Klage spätestens Anfang November 1976 erhoben werden müssen.
cc) Damit ist gleichzeitig dargelegt, daß hier die besondere Sachverhaltsgestaltung nicht gegeben ist, die zu der von der Revision herangezogenen Rechtsprechung des VII. Zivilsenats geführt hat. In den dort entschiedenen Fällen (BGHZ 73, 363 ff und Urteil vom 18. Juni 1979 – VII ZR 257/78 – NJW 1979, 2211) wurden aufgrund einer Betriebsprüfung in der Vergangenheit bereits durch Steuerbescheide geklärte steuerliche Tatbestände erneut aufgegriffen und bislang unbekannte Fehler des Steuerberaters bzw. Steuerbevollmächtigten aufgedeckt. Erst dieser Umstand führte zu neuen, für den Auftraggeber nachteiligen Steuerfestsetzungen. Nicht zu Unrecht bringt die Revision vor, der Beginn der kurzen Verjährung nach § 68 StBerG müsse in Fällen der vorliegenden Art an einen „Akt des Finanzamtes” anknüpfen, der den schadenstiftenden Fehler des Steuerberaters offenbart. Dieser „Akt des Finanzamtes” ist spätestens im Schreiben vom 7. November 1973 zu sehen. Seit diesem Zeitpunkt war die in den vom VII. Zivilsenat entschiedenen Fällen erst mit der Außenprüfung eingetretene Klarheit – hier über die Unverwertbarkeit der Bilanz für die Frage der Steuervergünstigungen – geschaffen und konnte dem Kläger die Erhebung einer Schadensersatzklage auch zugemutet werden.
3. Auf das damit gegebene Leistungsverweigerungsrecht aus § 222 BGB kann sich der Beklagte mit der Folge der Klageabweisung berufen. Auch insoweit ist das angefochtene Urteil jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Dabei kommt es nicht auf die Frage an, ob und ggfs. unter welchen Umständen ein Steuerberater oder Steuerbevollmächtigter wie ein Rechtsanwalt seinen Auftraggeber auf die eigene Regreßhaftung hinzuweisen hat (vgl. dazu Senatsurteil vom heutigen Tag – IVa ZR 314/80 – zur Veröffentlichung bestimmt). Im vorliegenden Fall wäre eine solche Hinweis- oder Belehrungspflicht jedenfalls schon deshalb zu verneinen, weil der Kläger nicht belehrungsbedürftig war. Es ist anerkannt, daß eine etwaige Belehrungsbedürftigkeit dann entfällt, wenn der Auftraggeber inzwischen und noch rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist gerade wegen der Regreßfrage anderweitig anwaltlich beraten wird (BGH Urteil vom 23. März 1971 – VI ZR 177/69 unter IV – WM 1971, 802, 805 für die Haftung des Notars; OLG Celle VersR 1978, 1119 ff und OLG Frankfurt VersR 1979, 775, 776 mit Anmerkung Evers für die Haftung des Anwalts). Dem Kläger waren nicht nur die Versäumnisse des Beklagten seit der Schlußbesprechung über das Ergebnis der Betriebsprüfung im Juli 1975 bekannt, so daß das Berufungsgericht dem Beweisantritt des Beklagten nicht nachzugehen brauchte, das Schreiben vom 7. November 1973 sei an den Kläger weitergeleitet worden. Darüberhinaus war der Kläger schon im Frühjahr 1976 anwaltlich beraten und seit dem offensichtlich zur Frage des Regresses eingeholten Gutachten vom 12. Februar 1976 über Schadensgrund und Schadenshöhe in allen Einzelheiten unterrichtet.
Fundstellen
Haufe-Index 2027361 |
NJW 1982, 1288 |
ZIP 1982, 316 |