Verfahrensgang
LG Bielefeld (Urteil vom 06.05.2004) |
Tenor
I. Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 6. Mai 2004 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum Tatvor- und -nachgeschehen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision des Nebenklägers wird verworfen.
II. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision beantragt der Nebenkläger, daß der Angeklagte wegen Mordes (Mordmerkmale: Heimtücke und niedrige Beweggründe) verurteilt werden soll, hilfsweise die Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den Feststellungen und Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Angeklagte rügt die Verletzung sachlichen Rechts.
Das Rechtsmittel des Nebenklägers hat weitgehend Erfolg; die Revision des Angeklagten ist dagegen unbegründet.
I. Revision des Nebenklägers
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte lernte sein späteres Tatopfer, die damals 35jährige Angela T., im Jahr 2001 kennen. Beide waren verheiratet. Als sich zwischen ihnen eine enge intime Freundschaft entwickelte, verließ der Angeklagte seine Ehefrau und zog zu der von ihrem Ehemann getrennt lebenden Frau T.. Die Beziehung war jedoch nicht konfliktfrei; es kam immer wieder zu Streitigkeiten. Frau T. fühlte sich vom Angeklagten ausgenutzt und hintergangen. Sie machte ihm Vorhaltungen, weil sie meinte, daß er sie weder finanziell noch bei der Arbeit im Haushalt genügend unterstütze; außerdem warf sie ihm vor, daß er sich entgegen seiner gegenteiligen Beteuerung immer noch mit seiner früheren Ehefrau treffe. Im Juli 2003 erklärte sie ihm, daß sie die Beziehung als beendet betrachte, weil sie seine Lügen nicht mehr ertragen könne und sie außerdem einen anderen Mann kennengelernt habe. Der Angeklagte bemühte sich intensiv darum, sich mit ihr wieder auszusöhnen; sie bestand jedoch auf der Trennung. Als er schließlich erkannte, daß sie nicht bereit war, weiter mit ihm zusammenzuleben, zog er aus der Wohnung aus. Beide trafen sich danach aber weiter, wobei es auch zu intimen Kontakten kam.
Am Tattag (24. August 2003) stritten beide wieder. Der Angeklagte „flehte” sie mit dem Eingeständnis, er sehe ein, daß er Fehler gemacht habe, erneut an, ihm zu verzeihen und es noch einmal mit ihm zu versuchen. Frau T. war dazu aber nicht mehr bereit. Der Angeklagte lenkte schließlich ein und bat sie, ihm zum Andenken einen String-Tanga zu schenken. Obwohl Frau T. dies ablehnte, nahm er den Tanga an sich. Mit dem Bemerken, daß sie ihre Unterwäsche bereits für einen anderen Mann trage, sie außerdem in der letzten Zeit nur noch aus Lust und nicht aus Liebe mit ihm geschlafen habe, zumal er ohnehin eine Niete im Bett sei, und sie ihn in den letzten Wochen ebenso betrogen habe wie er sie zuvor, versuchte Frau T., dem Angeklagten den String-Tanga wieder abzunehmen. Bei der sich anschließenden Rangelei schlug sie auf ihn ein, ohne ihn jedoch zu verletzen, und schrie ihn an. Um das weitere Schreien zu verhindern, hielt ihr der Angeklagte den Mund zu. Als sie daraufhin ruhiger wurde und er den Griff lockerte, erklärte sie ihm, daß ihr neuer Partner im Bett viel besser sei als er. Er solle zu seiner früheren Ehefrau zurückkehren; vielleicht sei die bereit, sich so betrügen zu lassen, wie er es mit ihr getan habe. Als sich Frau T. dann in die Küche und ins Wohnzimmer zurückzog, folgte ihr der Angeklagte; sie versuchte, dies zu verhindern, indem sie ihn mit Geschirr bewarf, auf ihn einschlug, eintrat und ihn beschimpfte.
Spätestens jetzt faßte der Angeklagte den Entschluß, Frau T. zu töten, „um sie für immer zum Schweigen zu bringen”. Aufgrund ihres Verhaltens befürchtete er, daß sie ihn bei allen Bekannten schlecht machen würde, indem sie davon berichtete, daß er durch sein treuloses, verlogenes Verhalten ihre Beziehung zerstört und sie – Frau T. – ‚”kaputt gemacht”’ habe. Er hatte Angst, daß sich alle Freunde und Bekannten von ihm abwenden würden und er dann allein dastünde. Außerdem befürchtete er einen Racheakt des Ehemanns von Frau T.. In Ausführung seines Entschlusses trat er von hinten an sie heran, legte ihr seinen Arm um den Hals und drückte, wobei er den Kehlkopf in der Armbeuge hatte, mehrere Minuten lang kräftig zu, bis sie sich nicht mehr wehrte und ihr Körper erschlaffte. Dabei schleifte er sie zu einer im Wohnzimmer stehenden Couch. Als er feststellte, daß die regungslos auf dem Sofa liegende Frau T. noch lebte, stülpte er ihr in Fortsetzung seines Tötungsvorhabens eine Plastiktüte über den Kopf und hielt diese so lange zu, bis er sicher war, daß Frau T. erstickt war. Danach versuchte er, die Tat zu vertuschen. Er fuhr die Leiche zu einem Parkplatz, wo er sie auf dem Grünstreifen mit Benzin übergoß und anzündete.
2. Das Schwurgericht hat den Angeklagten des Totschlags und nicht des Mordes für schuldig befunden, weil kein Mordmerkmal erfüllt sei. Der Angeklagte habe nicht zur Verdeckung einer anderen Straftat gehandelt, weil, selbst wenn er sein Opfer auch deshalb getötet habe, um den ersten Teilakt der Tat – das Würgen – zu verdecken, zu der ursprünglichen Motivation, sein Opfer zum Schweigen zu bringen, die Verdeckungsabsicht im Verlauf der einheitlichen Tötungshandlung nur als zusätzliches Tötungsmotiv hinzugetreten sei. Somit habe es sich bei der zu verdeckenden Tat nicht um eine andere, sondern um dieselbe Tat, d.h. die Tat, die er gerade begangen habe, gehandelt. „Andere Mordmerkmale, wie etwa Heimtücke oder niedrige Beweggründe (schieden) nach den getroffenen Feststellungen aus. Der Angeklagte (habe) weder die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers zur Tatbegehung ausgenutzt noch (seien) seine Motive als im besonderen Maße verachtenswert anzusehen” (UA 26).
3. Diese Würdigung hält – jedenfalls im Hinblick auf das Verneinen von Heimtücke – rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Soweit das Landgericht dieses Mordmerkmal abgelehnt hat, genügt seine nicht weiter erörterte Begründung, der Angeklagte habe die Arg- und Wehrlosigkeit von Frau T. zur Tatbegehung nicht ausgenutzt, nicht den rechtlichen Anforderungen. Wie die Revision und der Generalbundesanwalt zu Recht ausgeführt haben, legen die getroffenen Feststellungen ein heimtückisches Handeln des Angeklagten so nahe, daß das Schwurgericht sich damit hätte näher auseinandersetzen müssen:
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt heimtückisch, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewußt zur Tötung ausnutzt. Arglos ist ein Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs weder mit einem lebensbedrohlichen noch mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet (vgl. BGHSt 20, 301, 302; 39, 353, 368; 48, 207, 210; BGH NStZ 2002, 368; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13, 17, 27). Arg- und Wehrlosigkeit können auch gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Tatopfer aber nicht mit einem erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit rechnet (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 234, 235; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13, 21; Schneider in MünchKomm-StGB § 211 Rdn. 126 f.). Allerdings kann sich aus dem eigenen vorausgegangenen Verhalten des Opfers ergeben, daß es einen (erheblichen) tätlichen Angriff in Rechnung gestellt hat und daher nicht mehr arglos war (vgl. BGHSt 48, 207, 210; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13).
Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist weiter, daß der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewußt zur Tatbegehung ausnutzt. Dafür genügt es, wenn er die Umstände, die die Tötung zu einer heimtückischen machen, nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfaßt hat, daß ihm bewußt geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2, 9, 17, 25, 26; BGH, Urteil vom 10. November 2004 – 2 StR 248/04). Dabei kann die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, daß ihm das Ausnutzungsbewußtsein fehlte (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 26). Andererseits hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen; dies ist vielmehr Tatfrage (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 166, 167; BGH, Urteil vom 25. November 2004 – 5 StR 401/04).
b) Nach den Feststellungen ging dem Tötungsgeschehen zwar ein Streit voraus, der Angeklagte verhielt sich dabei jedoch zurückhaltend und nur abwehrend. Er hielt Frau T. lediglich für kurze Zeit den Mund zu, um ihr weiteres aggressives Schreien zu verhindern. Verletzt hat er sie – soweit aus dem Urteil ersichtlich, auch bei früheren Auseinandersetzungen – nicht. Mit einem erheblichen körperlichen Angriff des Angeklagten, der ja die Versöhnung mit ihr angestrebt hatte, mußte Frau T. nicht rechnen, auch wenn sie aggressiv gegen den Angeklagten vorgegangen war. Dafür, daß sie sich tatsächlich keines Angriffs versah, spricht, daß sie dem Angeklagten ihren Rücken zuwandte, bevor er sie mit Tötungsvorsatz würgte. Zu diesem Zeitpunkt – bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs – war Frau T. nach den Urteilsfeststellungen arg- und wehrlos. Es liegt auch nahe, daß der Angeklagte, der sich zur Tatzeit lediglich in einem leichten affektiven Erregungszustand befand (UA 27), die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers erkannt und bewußt zur Tatbegehung ausgenutzt hat, wozu allerdings Feststellungen fehlen. Daß er die Tat in einer anderen Situation ebenfalls begangen hätte, schließt Heimtücke nicht aus (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 139, 140; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 25, 31).
4. Das Urteil muß daher auf die Revision des Nebenklägers aufgehoben werden. Die Feststellungen zum Tatvor- und -nachgeschehen (Ziffern II 1 und 3 [bis UA 13, 1. Absatz: „… allerdings transportfähig sei.”] der Urteilsgründe) können jedoch aufrechterhalten bleiben, weil sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind. Ergänzende, den aufrechterhaltenen nicht widersprechende Feststellungen sind zulässig.
Der neue Tatrichter wird, falls er im Hinblick auf das Tötungsmotiv des Angeklagten zu denselben Feststellungen wie in dem angefochtenen Urteil kommt, eingehender als bisher zu erörtern haben, ob der Angeklagte aus „sonst niedrigen Beweggründen” gehandelt hat. Dieses Mordmerkmal liegt zwar im Hinblick auf die Gesamtumstände der Tat – insbesondere die festgestellten ehrverletzenden Äußerungen des Tatopfers direkt vor der Tat – eher fern (vgl. BGH NStZ 2002, 368); nach den bisherigen Feststellungen waren jedoch die Ehrverletzungen für die Tat nicht ursächlich. Als Motiv des Angeklagten für die Tötung hat das Landgericht allein seine Befürchtung, Frau T. könne seinen Ruf in seiner Heimatstadt schädigen, festgestellt (UA 26). Dieser Beweggrund könnte „niedrig” im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB sein (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 35 [Tötung zur Wahrung des „sozialen Ansehens”], 37; Schneider aaO § 211 Rdn. 69, 78, 88 ff.). Dazu – und zur subjektiven Seite des genannten Mordmerkmals – verhält sich das angefochtene Urteil jedoch nicht.
II. Revision des Angeklagten
Die Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Seine Revision hat daher keinen Erfolg.
Unterschriften
Tepperwien, Kuckein, Athing, Solin-Stojanović, Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 2556980 |
NStZ 2005, 691 |
StraFo 2005, 212 |