Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 29.05.2001) |
Tenor
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 29. Mai 2001 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
Tatbestand
I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern und sexuellen Mißbrauchs von Kindern in jeweils elf Fällen in Tateinheit mit dem Sichverschaffen des Besitzes von kinderpornographischen Schriften, sowie wegen Sichverschaffens des Besitzes von kinderpornographischen Schriften in einem weiteren Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus und die Einziehung verschiedener Gegenstände angeordnet.
Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich allein dagegen, daß das Landgericht die Anordnung von Sicherungsverwahrung abgelehnt hat. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts fertigte der Angeklagte während eines vierwöchigen Besuchs seiner damals fünfjährigen Nichte J. in 18 Fällen Film- und Fotoaufnahmen von dem nackten Mädchen. Unter anderem filmte der Angeklagte, wie er das Kind am Körper berührte und mit ihm nachstellte, es werde geschlachtet. Er hängte seine Nichte nackt und an den Füßen gefesselt, mit dem Kopf nach unten, an einer in der Wohnung angebrachten elektrischen Seilwinde auf, was ihn stark sexuell erregte. Auch in diesem Zustand fotografierte und filmte er das Kind mit Hilfe der auf einem Stativ stehenden Videokamera. Dabei faßte er es an und stellte teilweise wiederum Schlachtszenen nach, indem er auch mit einem Küchenmesser an dem Körper des Kindes hantierte, ohne es aber zu verletzen. Obwohl es mit zunehmender Dauer und Häufigkeit dieser Behandlung immer heftiger protestierte, ließ der Angeklagte das Mädchen mehrfach einige Minuten lang laut schreiend und weinend an der Seilwinde hängen. Er kämpfte immer wieder mit der Idee, das Mädchen umzubringen, damit sie ihn nicht verraten könnte, konnte diesen Drang aus Zuneigung zu dem Kind aber überwinden.
Wenige Wochen vor den geschilderten Vorfällen überredete der Angeklagte seine damals 13jährige Nichte N. zu fünf Besuchen in seiner Wohnung, nach denen sie jeweils Geldbeträge zwischen 20 und 100 DM erhielt. Auch während dieser Besuche fertigte der Angeklagte Videoaufnahmen, wobei er das nie völlig entkleidete Mädchen zum Teil fesselte und u.a. in dessen Genital- und Analbereich manipulierte.
2. Der Angeklagte weist eine schwere sexuelle Perversion in Form des Sadismus mit geringfügigen masochistischen Zügen und kannibalistischen sowie pädophilen Neigungen auf. Infolge dieser als schwere andere seelische Abartigkeit zu qualifizierenden Störung war er bei allen Taten in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt, ohne daß seine Schuldfähigkeit gänzlich aufgehoben war. Der Angeklagte, der eine von Gewalt und sexuellem Mißbrauch geprägte Kindheit erlebte, hatte seit seinem zwanzigsten Lebensjahr abnorme sexuelle Phantasien entwickelt, die z.B. das Aufhängen und Schlachten von Frauen zum Gegenstand hatten. Er befriedigte seine Bedürfnisse viele Jahre lang mit Hilfe einschlägiger pornographischer Videos. Auch sammelte er Zeitungsartikel über Kannibalen und Massenmörder von Kindern; aus Werbeblättern mit Abbildungen aufgehängter Schweinehälften und Fotos kleiner blonder Mädchen fertigte er Collagen. Kurz vor den oben geschilderten Geschehnissen hatte der nicht einschlägig vorbestrafte Angeklagte bereits unter einem Vorwand zwei kleine Mädchen zu sich nach Hause mitgenommen, diese dann aber unbehelligt gehen lassen.
Die angeordnete Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus hat die Kammer damit begründet, daß sämtliche Taten in der sexuellen Abnormität des Angeklagten wurzeln und er auch zukünftig für die Allgemeinheit sehr gefährlich ist. Das Landgericht meint aber, bei dem Angeklagten liege kein Hang zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB vor, da für ihn nicht eine so schwere Störung prognostiziert werden müsse, daß die Allgemeinheit vor ihm nur im Wege der Sicherungsverwahrung geschützt werden könne. Es sei nicht auszuschließen, daß der Angeklagte in der Lage sein werde, im Rahmen der Unterbringung seine positiven Charaktereigenschaften dauerhaft zu mobilisieren und in Zukunft bei genügend gefestigten Lebensstrukturen seinen Sexualtrieb ausreichend zu beherrschen.
Entscheidungsgründe
II. Die Begründung, mit der das Landgericht die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung verneint, ist nicht frei von Rechtsfehlern. Diese führen gleichwohl nicht zur Aufhebung des Urteils, weil die Anordnung von Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten im Ergebnis zu Recht unterblieben ist.
1. Unter Zugrundelegung der getroffenen Feststellungen ist die Wertung des Landgerichts zu § 63 StGB einerseits und § 66 StGB andererseits in sich widersprüchlich. Die Kammer geht bei dem Angeklagten aufgrund der sexuellen Perversion von einem seine Schuldfähigkeit dauernd beeinträchtigenden Zustand aus und stellt fest, daß alle abgeurteilten Taten in seiner sexuellen Abnormität wurzeln, er daher auch in Zukunft für die Allgemeinheit sehr gefährlich ist. Mit dieser Beurteilung unvereinbar ist der dann gezogene Schluß, der Angeklagte weise keinen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten auf.
Das Merkmal „Hang” im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen läßt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Entscheidend ist nur das Bestehen des verbrecherischen Hanges, nicht dessen Ursache, denn anders als bei dem die Gefährlichkeit begründenden Zustand im Sinne der §§ 63, 64 StGB beschreibt das Gesetz seine möglichen Ursachen nicht (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1; BGH NStZ 1999, 502; BGHSt 24, 160, 161). Die hier abgeurteilten Anlaßtaten stellen sich ohne weiteres als symptomatisch für die verbrecherische Neigung des Angeklagten dar, da sich in ihnen ein Hang zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 3 S. 1 StGB bereits hinreichend manifestiert hat.
Auch die weitere Argumentation in dem angefochtenen Urteil begegnet rechtlichen Bedenken. Denn die Strafkammer stellt im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB auf eine – allenfalls mögliche, mehr erhoffte als erwartete – weitere positive Entwicklung des Angeklagten ab. Für die Beurteilung der Gefährlichkeit des Täters sind aber die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Urteilsfindung entscheidend (st.Rspr., BGHSt 24, 160, 164; BGH NStZ-RR 1998, 206). Zwar können im Rahmen der Ermessensentscheidung (§ 66 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 StGB) auch solche Gesichtspunkte beachtlich sein, die sich auf den voraussichtlichen Zeitpunkt der Entlassung beziehen; die Gefährlichkeit eines Täters kann u.U. dann verneint werden, wenn schon bei Urteilsfindung mit Sicherheit angenommen werden kann, daß sie bei Ende des Vollzugs der Strafe nicht mehr bestehen wird. Die bloße Möglichkeit künftiger Besserung oder die Hoffnung auf sich ändernde Lebensumstände können die Gefährlichkeit eines Täters jedoch nicht ausräumen (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 206; Urteil vom 7. November 2000 – 1 StR 377/00).
Der Hangtäter ist für die Allgemeinheit gefährlich, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, daß er auch in Zukunft Straftaten begehen wird und diese eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen. Diese Wahrscheinlichkeit ist regelmäßig schon gegeben, wenn die Eigenschaft als Hangtäter festgestellt ist. Nur wenn zwischen der letzten Hangtat und dem Zeitpunkt der Urteilsverkündung neue Umstände eingetreten sind, die die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten entfallen lassen, kann die Gefährlichkeit verneint werden; dabei müssen diese Umstände feststehen (BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 1, 3 und 5 m.w.N.).
Daß von dem Angeklagten zur Zeit der Urteilsfindung die Gefahr weiterer, den Anlaßtaten vergleichbarer Straftaten ausging, ergibt sich aus den Urteilsgründen zu Entstehung, Verlauf, Ausbruch und Weiterentwicklung der sexuellen Perversion des Angeklagten. Umstände, die die hieraus folgende Gefährlichkeitsprognose entkräften könnten, sind weder festgestellt noch sonst ersichtlich. Unerheblich ist bei der Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 66 StGB, daß möglicherweise der Gefährlichkeit des Angeklagten auch durch eine Unterbringung nach § 63 StGB begegnet werden kann.
2. Unbeschadet der fehlerhaften Rechtsanwendung durch das Landgericht ist die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung im Ergebnis aber nicht zu beanstanden. Denn bei der hier gegebenen Konstellation ist im Hinblick auf § 72 StGB für die Verhängung von Sicherungsverwahrung kein Raum.
Liegen sowohl die Voraussetzungen des § 63 StGB als auch des § 66 StGB vor, ist die kumulative Anordnung beider Maßregeln grundsätzlich möglich, da die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gegenüber der Sicherungsverwahrung kein geringeres, sondern ein anderes Übel darstellt (st.Rspr., vgl. BGHSt 5, 312, 314; BGH NStZ 1998, 35). Unter Beachtung des Grundsatzes, daß der Sicherungsverwahrung als „letztes Mittel der Kriminalpolitik” in starkem Maße ultima-ratio-Charakter zukommt (vgl. BGHSt 30, 220, 222; Gesetzentwurf der Bundesregierung zum SexualdelBekG vom 14. November 1997, BTDrucks. 13/8586, S. 8), wird eine Anordnung beider Maßregeln freilich nur ausnahmsweise erfolgen, sofern die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Erreichung des Maßregelzwecks – Abwehr der Gefährlichkeit des Täters – im Einzelfall nicht ausreicht und Gründe vorliegen, die ein Nebeneinander der beiden Maßregeln zweckmäßig erscheinen lassen. Ausschlaggebend für die Auswahl oder Häufung der Maßregeln sind dabei die besonderen Umstände des Einzelfalles (BGHSt 5, 315).
Wenn – wie im vorliegenden Fall – der im Rahmen von § 66 StGB vorausgesetzte Hang ausschließlich auf einen psychischen Defekt zurückgeht, welcher gleichzeitig die erheblich verminderte Schuldfähigkeit begründet, ist die Unterbringung nach § 63 StGB vorrangig und deren alleinige Anordnung im Regelfall auch ausreichend (vgl. BGHR StGB § 63 Konkurrenzen 3; BGH NStZ 1998, 35; BGHSt 42, 306, 308). Da § 63 StGB das Bestehen von Heilungsaussichten nicht voraussetzt, sondern auch dem Schutz der Allgemeinheit vor kranken und gefährlichen Tätern dient, gilt dies prinzipiell auch bei mangelnder oder zweifelhafter Therapierbarkeit des Angeklagten (vgl. BGH NStZ 1995, 588; 1998, 35). Daß die Unterbringung von schwer oder gar nicht therapiefähigen Sexualstraftätern im psychiatrischen Krankenhaus tatsächliche Schwierigkeiten in der Vollzugspraxis mit sich bringt (vgl. Gutachten der unabhängigen Expertenkommission vom 31. Januar 1996, MSchrkrim 1996, 147, 156 f.; Hanack in LK 11. Aufl. § 72 Rdn. 25), vermag an der rechtlichen Ausgangssituation nichts zu ändern.
Abweichend von dem dargelegten Grundsatz kann sich ein Bedürfnis für die zusätzliche Anordnung der Sicherungsverwahrung neben der Unterbringung (§ 72 Abs. 2 StGB) ausnahmsweise dann ergeben, wenn im konkreten Fall zu besorgen ist, daß der von § 63 StGB vorausgesetzte Zustand des Täters – etwa nach erfolgreicher Therapie oder aus anderen Gründen – später entfällt, die Gefährlichkeit aufgrund eines weiterhin gegebenen Hanges aber gleichwohl fortbesteht. Denn bei Wegfall der gesetzlichen Voraussetzungen des § 63 StGB wäre diese Maßregel in analoger Anwendung des § 67c Abs. 2 S. 5 StGB für erledigt zu erklären, selbst wenn von dem Untergebrachten weiterhin Straftaten zu befürchten sind (vgl. BGHSt 42, 306, 310; OLG Hamm NStZ 1982, 300; OLG Karlsruhe MDR 1983, 151; OLG Frankfurt StV 1985, 117). Anhaltspunkte für eine derartige Konstellation sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Bei der hier gegebenen Sachlage ist auch nicht ersichtlich, daß weitere, in diese Richtung gehende Feststellungen zu treffen wären.
Unterschriften
Jähnke, Detter, Bode, Otten, Fischer
Fundstellen