Verfahrensgang
LG Stendal (Urteil vom 24.06.2002) |
Tenor
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Stendal vom 24. Juni 2002 mit den Feststellungen aufgehoben
- im Fall II 2 der Urteilsgründe,
- im Einzelstrafausspruch im Fall II 1 der Urteilsgründe, soweit es den Angeklagten W. betrifft,
- in den Gesamtstrafaussprüchen bezüglich beider Angeklagter,
- soweit davon abgesehen worden ist, die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, darüber hinaus den Angeklagten K. wegen versuchten Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und wegen eines weiteren Falles der vorsätzlichen Körperverletzung, den Angeklagten W. zudem wegen versuchten Raubes und wegen Diebstahls verurteilt. Gegen den Angeklagten W. hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verhängt. Den Angeklagten K. hat das Landgericht unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer rechtskräftigen Verurteilung und unter Aufrechterhaltung einer Maßregel nach § 69 a StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und zur Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz an den Nebenkläger verurteilt.
Mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten Revisionen beanstandet die Staatsanwaltschaft insbesondere, daß die Angeklagten im Fall II 2 der Urteilsgründe nicht des versuchten schweren Raubes gemäß §§ 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c), 22, 23 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) schuldig gesprochen wurden; weiterhin wendet sie sich gegen die Schuld- und Strafaussprüche im Fall II 1 der Urteilsgründe und dagegen, daß die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist. Die Rechtsmittel haben teilweise Erfolg; im übrigen sind sie unbegründet.
1. Soweit sich die Revisionen gegen die Schuldsprüche im Fall II 2 der Urteilsgründe richten, haben sie mit der Sachrüge Erfolg; eines Eingehens auf die Verfahrensrüge bedarf es deshalb nicht.
a) Nach den insoweit getroffenen Feststellungen des Landgerichts verabredeten die angetrunkenen Angeklagten, dem nächsten Passanten mittels Gewalt Geld wegzunehmen, um weitere alkoholische Getränke bezahlen zu können. „Über Schläge hatten beide nicht gesprochen”. Die Angeklagten maskierten sich und liefen zu dem 72jährigen Rentner Fritz S. und dessen Ehefrau. Der Angeklagte K. schlug mit der Faust in das Gesicht des Rentners, so daß das Opfer mit dem Kopf auf die Bordsteinkante stürzte, wodurch zwei Zähne aus dessen Prothese herausfielen. Sodann trat er mit seinen Füßen, an denen er Turnschuhe trug, auf den Oberschenkel und in den Rücken des am Boden liegenden Geschädigten, und schlug auf ihn ein. Der Angeklagte W. stand in einer Entfernung von einigen Metern „wie unbeteiligt dabei”, da er erkannt hatte, daß der Angeklagte K. dem Opfer weit überlegen war und deswegen „weder tatkräftige ‚Hilfe’ noch Ansporn benötigte, um für beide das erhoffte Geld zu erlangen”. Da die Ehefrau des Geschädigten zu schreien anfing, gab der Angeklagte K., der um Entdeckung fürchtete, die weitere Tatausführung auf und entfernte sich mit dem Angeklagten W. vom Tatort.
Durch die körperliche Mißhandlung erlitt der Geschädigte eine Gehirnerschütterung, Rißwunden in der Nasenscheidewand und an der Augenbraue, zahlreiche Blutergüsse und Prellungen. Seit der Tat leidet er an stark erhöhtem Blutdruck.
b) Mit Recht beanstandet die Revisionsführerin, daß das Landgericht dem Angeklagten W. die Körperverletzungshandlungen des Angeklagten K. nicht zugerechnet hat. Allein der Umstand, daß über Schläge bzw. Tritte als Mittel der von beiden Angeklagten zum Zweck der Wegnahme ins Auge gefaßten Gewalt vor der Tat nicht ausdrücklich gesprochen worden war, läßt das Vorgehen des Angeklagten K. noch nicht als Exzess erscheinen. Für ein – wenn auch stillschweigend vereinbartes – einverständliches Handeln spricht vielmehr, daß sich der Angeklagte W. von den tätlichen Angriffen des Mitangeklagten, die dem gemeinsamen Ziel der Beuteerlangung dienten, während der Tat in keiner Weise distanziert hat. Zudem hatte er wenige Tage vor der Tat zum Nachteil des Rentners S. ein ähnlich gewaltsames Vorgehen des Angeklagten K. zur Begehung eines Eigentumsdelikts genutzt (Fall II 1 der Urteilsgründe, in dem sich das Landgericht nicht vom Vorliegen eines gemeinsamen Raubentschlusses überzeugen konnte). Dies zeigt, daß schwerwiegende Tätlichkeiten des Angeklagten K. im Zeitpunkt des gemeinsamen Tatentschlusses im Fall II 2 für den Angeklagten W. weder überraschend noch unerwünscht waren. Schließlich hat das Landgericht nicht in seine Würdigung einbezogen, daß beide Angeklagten nur wenige Augenblicke nach dem gescheiterten Raubversuch zum Nachteil des Zeugen S. nach gleichem Muster einen weiteren Raub begangen haben (Fall II 3), der wiederum mit einem Faustschlag des Angeklagten K. in das Gesicht des Geschädigten begonnen und später mit Faustschlägen von beiden Angeklagten fortgesetzt wurde.
c) Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht daher nicht erörtert, ob sich beide Angeklagte wegen gemeinschaftlicher Begehung der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB schuldig gemacht haben. Außerdem kommt in Betracht, daß auch der Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt wurde. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es für die Frage, ob der Schuh am Fuß als ein gefährliches Werkzeug im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist, auf die – in den Urteilsgründen nicht näher dargelegten – Umstände des Einzelfalles an (vgl. BGHR StGB § 223 a Abs. 1 Werkzeug 3 m.w.N.). Insbesondere hätte es Ausführungen zur Beschaffenheit des Schuhes bedurft (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1989, 920), da auch Turnschuhe der heute üblichen Art durchaus geeignet sein können, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen (vgl. BGH NStZ 1999, 616 f. m.w.N.).
d) Weiterhin hätte das Landgericht hinsichtlich des versuchten Raubes die Qualifikation des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c) StGB prüfen müssen. Diese ist gegeben, wenn durch die Raubtat ein anderer in die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht wird. Er umfaßt nicht allein die Gefahren, die von Raubhandlungen generell ausgehen; vielmehr sind auch solche Gefahren einbezogen, denen das konkrete Opfer allein wegen seiner individuellen Schadensdispositon durch die Raubhandlung ausgesetzt ist (vgl. BGH NStZ 2002, 542 f.). Dabei können sich die Gesundheitsgefahren, die durch eine mit Gewaltausübung verbundene Raubhandlung für ein gesundes, im Vollbesitz seiner körperlichen und geistigen Kräfte befindliches Opfer begründet werden, deutlich von denjenigen unterscheiden, die durch eine vergleichbare Handlung beispielsweise für einen alten Menschen oder einen durch Krankheit oder sonstige körperliche Gebrechen geschwächten Betroffenen eintreten. Hier hätte der Tatrichter bedenken müssen, daß der Angeklagte K. das 72jährige Opfer so heftig mit der Faust ins Gesicht geschlagen hat, daß dieses mit dem Kopf auf die Bordsteinkante stürzte und eine Gehirnerschütterung davontrug. Wie die Revision zu Recht beanstandet, liegt unter diesen Umständen – zumal bei einem älteren Menschen – die Gefahr schwerer Kopfverletzungen nicht fern.
2. Der Strafausspruch im Fall II 1 der Urteilsgründe bezüglich des insoweit wegen Diebstahls verurteilten Angeklagten W. hält ebenfalls rechtlicher Prüfung nicht stand, weil das Landgericht das Vorliegen eines besonders schweren Falles des Diebstahls nach § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StGB nicht erörtert hat.
Nach den insoweit getroffenen Feststellungen schlug der Angeklagte K. dem erheblich angetrunkenem Dietmar We. mit der Faust in das Gesicht, so daß der Geschädigte zu Boden fiel. Während er weiter mit Fäusten auf den am Boden liegenden Geschädigten einschlug, zog der Angeklagte W., vom Angeklagten K. unbemerkt, aus der Gesäßtasche des Geschädigten dessen Geldbörse mit mindestens 35,– EUR heraus und nahm sie an sich. Es liegt daher nahe, daß der Angeklagte W. bei Begehung des Diebstahls die Hilflosigkeit des Geschädigten ausgenutzt hat, der sich angesichts der körperlichen Auseinandersetzung mit dem Angeklagten K. gegen die Wegnahme nicht schützen konnte (vgl. BGHR StGB § 249 Abs. 1 Gewalt 3; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 243 Rdn. 21).
3. Schließlich haben die Rechtsmittel auch insoweit Erfolg, als das Landgericht nicht geprüft hat, ob die Angeklagten gemäß § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt unterzubringen sind. Der Senat verweist hierzu auf die Ausführungen des Generalbundesanwaltes in seiner Antragsschrift.
4. Der Adhäsionsanspruch wird durch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft nicht berührt (vgl. dazu BGHSt 3, 210, 211; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 406 a Rdn. 4, 5).
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Kuckein, Solin-Stojanović, Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 2559116 |
NStZ 2003, 662 |