Verfahrensgang
LG Görlitz (Urteil vom 07.06.2002) |
Tenor
Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 7. Juni 2002 werden verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenklägerin zu tragen. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dadurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten im Fall 1 wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 45 EUR und im Fall 2 wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit versuchtem Schwangerschaftsabbruch zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten verurteilt und auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren erkannt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die Revision des Angeklagten, die das Urteil in vollem Umfang angreift, stützt sich auf Verfahrensrügen und die Sachrüge. Die Revision der Staatsanwaltschaft wendet sich mit der ausgeführten Sachrüge allein gegen den Rechtsfolgenausspruch. Beide Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte war zur Zeit der Taten Chefarzt für Gynäkologie und Geburtshilfe im Kreiskrankenhaus in Zittau.
Im Fall 1 wurde die damals 40-jährige Nebenklägerin H in der genannten Klinik stationär aufgenommen. Die Aufnahme erfolgte mit der Einweisungsdiagnose eines persistierenden Eierstocktumors links mit dem Ziel einer diagnostischen Bauchspiegelung. In dem präoperativen Aufklärungsgespräch am 16. Februar 1998 mit dem aufnehmenden Arzt W erklärte die Nebenklägerin, daß bei ihr noch Kinderwunsch bestehe und daß sie keine größere Operation, beispielsweise mit vollständiger Entfernung der Gebärmutter, wünsche. Einer Behandlung des Befundes in Form der Entfernung des vermuteten Tumors an dem betroffenen Eierstock – ohne die Entfernung ganzer Organe – stimmte sie zu, ebenso einer eventuell erforderlichen Bauchöffnung. Herr W vermerkte daraufhin auf dem Aufklärungsbogen: „Patientin ist mit der Erweiterung des Eingriffs in großem Umfang (z. B. Gebärmutterentfernung) in derselben Narkose nicht einverstanden”. Ferner unterschrieb die Nebenklägerin im Rahmen ihrer „Einwilligungserklärung” folgenden Text: „Sollte die Bauchspiegelung nicht zur Klärung der Erkrankung führen oder der Befund so nicht operierbar sein, bin ich mit einem Bauchschnitt in der gleichen Betäubung einverstanden.”
Am 18. Februar 1998 begannen der Stationsarzt G als Operateur und Dr. K als Assistent mit dem ersten Schritt des operativen Eingriffs, der Bauchspiegelung. Diese ergab Vergrößerungen und andere Veränderungen am rechten und am linken Eierstock. Der Operateur G bat seinen Chef, den Angeklagten, herbei und demonstrierte ihm den Befund. Der Angeklagte war über die angegebenen Erklärungen und Wünsche der Nebenklägerin, auch über deren noch vorhandenen Kinderwunsch, genau informiert. Er faßte wegen des Verdachts auf einen bösartigen Tumor den Entschluß zu einem Bauchschnitt in gleicher Narkose. Daraufhin eröffnete der Operateur G den Bauchraum, löste den rechten Adnex aus dem Adhäsionsbett, setzte den rechten Eierstock ab und sandte diesen an die Pathologie zur intraoperativen Schnellschnittuntersuchung, die etwa 15 bis 20 Mi-nuten dauerte. Nach Vorliegen des – jede Bösartigkeit des Tumors ausschließenden – Schnellschnittbefundes des rechten Eierstocks und dem Herauslösen des linken Eierstocks demonstrierte der Operateur den nunmehrigen intraoperativen Situs noch einmal dem Angeklagten. Dieser entschied aus „Gründen der ärztlichen Vernunft” bewußt und gewollt gegen den ausdrücklich erklärten Willen der Nebenklägerin. Anstatt die Operation zu beenden, der wieder erwachten Patientin zunächst von der Gutartigkeit des Tumors am rechten Eierstock zu berichten und ihr sodann darzulegen, daß es aus medizinischer Sicht sinnvoll und vernünftig wäre, auch den linken, ebenfalls polyzystisch veränderten Eierstock zu entfernen sowie ihr in diesem Zusammenhang klarzumachen, daß eine solche Maßnahme wegen des erheblichen Umfangs der Verwachsungen, der deshalb zu erwartenden großflächigen Läsionen nebst Blutungsherden, was zwangsläufig auch die Entfernung der Gebärmutter und damit die endgültige Unfruchtbarkeit nach sich ziehen könnte, indiziert sei, entschloß sich der Angeklagte zur Entfernung auch des linken Adnexes und im weiteren Verlauf auch der Gebärmutter in derselben Narkose. So wurde verfahren.
Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Landgericht zudem folgendes festgestellt: Als das Ergebnis der Schnellschnittuntersuchung des rechten Eierstocks vorlag, bestand keine lebensgefährliche Situation, etwa wegen Blutungen, für die Nebenklägerin. Eine Beendung der Operation zu diesem Zeitpunkt war daher ohne eine Gefahr schwerwiegender Nachteile für die Nebenklägerin möglich. Indes geht das Landgericht davon aus, daß die vollständige Entfernung der Eierstöcke eine sinnvolle medizinische Maßnahme dargestellt haben kann, weil anderenfalls sich immer wieder neue Tumore hätten bilden können.
Zudem hat das Landgericht angenommen, daß die Handlung des Angeklagten nicht zum Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit der Nebenklägerin (i. S. des § 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB, entsprechend der Zeugungsfähigkeit i. S. des zur Tatzeit geltenden § 224 Abs. 1 StGB a. F.) geführt habe, weil die Erhaltung der Fortpflanzungsfähigkeit ohne die Handlung des Angeklagten auf Grund der massiven tumorösen Veränderungen der Eierstöcke „nicht sonderlich wahrscheinlich” gewesen sei.
Im Fall 2 wandte sich Frau B gemeinsam mit ihrem Ehemann an den Angeklagten mit der Bitte, ihre in der 29. Woche bestehende Schwangerschaft in der Weise zu beenden, daß kein lebendes Kind zur Welt gebracht werde. Frau B informierte den Angeklagten über die Vorgeschichte der Schwangerschaft und legte ihm die entsprechenden Unterlagen der bisher erfolgten Untersuchungen vor. Danach hatten die Untersuchungen insbesondere in der Frauenklinik der Technischen Universität Dresden und der Abteilung Pränataldiagnostik und -therapie der Charité in Berlin als Befund eine Skelettdysplasie mit erheblich vermindertem Wachstum der großen Röhrenknochen ergeben. Es war eine Skelettfehlbildung, „Zwergenwuchs”, angenommen worden, die mit dem Leben des Kindes zu vereinbaren sei. Die Ärzte der Kliniken in Dresden und in Berlin hatten den von Frau B gewünschten Schwangerschaftsabbruch wegen fehlender Indikation abgelehnt.
Der Angeklagte wußte, daß keine Notsituation für die Mutter oder das Kind bestand, die eine Beendigung der Schwangerschaft nebst Abtötung des ungeborenen Kindes rechtfertigen könnte. Die Mutter und ihr Ehemann, die sich nicht mit dem Gedanken an das Leben mit einem behinderten Kind abfinden konnten, befanden sich zwar in einer sehr schwierigen Lage, es bestand aber keine Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen und seelischen Schädigung der Mutter. Was der Angeklagte und alle übrigen beteiligten Fachleute nicht wußten oder auch nur für möglich hielten, war der Umstand, daß der Fetus an einer letalen Form des Zwergenwuchses, nämlich an der äußerst seltenen tödlichen Skelettfehlbildung „Hypochondrogenesis” litt und nach dem Entbinden längstens drei Monate zu leben hatte.
Um der Mutter aus ihrer schwierigen Lage zu helfen, entschloß sich der Angeklagte, die Schwangerschaft durch eine Kaiserschnittoperation zu beenden, die er für den 23. April 1999 ansetzte. Im „OP-Buch” trug er „Sectio parva” (kleiner Kaiserschnitt) ein, um das beteiligte medizinische Personal konkludent darüber zu informieren, daß durch den Kaiserschnitt ein totes Kind entbunden werden sollte. Gegenüber dem Anästhesiearzt Hu und dem Assistenzarzt G gab der Angeklagte an, daß eine Schnittentbindung wegen schwerer Mißbildungen des Kindes vorgesehen sei. Schriftliche Unterlagen über die Voruntersuchungen legte er ihnen bewußt nicht vor. Darüber hinaus untersagte er dem Stationsarzt G, die Patientin noch einmal sonografisch zu untersuchen. Er ging davon aus, daß seine alleinige Verantwortung als Chefarzt der Gynäkologie und sein guter Ruf für die Richtigkeit der Indikation des Schwangerschaftsabbruchs von den an der Operation beteiligten übrigen Ärzten und dem sonstigen medizinischen Personal nicht in Frage gestellt werden würde. Der vom Anästhesisten Hu informierte Chefarzt der Anästhesie, Dr. Kl, leitete gegen 8.12 Uhr bei der Patientin die Narkose ein, wobei er aufgrund seiner Vorstellung (ausschließlich entstanden durch den schriftlichen Eintrag des Angeklagten im OP-Buch „Sectio parva”), daß ein totes Kind entbunden werden sollte, Narkosemittel ohne Rücksicht auf das Kind anwandte. Der Angeklagte begann mit dem Bauchschnitt gegen 8.20 Uhr. Die Gebärmutter wurde gegen 8.32 Uhr eröffnet. Unmittelbar danach, d. h. noch vor der Entwicklung des Kindes aus dem Uterus, klemmte der Angeklagte bereits die Nabelschnur ab. Der Angeklagte nahm die Entwicklung des Kindes ohne Eile vor. Nachdem nur der Kopf entwickelt war, drückte der Angeklagte ein Tuch während eines Zeitraumes von einer halben bis zu zwei Minuten auf das Gesicht des Kindes. Gegen 8.37 Uhr war das Kind vollständig entwickelt. Es zeigte keinerlei Lebenszeichen mehr.
Nach der Vorstellung des Angeklagten sollte das von ihm im Mutterleib für lebend gehaltene Kind durch das Fehlen der Sauerstoffversorgung absterben. Dies sollte durch folgende Maßnahmen erreicht werden: Die Versorgung mit Sauerstoff über die Nabelschnur wurde durch das Abklemmen noch vor der Entwicklung des Kindes unterbunden. Die Entwicklung des Kindes erfolgte anschließend ohne Eile über einen Zeitraum von mehreren Minuten. Das Kind sollte durch die der Mutter gezielt ohne Rücksicht auf den Feten verabreichten massiven Narkosemittel, die über die Nabelschnur auch in seinen Kreislauf gelangten, an der Entwicklung seiner Eigenatmung gehindert werden. Hierzu diente zusätzlich das Zuhalten von Mund und Nase des Kindes durch Aufdrücken des Tuches auf das Gesicht nach der Entwicklung des Kopfes für die Dauer von einer halben bis zu zwei Minuten. Der Angeklagte ging davon aus, daß das Kind nach diesen Maßnahmen bereits gestorben sei oder jedenfalls alsbald sterben werde, ohne noch in der Lage zu sein, Lebenszeichen abzugeben und eine Eigenatmung zu entwickeln.
Der Angeklagte übergab das entbundene Kind an die Schwester S und bat Dr. Kl, von dem Kind Fotos zu machen, der das Kind wegen besserer Lichtverhältnisse in den „Containerraum” brachte. Dort machte Dr. Kl gegen 8.45 Uhr Fotos von dem Kind. Die bei den Fotoaufnahmen anwesende Schwester Bö beobachtete bei dem Kind im Brustbereich vibrierende Bewegungen, die sie als schnelle Abfolge von Herzschlägen des Kindes ansah. Auch Dr. Kl nahm Bewegungen des Kindes wahr. Er bemerkte ein oder zwei Einziehungsbewegungen im Bereich des kindlichen Bauches, was er als Atembewegung des Zwerchfelles einschätzte. Um sicherzugehen, daß er sich nicht getäuscht hatte, rief Dr. Kl zwischen 8.45 Uhr und 9.15 Uhr die Oberärztin Dr. Bi als Unbeteiligte an und bat sie in den OP-Bereich, um sich das Kind im Containerraum anzusehen. Er begab sich wieder in den OP-Saal. Frau Dr. Bi erschrak, als auch sie bei dem Kind eine Einziehung im Bauchbereich beobachtete, die sich wenige Sekunden später wiederholte und die sie als Atembewegung des Kindes bewertete. Währenddessen betrat auch Schwester S den Containerraum. Bei einem Blick auf das Kind sah sie, wie sich der Mund des Kindes bewegte, was für sie wie ein Schnappen nach Luft aussah. Frau Dr. Bi begab sich aufgrund ihrer Wahrnehmungen kurz danach an die Tür zum OP-Saal und winkte dort Dr. Kl heraus. Sie teilte ihm mit, daß das Kind atmen würde. Beide traten zum Kind und beobachteten erneut in größeren, mehrere Sekunden andauernden Abständen Einziehungsbewegungen im Bauchbereich. Übereinstimmend werteten sie die Bewegungen als Versuche des Kindes zu atmen und damit als Lebenszeichen. Sie unternahmen den Versuch, das Kind auf dem Reanimationstisch durch Erwärmen und Beatmen mittels Bebeutelns zu reanimieren. Dr. Bi setzte das Bebeuteln allein fort, während Dr. Kl den Angeklagten aus dem OP-Saal holte. Der Angeklagte erschien zwischen 9.00 Uhr und 9.16 Uhr im Containerraum. Als er dort die Oberärztin Dr. Bi beim Bebeuteln des Kindes sah, rief er erregt etwa in dem Sinne: „Sind Sie verrückt! Das hat doch keine Chance!” Er riß ihr das Kind aus der Hand und drückte dem Kind mit der Hand Nase und Mund fest zu. Er hielt es für möglich, daß die ohne sein Wissen von Dr. Kl und Dr. Bi begonnene Reanimation erfolgreich gewesen und das Kind noch am Leben sein könnte. Um weiterhin sein mit der Schnittentbindung verfolgtes Ziel der Abtötung des Kindes zu erreichen, wollte er die von ihm für möglich gehaltene Atmung des Kindes unterbinden und dadurch den Tod herbeiführen. Nachdem Dr. Bi und Dr. Kl, die beide mit dieser Situation überfordert waren, ohne Eingreifen in die Handlung des Angeklagten den Raum verlassen hatten, verblieb der Angeklagte während eines Zeitraums von etwa zehn bis 20 Minuten allein mit dem Kind. Während dieser Zeit rief er aus dem Containerraum zweimal die Schwester Bö und forderte von ihr, ihm einen Eimer mit Wasser zu bringen. Sie übergab dem Angeklagten schließlich eine Schüssel, die sie halbvoll mit warmen Wasser füllte. Als Dr. Kl gegen 9.20 Uhr nochmals in den Raum ging, hielt der Angeklagte dem Kind Mund und Nase zu und äußerte sinngemäß: „Das ist aber zählebig.” Der Angeklagte, der es für möglich hielt, daß das Kind noch lebte, wollte durch diese Handlung weiterhin entsprechend seinem ursprünglichen Entschluß den Tod des Kindes herbeiführen. Aufgrund dieser Beobachtung verständigte Dr. Kl anschließend den ärztlichen Direktor des Krankenhauses über den Vorgang.
Spätestens gegen 9.30 Uhr war das Kind verstorben. Das Landgericht hat nicht ausschließen können, daß bereits zu einem früheren Zeitpunkt bei dem ohnehin krankheitsgeschädigten Kind der Hirntod wegen fehlender Sauerstoffversorgung nach Abtrennung der Nabelschnur und anschließend nicht in Gang gekommener Eigenatmung eingetreten ist und daß die von dem Angeklagten bei und nach der Entwicklung begangenen Handlungen erst nach dem bereits eingetretenen Hirntod erfolgt sind. Es hat auch nicht auszuschließen vermocht, daß der Tod des Kindes unabhängig von den Handlungen des Angeklagten allein aufgrund der bei dem Kind vorhandenen tödlichen Skelettfehlbildung Hypochondrogenesis eingetreten ist.
I.
Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
1. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
a) Die Besetzungsrüge ist unbegründet.
Die Entscheidung des Vorsitzenden, die Schöffin Ba wegen eingetretener Hinderungsgründe von der Dienstleistung zu entbinden, ist nicht anfechtbar (§ 54 Abs. 3 Satz 1 i. V. mit § 77 Abs. 1 GVG) und daher der Beurteilung des Revisionsgerichts entzogen (§ 336 Satz 2 StPO), sofern nicht etwa eine willkürliche Richterentziehung vorliegt (Kissel in KK 4. Aufl. § 54 GVG Rdn. 20; Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 54 GVG Rdn. 10). Ein Fall der Willkür ist hier nicht gegeben. Die Schöffin hatte mit ihrem Antrag auf Entbindung von der Dienstleistung geltend gemacht, daß sie im Februar 2002 an ihrer Arbeitsstelle, einem Pflegedienst, bei Abwesenheit der Betriebsinhaberin und des Geschäftsführers für zahlreiche, im einzelnen benannte Aufgaben „allein zuständig” sei, so daß es ihr nicht zumutbar sei, an acht von 20 Arbeitstagen der Arbeit fernzubleiben. Dies barg jedenfalls einen vertretbaren Grund für die Annahme einer Unzumutbarkeit der Dienstleistung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 2 GVG. Daß der Strafkammervorsitzende zuvor in einem Schreiben an den Arbeitgeber der Schöffin höhere Anforderungen an die Unzumutbarkeit einer Schöffendienstleistung beschrieben hatte, ist ohne Bedeutung. Für die Behauptung der Revision, es habe sich bei dem Vorbringen der Schöffin offensichtlich um „Ausflüchte” (vgl. dazu Kissel aaO Rdn. 21) gehandelt, fehlt jeder Anhalt.
b) Die auf die Behandlung eines Hilfsbeweisantrages zur Anhörung eines sachverständigen Neonatologen gestützte Rüge bleibt erfolglos.
Das Landgericht hat die alleinige Beweisbehauptung, „daß die Ultraschallbilder, die am 20. April 1999 von dem Kind B in der Charité gemacht wurden, die Diagnose einer Skelettfehlbildung zulassen, die mit dem Leben des Kindes nicht zu vereinbaren ist”, als wahr unterstellt. Hierzu hat es sich im Urteil nicht in Widerspruch gesetzt. Was die Revision als vermeintliche weitere Beweisbehauptungen bezeichnet, sind lediglich erhoffte Schlüsse, die das Landgericht nicht gezogen hat. Es hat ausgeführt, weshalb es diese Schlüsse nicht ziehen mochte, nämlich insbesondere wegen des Verhaltens des Angeklagten gegenüber seinen ärztlichen Kollegen, denen er die relevanten Unterlagen vorenthielt. Der aus dieser Verheimlichung vom Landgericht gezogene Schluß, daß der Angeklagte nicht von einer tödlichen Skelettfehlbildung des Fetus ausging, ist möglich.
c) Die auf die Behandlung eines Hilfsbeweisantrages zur Anhörung eines Sachverständigen für Neurologie und Neonatalogie gestützte Rüge versagt.
Das Landgericht hat als wahr unterstellt, „daß die von den Zeugen berichteten Baucheinziehungen und das von einer Zeugin geschilderte Vibrieren der Herzgegend kein Zeichen für Leben und Lebensfähigkeit darstellen, sondern supravitale Reflexbewegungen sein können” und „daß das Kind aufgrund der fehlenden und ungenügenden Sauerstoffzufuhr nach Abtrennung der Nabelschnur bei nicht vorhandener und später allenfalls ungenügender Atmung bereits im Zeitpunkt der Beobachtungen der Zeugen hirntot war und es sich nur noch um Reflexe handelte”. Zu dieser Wahrunterstellung hat das Landgericht sich nicht in Widerspruch gesetzt.
Auch soweit das Landgericht die Beweisbehauptung, daß das Kind „15 Minuten nach der Geburt … hirntot” war, nicht ausdrücklich beschieden hat, liegt darin kein durchgreifender Verfahrensfehler. Zum einen geht das Landgericht von der Möglichkeit eines Hirntodes binnen 15 Minuten nach der Geburt aus (UA S. 61, 62). Zum anderen liegt der Rüge das Mißverständnis zugrunde, daß der Hirntod, dem sehr wohl noch Kreislauffunktion und Atmung folgen können, mit dem klinischen Tod gleichzusetzen sei (vgl. dazu nur Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch 259. Aufl. sub Hirntod und Todeszeitpunkt).
d) Die Aufklärungsrüge bleibt ohne Erfolg.
Das Landgericht ist den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. T gefolgt, „wonach anhand der Voruntersuchungen von einem lebensfähigen Kind ausgegangen werden mußte”. Dabei hatte dieser Sachverständige daran angeknüpft, „daß anerkannte Spezialisten in Dresden und Berlin anhand der Ultraschallbilder keine tödliche Skelettfehlbildung erkannten”. Die Revision macht geltend, es hätten die damit gemeinten Ärzte, nämlich die Zeugen Prof. Dr. Hi, Prof. Dr. R und Prof. Dr. Bo, auch zur Frage ihrer speziellen Sachkunde gehört werden müssen. Deren Vernehmung hätte ergeben, daß sie „keine anerkannten Spezialisten für Skelettfehlbildungen und deren pränatale Diagnostik sind und über wesentlich größere Erfahrung mit letalen Skelettfehlbildungen verfügen”. Die Rüge ist unzulässig, weil entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO die in der Hauptverhandlung erfolgte Vernehmung dieser Zeugen nur andeutungsweise mitgeteilt wird. Im übrigen kann die Aufklärungsrüge nicht darauf gestützt werden, daß der Tatrichter ein benutztes Beweismittel nicht voll ausgeschöpft, insbesondere einem Zeugen bestimmte Fragen nicht gestellt habe (Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 244 Rdn. 82 m. w. N.).
e) Die auf eine Verletzung des § 261 StPO gestützte Rüge mangelhafter Erörterung des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. Za greift nicht durch.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Rüge bereits unzulässig ist, weil der „beiliegende Befundbericht” zum Schreiben des Prof. Dr. Za vom 11. August 2000 nicht mitgeteilt wird. Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Das Landgericht hat das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Za erörtert, hat es sogar durch die Angaben mehrerer anderer Sachverständiger bestätigt gefunden. Es ist jedoch aufgrund rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung zu der Überzeugung gelangt, daß der Angeklagte nicht wußte oder für möglich hielt, daß der Fetus an der äußerst seltenen tödlichen Skelettfehlbildung Hypochondrogenesis litt.
2. Das Urteil enthält keinen sachlichrechtlichen Fehler zum Nachteil des Angeklagten.
a) Im Fall 1 hat das Landgericht zutreffend eine vorsätzliche Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB darin gefunden, daß der Angeklagte bewußt und gewollt gegen den ausdrücklich erklärten Willen der Nebenklägerin einen Adnex und die Gebärmutter entfernte (vgl. BGHSt 45, 219).
Der von der Revision herangezogene Gesichtspunkt mutmaßlicher Einwilligung angesichts eines während der Operation etwa veränderten Bildes trägt nicht. Entscheidend war insoweit nicht die Motivation, aus der die Nebenklägerin ihre Einwilligung in die Operation sachlich begrenzt hatte, nämlich ihr bestehender Kinderwunsch, sondern allein die objektive Begrenzung dieser Einwilligung. Eine erhöhte Gefahr für Leib oder Leben der Nebenklägerin (vgl. BGHSt 35, 246 und 45, 219) hatte sich während der Operation nicht ergeben.
b) Im Fall 2 hat das Landgericht zutreffend einen versuchten Totschlag nach § 212 Abs. 1, § 22 StGB in Tateinheit mit versuchtem Schwangerschaftsabbruch nach § 218 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1, § 22 StGB angenommen.
Soweit die Revision des Angeklagten sich mit Ausführungen zur Sachrüge gegen die Beweiswürdigung wendet, bleibt dies erfolglos. Mit den angestellten eigenen Bewertungen einzelner Beweiserhebungen und den vorgenommenen eigenen Schlußfolgerungen wird kein Rechtsfehler aufgezeigt. Die Einlassung des Angeklagten, er habe das Kind bereits vor der Geburt für nicht lebensfähig, jedenfalls aber bei der Geburt für tot gehalten, hat das Landgericht in rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung widerlegt. Es hat dabei insbesondere die Bekundungen der Zeugen Dr. Kl, Dr. Bi und Bö zugrundegelegt und in den danach festgestellten auffälligen Verhaltensweisen des Angeklagten vor und während des Tatgeschehens tragfähige Indizien für die daraus geschlossene Vorstellung des Angeklagten gefunden. Die Bekundungen der Zeugen Dr. V, Dr. Kl und M zu den Gesprächen des Angeklagten mit der Krankenhausleitung nach der Tat treten hinzu. Der aus alledem vom Landgericht gezogene Schluß auf die Vorstellung des Angeklagten war jedenfalls möglich, gar naheliegend.
Auch hat das Landgericht nicht – wie von der Revision besorgt wird – gegen den Grundsatz in dubio pro reo verstoßen. Es hat nicht etwa festgestellt, daß das Kind bereits im Mutterleib verstorben wäre, sondern durchgängig dargestellt und bedacht, daß ein Tod vor dem spätesten Todeszeitpunkt um 9.30 Uhr nicht festgestellt werden konnte. Dem hat das Landgericht dadurch Rechnung getragen, daß es den Angeklagten lediglich wegen einer versuchten Tat schuldig gesprochen hat.
Das Landgericht hat festgestellt, der Angeklagte habe gewußt, daß keine Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch nach § 218a Abs. 2 StGB bestand. Für die von der Revision gehegte Besorgnis, das Landgericht habe etwa „die Feststellungen der Ärzte aus Berlin und Dresden” als für den Angeklagten bindend erachtet, besteht kein Anhalt.
Entscheidungsgründe
II.
Auch die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.
1. Die im Fall 1 verhängte Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen ist zwar sehr milde, löst sich jedoch noch nicht – weder in der gewählten Strafart noch in deren Maß – von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so daß ein Eingreifen des Revisionsgerichts ausgeschlossen ist (vgl. BGHSt 34, 345, 349).
2. Auch die Strafzumessung im Fall 2 birgt keinen durchgreifenden Rechtsfehler.
a) Zutreffend geht die Beschwerdeführerin davon aus, daß bei der Findung der schuldangemessenen Strafe die etwaige Möglichkeit der Aussetzung ihrer Vollstreckung zur Bewährung grundsätzlich außer Betracht zu bleiben hat (BGHSt 29, 319, 321; 32, 60, 65; BGH NJW 1985, 1719; vgl. aber BGH StV 2001, 346). Indes ergeben die Urteilsausführungen keinen Anhalt für das von der Beschwerdeführerin besorgte „Bestreben der Kammer, … dem Angeklagten von vornherein Strafaussetzung zur Bewährung zu bewilligen”.
b) Auch beanstandet die Beschwerdeführerin zutreffend, daß das Landgericht bei der Wahl des Strafrahmens des § 213 StGB nicht ausdrücklich genannt hat, ob dies auch eingedenk des Versuchscharakters der Tat geschehen ist, während anschließend eine Strafrahmenverschiebung nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB vorgenommen worden ist. Der Senat kann jedoch aufgrund der ausführlichen und umsichtigen Strafzumessungserwägungen ausschließen, daß die erkannte Strafe auf diesem Mangel beruht.
3. Die Gesamtstrafe hat das Landgericht „unter nochmaliger Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände” hinreichend begründet. Daß das Landgericht die Vorschrift des § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB übersehen hätte, ist weder zu besorgen, noch würde aus einem solchen Übersehen ein Vorteil für den Angeklagten resultieren.
4. Soweit die Beschwerdeführerin schließlich die Anordnung eines Berufsverbotes nach § 70 StGB gegen den Angeklagten vermißt, ist es von entscheidender Bedeutung, daß der Angeklagte im August 2002 berentet worden ist. Danach ist eine – für die Anordnung der Maßregel erforderliche – Wiederholungsgefahr (vgl. BGHR StGB § 70 Abs. 1 Wiederholungsgefahr 1) auszuschließen.
Unterschriften
Harms, Häger, Gerhardt, Brause, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2559309 |
ArztR 2004, 107 |
NStZ-RR 2004, 230 |