Entscheidungsstichwort (Thema)
Totschlag
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 29. Dezember 1998 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Von Rechts wegen
Gründe
Der Angeklagte ist wegen Totschlags in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer Schußwaffe zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt worden. Außerdem wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Das Landgericht hatte im Urteil vom 20. Februar 1998 bestimmt, daß die gesamte Freiheitsstrafe vor der Maßregel zu vollstrecken sei. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat durch Beschluß vom 8. September 1998 - 1 StR 384/98 - das Urteil insoweit aufgehoben. Nach Zurückverweisung der Sache hat das Landgericht entschieden, daß fünf Jahre acht Monate der verhängten Freiheitsstrafe vor der Maßregel zu vollziehen sind. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Die Revision macht geltend, die Maßregel müsse entsprechend der in § 67 Abs. 1 StGB zum Ausdruck kommenden Grundentscheidung des Gesetzgebers vor der Strafe vollstreckt werden. Das Landgericht habe nicht bedacht, daß bei der beim Angeklagten vorliegenden Persönlichkeitsstörung der Strafvollzug die vielleicht heute noch vorhandenen Therapiechancen endgültig verschütten werde.
Gegen den vom Landgericht angeordneten teilweisen Vorwegvollzug der Freiheitsstrafe können indes aus Rechtsgründen Einwände nicht erhoben werden. Der Bundesgerichtshof hat für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß bei dieser Art der Unterbringung die Umkehrung der gesetzlich vorgeschriebenen Reihenfolge der Vollstreckung von Maßregel und Strafe grundsätzlich auch damit gerechtfertigt werden kann, daß der Entlassung in die Freiheit die Behandlung nach § 64 StGB unmittelbar vorausgehen sollte, weil ein sich anschließender Strafvollzug die positiven Auswirkungen des Maßregelvollzugs wieder gefährden würde (BGH MDR 1985, 1041 = NStZ 1986, 140 m. Anm. Wendisch; BGH NStZ 1986, 428; BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 3; BGH, Beschluß vom 3. Dezember 1985 - 1 StR 568/85).
Diese Grundsätze wendet der Bundesgerichtshof auch auf die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB an, wenn der Anordnung der Maßregel – wie hier – eine schwere andere seelische Abartigkeit zugrunde liegt (BGHR StGB § 67 Abs. 2 Zweckerreichung, leichtere 9 – schwere seelische Abartigkeit –). Auch in diesen Fällen kommt – wie dies der psychiatrische Sachverständige im Hinblick auf diesen Angeklagten ausgeführt hat – im wesentlichen nur eine psychotherapeutische Behandlung in Betracht. Damit besteht in gleicher Weise wie bei der Behandlung in der Entziehungsanstalt die Gefahr, daß der Behandlungserfolg durch einen nachfolgenden Strafvollzug wieder zunichte gemacht wird. Dazu hat das Landgericht dargelegt, daß die beim Angeklagten festgestellte fortdauernde schwere Persönlichkeitsstörung, aus der selbst bei alltäglichen Konfliktsituationen ein überaus hohes Gewalt- und Gefährlichkeitspotential resultiere, allein durch eine in Freiheit oder im offenen Maßregelvollzug durchgeführte Verhaltenstherapie abgebaut werden könne, die sich aber bei dem derzeit noch ungebrochenen, sehr hohen Gefahrenpotential verbiete, so daß er einer – zunächst stationären – längerwährenden, intensiven Verhaltenstherapie unterzogen werde müsse. Eine solche Therapie habe zwingend zur Voraussetzung, daß der persönlichkeitsgestörte Angeklagte „über längere Zeit im alltäglichen Leben mit solchen im Umgang mit anderen Menschen gängigen Konfliktsituationen konfrontiert und dann bei deren Bewältigung therapeutisch unterstützt werde”. Dies kann nur durch eine Therapie gewährleistet werden, die diese Bemühungen im Wege von Vollzugslockerungen in der Freiheit verstärkt und damit die Chancen für eine Entlassung zur Bewährung verbessert.
Das Landgericht hat auch an Hand konkreter Anhaltspunkte dargelegt (vgl. BGH NStZ 1986, 428), worin die Gefährdung des Maßregelerfolgs durch den anschließenden Strafvollzug besteht und wie sie sich bei dem Angeklagten auswirken könnte: Für den Erfolg einer Verhaltenstherapie folgt es dem Sachverständigen und sieht es als unabdingbar an, daß der Angeklagte von Beginn an von der sicheren Erwartung motiviert wird, seine allein im Umgang mit anderen Menschen in der Freiheit erlernbaren Fähigkeiten zu sozialen Kontakten und zur Bewältigung der aus diesen resultierenden Konfliktsituationen dann auch in Freiheit zu verwirklichen. Aus der allgemeinen Erwartung, daß ein Mensch nach Abschluß der Verhaltenstherapie noch den Vollzug längerfristiger Freiheitsstrafe zu gewärtigen habe und dadurch jeder auch nur ansatzweise Versuch einer solchen Therapie zum Scheitern verurteilt sei, zieht das Landgericht im Falle des Angeklagten und der bei ihm diagnostizierten schweren Persönlichkeitsstörung den Schluß, daß der Vorwegvollzug der Maßregel vor der Strafe bei ihm „schädlich und geradezu kontraproduktiv” sei.
Diese Erwägungen reichen aus, die auf den konkreten Einzelfall zurückgeführte prognostische Beurteilung zu tragen. Sie lassen entgegen der Meinung der Revision auch nicht besorgen, daß das Landgericht bei der Bewertung des zeitlichen Ablaufs der Therapiebemühungen § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB übersehen hat. Im Fall des Angeklagten erscheint es ihm angezeigt, mit der Verhaltenstherapie erst zu beginnen, wenn gewährleistet und für ihn erkennbar ist, daß bei einer erfolgreichen Therapie keine Freiheitsstrafe mehr vollstreckt werden muß. Zwar ist bei Beibehaltung der gesetzlichen Reihenfolge des Vollzugs der Maßregel vor der Strafe bei erfolgreicher Therapie eine Aussetzung des Strafrestes schon nach Erledigung der Hälfte der Strafe möglich. Hinsichtlich der Dauer der Therapie, wenn sie überhaupt Erfolg hat, haben sowohl der Sachverständige und ihm folgend das Landgericht keine Prognose stellen können. Das Landgericht hält aber eine Mindesttherapie von zwei Jahren für unabdingbar. Damit sieht es auch die Aussichten für eine Aussetzung zur Bewährung bereits nach der Hälfte der Vollstreckung der Freiheitsstrafe als eher vage an. Bei dieser Sachlage weist die vom Landgericht abgegebene Gesamtbeurteilung der Therapiechancen des Angeklagten unter Berücksichtigung einer möglichst sicheren Erwartung einer Entlassung aus der Therapie direkt in die Freiheit keinen Rechtsfehler auf, wenn „mit der im Falle des Angeklagten allenfalls erfolgversprechenden Verhaltenstherapie frühestens ein Jahr vor dem Zeitpunkt begonnen werden kann”, zu dem zwei Drittel der Strafe verbüßt sein werden. Sollten sich im Laufe des Strafvollzugs neue Erkenntnisse über die Möglichkeiten der Behandlung des Angeklagten ergeben, könnte diesen durch eine nachträgliche Änderung der Anordnung gemäß § 67 Abs. 3 StGB Rechnung getragen werden (BGHR StGB § 67 Abs. 2 Zweckerreichung, leichtere 10 – offene Prognose –).
Unterschriften
Schäfer, Maul, Granderath, Brüning, Boetticher
Fundstellen
Haufe-Index 540015 |
NStZ 1999, 613 |