Leitsatz (amtlich)
a) Zum Ausgleichsanspruch eines Untervertreters (Ergänzung zu BGHZ 52, 5 und 49, 39).
b) Eine tatsächliche Vermutung, daß Geschäftsverbindungen mit Kunden, die der Handelsvertreter angeknüpft hat, auch nach Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses fortbestehen, ist nicht immer anzuerkennen; es kommt auf die Verhältnisse des Einzelfalls, besonders auf die Art der vertriebenen Erzeugnisse an.
Normenkette
HGB § 89b
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 11.07.1967) |
LG Frankfurt am Main |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Frankfurt (Main) vom 11. Juli 1967 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Beklagte ist Generalvertreter der Firma A., einer Fabrik für landwirtschaftliche Geräte. Am 8. Januar 1957 schloß er mit dem Kläger einen Handelsvertretervertrag. Darin gewährte er ihm Gebietsschutz für eine Reihe von hessischen Kreisen und versprach ihm Provision für alle aus dem Bezirk eingehenden direkten und indirekten Aufträge.
Am 24. Februar 1964 teilte der Beklagte dem Kläger mit, für die von der A. neu hergestellten Typen 2.100 und 4.800 habe er – Kläger – keinen Gebietsschutz, Provision erhalte er nur für von ihm selbst verkaufte Maschinen. Der Kläger erhob dagegen Widerspruch. Darauf schickte der Beklagte ihm am 4. Mai 1964 zwei Aufträge über die genannten Typen zurück mit dem Bemerken, er werde diese erst an ihn ausliefern, wenn „vollkommene Klarheit über die von uns geforderte Maßnahme vom 24.2.1964 erreicht ist”. Am 24. September 1964 schrieb der Beklagte dem Kläger, er müsse sich bei einer Reihe von im einzelnen genannten Typen grundsätzlich vorbehalten, den Handel direkt zu beliefern. Darauf kündigte der Kläger am 30. September 1964 das Vertragsverhältnis zum 31. Dezember 1964. Der Beklagte besetzte das Gebiet, des Klägers nicht mehr mit einem Vertreter. Die Firma A. bearbeitete es seitdem durch eine eigene Vertriebsorganisation.
Der Kläger hat mit der Klage einen Ausgleich von 15.000 DM nebst Zinsen gefordert. Der Beklagte hat geltend gemacht, er habe dem Kläger keinen begründeten Anlaß zur Kündigung gegeben, er habe auch keinen Nutzen aus Geschäftsbeziehungen mit den vom Kläger geworbenen Kunden mehr, weil er den Bezirk entschädigungslos an die A. abgegeben habe.
Das Landgericht hat dem Kläger einen Ausgleich von 7.500 DM zugesprochen und die weitergehende Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte den Antrag auf völlige Abweisung der Klage weiter. Der Kläger bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision bittet zu überprüfen, ob die Voraussetzungen des § 89 b HGB gegeben sind, obwohl der Beklagte selbst nur Generalvertreter und der Kläger sein Untervertreter war.
Daß ein Untervertreter gegen den Hauptvertreter, mit dem er in einem unmittelbaren Vertragsverhältnis steht, beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen einen Ausgleichsanspruch geltend machen kann, hat das Berufungsgericht unter Hinweis auf den § 84 Abs. 3 HGB mit Recht angenommen. Das ist, soweit festgestellt werden kann, auch in Rechtsprechung und Schrifttum nie bezweifelt worden. Der erkennende Senat ist davon in meinem Urteil vom 13. März 1969 BGHZ 52, 5 als selbstverständlich ausgegangen.
2. Das Berufungsgericht hat festgestellt, der Beklagte habe durch sein Verhalten dem Kläger begründeten Anlaß zur Kündigung gegeben (§ 89 b Abs. 3 HGB). Nach dem Vertrage der Parteien sei eine Herausnahme bestimmter Typen aus der Provisionspflicht für indirekte Aufträge nicht vorgesehen gewesen. Durch die Maßnahme des Beklagten seien die Verdienstmöglichkeiten des Klägers erheblich geschmälert worden, da gerade die neu entwickelten Modelle für den Verkauf an Landwirte besonders interessant gewesen seien.
Die Revision macht geltend, die Einschränkung des Gebietsschutzes habe auf Anweisungen der A. beruht, der Beklagte als deren Großhändler habe keinen Einfluß darauf gehabt.
Damit hat die Revision keinen Erfolg.
a) Vertragliche Beziehungen bestanden nur zwischen den Parteien, nicht zwischen der A. und dem Kläger. Dieser kann daher seine Rechte und Interessen nur gegenüber dem Beklagten wahrnehmen.
Der Senat hat in dem bereits erwähnten Urteil BGHZ 52, 5 dargelegt, ein Verhalten des Hauptvertreters, das dem Untervertreter begründeten Anlaß zur Kündigung geben könne, sei auch darin zu finden, daß der Hauptvertreter nach erfolgter Kündigung des Unternehmern ihm gegenüber dem Untervertreter keine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zu für diesen annehmbaren Bedingungen geboten habe. Dazu sei er zwar nicht vertraglich verpflichtet gewesen. Aber auch ein rechtmäßiges Verhalten des Unternehmers in einer Lage, in die er ohne eigenes Verschulden gekommen sei, könne dem Handelsvertreter begründeten Anlaß zur Kündigung geben, wenn ihm nicht zuzumuten sei, seine Tätigkeit fortzusetzen. Das gelte auch im Verhältnis zwischen Hauptvertreter und Untervertreter.
b) An diesen Grundsätzen ist festzuhalten. Es kommt daher nicht darauf an, ob der Beklagte sich der von der AGRIA gewünschten Einschränkung des Gebietsschutzes möglicherweise nicht ohne Schaden für seine Beziehungen zu dieser hätte entziehen können. Das schließt die Annahme eines Verhaltens des Beklagten, das dem Kläger begründeten Anlaß zu seiner Kündigung gab, nicht aus.
c) Zu Unrecht weist die Revision darauf hin, die AGRIA bzw. der Beklagte hätten die fraglichen Erklärungen bereits in der Zeit von Februar bis Mai 1964 abgegeben, die Mitteilung des Beklagten vom 24. September 1964 sei nur eine Wiederholung gewesen.
Der Kläger hat der getroffenen Maßnahme alsbald widersprochen. Daraus, daß er erst nach Erhalt des den Gebietsschutz noch weiter einschränkenden Schreibens des Beklagten vom 24. September 1964 gekündigt hat, brauchte das Berufungsgericht nicht zu folgern, daß er in den vorangegangenen Schreiben keinen begründeten Anlaß zur Kündigung erblickt habe.
3. Das Berufungsgericht nimmt an, der Beklagte habe nach Beendigung des Vertragsverhältnisses aus der Geschäftsverbindung mit den vom Kläger geworbenen Kunden erhebliche Vorteile gehabt. Er habe die Möglichkeit gehabt, die Geschäftsverbindung mit den vom Kläger geworbenen Kunden weiter auszunutzen. Es stehe nicht entgegen, daß er den durch das Ausscheiden des Klägers frei gewordenen Bezirk wegen mangelnder Rentabilität nicht mehr mit einem neuen Vertreter besetzt, sondern ihn an die AGRIA abgegeben habe. Die Abgabe des Bezirks berühre den Anspruch des Klägers nicht. Da er jährlich mehr als 100.000 DM umgesetzt habe, hätte die A. dem Beklagten einen Ausgleich zahlen müssen. Wenn dieser mit Rücksicht auf seine künftigen Beziehungen zu der A. von einer solchen Forderung abgesehen habe, könne das nicht zu Lasten des Klägers gehen. Der Beklagte sei vielmehr so zu behandeln, als habe er freiwillig von der weiteren Nutzung der Geschäftsbeziehungen abgesehen.
a) Diese Ausführungen greift die Revision an. Sie macht geltend, der Beklagte habe keine erheblichen Vorteile gehabt, weil er den Bezirk des Klägers mangels Rentabilität der A. habe überlassen müssen. Es fehle auch an Feststellungen darüber, daß die A. aus der Übernahme des Bezirks erhebliche Vorteile gezogen habe und deshalb dem Beklagten einen Ausgleich hätte zahlen müssen. Das Berufungsgericht lasse es vielmehr dahingestellt, ob die A. jetzt noch Vorteile ziehe. Für die Revisionsinstanz sei daher von dem Gegenteil auszugehen.
b) Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 9. November 1967 BGHZ 49, 39 unter Hinweis auf frühere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ausgesprochen, dem Unternehmer stehe grundsätzlich das Recht zu, seinen Betrieb so einzurichten und gegebenenfalls umzugestalten, wie es ihm wirtschaftlich vernünftig und sinnvoll erscheint. Er dürfe sich dabei nur nicht willkürlich und ohne einen vertretbaren Grund über die schutzwürdigen Belange seines Handelsvertreters hinwegsetzen.
c) Im vorliegenden Fall ist der Umstand, daß der Beklagte als Generalvertreter den freigewordenen Bezirk des Klägers, seines Untervertreters, nicht selbst wieder mit einem neuen Vertreter besetzt, sondern an die A. abgegeben hat, einer teilweisen Einstellung des Betriebes durch den Unternehmer vergleichbar. Es ist daher auch hier zu prüfen, ob die Handlungsweise des Beklagten wirtschaftlich vernünftig war oder ob er etwa willkürlich und ohne vertretbaren Grund sich über die schutzwürdigen Belange des Klägers hinweggesetzt hat. Dabei ist die besondere Lage des Untervertreters zu berücksichtigen. In einem solchen Falle muß der Generalvertreter bei Treu und Glauben entsprechender Auslegung seiner vertraglichen Treupflichten gegenüber dem Untervertreter dessen Interessen wahren.
Bot beim Ausscheiden des Klägers eine Fortführung der Geschäftsverbindung mit den von ihm geworbenen Kunden erhebliche Vorteile, so durfte der Beklagte sich dieser Vorteile nicht ohne weiteres dadurch entäußern, daß er die weitere Betreuung der Kunden entschädigungslos der A. überließ. Jedenfalls darf er, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, sich auf ein solches Verhalten dem Kläger gegenüber nicht zur Abwehr von dessen Ausgleichsanspruch berufen (vgl. dazu Schröder, Recht der Handelsvertreter 3. Aufl. § 89 b Anm. 6 e und 6 h; Küstner. Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, 2. Aufl. RZ 101, 316).
d) Es braucht hier nicht darauf eingegangen zu werden, ob der Beklagte etwa Eigenhändler war und auch als solcher einen Ausgleichsanspruch im Sinne des § 89 b HGB gegen die A. gehabt hätte. Er hat eingeräumt, daß er für die Freigabe anderer Gebiete an die A. eine Abfindung erhalten hat. Er mußte daher bei pflichtgemäßer Wahrung der Interessen des Klägers mindestens versuchen, auch für die Abgabe von dessen Bezirk eine Abfindung von der A. zu erhalten, wenn der Wert des vom Kläger geworbenen Kundenstammes eine solche bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise rechtfertigte. Darauf kommt es hier entscheidend an.
4. Die Ausführungen des Berufungsgerichts dazu tragen seine Entscheidung nicht, wie die Revision mit Recht geltend macht.
a) Es ist in der Hegel nicht angängig, die Höhe des Ausgleichs allein nach Billigkeitserwägungen zu bemessen, ohne daß vorher Feststellungen über die Größe der Vorteile des Unternehmers und der Verluste des Handelsvertreters im Sinne des § 89 b Abs. 1 Nr. 1 und 2 HGB getroffen worden sind (BGHZ 43, 154).
Solche Feststellungen waren hier unerläßlich, da der Beklagte erhebliche Vorteile in Abrede gestellt und das Berufungsgericht selbst unterstellt hat, daß der Beklagte den Bezirk des Klägers „wegen mangelnder Rentabilität” nicht mehr mit einem neuen Vertreter besetzt habe (BU 8).
b) Der Kläger, der den Ausgleichsanspruch geltend macht, hat grundsätzlich die Voraussetzungen des § 89 b HGB darzulegen und zu beweisen, insbesondere auch die Voraussetzungen des § 89 b Abs. 1 Ziff. 1, nämlich erhebliche Vorteile des Beklagten aus der Geschäftsverbindung mit den vom Kläger geworbenen Kunden auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins sei davon auszugehen, daß eine bereits längere Zeit andauernde Geschäftsverbindung, die nach dem typischen Ablauf auf wiederholte Abschlüsse gerichtet sei, auch in Zukunft von Bestand sein werde. Der erkennende Senat hat zwar die Annahme einer solchen tatsächlichen Vermutung schon mehrfach gebilligt, so z.B. im Urteil vom 29. März 1962 VII ZR 193/60. Eine derartige Vermutung kann aber nicht allgemein anerkannt werden. Es kommt immer auf die Verhältnisse des einzelnen Falls, insbesondere auf die Art der von dem Handelsvertreter vertriebenen Erzeugnisse an.
c) Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht die tatsächlichen Voraussetzungen für den von ihm angenommenen Anscheinsbeweis nicht hinreichend dargelegt. Insbesondere ist aus seinen Ausführungen nicht zu entnehmen, daß und gegebenenfalls in welchem Umfang der Kläger „länger andauernde” Geschäftsverbindungen zustandegebracht hat und daß diese nach ihrem typischen Ablauf auf wiederholte Abschlüsse gerichtet waren.
Bei den vom Kläger vertriebenen landwirtschaftlichen Fahrzeugen handelt es sich ersichtlich nicht um Erzeugnisse, die ein einmal geworbener Kunde, jedenfalls wenn er Landwirt und nicht etwa Zwischenhändler ist, in verhältnismäßig kurzen Zeitabständen immer wieder neu zu bestellen pflegt. Gegenüber dem Hinweis des Beklagten, es handele sich hier um langlebige Wirtschaftsgüter, bei denen Nachbestellungen desselben Kunden im allgemeinen nicht zu erwarten seien, meint das Berufungsgericht lediglich, die Maschinen unterlägen „einem größeren Verschleiß”, ferner werde ein Kunde, der mit einer gelieferten Maschine zufrieden sei, sobald er dazu imstande sei, auch andere Modelle der A. kaufen. Es ist nicht ersichtlich, worauf das Berufungsgericht diese Erwägungen stützt und was für hinreichend eindeutige Folgerungen es daraus herleiten könnte.
d) Es wären vielmehr nach Lage der Sache genauere Feststellungen über zu erwartende Nachbestellungen der vom Kläger geworbenen Kunden, und zwar innerhalb eines übersehbaren Zeitraums (vgl. dazu LM Nr. 13 a zu § 89 b HGB) erforderlich gewesen. Aus einem Umsatz des Klägers von jährlich etwa 100.000 DM kann den Umständen nach nicht ohne weiteres geschlossen werden, daß darin in beachtlichem Umfang solche Nachbestellungen enthalten waren. Das Berufungsgericht geht selbst davon aus, daß „nur ein Teil” der Kunden nachbestellt habe, ohne anzuführen, wie groß dieser Teil etwa gewesen ist.
e) Nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts fehlt es daher an den tatsächlichen Voraussetzungen für den von ihm angenommenen Anscheinsbeweis zugunsten des Klägers, zumal es – wie bereits bemerkt – unterstellt, daß der Beklagte den Bezirk des Klägers „wegen mangelnder Rentabilität” nicht mehr mit einem neuen Vertreter besetzt hat.
Die Behauptung des Beklagten, der Umsatz mit den vom Kläger geworbenen Kunden sei gering gewesen, durfte unter diesen Umständen nicht ohne jede einigermaßen einleuchtende Begründung als unzureichend zur Widerlegung der Vermutung bezeichnet werden, die Geschäftsverbindung bringe weiter erhebliche Vorteile. Es bedarf der Klärung, ob eine solche Vermutung bei Erzeugnissen der hier in Betracht kommenden Art überhaupt gerechtfertigt ist. Dabei kann es auch darauf ankommen, ob die Kunden des Klägers die Fahrzeuge zum Zweck der Wiederveräußerung oder zum Gebrauch im eigenen Betrieb gekauft haben.
f) Letzten Endes beruht das angefochtene Urteil entscheidend auf allgemeinen, unbestimmten Billigkeitserwägungen, für die die erforderlichen tatsächlichen Grundlagen fehlen. Das muß nach dem Urteil des Senats BGHZ 43, 154 bei der hier gegebenen Sachlage rechtlich mißbilligt werden.
Das Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird die fehlenden Feststellungen nachzuholen haben.
Unterschriften
Glanzmann, Erbel, Vogt, Finke, Schmidt
Fundstellen
Haufe-Index 1502251 |
Nachschlagewerk BGH |