Leitsatz (amtlich)
Sprengungsbedingte Erschütterungen, die einen erheblichen Sachschaden an einem Gebäude des beeinträchtigten Grundstücks verursacht haben, sind auch dann wesentlich im Sinne von § 906 Abs. 1 BGB, wenn die Grenzwerte für Schwingungsgeschwindigkeiten eingehalten oder sogar unterschritten worden sind.
Normenkette
BGB § 906 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Urteil vom 17.07.1997) |
LG Oldenburg |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 17. Juli 1997 im Umfang der Revisionsannahme durch Senatsbeschluß vom 25. Juni 1998 aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – soweit zum Kostenpunkt nicht durch Senatsbeschluß vom 25. Juni 1998 schon entschieden worden ist – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Eigentümer eines um die Jahrhundertwende gebauten, von ihm zwischen 1982 und 1991 grundlegend sanierten, freistehenden Fachwerkhauses in D.. In der Nähe dieses Hauses führte die Beklagte zu 2 im Auftrag der Beklagten zu 1 im Sommer 1992 sog. 3-D-Seismikmessungen durch. Dazu wurden Sprengladungen in Bohrlöcher eingebracht. Nach Auslösung der Sprengung sollten die hierdurch verursachten und an Gesteinsschichten reflektierten Wellen gemessen und auf diese Weise die geologische Formation des Untergrundes erforscht werden.
Der Kläger behauptet, durch Sprengungen am 3. Juli 1993 seien erhebliche Schäden an seinem Haus und an einem gußeisernen Ofen entstanden. Er hat von den Beklagten Schadensersatz verlangt und beantragt, sie als Gesamtschuldner zur Zahlung von 98.130,17 DM zu verurteilen, ferner, festzustellen, daß die Beklagten verpflichtet sind, ihm sämtliche Kosten zu erstatten, die für die Beseitigung der entstandenen und noch entstehenden sprengungsbedingten Schäden erforderlich sind.
In den Tatsacheninstanzen hat die Klage keinen Erfolg gehabt. Die Revision des Klägers, mit der er seine Klageanträge weiterverfolgt hat, ist vom Senat nur insoweit angenommen worden, als das Oberlandesgericht einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB gegen die Beklagte zu 1 abgelehnt hat.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision hat im angenommenen Umfang Erfolg. Der Senat hat die Revisionsannahme auf einen in Betracht kommenden nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB beschränkt, weil es sich insoweit um einen prozessual selbständigen Anspruch handelt (vgl. Senatsurt. v. 20. April 1990, V ZR 282/88, BGHR ZPO § 546 Abs. 1 Satz 1, Revisionszulassung beschränkte 10).
2. Das Berufungsgericht stellt auf der Grundlage von Sachverständigengutachten fest, daß die Sprengungen für wenigstens einen Teil der am Haus des Klägers aufgetretenen Schäden ursächlich geworden sind. Zwar habe das Haus bereits vor der Sprengung Mängel aufgewiesen (Schadensanlage), durch die Sprengungen seien aber die konkreten Schäden ausgelöst worden. Es verneint gleichwohl einen Anspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, weil die Sprengungen nicht ortsüblich und die Beeinträchtigungen im Sinne dieser Vorschrift nicht wesentlich gewesen seien. Die Grenzwerte für die Schwingungsgeschwindigkeiten seien eingehalten worden, die Erschütterungen keinesfalls ungewöhnlich gewesen, die Schäden am Hause des Klägers mithin nur Folge einer unwesentlichen Beeinträchtigung, auf die allein abzustellen sei.
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Das Berufungsgericht befaßt sich nur mit einer unmittelbaren Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Von seinem Ausgangspunkt, daß die Sprengungen als singuläre Nutzung landwirtschaftlicher Grundstücke ortsunüblich waren, ist zwar eine unmittelbare Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ausgeschlossen, weil der Kläger dann die rechtliche Möglichkeit hatte, einen primären Abwehranspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 i.V.m.§ 906 Abs. 2 Satz 1 BGB geltend zu machen. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes wurde aber gerade für die Fälle eines an sich gegebenen primären Abwehranspruchs ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB entwickelt, wenn der beeinträchtigte Grundstückseigentümer die Immissionen aus besonderen Gründen nicht rechtzeitig verhindern konnte (vgl. z.B. BGHZ 66, 70, 74 ff; 90, 255, 262; 111, 158, 162 ff). Ein solcher „faktischer Duldungszwang” kann sich u.a. daraus ergeben, daß der Betroffene die abzuwehrende Gefahr nicht rechtzeitig erkannt hat und auch nicht erkennen konnte (vgl. BGHZ 111, 158, 163 m.w.N.). Wurden die Sprengungen nach den Feststellungen des Berufungsgerichts fachgerecht durchgeführt und waren die dadurch ausgelösten Schwingungsgeschwindigkeiten für sich gesehen ungefährlich, dann liegen diese Voraussetzungen vor, und es kommt ein Anspruch des Klägers auf Entschädigung nach enteignungsrechtlichen Grundsätzen gegen die Nutzerin der Nachbargrundstücke, nämlich die Beklagte zu 1 als auftraggebende Firma, in Betracht, weil sie die Nutzungsart des beeinträchtigenden Grundstücks bestimmte (vgl. BGHZ 72, 289, 297; 113, 384, 392).
Verfehlt ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, das allein auf das Maß der Erschütterungen für die Beurteilung der Wesentlichkeit (§ 906 Abs. 1 BGB) abstellt und insoweit deren Auswirkungen auf das Grundstück des Klägers (eingetretene Schäden) auszuklammern versucht. Es ist zwar möglich, die Einwirkungen von Erschütterungen auf Gebäude anhand der DIN-Norm 4150 zu beurteilen (vgl. MünchKomm-BGB/Säcker, 3. Aufl., § 906 Rdn. 77). Bei Einhaltung entsprechender Grenzwerte „kann in der Regel” eine unwesentliche Beeinträchtigung angenommen werden, wovon auch § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ausgeht. Das bedeutet jedoch nicht, daß in diesen Fällen eine wesentliche Beeinträchtigung ausscheidet. Schon nach dem Wortlaut von § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB geht es nicht nur um die Immissionen als solche, hier also die sprengungsbedingten Erschütterungen, sondern um deren Einwirkung auf das Grundstück und die dadurch dort verursachten Beeinträchtigungen. Demgemäß hat der Senat für die Frage der wesentlichen Beeinträchtigung auf das Empfinden eines „verständigen Durchschnittsmenschen” abgestellt und darauf, was ihm unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange zuzumuten ist (BGHZ 120, 239, 255). Nicht unberücksichtigt bleiben kann damit, daß nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die Sprengungen mindestens für einen Teil der vom Kläger behaupteten Schäden kausal waren und damit objektiv feststellbare physische Auswirkungen an seinem Eigentum feststellbar sind (vgl. auch BGHZ 51, 396, 397), die ihm zweifelsfrei nicht mehr zugemutet werden können. Demgemäß wird auch in der Literatur beim Eintritt immissionsbedingter Schäden in der Regel eine wesentliche Beeinträchtigung bejaht (vgl. BGB-RGRK/Augustin, 12. Aufl., § 906 Rdn. 33; MünchKomm-BGB/Säcker aaO Rdn. 31-33; Soergel/Baur, BGB, 12. Aufl., § 906 Rdn. 56 und Rdn. 70; Staudinger/Roth, BGB, 1996, § 906 Rdn. 159 a.E. für eingetretene Gesundheitsschäden). Dem entspricht es auch, daß der Bundesgerichtshof die wesentlichen Immissionen den schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG gleichstellt (BGHZ 111, 63, 65; 122, 76, 78). Sind mithin die Druckwellen einer Sprengung schon dann eine wesentliche Immission, wenn sie nach Art und Ausmaß geeignet sind, Gefahren und erhebliche Nachteile für die Nachbarschaft herbeizuführen, so gilt dies selbstverständlich insbesondere dann, wenn sie schon zu einem erheblichen Schaden geführt haben.
Ein Anspruch des Klägers analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB wäre durch die eventuellen Vorschäden am Haus des Klägers nicht ausgeschlossen. Der schadensanfällige Zustand seines Anwesens könnte nur als anspruchsmindernd berücksichtigt werden (vgl. Senatsurt. v. 18. September 1987, V ZR 219/85, BGHR BGB § 906 Abs. 2 Satz 2, Ausgleichsanspruch 1). Soweit das Berufungsgericht im Zusammenhang mit der Prüfung eines deliktsrechtlichen Anspruchs den Kläger hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität für darlegungs- und beweisfällig gehalten hat, wendet sich die Revision dagegen mit Recht. Der Kläger hat unter Beweisantritt dargelegt, welche Schäden er auf die Sprengungen zurückführt (vgl. Berufungsbegründung vom 3. April 1997 i.V.m. Vortrag und Beweisangebot in erster Instanz aus Schriftsätzen vom 24. April 1995 nebst Anlagen sowie 11. Juni 1995 und 26. Juni 1995). Dem hätte das Berufungsgericht nachgehen müssen.
Nach allem wird das Berufungsgericht sowohl den Zahlungs als auch den Feststellungsantrag in Richtung gegen die Beklagte zu 1 neu prüfen müssen. Es wird dabei u.a. zu berücksichtigen haben, daß gegen die Beklagte zu 1 auch eine Haftung nach§ 114 ff BBergG in Betracht kommt. Die Sprengungen dienten unstreitig zur Erkundung der geologischen Formation des Untergrundes. Mit Rücksicht auf den von der Beklagten zu 1 verfolgten Geschäftszweck spricht manches dafür, daß damit Bodenschätze wie etwa Gas oder Erdöl aufgesucht werden sollten (§ 2 Abs. 1 Nr. 1; § 3 Abs. 1 und Abs. 3; § 4 Abs. 1 BBergG). Das Berufungsgericht hat als unstreitig festgestellt, daß die „erforderlichen bergrechtlichen Genehmigungen” für die seismischen Sprengungen erteilt worden waren. Dann aber wäre die Beklagte als Unternehmerin (§ 115 Abs. 1 BBergG) verschuldensunabhängig zum Ersatz des durch die Sprengungen verursachten Sachschadens (Bergschaden) nach § 114 Abs. 1, § 117 Abs. 1 Nr. 2 BBergG verpflichtet, weil der Kläger grundsätzlich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts und auf der Grundlage der obigen Ausführungen auch einen Abwehranspruch nach § 906 BGB hatte (§ 114 Abs. 2 Nr. 3 BBergG).
Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung wäre die Prüfung eines Bergschadenanspruchs auch nicht durch den Senatsbeschluß vom 25. Juni 1988 ausgeschlossen. Mit diesem Beschlußhat der Senat die Revisionsannahme zwar auf einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB in Richtung gegen die Beklagte zu 1 beschränkt; damit hat er aber nur die verschuldensabhängigen Ansprüche gegen die Beklagten aus unerlaubter Handlung verneint, die sowohl von den Parteien als auch dem Berufungsgericht nach dem damaligen Streitstand neben § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB allein in Betracht gezogen worden waren. Die verschuldensunabhängige bergrechtliche Haftung nach§ 114 BBergG ist ihrem Charakter nach eng mit der Haftung aus§ 906 Abs. 2 Satz 2 BGB verwandt (vgl. Piens/Schulte/Graf Vizthum, BBergG § 114 Rdn. 33), steht mit ihr in engem Zusammenhang (vgl. § 114 Abs. 2 Nr. 3 BBergG) und ist damit noch Gegenstand der Prüfung.
Der Anspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog einerseits und derjenige aus § 114 Abs. 1 BBergG andererseits stehen untereinander in Anspruchskonkurrenz (vgl. auch Piens/Schulte/Graf Vizthum aaO Rdn. 52 ff), die sich aus dem gleichen Rangverhältnis von Nachbarrecht und Bergrecht ergibt. § 906 BGB betrifft nur die Haftung für bestimmte Immissionen, das Bergrecht, d.h. die Vorschriften der §§ 114 ff BBergG, regelt jedwede Schadenszufügung bei bestimmten bergbaurechtlichen Tätigkeiten (§§ 2 Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 3 BBergG). Unter beiden rechtlichen Gesichtspunkten können Ersatzansprüche entstehen, die nach Voraussetzung, Inhalt und Verwirklichung dem ihnen eigentümlichen Rechtsbereich unterliegen. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß entweder § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB oder§§ 114 ff BBergG den hier vorliegenden Vorgang unter einem bestimmten rechtlichen Gesichtspunkt erschöpfend regeln und damit zum Ausdruck bringen wollen, daß die Beurteilung unter dem jeweils anderen rechtlichen Gesichtspunkt ausgeschlossen sein soll.
Offen bleiben kann, ob und wie die bergschadensrechtlichen Regelungen hier den Anspruch des Klägers beeinflussen (vgl. zu diesem Problem etwa BGHZ 47, 53, 55; 66, 315, 319). Der Anspruch aus § 114 Abs. 1 BBergG ist seinem Umfang nach ohnehin der weitergehende Anspruch, weil er auf Schadensersatz gerichtet ist, während sich der Umfang des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs nach den Grundsätzen richtet, die für die Bemessung einer Enteignungsentschädigung gelten (vgl. z.B. 90, 255, 263 m.w.N.). Eine Anspruchsbeschränkung der Höhe nach kommt hier ohnehin nicht in Betracht, weil der Kläger Ersatz wegen Beschädigung eines Grundstücks und seines Zubehörs fordert (§ 117 Abs. 1 Nr. 2 BBergG). Auch ein Unterschied zur Dauer der Verjährungsfrist (vgl. z.B. § 117 Abs. 2 BBergG) käme hier nicht zum Tragen, weil der Kläger die Klage schon 1995 erhoben hat.
Unterschriften
Hagen, Vogt, Schneider, Krüger, Klein
Fundstellen
Haufe-Index 1128113 |
DB 1999, 1057 |
NJW 1999, 1029 |
BGHR |
Nachschlagewerk BGH |
WM 1999, 554 |
ZAP 1999, 102 |
ZfIR 1999, 210 |
MDR 1999, 351 |
VersR 1999, 725 |
ZfB 2003, 224 |
ZfS 1999, 327 |