Leitsatz (amtlich)
Die Rechtshängigkeit einer vom Schuldner gegen den Gläubiger bei einem nach Art. 31 Abs. 1 CMR international zuständigen Gericht erhobenen negativen Feststellungsklage steht der späteren Erhebung der Leistungsklage durch den Gläubiger vor dem zuständigen Gericht eines anderen Vertragsstaats der CMR nicht entgegen.
Normenkette
CMR Art. 31
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Hanseatischen OLG Hamburg, 6. Zivilsenat, v. 7.11.2002 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist Transportversicherer der A. AG (im Folgenden: Versicherungsnehmerin). Sie nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin auf Schadensersatz wegen des Verlustes von Transportgut in Anspruch.
Die Versicherungsnehmerin beauftragte die Beklagte im Juli 2000 zu festen Kosten damit, einen LKW-Container mit Einwegkameras von Rotterdam nach Langenfeld zu transportieren. Die Beklagte setzte die Firma "K". als Frachtführer ein. Danach wurde der Transportauftrag noch mehrfach weitergereicht. Das Transportgut wurde schließlich von der Firma v. W. Transport B.V. übernommen. Die Ladung ging zum überwiegenden Teil verloren.
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Erstattung der an ihre Versicherungsnehmerin geleisteten Entschädigung i. H. v. 87.556 US-$.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat sich darauf berufen, dass der Zulässigkeit der Klage die von der Firma "K". vor einem Gericht in Rotterdam erhobene Klage auf Feststellung, für den Verlust der Ladung nicht schadensersatzpflichtig zu sein bzw. lediglich beschränkt zu haften, entgegenstehe.
Das LG hat die abgesonderte Verhandlung über die Zulässigkeit der Klage angeordnet und durch Zwischenurteil entschieden, dass die Klage zulässig sei.
Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben (OLG Hamburg TranspR 2003, 25).
Hiergegen richtet sich die (vom Senat zugelassene) Revision der Beklagten, mit der diese ihren Antrag auf Abweisung der Klage als unzulässig weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Zulässigkeit der Klage stehe nicht die von der Firma "K". gegen die Versicherungsnehmerin vor einem Gericht in Rotterdam erhobene negative Feststellungsklage entgegen. Dazu hat es ausgeführt:
Es könne offen bleiben, ob die Klage vor dem Gericht in Rotterdam zuerst erhoben worden sei und ob die Parteien des dortigen Rechtsstreits mit den Parteien des hiesigen Rechtsstreits als identisch anzusehen seien.
Denn die negative Feststellungsklage sei grundsätzlich nicht geeignet, gegenüber der vorliegenden Leistungsklage zu Gunsten der Beklagten die Einrede der anderweitigen Rechtshängigkeit nach Art. 31 Abs. 2 CMR zu begründen. Vielmehr sei der Leistungsklage auch gegenüber der früher erhobenen negativen Feststellungsklage der Vorrang einzuräumen. Im Rahmen der Auslegung und Anwendung von Art. 31 Abs. 2 CMR seien nicht die vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften und daran anschließend vom BGH zu Art. 21 EuGVÜ entwickelten Grundsätze anzuwenden, wonach auch die früher erhobene negative Feststellungsklage Vorrang vor der später erhobenen Leistungsklage habe. Art. 31 Abs. 1 CMR enthalte eine zwingende (Art. 41 CMR) und gemäß Art. 57 EuGVÜ vorrangige materiellrechtliche Wertung dahingehend, dass dem materiell Berechtigten das Recht zur Auswahl der nach der CMR möglichen Gerichtsstände zustehe.
Es bestehe daher auch kein Anlass, das Verfahren in entsprechender Anwendung von Art. 21 EuGVÜ auszusetzen.
II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass der Zulässigkeit der Klage nicht die von der Firma "K". gegen die Versicherungsnehmerin vor einem Gericht in Rotterdam erhobene negative Feststellungsklage entgegensteht.
1. Die Vorinstanzen sind zutreffend und von der Revision unbeanstandet davon ausgegangen, dass die Beklagte zumindest als Fixkostenspediteurin anzusehen ist und daher auf den in Rede stehenden grenzüberschreitenden Beförderungsvertrag (vgl. Art. 1 Abs. 1 CMR) unabhängig von der Anwendbarkeit des § 459 HGB die Vorschriften der CMR und somit auch die prozessualen Regelungen des Art. 31 CMR anzuwenden sind (vgl. BGH, Urt. v. 16.7.1998 - I ZR 44/96, MDR 1999, 556 = TranspR 1999, 19 [20 f.] = VersR 1999, 254 bezüglich der materiellrechtlichen Haftung des Fixkostenspediteurs).
2. Die Frage, ob der Zulässigkeit der Klage das Prozesshindernis der Rechtshängigkeit entgegensteht, richtet sich im Streitfall nach der Bestimmung des Art. 31 Abs. 2 CMR, die als Regelung für ein besonderes Rechtsgebiet i. S. v. Art. 57 Abs. 1 EuGVÜ der Vorschrift des Art. 21 EuGVÜ vorgeht (vgl. EuGH, Urt. v. 6.12.1994 - Rs. C-406/92, EuZW 1995, 309 [310] Tz. 25; Herber/Piper, CMR, Art. 31 Rz. 3, 26; Basedow in MünchKomm/HGB, Art. 31 CMR Rz. 13; Huther in Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, Art. 31 CMR Rz. 2; Helm, Großkomm.HGB, 4. Aufl., Anh. VI zu § 452 Art. 31 CMR Rz. 3, 46).
Nach Art. 31 Abs. 2 CMR kann, wenn ein Verfahren bei einem nach Art. 31 Abs. 1 CMR zuständigen Gericht wegen einer dort genannten Streitigkeit anhängig ist, eine neue Klage wegen derselben Sache zwischen denselben Parteien nicht erhoben werden, es sei denn, die Entscheidung des Gerichts, bei dem die erste Klage erhoben worden ist, kann in dem Staat nicht vollstreckt werden, in dem die neue Klage erhoben wird.
Da im Streitfall der Ort der Übernahme des Transportguts in den Niederlanden liegt, sind auch die niederländischen Gerichte für die dort erhobene negative Feststellungsklage international zuständig. Ob die negative Feststellungsklage früher als die vorliegende Leistungsklage erhoben worden ist und von der Identität der Parteien in beiden Verfahren ausgegangen werden kann, hat das Berufungsgericht zu Recht offen gelassen, weil - selbst wenn dem so wäre - die Auslegung des Art. 31 Abs. 2 CMR ergibt, dass dies der Erhebung der vorliegenden Leistungsklage vor dem deutschen Gericht nicht entgegenstünde.
Die CMR ist als internationales Abkommen aus sich selbst heraus auszulegen, wobei dem Wortlaut und dem Zusammenhang der Einzelvorschriften besondere Bedeutung beizumessen ist (vgl. BGHZ BGHZ 75, 92 [94]; v. 10.10.1991 - I ZR 193/89, BGHZ 115, 299 [302] = MDR 1992, 460). Die danach vorzunehmende Auslegung des Art. 31 Abs. 2 CMR ergibt, dass die Rechtshängigkeit einer von dem als Schuldner in Anspruch Genommenen gegen den Anspruchsteller bei einem nach Art. 31 Abs. 1 CMR international zuständigen Gericht erhobenen negativen Feststellungsklage nicht der späteren Erhebung der Leistungsklage durch den Anspruchsteller vor dem zuständigen Gericht eines anderen Vertragsstaats entgegensteht (ebenso OLG Köln TranspR 2002, 239 [241]; Herber/Piper, CMR, Art. 31 Rz. 26; Herber, TranspR 1996, 196 [197 f.]; Herber, TranspR 2003, 19 [20 f.]).
a) Das folgt allerdings nicht bereits daraus, dass nach dem letzten Hs. des Art. 31 Abs. 2 CMR eine neue Klage erhoben werden kann, wenn die (noch ausstehende) Entscheidung des Erstgerichts in dem Staat, in dem die neue Klage erhoben wird, nicht vollstreckt werden kann (vgl. Basedow in MünchKomm/HGB, Art. 31 CMR Rz. 28; Herber, TranspR 2003, 19 [20]). Zwar hat selbst ein der Klage stattgebendes negatives Feststellungsurteil mit Ausnahme des Kostenausspruchs keinen vollstreckbaren Inhalt. Dasselbe gilt jedoch auch für das eine Leistungsklage abweisende Urteil. Dass ein solches Urteil ebenso wie ein der Leistungsklage stattgebendes Urteil der Erhebung einer erneuten Leistungsklage wegen derselben Sache entgegensteht, ist mit Recht allgemein anerkannt (vgl. Basedow in MünchKomm/HGB, Art. 31 CMR Rz. 28; Helm , Großkomm.HGB, 4. Aufl., Anh. VI zu § 452 Art. 31 CMR Rz. 51; Herber/Piper, CMR, Art. 31 Rdn. 25; Koller, Transportrecht, 4. Aufl., Art. 31 CMR Rz. 8). Denn nach Art. 31 Abs. 2 CMR sollen gerade mehrere Verfahren vor verschiedenen Gerichten wegen ein und derselben Angelegenheit vermieden werden. Es ist daher ausreichend, dass ein der negativen Feststellungsklage stattgebendes Urteil hinsichtlich der Verurteilung zur Zahlung der Kosten (ggf. in Verbindung mit einem Kostenfestsetzungsbeschluss) vollstreckbar ist. Erst wenn die Vollstreckbarkeit gerade an den Vorschriften des Vollstreckungsstaats scheitert, kann nach der Ausnahmebestimmung des Art. 31 Abs. 2 letzter Hs. CMR dort eine neue Klage erhoben werden (vgl. Basedow in MünchKomm/HGB, Art. 31 CMR Rz. 28).
b) Der sich aus dem Regelungszusammenhang ergebende Sinn und Zweck des Art. 31 CMR rechtfertigt jedoch die Annahme, dass es sich in beiden Verfahren nicht um dieselbe Sache i. S. d. Art. 31 Abs. 2 CMR handelt.
aa) Die Vorschrift des Art. 31 CMR verfolgt den Zweck, die materiellrechtliche Rechtsvereinheitlichung, die die CMR vorsieht, dadurch noch wirksamer zu machen, dass auch gewisse prozessrechtliche Fragen einheitlich geregelt werden (vgl. Denkschrift der Bundesregierung zur CMR und zum zugehörigen Unterzeichnungsprotokoll, BT-Drucks. III/1144, 44). Die Bestimmung des Art. 31 Abs. 2 CMR steht in Zusammenhang mit der Regelung des Art. 31 Abs. 1 CMR, auf die sie Bezug nimmt. Art. 31 Abs. 1 CMR regelt die internationale Zuständigkeit, also die Frage, vor den Gerichten welcher Staaten Klage erhoben werden kann. Danach besteht keine ausschließliche internationale Zuständigkeit der Gerichte eines Staates. Vielmehr soll einerseits der Kläger unter mehreren möglichen den ihm im Einzelfall als zweckmäßig erscheinenden Staat, vor dessen Gerichten er Klage erheben möchte, auswählen dürfen. Andererseits soll durch die Beschränkung der Staaten, deren Gerichte angerufen werden können, sowie durch die Regelung der Rechtshängigkeit und der Rechtskraft in Art. 31 Abs. 2 CMR die Gefahr verringert werden, dass ein Beklagter wegen desselben Anspruchs vor Gerichten verschiedener Staaten in Anspruch genommen wird und in den einzelnen Staaten einander widersprechende Entscheidungen ergehen (vgl. BT-Drucks. III/1144, 45; BGH, Beschl. v. 31.5.2001 - I ZR 85/00, MDR 2002, 283 = BGHReport 2001, 983 = TranspR 2001, 452 f. = VersR 2002, 213).
bb) Dieses Spannungsverhältnis ist, wenn - wie im Streitfall - eine negative Feststellungsklage und eine Leistungsklage erhoben worden sind, zu Gunsten eines Vorrangs der Leistungsklage zu lösen.
Das dem Kläger durch Art. 31 Abs. 1 CMR eingeräumte Wahlrecht zwischen mehreren Gerichtsständen, das gem. Art. 41 Abs. 1 S. 1 CMR nicht durch Vereinbarung ausgeschlossen werden kann, darf nicht losgelöst von den ihm zu Grunde liegenden materiellrechtlichen Bezügen betrachtet werden. Das Wahlrecht dient der prozessualen Durchsetzung der materiellrechtlichen Ansprüche aus einem der CMR unterliegenden Beförderungsvertrag. Es ist daher zum Schutz desjenigen bestimmt, der Rechte aus einem solchen Vertrag geltend macht. Dieser nimmt im Prozess typischerweise die Rolle als Kläger ein, etwa der Frachtführer bei Klagen auf Zahlung des Frachtlohns oder aus Art. 10 CMR, der Absender oder Empfänger bei Schadensersatzklagen wegen des Verlusts oder der Beschädigung des Transportguts oder wegen Überschreitung der Lieferfrist (Art. 17 Abs. 1 CMR). Besonders deutlich tritt der bezweckte Schutz des Anspruchsinhabers in der in Art. 31 Abs. 1 Buchst. b CMR getroffenen Regelung zu Tage, die die internationale Zuständigkeit der Gerichte am Ort der Übernahme und Ablieferung bestimmt. Danach soll dem Absender oder Empfänger ersichtlich die Möglichkeit gegeben werden, den Frachtführer dort auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, wo er mit ihm zu tun hatte, nämlich der Absender am Ort der Übernahme der Sendung und der Empfänger am Ablieferungsort. Anhaltspunkte dafür, dass das dem Kläger eingeräumte Wahlrecht auch den Schutz des als Schuldner in Anspruch Genommenen bezweckt, der gegen den Gläubiger im Wege der negativen Feststellungsklage vorgeht, sind dagegen nicht ersichtlich.
Dieser Wertung widerspräche es, wenn es der als Schuldner in Anspruch Genommene in der Hand hätte, die Wahlmöglichkeit des Gläubigers zu unterlaufen, indem er dem Gläubiger durch die Erhebung einer negativen Feststellungsklage vor dem Gericht eines ihm als zweckmäßig erscheinenden Staates zuvorkommt, und den Gläubiger hierdurch dazu zu zwingen, dort (widerklagend) auch die Leistungsklage zu erheben. Vor diesem Hintergrund muss der in der Beschränkung der Gerichtsstände und der Bestimmung des Art. 31 Abs. 2 CMR zum Ausdruck kommende Regelungszweck zurücktreten, Klagen wegen ein und derselben Angelegenheit vor Gerichten verschiedener Staaten mit möglicherweise divergierenden Entscheidungen zu verhindern.
cc) Der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung, den Begriff des Klägers i. S. v. Art. 31 Abs. 1 CMR mit dem materiell Berechtigten gleichzusetzen, kann nicht beigetreten werden. Der Begriff des Klägers ist ein verfahrensrechtlicher Begriff. Die entgegenstehende Auffassung des Berufungsgerichts hätte zur Folge, dass die negative Feststellungsklage unabhängig von der Erhebung einer Leistungsklage unzulässig wäre. Jedenfalls könnte die internationale Zuständigkeit für die negative Feststellungsklage dann nicht nach Art. 31 Abs. 1 CMR bestimmt werden. Eine so weit gehende Wirkung des Art. 31 Abs. 1 CMR ist weder zum Schutz des materiellrechtlichen Anspruchsinhabers geboten, noch wäre sie mit dem Wortlaut der Vorschrift vereinbar.
3. Da sonstige Gründe, die der Zulässigkeit der Klage entgegenstehen könnten, nicht ersichtlich sind, haben die Vorinstanzen die Klage mit Recht für zulässig erachtet. Das Berufungsgericht hat daher auch zutreffend angenommen, dass eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des niederländischen Rechtsstreits in entsprechender Anwendung von Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ oder nach § 148 ZPO nicht in Betracht kommt.
III. Die Revision war danach mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1099272 |
BGHZ 2004, 66 |
NJW 2004, 1455 |
BGHR 2004, 319 |
NJW-RR 2004, 397 |
EWiR 2004, 225 |
ZIP 2004, 684 |
IPRax 2006, 260 |
MDR 2004, 760 |
ZZP 2005, 100 |
IVH 2004, 47 |
ELF 2004, 124 |
LMK 2004, 75 |
TranspR 2004, 77 |