Leitsatz (amtlich)
Zur Aufklärungspflicht des Arztes im Falle einer Küntscher-Nagelung.
Verfahrensgang
OLG Celle (Entscheidung vom 14.01.1960) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Celle vom 14. Januar 1960 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision werden der Klägerin auferlegt.
Tatbestand
Die Klägerin wurde am Abend des 10. September 1953 nach einem Kraftfahrzeugunfall, in das Kreiskrankenhaus G. eingeliefert und als Privatpatientin des Beklagten aufgenommen. Neben anderen Verletzungen, die inzwischen folgenlos verheilt sind, hatte sie sich bei dem Unfall einen Querbruch des linken Oberschenkels zugezogen. Der Oberschenkel wurde sogleich geröntgt und danach das Bein in Narkose gestreckt und auf Schiene gelegt. Am Morgen des nächsten Tages führte der Beklagte eine Oberschenkelmarknagelung nach Küntscher aus. Dabei wird nach Wiedereinrichtung des gebrochenen Gliedes in seine Markhöhle ein hohler Stahlnagel eingetrieben, um durch diese innere Schienung den gebrochenen Knochen fest und frühzeitig belastbar zusammenzufügen. Der Versuch des Beklagten, den Marknagel vom oberen Oberschenkelschaftende aus einzuschlagen (sog. geschlossene Nagelung) misslang. Deshalb wurde die sogenannte offene Nagelung vorgenommen. Dazu wurde die Bruchstelle geöffnet, der Spiess von hier aus in das obere Fragment eingeführt und am oberen Ende herausgeschlagen.
Einige Zeit nach der Operation - der genaue Zeitpunkt ist unter den Parteien streitig - eiterte die Operationswunde. Der Beklagte machte deshalb am 22. Oktober 1953 einen Einschnitt und entfernte den Eiter. Am 19. November 1953 beseitigte er nach Öffnung der alten Operationswunde drei Knochensplitter. Am 6. Dezember 1953 ließ er erstmals Penicillin injizieren.
Die Klägerin wurde am 17. Dezember 1953 aus dem Kreiskrankenhaus entlassen und auf ihren Wunsch dem an ihrem Wohnort Z. praktizierenden Arzt Dr. F. zur weiteren Behandlung überwiesen. Dr. F. veranlaßte, daß die Klägerin in ein Krankenhaus in Z. aufgenommen wurde. Dort wurde der Küntscher-Hagel am 13. Januar 1954 entfernt und das Bein in Gips gelegt. Am 5. Mai 1954 wurde ein Knochenspan überpflanzt. Der Span war am 3. November 1954 angeheilt. Damit war die chirurgische Behandlung des Oberschenkelbruchs abgeschlossen.
Die Klägerin macht für die Kosten, die durch die weitere Behandlung in der Schweiz entstanden sind, und für alle etwaigen Folgeschäden den Beklagten verantwortlich. Sie hat vorgetragen:
Der Beklagte habe es unterlassen, sie vor der Operation über deren Art und die möglichen Gefahren, des Eingriffs zu unterrichten und ihre Einwilligung dazu einzuholen. Ferner habe er in mehrfacher Hinsicht seine ärztlichen Sorgfaltspflichten verletzt, Nach der Art des Bruches sei keine Marknagelung, sondern die Anlegung eines Streck- oder Gipsverbandes angezeigt gewesen. Der Beklagte habe die Eiterung zu spät bekämpft. Sie habe schon fünf Tage nach der Operation begonnen. Der Beklagte habe mit den Abwehrmaßnahmen nicht bis zum 22. Oktober 1953 warten dürfen. Er habe keinen Internisten hinzugezogen, obwohl die Klägerin das ausdrücklich gewünscht habe. Antibiotica habe er erst auf ihre ausdrücklichen Bitten hin verabfolgt. Eine bakteriologische Untersuchung sei unterblieben. Sie würde gezeigt haben, daß andere Antibiotica als Penicillin geeigneter gewesen wären. Wegen der Infektion habe der Nagel mindestens ausgewechselt, wenn nicht sogar ersatzlos entfernt werden müssen.
Die Klägerin hat die Kosten der weiteren Behandlung auf 14.042,90 sfr errechnet und hält für die erlittenen Schmerzen eine Entschädigung von mindestens 10.000 sfr für angemessen. Sie hat mit der Klage den in deutsche Währung umgerechneten Betrag von 24.000 DM verlangt und mit der Behauptung, das linke Bein sei noch nicht voll beweglich und sie deshalb nur vermindert arbeitsfähig, die Feststellung begehrt, daß der Beklagte verpflichtet sei, ihr allen weiteren Schaden zu ersetzen, der ihr aus der Behandlung durch den Beklagten noch erwachse.
Der Beklagte hat um Abweisung der Klage gebeten und geltend gemacht:
Er habe der Klägerin vor der Operation erklärt, daß eine Nagelung beabsichtigt sei. Sie habe den Wunsch gehabt, möglichst schnell in die Schweiz zurückkehren zu können. Da die Aussichten hierfür bei einer Marknagelung günstig gewesen seien, habe sie der Operation zugestimmt. Daß ihre Einwilligung nicht eingeholt worden sei, habe die Klägerin erstmals im Dezember 1954 in einem Schreiben an die Niedersächsische Ärztekammer behauptet, nachdem sich herausgestellt habe, daß sie für den Unfall verantwortlich sei und dessen Folgen daher selbst tragen müsse.
Bei dem Bruch der Klägerin sei die Marknagelung die einzig richtige Behandlung gewesen. Er habe sie sorgfältig und fehlerlos ausgeführt. Die Eiterung habe sich erst am 21. Oktober 1955 eingestellt. Dabei habe es sich nicht um eine Infektion, sondern um die Abstossung nekrotischer Gewebsteile und nicht ausreichend ernährter kleiner Knochenpartikel gehandelt. Die Klägerin habe nicht gebeten, einen beratenden Arzt hinzuziehen. Ein Anlaß oder eine Pflicht zur Hinzuziehung eines anderen Arztes habe nicht bestanden. Das Penicillin sei zwar etwas verspätet gegeben worden. Das sei aber darauf zurückzuführen, daß die Klägerin zunächst alle Spritzen verweigert habe. Zudem habe sich die Verzögerung auch nicht nachteilig auf den Krankheitsverlauf ausgewirkt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge (Zahlung von 24.000 DM und Feststellung) weiter. Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
1.)
Das Berufungsgericht stellt rechtsirrtumsfrei fest, daß der Beklagte der Klägerin vor der Operation erklärt hat, er wolle den Bruch nageln. Es sieht in dieser Erklärung eine ausreichende Aufklärung über die Art des geplanten Eingriffs. Die Äußerung des Beklagten - so wird im Berufungsurteil ausgeführt - mache für jeden Laien ersichtlich, daß die Behandlung des Bruches nicht oder nicht ausschließlich darin bestehe, das Bein nach Wiedereinrichten des gebrochenen Knochens stillzulegen, daß die Bruchstücke vielmehr durch das Einschlagen eines oder mehrer nagelartiger Gegenstände fest zusammengefügt werden. Da der Bruch geschlossen, gewesen sei, ergebe sich daraus, daß die Weichteile an der Bruchstelle oder an einer anderen Stelle durchbohrt oder eingeschnitten werden mußten. Die Klägerin sei schon allgemein nach dem Grade ihrer Intelligenz imstande gewesen, die Belehrung in diesem Sinne zu verstehen. Hinzu komme, daß sie in den Jahren 1927 und 1928 vier Semester Medizin studiert habe und daher auf medizinischem Gebiete kein absoluter Laie gewesen sei. Daß die Klägerin die Belehrung über die Operation auch in dem oben wiedergegebenen Sinn verstanden hat, davon ist das Berufungsgericht überzeugt. Es hat festgestellt, daß sie den Beklagten am nächsten Morgen vor der Operation gefragt hat, ob sie zur Entfernung des Nagels wieder in dasselbe Krankenhaus kommen müsse.
Eine Aufklärung über etwaige schädliche Folgen der Marknagelung hält das Berufungsgericht nicht für erforderlich. Wie es im Anschluß an das Gutachten des Sachverständigen Dr. Fischer feststellt, birgt die Marknagelung außer der Möglichkeit einer Wundinfektion keine Gefahren in sich. Das in der Fachliteratur gelegentlich erwähnte Auftreten einer Fettembolie wird nicht durch die Nagelung des Bruches, sondern durch den Bruch selbst verursacht. Die Entstehung von Spaltrissen im Knochen ist bedeutungslos, da die Risse wieder zusammenwachsen. Zur Bildung eines sogenannten Falschgelenkes kann es bei einer ordnungsgemäß durchgeführten Nagelung nicht kommen. Auf die Möglichkeit einer Infektion der Operationswunde, so führt das Berufungsgericht weiter aus, habe der Beklagte die Klägerin nicht besonders aufmerksam zu machen brauchen. Daß bei einer solchen Operation eine Infektion möglich sei, gehöre zum Allgemeinwissen jedes Einsichtigen und ergebe sich schon daraus, daß bei der Operation die Weichteile des gebrochenen Oberschenkels verletzt werden. Zudem habe die Klägerin selbst bei ihrer Vernehmung als Partei von der für sie vorhersehbaren Möglichkeit einer Infektion gesprochen.
Zusammenfassend kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, daß der Beklagte mit der Erklärung, er wolle den Bruch nageln, seiner ärztlichen Aufklärungspflicht genügt hat und daß die Einwilligung der Klägerin in die Operation daher rechtswirksam war.
2.)
Die Ausführungen des Berufungsgerichts sind rechtlich nicht zu beanstanden. Sie stehen im Einklang mit den Grundsätzen, die das Reichsgericht und der Bundesgerichtshof zu der Frage der Einwilligung und der Aufklärungspflicht des Arztes entwickelt haben (vgl. BGHZ 29, 46 und 176 und die dort angeführte weitere Rechtsprechung).
a)
Die Revision verweist darauf, daß die Klägerin keine ausdrückliche Einwilligung gegeben hat, und bittet tun Nachprüfung, ob aus dem festgestellten Tatbestand überhaupt eine Einwilligung in die Operation gefolgert werden könne. Sie bezweifelt das und meint, die Frage der Klägerin, ob sie zur Entfernung des Nagels wieder in dasselbe Krankenhaus kommen müsse, lasse noch nicht den Schluß zu, daß sie in die Operation eingewilligt habe. Diese Zweifel der Revision sind unberechtigt. Zu einer wirksamen Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff ist eine ausdrückliche Erklärung des Patienten nicht erforderlich. Sie kann sich vielmehr schon aus den Umständen und dem gesamten Verhalten des Patienten ergeben. Die Klägerin wusste, daß der Beklagte eine Nagelung des Bruches für angezeigt hielt. Wenn sie daraufhin widerspruchslos die Vorbereitungen zur Operation über sich ergehen ließ, so konnte das Berufungsgericht aus diesem Verhalten der Klägerin folgern, daß sie mit der beabsichtigten Nagelung einverstanden war. Daß ein Beinbruch auch auf andere Weise behandelt werden kann (z.B. durch Streck- oder Gipsbehandlung) ist allgemein bekannt und war auch der Klägerin geläufig. Hierüber brauchte sie daher nicht aufgeklärt zu werden.
b)
Die Revision irrt auch, wenn sie meint, der Beklagte habe die Klägerin darauf hinweisen müssen, daß möglicherweise eine offene Nagelung durchgeführt werde. Es würde eine Überspannung der Anforderungen an die ärztliche Aufklärungspflicht bedeuten, wenn man dem Arzt zur Pflicht machen wollte, daß er alle möglichen Einzelheiten des geplanten Eingriffs vorher mit den Patienten erörtert. Da sich die Klägerin bei ihrem Bildungsgrad eine ausreichende Vorstellung von der vorgeschlagenen Nagelung des Bruches machen konnte, war es nicht erforderlich, ihr diesen Vorgang im einzelnen zu schildern oder ihr gar Angaben über den Ort und die Größe der zu erwartenden Operationswunde zu machen, wie die Revision es irrtümlich fordert.
II.
1.)
Zur Frage, ob der Beklagte die Klägerin fehlerhaft behandelt hat, entnimmt das Berufungsgericht dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Küntscher, daß bei dem Oberschenkelbruch der Klägerin eine Marknagelung angezeigt war und daß keine Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, der Beklagte habe bei der Durchführung der Operation einen Fehler begangen. Insoweit ist das Berufungsurteil rechtlich nicht zu beanstanden.
2.)
Dem Beklagten kann auch kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß er den Nagel nach dem Auftreten der Eiterung nicht entfernt oder gegen einen anderen ausgewechselt hat. Das Berufungsgericht hat sich rechtsirrtumsfrei die Ansicht des Gutachtern zu eigen gemacht, daß die ersatzlose Entfernung des Nagels ein Kunstfehler gewesen wäre. Eine Auswechslung des Nagels sei erst angezeigt, wenn der Hagel sich lockere und dem Bruch keine Festigkeit mehr geben könne. Das aber war bis zur Entlassung der Klägerin am 7. Dezember 1953 nicht der Fall, wie das Berufungsgericht übereinstimmend mit dem Sachverständigen Prof. Dr. Küntscher feststellt.
3.)
Die Revision wirft dem Beklagten vor, daß er die Wundeiterung zu spät bekämpft habe. Hierzu geht das Berufungsgericht ebenso wie der Sachverständige Prof. Dr. Lob davon aus, daß die Infektion erst am 21. Oktober 1953 klinisch erkennbar war. Unstreitig hat der Beklagte hierauf sogleich die erforderlichen chirurgischen Maßnahmen ergriffen. Ob er verpflichtet war, außerdem sofort antibiotische Mittel anzuwenden, hat das Berufungsgericht unentschieden gelassen. Es hat sich auf Grund der Äusserungen der Ärzte - Prof. Dr. Küntscher, Prof. Dr. Lob und Oberarzt Dr. Fischer - nicht davon überzeugen können, daß die Eiterung bei einer sofortigen Anwendung von Antibiotica zum Stillstand gekommen oder entscheidend abgekürzt worden wäre. Das Berufungsgericht hat daher nicht festzustellen vermocht, daß die Verzögerung des Heilungsprozesses auf eine etwaige Pflichtverletzung des Beklagten zurückzuführen ist.
a)
Soweit das Berufungsgericht sich außerstande gesehen hat, einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer etwaigen Sorgfaltsverletzung des Beklagten und dem Schaden der Klägerin festzustellen, beruhen seine Ausführungen im wesentlichen auf Erwägungen tatsächlicher Art. Sie lassen keinen Rechtsirrtum erkennen und sind umso weniger zu beanstanden, als nach dem Bericht des Krankenhauses Theodosianum in Zürich die Eiterung auch dort trotz breiter Abflussbeschaffung und intensiver antibiotischer Behandlung nicht wesentlich beeinflusst und reduziert werden konnte.
b)
Der Revision kann auch nicht zugegeben werden, daß der Beklagte nach Beginn der Eiterung verpflichtet gewesen wäre, einen Internisten zuzuziehen. Das Berufungsgericht hat übereinstimmend mit Prof. Dr. Küntscher rechtsirrtumsfrei angenommen, daß weder eine Pflicht noch ein Anlaß hierzu bestand.
Ob die Klägerin die Zuziehung eines Internisten verlangt hat, konnte das Berufungsgericht dahingestellt sein lassen. Da nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin neben der chirurgischen Behandlung, die der Beklagte sogleich durchgeführt hat, nur eine Anwendung antibiotischer Mittel in Betracht kam, bestehen nach der nicht zu beanstandenden Ansicht des Berufungsgerichts auch hier die oben erwähnten Bedenken gegen die Annahme, daß eine etwaige Pflichtwidrigkeit des Beklagten ursächlich für den Schaden der Klägerin war.
c)
Die Behauptung der Klägerin, die Wundinfektion sei schon fünf Tage nach der Operation aufgetreten, hält das Berufungsgericht nicht für bewiesen. Zu unrecht wird demgegenüber von der Revision gerügt, das Berufungsgericht habe die Personen vernehmen müssen, die die Klägerin damals im Krankenhaus besucht haben und als Zeugen für die frühe Eiterung der Wunde benannt waren. Das Berufungsgericht hat für die Frage, wann die Infektion zutage getreten ist, das entscheidende Gewicht auf das Krankenblatt gelegt, aus dessen wiederholten Eintragungen über den Zustand der Wunde in Verbindung mit der Fieberkurve und den Ergebnissen der Blutsenkungen der Sachverständige Prof. Dr. Lob geschlossen hat, daß die Infektion vor dem 21. Oktober 1953 klinisch nicht erkennbar war. Demgegenüber hat das Berufungsgericht dem Beweisangebot der Klägerin keine Bedeutung beigemessen, weil es einem Laien nicht möglich sei, Eiter und Wundsekret sicher zu unterscheiden. Das steht im Einklang mit der Meinung des Sachverständigen Dr. Lob, der in seinem Gutachten ausgeführt hat, eine Wundabsonderung in den Tagen nach der Operation gehöre zu den normalen Erscheinungen und könne noch nicht den Verdacht auf eine beginnende Infektion lenken. Daß das Berufungsgericht hiernach die Vernehmung der von der Klägerin benannten Zeugen nicht für geeignet gehalten hat, den Beweis für eine frühere Erkennbarkeit der Infektion zu erbringen, ist verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden.
4.)
Auch im übrigen halten die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht Schadensersatzansprüche der Klägerin wegen angeblicher Sorgfaltsverletzungen des Beklagten verneint hat, einer rechtlichen Prüfung stand.
III.
Daher war die Revision der Klägerin zurück zuweisen.
Die Kosten hat nach § 97 ZPO die Klägerin zu tragen.
Fundstellen
Haufe-Index 3018577 |
NJW 1961, 261 |
NJW 1961, 261-262 (Volltext mit amtl. LS) |