Verfahrensgang
OLG Köln (Entscheidung vom 05.04.2022; Aktenzeichen 9 U 69/21) |
LG Köln (Entscheidung vom 24.03.2021; Aktenzeichen 23 O 448/19) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 5. April 2022, berichtigt durch Beschluss vom 20. September 2022, im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung von mehr als 1.053 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 31. Januar 2020 verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 1.784,85 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in einer privaten Krankenversicherung.
Rz. 2
Der Kläger hält eine Krankenversicherung bei der Beklagten. Dem Versicherungsvertrag liegen unter anderem die Musterbedingungen 2009 - MB/KK 2009 - des Verbandes der privaten Krankenversicherung (im Folgenden: MB/KK) und die Tarifbedingungen der Beklagten zugrunde. In den Muster- und Tarifbedingungen heißt es, wobei die Tarifbedingungen kursiv gedruckt sind:
"§ 8b Beitragsanpassung
Teil I
1. Im Rahmen der vertraglichen Leistungszusage können sich die Leistungen des Versicherers z.B. wegen steigender Heilbehandlungskosten, einer häufigeren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Dementsprechend vergleicht der Versicherer zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt diese Gegenüberstellung für eine Beobachtungseinheit eines Tarifs eine Abweichung von mehr als dem gesetzlich oder tariflich festgelegten Vomhundertsatz, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. […]
2. Von einer Beitragsanpassung kann abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch den Versicherer und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vorübergehend anzusehen ist.
3. […]
Teil II
Zu § 8 b Abs. 1 Beitragsanpassung
[…]
Ergibt die Gegenüberstellung nach Absatz 1 Satz 2 bei den Versicherungsleistungen eine Abweichung von mehr als 10 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. Bei einer Abweichung von mehr als 5 % können alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden. […]"
Rz. 3
Die Beklagte teilte dem Kläger unter anderem Prämienerhöhungen im Tarif B zum 1. April 2013 um 39 € und zum 1. April 2018 um 79,99 € mit.
Rz. 4
Soweit für die Revision noch von Interesse, hat der Kläger mit seiner Klage zuletzt die Rückzahlung der auf die genannten sowie weitere Erhöhungen entfallenden Prämienanteile in Höhe von 12.359,37 € nebst Zinsen begehrt. Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 1.053 € nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht das Urteil dahingehend abgeändert, dass die Beklagte zur Zahlung von 2.837,85 € nebst Zinsen verurteilt worden ist.
Rz. 5
Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter, soweit sie zur Zahlung von mehr als 1.053 € verurteilt worden ist.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
Die Revision hat Erfolg.
Rz. 7
I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass die Prämienerhöhung zum 1. April 2013 formell und materiell sowie die Erhöhung zum 1. April 2018 jedenfalls materiell unwirksam ist. Da bei beiden Tarifanpassungen die Veränderung bei den Versicherungsleistungen unter dem gesetzlichen Schwellenwert von 10 %, aber über 5 % gelegen habe, sei deren Grundlage § 8b Abs. 1.1, 2 MB/KK gewesen. Die Klausel sei aber unwirksam, da abweichend von den gesetzlichen Vorschriften dem Versicherer die Möglichkeit eingeräumt werde, auch im Falle einer nur vorübergehenden Veränderung der Rechnungsgrundlage "Versicherungsleistungen" eine Beitragsanpassung vorzunehmen. Die unwirksame Prämienerhöhung zum 1. April 2013 habe nicht durch die Prämienerhöhung zum 1. April 2018 geheilt werden können. Daher errechneten sich die Rückzahlungsansprüche des Klägers aus den Zahlungen vom 1. Januar 2016 bis zum 30. Juni 2019.
Rz. 8
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht die Prämienerhöhungen mit der Begründung für unwirksam gehalten, dass es für diese an einer wirksamen Prämienanpassungsklausel fehle.
Rz. 9
Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom 22. Juni 2022 (IV ZR 253/20, VersR 2022, 1078) entschieden und im Einzelnen begründet hat, stehen die Regelungen in § 8b MB/KK 2009 zu den Voraussetzungen einer Prämienanpassung einer Anwendung des niedrigeren Schwellenwertes für eine Prämienanpassung aus den Tarif-bedingungen des Versicherers nicht entgegen. Zwar ist § 8b Abs. 2 MB/KK 2009 unwirksam, aber dies lässt die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 unberührt (vgl. Senatsurteil vom 22. Juni 2022 aaO Rn. 31 ff.). Der Senat hat ferner mit Urteil vom 12. Juli 2023 (IV ZR 347/22, VersR 2023, 1222) entschieden, dass eine Prämienanpassungsklausel in der privaten Krankenversicherung, nach welcher der Versicherer die Beiträge bei einer Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen um mehr als fünf Prozent überprüfen und anpassen kann, aber nicht muss, nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers von § 203 Abs. 2 Satz 4 VVG in Verbindung mit § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG abweicht und den Versicherungsnehmer auch nicht unangemessen gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB benachteiligt.
Rz. 10
III. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, soweit die Beklagte zur Rückzahlung von mehr als den von der Revision ausgenommenen 1.053 € (39 € x 27 Monate), die der Kläger vom 1. Januar 2016 bis zum 31. März 2018 auf die Prämienanpassung zum 1. April 2013 gezahlt hat, verurteilt worden ist. Die Sache ist noch nicht zur Endentscheidung reif, weil sich das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht mit der Frage der formellen Rechtmäßigkeit der Prämienanpassung zum 1. April 2018 befasst hat. Das wird nachzuholen sein.
Prof. Dr. Karczewski |
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Harsdorf-Gebhardt |
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Dr. Brockmöller |
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Dr. Bußmann |
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Dr. Bommel |
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Fundstellen
Dokument-Index HI16225111 |