Leitsatz (amtlich)
›a) In der Lebensversicherung kommt eine Rückwärtsversicherung nur insoweit begrifflich nicht in Betracht, als der Versicherungsnehmer eine Versicherung auf den eigenen Todesfall abschließt und dabei ein vor der Antragstellung liegender Zeitpunkt als Versicherungsbeginn genannt wird.
b) Wenn § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG auf die "Schließung des Vertrages" abstellt, so ist damit nicht der Zeitpunkt gemeint, in dem der Versicherungsnehmer die von seiner Seite erforderliche Willenserklärung abgibt, sondern der, in dem der Vertrag durch Annahme des Vertragsantrags zustande kommt.
c) Bei einer Rückwärtsversicherung ist § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG für alle nach der Abgabe des Versicherungsantrags eintretenden Versicherungsfälle regelmäßig stillschweigend abbedungen.‹
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OLG |
LG Itzehoe |
Tatbestand
Der Kläger beantragte am 7. Oktober 1985 bei der Beklagten den Abschluß einer Kapitalversicherung auf den Todes- und Erlebensfall mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. In ihm war eine "Hauptversicherungssumme" von 5.000 DM und eine "Todesfallsumme" von 3.333 DM vorgesehen. Als zusätzliche Leistung aus der Berufsunfähigkeitsversicherung sollte Beitragsbefreiung gewährt werden. Bevor die Beklagte diesen Antrag angenommen hatte, suchte ihr Agent den Kläger auf und veranlaßte ihn, am 29. November 1985 einen "Antrag zur Änderung einer Lebens- und Rentenversicherung" zu unterzeichnen, in dem die Hauptversicherungssumme auf 35.000 DM und die Todesfallsumme auf 23.335 DM erhöht wurde; im Falle der Berufsunfähigkeit sollte - abgesehen von der Beitragsbefreiung - eine jährliche Berufsunfähigkeitsrente von 8.400 DM gezahlt werden. Noch in Unkenntnis dieses zweiten Antrags richtete die Beklagte an den Kläger am 4. Dezember 1985 ein Schreiben, in dem es heißt:
"Ihren Versicherungsantrag
Versicherungssumme DM 5.000,--
Versicherungsbeginn 1.12.85
Sehr geehrter Versicherungsnehmer,
vielen Dank für das Vertrauen, das Sie uns mit Ihrem Antrag erwiesen haben. Hiermit bestätigen wir Ihnen die Annahme des Antrags.
Der Vertrag ist damit zustande gekommen."
Unter dem Datum des 7. Dezember 1985 stellte die Beklagte einen entsprechenden Versicherungsschein aus. Nachdem der Antrag des Klägers vom 29. November 1985 bei der Direktion der Beklagten eingegangen war, übersandte diese dem Kläger mit Schreiben vom 16. Januar 1986 einen diesem Antrag entsprechenden, vom 13. Januar 1986 datierenden "ersten Nachtrag zum Versicherungsschein". In ihm war in Übereinstimmung mit dem Versicherungsantrag festgehalten, daß die Versicherung am 1. Dezember 1985 beginnen sollte.
Inzwischen hatte der Kläger am 5. Dezember 1985 einen Herzinfarkt in Form eines Hinterwandinfarkts erlitten und war sofort in das Krankenhaus eingeliefert worden, wo er mit einer kurzen Unterbrechung bis zum 24. Dezember 1985 blieb. Vom 30. oder 31. Dezember bis zum 6. Februar 1986 hielt sich der Kläger in der Rehabilitationsklinik in B. S. auf.
Am 24. April 1986 erließ das Versorgungsamt H. einen Bescheid, durch den beim Kläger eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 5O% festgestellt wurde. Als Grund der Behinderung wurde Herzinfarkt, koronare Mangeldurchblutung und Bluthochdruck angegeben. Der Kläger meldete mit dem bei der Beklagten am 2. Mai 1986 eingegangenen Schreiben vom 29. April 1986, daß er "am 5. Dezember 1985 einen Herzinfarkt erlitten habe". Als Anlage fügte er den Feststellungsbescheid des Versorgungsamts bei.
Mit Schreiben vom 27. Mai 1986 sandte die Beklagte dem Kläger einen "Antrag auf Versicherungsleistungen" zu, den der Kläger unter dem 3. Juni 1986 ausfüllte und an die Beklagte zurücksandte, wo er am 6. Juni 1986 einging. In dem Antrag nannte der Kläger den Hinterwandinfarkt und die behandelnden Arzte und Krankenanstalten. Daraufhin holte die Beklagte bei dem behandelnden Arzt Dr. B. einen ärztlichen Bericht vom 21. Juni 1986 ein, der bei der Beklagten am 24. Juni 1986 einging. Dr. B. gab den unter dem 5. Dezember 1985 erlittenen akuten Myocardinfarkt an.
Mit Schreiben vom 30. Juni 1986, dem Kläger am 2. Juli 1986 zugestellt, erklärte die Beklagte den Rücktritt von der Vertragsänderung und fügte eine Rechtsbelehrung bei. Ihre Leistungspflicht erkannte sie nur im Rahmen des Versicherungsscheins vom 7. Dezember 1985 an, und auch insoweit nur für die Zeit vom 1. Mai 1986 bis zum 30. November 1987.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihm Deckungsschutz aus dem Versicherungsvertrag Nummer 090336-0139/2 in der Form des Änderungsantrags vom 29. November 1985 und der Annahme vom 13. Januar 1986 zu gewähren.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht ihr stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I. Das Berufungsgericht nimmt mit Recht an, daß im Januar 1986 zwischen den Parteien ein Versicherungsvertrag mit dem aus dem Antrag vom 29. November 1985 und dem - damit übereinstimmenden - Versicherungsschein vom 13. Januar 1986 ersichtlichen Inhalt zustande gekommen ist.
Da der Kläger aber Versicherungsschutz wegen der Folgen eines am 5. Dezember 1985 erlittenen Herzinfarkts verlangt, glaubt das Berufungsgericht, daß der Versicherungsfall bereits vor Vertragsschluß eingetreten sei. Es prüft deshalb, ob der Versicherungsvertrag eine Rückwärtsversicherung enthält und ob diese wirksam war, und bejaht beides.
1. Es erscheint allerdings zweifelhaft, ob die Annahme des Berufungsgerichts richtig ist, der Kläger sei bereits seit dem 5. Dezember 1985 berufsunfähig gewesen. Die dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Bedingungen stimmen hinsichtlich der Definition der Berufsunfähigkeit (§ 2) mit den Musterbedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BB-BUZ) überein. Eine vollständige Berufsunfähigkeit liegt demnach vor, wenn "die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall... voraussichtlich dauernd außerstande ist, ihren Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht"; eine teilweise Berufsunfähigkeit liegt dann vor, wenn die genannten Voraussetzungen nur in einem bestimmten Grade voraussichtlich dauernd erfüllt sind. Der Versicherungsfall darf demnach nicht mit dem Beginn der Krankheit, die zur Berufsunfähigkeit geführt hat, gleichgesetzt werden; vielmehr muß als Beginn der Berufsunfähigkeit der Zeitpunkt festgestellt werden, in dem erstmals ein Zustand gegeben war, der bei rückschauender Betrachtung nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft keine Besserung Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit - erwarten ließ (BGH, Urteil vom 22. Februar 1984 - IVa ZR 63/82 - NJW 1984, 2814 - unter III a.E.). In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, daß sich der Kläger vom 30. Dezember 1985 bis zum 6. Februar 1986 in einer Rehabilitationsklinik aufhielt. Zweck der Rehabilitation ist (zwar nicht ausschließlich, aber doch in erster Linie) die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit. Wenn der Kläger in eine Rehabilitationsklinik eingewiesen wurde, so spricht dies dafür, daß die behandelnden Arzte die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit als möglich angesehen haben. Etwas Gegenteiliges behauptet auch die Beklagte nicht. Zwar darf man nicht übersehen, daß der Kläger bereits am 16. Januar 1986 beim Versorgungsamt die Anerkennung als Schwerbeschädigter beantragt hatte und das Versorgungsamt dem Antrag mit Bescheid vom 24. April 1986 stattgab. Die Beklagte muß sich jedoch entgegenhalten lassen, daß nach ihrem eigenen Vortrag die Versorgungsämter bei einem Herzinfarkt regelmäßig eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 5O% anerkennen, daß dies aber noch nichts über das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit im Sinne der Privatversicherung aussagt. Im übrigen hat die Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein durch Bescheid vom 30. Januar 1987 beim Kläger eine Berufsunfähigkeit im Sinne von § 1246 Abs. 1 RVO und eine Erwerbsunfähigkeit im Sinne von § 1247 RVO verneint.
Nach § 2 Abs. 3 BB-BUZ wird zwar Berufsunfähigkeit unwiderleglich vermutet, wenn der Versicherte mindestens sechs Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall außerstande gewesen ist, seinen Beruf oder eine Vergleichstätigkeit auszuüben. In diesem Fall gilt jedoch nur die Fortdauer des Zustands als Berufsunfähigkeit; der Versicherungsfall tritt demnach erst sechs Monate nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit, d.h. also hier sechs Monate nach dem 5. Dezember 1985, ein. Daß bereits vor diesem Zeitpunkt ein den Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 und 2 BB-BUZ entsprechender Zustand vorgelegen hätte, ist von keiner der Parteien dargelegt worden.
2. Eine Zurückverweisung der Sache zur Klärung dieses Punkts ist jedoch nicht erforderlich; denn auch dann, wenn es der Beklagten nach der Zurückverweisung gelingen würde, den Tatrichter davon zu überzeugen, daß der Versicherungsfall bereits vor dem 13. Januar 1986 eingetreten sei, wäre die Beklagte eintrittspflichtig, weil eine wirksame Rückwärtsversicherung vereinbart wurde.
Sowohl im Versicherungsantrag als auch im Versicherungsschein wird als Versicherungsbeginn der 1. Dezember 1985 genannt. Das Berufungsgericht legt diese Individualvereinbarung mit einer näheren, von der Revision nicht angegriffenen Begründung dahin aus, daß an dem genannten Tag nicht nur die Prämienzahlungspflicht des Klägers, sondern auch der Versicherungsschutz beginnen sollte. Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Auf abweichende Bestimmungen in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen kommt es gemäß § 4 AGBG nicht an.
Der Senat hat zwar im Urteil vom 16. Juni 1982 (BGHZ 84, 268, 276) ausgesprochen, in der Lebensversicherung komme eine Rückwärtsversicherung "begrifflich nicht in Betracht". Diese beiläufige Bemerkung bezog sich aber nur auf den Fall, daß der Versicherungsnehmer eine Versicherung auf den eigenen Todesfall abschließt und im Versicherungsantrag einen vor der Antragstellung liegenden Zeitpunkt nennt; in diesem aber auch nur in diesem - Fall ist in der Tat eine Rückwärtsversicherung auf den im Antrag genannten Zeitpunkt begrifflich nicht möglich. Aber bereits dann, wenn der Versicherungsnehmer in zulässiger Weise (§ 159 VVG) das Leben eines anderen versichert, kann nicht davon gesprochen werden, daß eine Rückwärtsversicherung nicht in Betracht käme; inwieweit sich aus einem solchen Versicherungsvertrag Leistungspflichten ergeben, ist nach § 2 VVG zu beurteilen. Weshalb bei einer Berufsunfähigkeitsversicherung eine Rückwärtsversicherung nicht möglich sein sollte, ist nicht zu erkennen. Der Versicherer wird sich auch bei einer Rückwärtsversicherung der Berufsunfähigkeit keineswegs immer auf § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG berufen können; es ist durchaus möglich, daß bei einem Versicherungsnehmer die objektiven Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit vorliegen, ohne daß er dies selbst erkennt, nämlich dann, wenn er damit rechnet, daß er innerhalb absehbarer Zeit seine Berufstätigkeit wieder aufnehmen kann, obwohl dies objektiv gesehen nicht mehr zu erwarten ist. Aus den §§ 130 Abs. 2, 153 BGB ergibt sich, daß eine Rückwärtsversicherung auch dann zustande kommen kann, wenn der Versicherungsnehmer, der eine Versicherung auf den eigenen Todesfall beantragt hat, nach dem im Antrag als Versicherungsbeginn genannten Zeitpunkt, aber vor Annahme des Versicherungsantrags verstirbt, und der Versicherer nach dem Tode den Versicherungsantrag unverändert, also auch mit dem im Antrag genannten Versicherungsbeginn, annimmt. Es sind auch durchaus Fälle denkbar, in denen der Versicherungsnehmer ein Interesse daran haben kann, bereits für die Zeit zwischen Antragstellung und Annahme Versicherungsschutz zu genießen. Daß eine solche Rückwärtsversicherung rechtsdogmatisch möglich ist, hat schon das Reichsgericht (SeuffArch. Bd. 81, Nr. 20, S. 35) anerkannt. Wenn es gleichwohl in dieser Entscheidung das Zustandekommen einer Rückwärtsversicherung verneinte, so stützte es sich auf die Bedingungen, die dem damaligen Vertrag zugrunde lagen; für die Entscheidung des vorliegenden Falls läßt sich daraus nichts herleiten.
An der im Urteil vom 22. Februar 1984 (IVa ZR 63/82, VersR 1984, 630, 632) vertretenen anderen Ansicht hält der Senat nicht mehr fest. Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß der damals entschiedene Fall mit dem vorliegenden nicht vergleichbar ist: dort hatte der Versicherungsnehmer ein offensichtliches Interesse an der Vorverlegung des technischen Versicherungsbeginns, weil er bei seinem Alter andernfalls nicht versicherbar gewesen wäre; besondere Umstände, die dafür sprechen, daß der Rückdatierung eine weitergehende Bedeutung zukommen sollte, hatte das Berufungsgericht - im Gegensatz zu dem jetzt zur Entscheidung stehenden Fall - nicht festgestellt.
3. Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG ist der Versicherer bei der Rückwärtsversicherung von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer bei der "Schließung des Vertrages" wußte, daß der Versicherungsfall bereits eingetreten ist. Welcher Zeitpunkt damit gemeint ist, ist in der Rechtsprechung umstritten und höchstrichterlich noch nicht geklärt. Nach Ansicht des Landgerichts Köln (VersR 1976, 159) soll es auf den Zeitpunkt ankommen, in dem der Versicherer den Vertrag annimmt, nach Meinung des Landgerichts Karlsruhe (VersR 1971, 168) auf den Zeitpunkt der Antragstellung. In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte (OLG Hamm NJW-RR 1987, 153; VVGE § 2 VVG Nr. 2; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 11. Januar 1989 - 19 U 54/87; OLG Schleswig, Berufungsurteil in der vorliegenden Sache) herrscht eine Auffassung vor, die sich theoretisch der des Landgerichts Köln anschließt, jedoch § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG für alle nach Abgabe des Versicherungsantrags eintretenden Versicherungsfälle als abbedungen ansieht. Sie führt zu einem angemessenen Interessenausgleich. Es ist nicht einzusehen, warum die Rechtsfolgen des § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG auch dann eintreten sollen, wenn sich der Versicherungsfall erst nach Antragstellung, im Zeitraum zwischen Antrag und Annahme, ereignet. Ein solches Ergebnis würde dem Sinn der Gesetzesvorschrift widersprechen, die ja nur verhindern will, daß der Versicherungsnehmer an den Versicherer mit dem Ziel der Manipulation herantritt (Maenner, Theorie und Praxis der Rückwärtsversicherung, S. 212 bis 219). Der Senat schließt sich daher der Auffassung der Oberlandesgerichte an.
Danach wäre § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG hier nur dann anwendbar, wenn der Versicherungsfall bereits vor Antragstellung d.h. also bis zum 29. November 1985 - eingetreten wäre, was jedoch nicht der Fall ist.
II. Das Berufungsgericht nimmt zutreffend an, daß der Kläger auch in der Zeit zwischen Antragstellung und Annahme des Versicherungsantrags zur Anzeige gefahrerheblicher Umstände verpflichtet blieb (vgl. RGZ 134, 148, 152; RG LZ 1916, 1246; RG JRPrV 1933, 5; BGH, Urteile vom 30. Januar 1980 - IV ZR 73/78 - VersR 1980, 667; vom 27. Juni 1984 IVa ZR 1/83 - VersR 1984, 884). Hierauf war er im Antragsformular ausdrücklich hingewiesen worden. Daß der Herzinfarkt, den der Kläger am 5. Dezember 1985 erlitten hatte, das von der Beklagten übernommene Berufsunfähigkeitsrisiko erheblich erhöhen mußte, liegt auf der Hand; es war daher nicht erforderlich, daß die Beklagte die Grundsätze darlegte, von denen sie sich bei der Risikoprüfung leiten läßt (vgl. dazu Senatsurteil vom 28. März 1984 - IVa ZR 75/82 - LM VVG § 16 Nr. 4).
Obwohl der Kläger schuldhaft seine Anzeigepflicht verletzt hat, kann sich die Beklagte hierauf nicht berufen, weil sie die Rücktrittsfrist (§ 20 Abs. 1 VVG) versäumt hat. Wie das Berufungsgericht zutreffend darlegt, hatte die Beklagte aus dem Schreiben des Klägers vom 29. April 1986, das am 2. Mai 1986 bei ihr einging, entnehmen können, daß der Kläger objektiv seine Anzeigepflicht verletzt hatte. In dem Schreiben wird nicht nur der Herzinfarkt ausdrücklich erwähnt; diese Angabe wurde auch durch den beigefügten Feststellungsbescheid des Versorgungsamts belegt. Daß es sich um keinen leichten Fall handelte, ergab sich einmal daraus, daß das Versorgungsamt eine Erwerbsminderung von 5O% festgestellt hatte, zum anderen aber auch daraus, daß der Kläger Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung in Anspruch nahm. Es mag sein, daß sich die Beklagte damals noch im unklaren darüber war, ob sie wegen des Herzinfarkts Versicherungsleistungen werde erbringen müssen; aus diesem Grunde können bei ihr Zweifel bestanden haben, ob es sich wirtschaftlich lohnte, vom Versicherungsvertrag zurückzutreten und damit auf zukünftige Prämieneinnahmen zu verzichten. Für die Anwendung des § 20 VVG ist dies jedoch ohne Bedeutung. Für den Beginn der Frist kommt es allein darauf an, ob dem Versicherer die Verletzung der Anzeigepflicht bekannt war; es ist nicht erforderlich, daß er die wirtschaftlichen Folgen übersieht, die sich für ihn aus dem verschwiegenen Umstand ergeben können. Entgegen der Ansicht der Revision war jedenfalls bei den Besonderheiten des vorliegenden Falls eine Rückfrage bei den Ärzten nicht erforderlich, um dem Versicherer die nach § 20 Abs. 1 Satz 2 VVG erforderliche Kenntnis zu verschaffen.
III. Daß der Versicherungsfall eingetreten ist, bezweifelt die Beklagte nicht; sie bestreitet lediglich, daß der Kläger über den 30. November 1987 hinaus "arbeits- und berufsunfähig" sei (Schriftsätze vom 13. April 1987 S. 9, Bl. 35 d.A. und vom 15. Mai 1987 S. 3, Bl. 55 d.A. i.V.m. dem letzten Absatz des Tatbestands des landgerichtlichen Urteils; Schriftsatz vom 24. November 1988 S. 9, Bl. 111 d.A. i.V.m. S. 11, Abs. 3 des Berufungsurteils). Damit räumt sie ein, daß beim Kläger eine Berufsunfähigkeit eingetreten ist; sie beruft sich lediglich darauf, daß diese nachträglich weggefallen sei. Sie ist demnach auf jeden Fall verpflichtet, an den Kläger Versicherungsleistungen zu erbringen. Die Höhe dieser Leistungen ist nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Es bedurfte demnach, wie das Berufungsgericht zutreffend bemerkt, keiner Prüfung der Frage, wann die Leistungspflicht der Beklagten begann und wann sie gegebenenfalls beendet war.
Fundstellen
Haufe-Index 2993026 |
BGHZ 111, 44 |
BGHZ, 44 |
NJW 1990, 1916 |
BGHR BB-BUZ § 2 Abs. 1 Berufsunfähigkeit 1 |
BGHR VVG § 16 Abs. 1 Satz 1 Gefahrumstände 1 |
BGHR VVG § 2 Abs. 2 Satz 2 Vertragsschluß 1 |
BGHR VVG § 2 Lebensversicherung 1 |
BGHR VVG § 20 Abs. 1 Satz 2 Kenntnis 1 |
DRsp II(227)145b-d |
MDR 1990, 908 |
VersR 1990, 729 |