Entscheidungsstichwort (Thema)
Beihilfe zum Mord
Tenor
1. Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 20. März 1998 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Angeklagten N und L wegen Beihilfe zum Mord verurteilt worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieser Revision, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten L wird verworfen. Er trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin durch sein Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen.
– Von Rechts wegen –
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten L wegen Beihilfe zum Mord sowie wegen Betruges in drei Fällen und wegen versuchten Betruges, jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung, zu der Jugendstrafe von sechs Jahren und neun Monaten und den Angeklagten N wegen Beihilfe zum Mord sowie wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu der Jugendstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die Revision der Nebenklägerin, die eine Verurteilung beider Angeklagter wegen (mit-) täterschaftlichen Mordes erstrebt, hat bezüglich des Tötungsdelikts mit der Sachrüge Erfolg. Die – zulässige – Revision des Angeklagten L ist unbegründet.
I.
1. Die zur Tatzeit 19 bzw. 20 Jahre alten Angeklagten gehörten zu einer Gruppe von Personen, die von April bis Juni 1992 Betrügereien beging, indem gefälschte Überweisungsaufträge von vermögenden Kontoinhabern zur Gutschrift auf Konten der Gruppenmitglieder eingereicht wurden. Auf diese Weise gelang es ihnen, in zwei Fällen über 120.000 DM zu erschleichen. In zwei weiteren Fällen erlangte die Gruppe den erstrebten Betrag nicht. In diesen beiden Fällen stellte die mit L befreundete und später getötete P ihr Konto für die Gutschrift zur Verfügung. Im ersten dieser Fälle kam es nicht zur Ausführung der Überweisung, weil eine Unterschrift fehlte. Im zweiten dieser Fälle wurde zwar die Überweisung ausgeführt, der gutgeschriebene Betrag aber nicht mehr vom Konto abgehoben, da P ihr Konto gelöscht hatte.
2. Da den Angeklagten und ihren Mittätern A und F die Gründe für das Scheitern der Überweisungen nicht bekannt waren, argwöhnten sie im Juli 1992, P habe sie hintergangen; sie sollte deshalb zur Rede gestellt werden. Die Angeklagten und wahrscheinlich auch A und F holten P am 16. Juli 1992 gegen Mitternacht mit N PKW ab. Während der Autofahrt konnte P die Männer nicht davon überzeugen, daß sie die Überweisungsbeträge nicht an sich gebracht hatte. Um Druck auf sie auszuüben, fuhren sie zu einem Waldweg. Nachdem alle ausgestiegen waren, wurde P körperlich mißhandelt. Als sie bei einem Fluchtversuch zu Fall gekommen war, überfuhr sie einer der Männer mit dem PKW, indem er mit bedingtem Tötungsvorsatz vorwärts und rückwärts über sie hinwegfuhr. Dabei wurde P so schwer verletzt, daß – was die Tatbeteiligten nicht wußten – schon diese Verletzungen zum Tode geführt hätten. Allen Tatbeteiligten war spätestens jetzt klar, daß P getötet werden mußte, damit sie wegen der zuvor an ihr verübten Straftaten und wegen der Betrügereien nicht gegen sie aussagen konnte. In Ausführung dieser gemeinsamen Verdeckungsabsicht stach einer der Männer mit direktem Tötungsvorsatz mit einem messerartigen Gegenstand mehrfach auf sie ein. Dabei wurde ihr Hals fast vollständig abgetrennt. P starb unmittelbar darauf an den Folgen der Stichverletzungen.
3. Das Landgericht konnte nicht klären, wer von den Beteiligten P mißhandelte, mit dem PKW überfuhr, und wer ihr die tödlichen Stiche zugefügt hat. Die Angeklagten haben in der Hauptverhandlung geschwiegen. Der gesondert verfolgte A hat in der Hauptverhandlung von seinem (umfassenden) Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht; bei der Polizei hat er die Beteiligung am Tötungsdelikt bestritten. F hat bei der Polizei zu seiner eigenen Tatbeteiligung geschwiegen. Das Landgericht hat sich allerdings davon überzeugt, daß die Angeklagten den oder die unmittelbar Tatausführenden durch ihre Anwesenheit zumindest unterstützten, sicherten und bestärkten. Es hat die Angeklagten deshalb der Beihilfe zum Verdeckungsmord (mit eigener Verdeckungsabsicht) für schuldig gehalten; weitere Mordmerkmale (Grausamkeit, niedrige Beweggründe) konnte es nicht feststellen.
II.
1. Auf die Revision der Nebenklägerin war das Urteil aufzuheben, soweit die Angeklagten (lediglich) wegen Beihilfe zum Mord verurteilt wurden.
Die Revision der Nebenklägerin ist allerdings unzulässig, soweit mit ihr als weiteres Anfechtungsziel die Bejahung der (zusätzlichen) Mordmerkmale der Grausamkeit und der sonst niedrigen Beweggründe erstrebt wird. Das ließe die rechtliche Einordnung der Tat als Mord unberührt. Die Annahme eines weiteren Mordmerkmals würde sich vielmehr allenfalls auf den Rechtsfolgenausspruch auswirken können. Nach § 400 Abs. 1 StPO kann der Nebenkläger ein Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, daß eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Juli 1997 - 4 StR 266/97 - und 26. Februar 1998 - 4 StR 68/98 -).
2. Hätte sich der Tatrichter nach – im Urteil erkennbarer – Ausschöpfung aller Beweismittel nicht die sichere Überzeugung von der eigenhändigen Täterschaft der Angeklagten verschaffen können, so läge insoweit kein Rechtsfehler vor. Die rechtsfehlerfreie Anwendung des Zweifelssatzes kann das Revisionsgericht allerdings nur überprüfen, wenn im angefochtenen Urteil die wesentlichen für und gegen eigenhändige Tatbeiträge der Angeklagten sprechenden Beweisanzeichen dargestellt werden und deren Beweiswert je einzeln und sodann in einer Gesamtschau gewürdigt wird. Eine solche Beweiswürdigung enthält das Urteil nicht. Im Rahmen der Beweiswürdigung finden sich dazu nur wenige Sätze. Neben der knappen Erörterung eines möglichen Tatmotivs von A und F wird lediglich das Ergebnis der Würdigung bezüglich N zusammengefaßt: „Es spricht viel dafür, daß N seinen PKW gefahren und P auch überfahren habe. Bewiesen ist das aber nicht.” Schon dieser durchgreifende Beweiswürdigungsmangel muß zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen des Tötungsdelikts führen.
3. Ein weiterer durchgreifender Rechtsfehler liegt darin, daß das Landgericht – auch bei Zugrundelegung der Annahme, es lägen keine eigenhändigen Tötungshandlungen der Angeklagten vor – ohne die gebotene Würdigung der hier sonst festgestellten Umstände nur eine (psychische) Beihilfe angenommen hat. Hier lag ein so enges Verhältnis der Angeklagten zur Tat vor, daß sich ihre Mittäterschaft aufdrängte.
a) Mittäterschaft liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann vor, wenn ein Tatbeteiligter nicht bloß fremdes Tun fördern will, sondern seinen Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils will. Ob ein Beteiligter dieses enge Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfaßt sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte hierfür können gefunden werden im Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, im Umfang der Tatbeteiligung und in der Tatherrschaft oder wenigstens im Willen zur Tatherrschaft, so daß Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich von seinem Willen abhängen (BGH StV 1998, 540 m.w.N.). Einer auf einem gemeinsamen Willen beruhenden – arbeitsteilig begangenen – Mittäterschaft steht mangelnde Eigenhändigkeit bei Mord nicht entgegen (BGHR StGB § 25 Abs. 2 Tatinteresse 5). Die Annahme von Mittäterschaft erfordert auch nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen; es kann auch eine Mitwirkung im Vorbereitungsstadium des unmittelbar tatbestandsmäßigen Handelns genügen (BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 26).
In Grenzfällen hat der Bundesgerichtshof dem Tatrichter für diese Wertung einen Beurteilungsspielraum eröffnet. Läßt das angefochtene Urteil in diesen Fällen erkennen, daß der Tatrichter die genannten Maßstäbe erkannt und vollständig gewürdigt hat, so kann das gefundene Ergebnis auch dann nicht als rechtsfehlerhaft beanstandet werden, wenn eine andere tatrichterliche Beurteilung möglich gewesen wäre (BGH StV 1998, 540 m.w.N.).
b) Ein derartiger Grenzfall, der dem Tatrichter einen Beurteilungsspielraum eröffnet, ist allerdings nicht rechtsfehlerfrei festgestellt. Bei der gegebenen Sachlage drängte sich auf, daß die Angeklagten die Tat als eigene wollten.
aa) Die Angeklagten waren die maßgeblichen Täter innerhalb der Betrügergruppe. Beide erhielten wesentliche Anteile von der Beute. N hatte aufgrund seiner Informationen als Bankangestellter den Anstoß für die Taten gegeben. Beide Angeklagten hatten ein gewichtiges Motiv, die von ihnen verübten Betrügereien zu verdecken, um nicht strafrechtlich verfolgt zu werden. Bei N kam hinzu, daß er um die Kündigung seines Ausbildungsverhältnisses fürchtete; zudem war er Eigentümer des Tatfahrzeugs. L hatte zunächst sein Konto zur Verfügung gestellt und bemühte sich „zur besseren Absicherung” um andere Personen, die ihr Konto zur Verfügung stellen sollten. Er sprach deswegen auch P an und freundete sich mit ihr „möglicherweise nur zu (diesem) Zweck an”. Diese händigte L den auf ihrem Konto eingegangenen Betrag aus.
L wollte sich Mitte Juli 1992 aus Angst vor der Strafverfolgung wegen der zwischenzeitlich aufgedeckten Betrügereien ins Ausland absetzen. Dazu benötigte er Geld, das er ersichtlich von P zu erlangen glaubte. Er und N, der eine Auslandsreise antreten wollte, verdächtigten sie, Überweisungsbeträge selbst vereinnahmt zu haben. Auch wollten sie P deswegen zur Rede stellen.
N rief am späten Abend des Tattages mehrfach bei P an und wollte diese – sie war allerdings beim ersten Anruf noch nicht zu Hause – sprechen, naheliegend, um ein Treffen für das zur-Rede-Stellen zu arrangieren. Nachdem er P erreicht hatte, sagte diese zu ihren Angehörigen, sie wolle L treffen und müsse mit diesem unbedingt sprechen. Sie stieg dann in den PKW N s, mit dem die Tatbeteiligten an einen abgelegenen Ort fuhren. Nach der Tat wurde der PKW innen gereinigt und in der Nähe der Wohnung N s abgestellt. Beide Angeklagten setzten sich kurz danach ins Ausland ab.
bb) Diese bei den Angeklagten bestehende Motivation drängte so sehr zur Annahme eines eigenen Tatinteresses, daß das Landgericht diese Umstände bei der Frage, ob die Angeklagten sich etwaige allein von A und/oder F verübte Tötungshandlungen zu eigen machen wollten, einer wertenden Betrachtung unterziehen mußte. Auch – und wohl vor allem – die Angeklagten wollten P zur Rede stellen; sie vor allem konnten sich von ihr wegen des zuvor bestehenden Vertrauensverhältnisses von ihr „betrogen” fühlen. Sie benötigten dringend Geld für die geplanten Auslandsreisen, das sie von ihr zu erlangen hofften, aber nun nicht erhielten. Gleichzeitig liegt es nahe, daß sie aufgrund der Erklärungen P s, die im Ergebnis darauf hinausliefen, daß sie „ausgestiegen” war, eine strafrechtliche Verfolgung fürchteten. Die Verfolgung würde sich aufgrund ihrer engen Verbindungen in erster Linie gegen die Angeklagten richten; P war ihre „gefährlichste Zeugin”.
Demgegenüber ist der vom Landgericht gegen eine Tatherrschaft angeführte Umstand, daß A und F älter waren und deswegen dominant gewesen sein könnten (UA S. 41/42), schwerlich geeignet, eine solche Tatherrschaft der Angeklagten auszuräumen. Nichts spricht dafür, daß die Angeklagten sich bei den Betrügereien A und F untergeordnet hätten. Dann aber liegt es äußerst fern, daß – auch bei Beachtung der Interessenlage – eine solche Unterordnung gerade bei dem Entschluß P zu töten, vorgelegen hätte. L war am engsten mit P befreundet; hätten nur die anderen den Tatentschluß gefaßt, dann lag es nahe, daß er sich den anderen Tatbeteiligten – durchaus mit Erfolgsaussicht – entgegengestellt hätte. N war an dem Treffen sehr interessiert. Er hatte P dazu bestellt und seinen PKW zumindest für die Fahrt zum entlegenen Ort sowie für die anschließende Fahrt vom Tatort zur Verfügung gestellt. Es erscheint danach nahezu ausgeschlossen, daß die Angeklagten das Geschehen nicht maßgeblich beeinflussen konnten und daß die Tötung gegen ihren Willen und ihr Interesse alleine von A und/oder F verübt worden wäre.
III.
Die Revision des Angeklagten L ist zulässig; sein Rechtsmittelverzicht ist unwirksam. Seine Revision ist indessen unbegründet.
1. Dem Rechtsmittelverzicht, den L anläßlich der Haftprüfung am 24. März 1998 – vier Tage nach der Urteilsverkündung, L war 26 Jahre alt – erklärt hat, gingen Gespräche über Absprachen in der Hauptverhandlung voraus.
a) Ende Januar 1998 – die Hauptverhandlung hatte bereits mehr als ein halbes Jahr angedauert – sprach einer der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, Staatsanwalt Kn, auf Anregung des Verteidigers des Mitangeklagten N, Rechtsanwalt S, die Strafkammer darauf an, ob das Verfahren gegen diesen Angeklagten durch Absprache beendet werden könne. Die Wahlverteidigerin des Angeklagten L, Rechtsanwältin B, widersprach mit Schriftsatz vom 12. Februar 1998 für ihren Mandanten einer solchen Absprache („Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord”); sie strebte einen Freispruch vom Vorwurf des Tötungsdelikts an. Ihrem Vortrag und auch den Vermerken der Vorsitzenden Richterin am Landgericht He und der Staatsanwaltschaft läßt sich nicht entnehmen, unter welchen konkreten Umständen die Wahlverteidigerin von den Gesprächen mit dem Mitangeklagten Kenntnis erlangte.
Die in der Folgezeit getroffene Absprache mit dem Mitangeklagten N hat die Vorsitzende in einem Vermerk vom 30. März 1998 so beschrieben: „Nach mehreren Gesprächen mit der StA und Herrn S (Verteidiger des Mitangeklagten) wurde unter Hinzuziehung des Angeklagten am 10.3.1998 vereinbart, gegen ihn wegen Betruges und Beihilfe zum Mord eine Jugendstrafe von sechs Jahren zu verhängen und ihn bei Rechtsmittelverzicht vom Vollzug der Untersuchungshaft zu verschonen.” Diese „Vereinbarung” vom 10. März 1998 fand ersichtlich nicht in der Hauptverhandlung und ohne Beteiligung der übrigen Verfahrensbeteiligten statt.
Der Vater des Angeklagten L erfuhr von dieser „Vereinbarung” mit dem Mitangeklagten und bat in Gegenwart der Pflichtverteidigerin, Rechtsanwältin J, am 10. März 1998 um ein Gespräch mit der Vorsitzenden. Das lehnte die Vorsitzende im Hinblick auf die Verteidigungsstrategie der Wahlverteidigerin ab. Auf erneute Bitte des Vaters des Angeklagten L erklärte sich die Vorsitzende zu einer Unterredung bereit, die am 16. März 1998 stattfinden sollte.
Die Vorsitzende telefonierte darauf am 13. März 1998 mit Staatsanwalt Kn. Dieser erklärte auf Anfrage der Vorsitzenden, daß er gegen den Angeklagten L eine Jugendstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten beantragen werde. Den weiteren Inhalt des Telefonats hat die Vorsitzende in dem Vermerk vom 30. März 1998 so beschrieben: „Auf meine Frage nach einer einvernehmlichen Lösung bot er, wie zuvor schon Herrn G (Berichterstatter) an, das Verfahren nach denselben Modalitäten zu beenden wie bei dem Angeklagten N, und autorisierte mich, Herrn L entsprechend zu unterrichten.”
Die Staatsanwaltschaft hat in ihrem Vermerk vom 15. Mai 1998 diesen Inhalt dieses Telefonats insofern bestätigt, als Staatsanwalt Kn im Falle eines Rechtsmittelverzichts „eine Verurteilung zu einer Jugendstrafe von ebenfalls 6 Jahren – wie bei dem Angeklagten N – hinnehmbar” erschien; seine Haltung zur Haftverschonung wird dort allerdings so wiedergegeben: „Im Verlaufe des Telefonats wurde auch eingehend die vom Angeklagten N erheblich abweichende Dauer der zu verbüßenden Restjugendstrafe erörtert. Da zum Zeitpunkt des Gespräches über den Inhalt der vom Vater des Angeklagten L gesuchten Unterredung lediglich spekuliert werden konnte, wurden weitergehende Zugeständnisse von eben diesem Inhalt abhängig gemacht. … Es bestand … zwischen Herrn Kn und Frau He daher Einigkeit, daß abschließend nach Führung des für den 16. März 1998 angekündigten Gespräches der weitere Ablauf besprochen werden sollte.”
Am 14. März 1998 unterrichtete die Vorsitzende die Pflichtverteidigerin L s über den Inhalt ihres Telefongesprächs mit der Staatsanwaltschaft. Die Pflichtverteidigerin erwiderte, daß der Vater des Angeklagten L eine Entlassung seines Sohnes aus der Haft erwarte, was sie selbst für unrealistisch hielte. Die Vorsitzende unterrichtete die Pflichtverteidigerin auch über den Inhalt der „Vereinbarung” mit N .
Am 16. März 1998 fand das Gespräch der Vorsitzenden mit dem Vater des Angeklagten L statt; dabei unterrichtete sie ihn über die Strafvorstellungen der Staatsanwaltschaft und deren „Angebot für ein einvernehmliches Verfahrensende”. Das Ergebnis dieser Unterredung hat die Vorsitzende im Vermerk vom 30. März 1998 weiter so festgehalten: Der Vater „stimmte unter der Bedingung zu, daß sein Sohn nicht mehr in Haft müsse. Ich klärte ihn darüber auf, daß dies im Falle einer Verurteilung aber unumgänglich sei und erläuterte ihm, unter welchen Umständen und Voraussetzungen sein Sohn mit Hafterleichterungen und einer vorzeitigen Entlassung aus der Strafhaft rechnen könne. … Herr L lehnte das Angebot der Staatsanwaltschaft ab und suchte anschließend seinen Sohn in der Haftanstalt auf.”
Die Staatsanwaltschaft hat in ihrem Vermerk vom 15. Mai 1998 weiter festgehalten: „Am 16. März 1998 erfolgte ein weiteres Telefonat zwischen Herrn Kn und Frau He. In diesem teilte Frau Hennig mit, daß der Vater des Angeklagten L bei einvernehmlicher Verfahrensbeendigung davon ausgehe, daß sein Sohn im Falle einer etwaigen Haftverschonung eine Jugendstrafe nicht mehr antreten müsse. Frau He stellte klar, daß sie angesichts dieser Forderung das Gespräch ergebnislos beendet habe. Nunmehr wies Staatsanwalt Kn ausdrücklich darauf hin, daß für weitere Gespräche mit dem Angeklagten L selbst, seinen Eltern oder seinen Verteidigerinnen fortan kein Raum mehr gesehen werde.”
b) Am 20. März 1998 wurde das Urteil verkündet. Der Haftbefehl des Mitangeklagten N wurde außer Vollzug gesetzt; die Staatsanwaltschaft erklärte bezüglich dieses Angeklagten Rechtsmittelverzicht. Beim Angeklagten L wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Haftfortdauer angeordnet.
Am 23. März 1998 suchte die Mutter des Angeklagten L die Vorsitzende und den Berichterstatter auf, um die Haftentlassung ihres Sohnes zu erreichen. Die Richter erklärten, sie müßten mit der Staatsanwaltschaft Rücksprache halten; ferner baten sie die Mutter, mit dem Angeklagten zu sprechen und die Wahlverteidigerin aufzusuchen.
Die Vorsitzende traf die Wahlverteidigerin zufällig im Gerichtsgebäude und bat diese, mit der Mutter zu sprechen. Nach der Unterredung mit der Mutter zeigte sich die Wahlverteidigerin verärgert. Die Vorsitzende forderte die Mutter auf, mit ihrem Mann zu sprechen und nannte ihr den Termin der Haftprüfung. Die Wahlverteidigerin versprach der Vorsitzenden – auf deren Vorschlag –, den Angeklagten L aufzusuchen.
Die Vorsitzende telefonierte mit Staatsanwalt Kn, um dessen Ansicht zur Frage der Haftverschonung in Erfahrung zu bringen. Nach Rücksprache mit seinem Abteilungsleiter, Oberstaatsanwalt W, sprach sich Staatsanwalt Kn gegen eine Haftverschonung aus. Auch Staatsanwalt Ha – gleichfalls Sitzungsvertreter – konnte von der Vorsitzenden nicht zu einer Zustimmung bewogen werden. Daraufhin suchten die Vorsitzende und der Berichterstatter Oberstaatsanwalt W auf, um ihn umzustimmen; dieser sprach sich erneut gegen eine Haftverschonung aus.
Die Wahlverteidigerin suchte am 24. März 1998 – dem Tag, an dem die Haftprüfung stattfand – den Angeklagten L auf und informierte ihn über den Sachstand. Bezüglich des Rechtsmittelverzichts habe sie ihn – so ihr Vortrag – „jedoch nicht beraten, weil die Verteidigung dieses ganze Verfahren mit der Haftverschonung ablehnte”. Die Wahlverteidigerin trägt weiter vor: In einem Telefonat mit dem Berichterstatter habe sie nochmals ihren Standpunkt erläutert und erklärt, daß sie „selbstverständlich keine Prozeßerklärung des Mandanten entgegengenommen habe, und daß (sie) das ganze Verfahren für falsch hielte und an dem … Haftprüfungstermin nicht teilnehmen werde”. Der Berichterstatter habe geäußert, die Kammer wolle den Angeklagten selbst hören und notfalls dessen Erklärung entgegennehmen. Auf ihren Hinweis, daß die Pflichtverteidigerin nicht informiert wäre, habe der Berichterstatter erwidert „es muß ja niemand kommen”.
c) An der Haftprüfung am 24. März 1998 nahmen der – dabei unverteidigte – Angeklagte L, seine Eltern und die Staatsanwälte Kn und Ha teil. Im Protokoll ist vermerkt, daß Rechtsanwältin B Kenntnis vom Termin hatte und erklärt habe, daß sie nicht erscheinen werde. Ausweislich des Protokolls erklärte der Angeklagte, daß er im Falle einer Haftverschonung auf Rechtsmittel verzichten werde. Die Staatsanwaltschaft beantragte Haftfortdauer. Es erging der Haftverschonungsbeschluß. Der Angeklagte erklärte daraufhin den Rechtsmittelverzicht. Die Staatsanwaltschaft legte sogleich Beschwerde gegen den Haftverschonungsbeschluß ein und beantragte, dessen Vollziehung auszusetzen (§ 307 Abs. 2 StPO). Die Strafkammer half der Beschwerde nicht ab.
Die Vorsitzende hat in ihrem Vermerk vom 30. März 1998 festgehalten, daß dem Angeklagten bei der Haftprüfung Gelegenheit gegeben worden sei, mit seinen Eltern zu sprechen und daß das Gericht ihm „die Risiken eines Rechtsmittelverzichts erläutert” habe. In dem Vermerk führt die Vorsitzende weiter aus, daß die Staatsanwaltschaft das Gebot fairen Verfahrens verletzt habe, weil sie sich an ihre Zusage – welche die Haftverschonung eingeschlossen habe – nicht gehalten habe. Demgegenüber hält die Staatsanwaltschaft in ihrem Vermerk vom 15. Mai 1998 fest, sie habe dem Angeklagten und dem Gericht „ganz klar zum Ausdruck gebracht, daß sie mit einer Haftverschonung unter keinen Umständen einverstanden sei”. Diesem Vermerk entnimmt der Senat auch, daß die Staatsanwaltschaft davon ausgeht, daß sie eine Zustimmung zur Haftverschonung vom Inhalt des Geständnisses abhängig gemacht habe. Aufgrund des Ergebnisses der Unterredung des Vaters des Angeklagten mit der Vorsitzenden am 16. März 1998 hätte sich die Frage der Haftverschonung (negativ) erledigt.
Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hob das Kammergericht am 26. März 1998 den Haftverschonungsbeschluß auf und setzte den Haftbefehl wieder in Vollzug.
d) Am 24. März 1998 legte die Pflichtverteidigerin – offenbar in Unkenntnis des Rechtsmittelverzichts – Revision ein; sie erhob die allgemeine Sachrüge und rügte ohne nähere Begründung die Verletzung formellen Rechts. Mit Schriftsatz vom 27. März 1998 äußerte sie Bedenken gegen den Rechtsmittelverzicht und legte vorsorglich nochmals Revision ein. Nachdem das Urteil am 27. Juli 1998 zugestellt worden war, begründete sie am 27. August 1998 die Revision, da sie den Rechtsmittelverzicht für unwirksam hielt.
Die Wahlverteidigerin schrieb am 30. März 1998 an die Vorsitzende und beanstandete die Umstände des Rechtsmittelverzichts. Darauf übersandte die Vorsitzende ihr den Vermerk vom 30. März 1998. Mit dem an das Landgericht gerichteten Schriftsatz vom 9. April 1998 focht die Wahlverteidigerin den Rechtsmittelverzicht „wegen Irrtums und Wegfall der Geschäftsgrundlage” an. Die Revisionsbegründung der Wahlverteidigerin ging am 25. August 1998 ein. Zugleich machte sie geltend, der Rechtsmittelverzicht sei unwirksam.
2. Ein Rechtsmittelverzicht ist als Prozeßerklärung grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr., vgl. BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 12 m.w.N.). Die Rechtsprechung erkennt allerdings Ausnahmen an. In Betracht kommen namentlich drei Fallgruppen: Schwerwiegende Willensmängel, unzulässige Absprachen und sonstige Umstände der Art und Weise des Zustandekommens des Rechtsmittelverzichts.
a) In besonderen Fällen können schwerwiegende Willensmängel bei der Erklärung des Rechtsmittelverzichts aus Gründen der Gerechtigkeit dazu führen, daß eine Verzichtserklärung von Anfang an unwirksam ist (BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 17, 18 m.w.N.).
b) Ein Rechtsmittelverzicht, der aufgrund einer Absprache abgegeben wird, kann bei Vorliegen besonderer Umstände unwirksam sein. Der Rechtsmittelverzicht ist allerdings nicht schon deshalb unwirksam, weil er Gegenstand einer Absprache war. Selbst eine unzulässige Absprache macht nicht zugleich auch den Rechtsmittelverzicht unwirksam, denn dessen Beurteilung unterliegt anderen Maßstäben (BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 18). Eine andere Beurteilung kommt nur in Betracht, wenn diejenigen Gründe, die – allgemein oder im Einzelfall – der Zulässigkeit einer solchen Absprache entgegenstehen, zugleich auch zur rechtlichen Mißbilligung des abgesprochenen Rechtsmittelverzichts führen würden (BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 18). Auch die Verbindung des Rechtsmittelverzichts mit Erklärungen zur Strafvollstreckung kann diesen unwirksam machen (BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 18). Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hält die Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts vor der Urteilsverkündung stets für unzulässig (BGHSt 43, 195 = BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 19).
c) Schließlich kann die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts auch durch die Art seines Zustandekommens in Frage gestellt werden (vgl. BGH wistra 1994, 197). Das kann auch durch eine unzulässige Einwirkung mit solchen Beeinflussungsmitteln geschehen, die nicht von § 136a StPO verboten sind (BGHSt 19, 101, 104).
3. Bezüglich des hier zu beurteilenden Sachverhalts geht der Senat davon aus, daß während der Hauptverhandlung keine Absprache zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und L zustande kam, vor allem keine solche, die Schuldspruch, Strafmaß, Rechtsmittelverzicht und Haftverschonung miteinander verknüpfte.
a) Es kann offen bleiben, ob – wie die Vorsitzende vermerkt hat – ursprünglich ein Angebot der Staatsanwaltschaft vorlag, sie werde bei Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und bei einem Rechtsmittelverzicht des Angeklagten keine Beschwerde gegen eine Haftverschonung einlegen. Der Senat entnimmt dem Vermerk der Vorsitzenden vom 30. März 1998, daß der Vater des Angeklagten, als er am 16. März 1998 für diesen Verständigungsgespräche führte, zusätzlich forderte, daß sein Sohn nach der Haftverschonung keine Strafe mehr verbüßen müsse. Nachdem ihm die Vorsitzende erklärt hatte, daß die Strafverbüßung unumgänglich sei, hätte der Angeklagte jedenfalls ein derartiges Angebot der Staatsanwaltschaft abgelehnt.
b) Die Staatsanwaltschaft war bei dieser Entwicklung der Gespräche an ihr „Angebot”, auch wenn es die Frage der Haftverschonung mit umfaßt hätte, nicht mehr gebunden. Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet nicht, daß die Staatsanwaltschaft bei der Erklärung des Angeklagten, er nehme ihr Angebot nur unter Erweiterungen an, an ihr bisheriges Angebot im weiteren Fortgang des Verfahrens gebunden bleibt (zur eingeschränkten Bindung selbst bei einer wirksam zustande gekommenen Absprache siehe BGHSt 43, 195). Dies gilt zumal dann, wenn, wie hier – das entnimmt der Senat dem Vermerk der Staatsanwaltschaft und der Reaktion der Wahlverteidigerin – Gegenstand der „Verhandlungen” über eine Verfahrenserledigung auch eine Abkürzung der Beweisaufnahme durch die Einlassung des Angeklagten ist. Der Angeklagte hat bis zuletzt die Beteiligung am Tötungsdelikt bestritten mit der Folge des Fortgangs der Beweisaufnahme, so daß sich schon deshalb die Entscheidungsgrundlage zu der Frage, wie nach Urteilserlaß bezüglich der Fortdauer der Untersuchungshaft verfahren werden soll, geändert haben kann. Es kommt hinzu, daß selbst eine fortbestehende Bindung der Staatsanwaltschaft bezüglich der Haftverschonung nicht ohne weiteres dazu geführt hätte, daß der Rechtsmittelverzicht unwirksam ist.
4. Der Senat geht auch davon aus, daß das Gericht dem Angeklagten keinen Rechtsmittelverzicht abverlangt hat (vgl. BGH, Beschl. vom 11. Juni 1997 - 2 StR 191/97 -) und daß die Vorsitzende dem Angeklagten, wie von ihr vermerkt, bei der Haftprüfung „die Risiken des Rechtsmittelverzichts erläutert” hat; eine Täuschung liegt daher ebensowenig vor wie eine sonstige unzulässige Einwirkung (vgl. BGHSt 19, 101, 104). Die Risiken lagen ersichtlich darin, daß die Staatsanwaltschaft – ohne damit, wie oben dargelegt, gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens zu verstoßen – unmißverständlich zum Ausdruck gebracht hatte, daß sie gegen eine Haftverschonung Beschwerde einlegen würde. Die Beschwerde mußte als erfolgversprechend beurteilt werden und führte auch zum Erfolg.
Da keine Verständigung zustande gekommen ist, und da auch die Staatsanwaltschaft mit ihrer Entscheidung, Beschwerde gegen den Haftverschonungsbeschluß einzulegen, korrekt gehandelt hat, kommen die oben dargestellten Grundsätze der Rechtsprechung zur Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts, der auf der Grundlage einer Absprache erklärt wird, nicht zur Anwendung.
5. Der Rechtsmittelverzicht ist allerdings wegen der Art und Weise seines vom Gericht zu verantwortenden Zustandekommens unwirksam.
Der Angeklagte hat den Rechtsmittelverzicht ersichtlich deswegen abgegeben, weil er den – ihm auch vom Gericht deutlich vor Augen geführten möglicherweise nur kurzfristigen, aber sofort gewährten – Vorteil der Entlassung aus der Untersuchungshaft dem Nachteil einer von ihm nicht mehr angreifbaren Verurteilung vorgezogen hat. Ein solches Entscheidungsverhalten ist zwar irrational, aber psychologisch nachvollziehbar; das allein macht den Rechtsmittelverzicht nicht unwirksam (vgl. BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 16). Auch wenn der Angeklagte bei der Haftprüfung 26 Jahre alt war, stand er doch für das Gericht erkennbar unter dem Einfluß seiner Eltern und entschied sich – was dem Gericht bewußt war – gegen den Rat seiner Wahlverteidigerin. Auch diese Umstände allein hätten die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts noch nicht in Frage gestellt. Der Angeklagte war nicht etwa verhandlungsunfähig; auch kann ein Angeklagter gegen den Widerspruch des Verteidigers wirksam auf Rechtsmittel verzichten (vgl. BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 16; Ruß in KK 4. Aufl. § 302 Rdn. 2, 12). Hier kamen aber weitere Umstände hinzu.
a) Im vorliegenden Fall wurden die Verständigungsgespräche auf eine Art und Weise geführt, die in wesentlichen Punkten den von der Rechtsprechung hierfür aufgestellten Verfahrensgrundsätzen eklatant widersprachen (vgl. dazu BGHSt 43, 195; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 43. Aufl. Einl. Rdn. 119, insbesondere Rdn. 119e; Laufhütte in KK 4. Aufl. § 145a Rdn. 7). Ersichtlich fanden die während der Hauptverhandlung geführten Gespräche nicht in der Hauptverhandlung statt. Sie wurden mit den Angeklagten je einzeln geführt, obwohl, gerade bei der hier bestehenden Interessenlage, der jeweilige Mitangeklagte stets mit einbezogen werden mußte. Die Nebenklägerin wurde an den Gesprächen überhaupt nicht beteiligt; sie wurde ersichtlich nicht einmal über deren Inhalt informiert. Es hing weitgehend von der jeweiligen Anwesenheit ab, welche Verteidigerin des Angeklagten L angesprochen und beteiligt wurde; ein einheitlicher Informationsstand der Verteidigerinnen war nicht gewährleistet.
b) Folge dieser Gesprächsführung war – bei dieser Vorgehensweise nahezu unvermeidbar (vgl. BGHSt 42, 191) – ein Dissens zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft, wie weit denn nun das Angebot der Staatsanwaltschaft reichte. Dieser bei korrekter Vorgehensweise vermeidbare Dissens war nicht zuletzt ursächlich dafür, daß sich die Entscheidungssituation für den Angeklagten bei der Haftprüfung als schwer durchschaubar darstellen konnte und bei ihm und seinen Eltern Erwartungen geweckt wurden, die nicht realistisch waren.
c) Gerade in dieser verfahrenen Situation war er auf eine Verteidigerkonsultation im Haftprüfungstermin angewiesen. Nachdem die Wahlverteidigerin erklärt hatte, sie werde am Haftprüfungstermin nicht teilnehmen, wäre das Gericht gehalten gewesen, die Pflichtverteidigerin vom Termin zu benachrichtigen und auf deren Anwesenheit und Beratung hinzuwirken.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob bei mehreren Verteidigern die Benachrichtigung nur eines Verteidigers nach § 118a Abs. 1 StPO genügt (vgl. dazu Boujong in KK 4. Aufl. § 118a Rdn. 1 und Laufhütte in KK 4. Aufl. § 145a Rdn. 3). Zur Benachrichtigung der Pflichtverteidigerin und der Eröffnung der Möglichkeit der Verteidigerkonsultation beim Rechtsmittelverzicht im Haftprüfungstermin war das Gericht aber aus Gründen der prozessualen Fürsorgepflicht (vgl. dazu BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 16; Laufhütte in KK 4. Aufl. § 145a Rdn. 8) gehalten.
Es entspricht gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, daß durch das Gericht dem Angeklagten vor Erklärung des Rechtsmittelverzichts Gelegenheit gegeben werden muß, sich mit seinem Verteidiger zu besprechen, oder daß der Verteidiger Gelegenheit erhalten muß, seinen Mandanten zu beraten (BGHSt 18, 257, 260; 19, 101, 104; BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 16; BGH, Beschlüsse vom 11. Juni 1997 - 2 StR 191/97 - und 12. Januar 1999 - 4 StR 649/98 -). Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob der Angeklagte, der einen Wahl- und einen Pflichtverteidiger hat, ausdrücklich darauf hingewiesen werden muß, mit beiden Verteidigern Rücksprache zu nehmen. Hier jedenfalls war die Unterrichtung der Pflichtverteidigerin vom Haftprüfungstermin rechtlich geboten, um dem Angeklagten im Hinblick auf die oben dargestellten Umstände und auch unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Wahlverteidigerin die hier unerläßliche umfassende anwaltliche Beratung zu ermöglichen.
Es reichte nicht aus, dem Angeklagten Risiken und Tragweite des Rechtsmittelverzichts (nur) aus richterlicher Sicht zu verdeutlichen. Diese konnte und durfte hier die Beurteilung und Beratung durch die Verteidigung – und zwar nicht nur durch die Wahlverteidigerin, sondern in gleicher Weise auch durch die Pflichtverteidigerin – nicht ersetzen. Dieses Ergebnis folgt auch aus Art. 6 Abs. 3 MRK i.V.m. dem aus Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden rechtsstaatlichen Gebot, dem Beschuldigten jederzeit die Möglichkeit einer geordneten und effektiven Verteidigung zu geben (BGH StV 1998, 246 m.w.N.).
Der Rechtsmittelverzicht war daher aufgrund der Gesamtumstände seines Zustandekommens unwirksam.
6. Die – danach zulässige – Revision des Angeklagten L ist unbegründet.
Das Landgericht hat den Antrag auf Vernehmung des Zeugen Sch jedenfalls insoweit mit zutreffender Begründung abgelehnt, als es die Ablehnung auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO gestützt hat. Die Rügen, mit denen die Verwertung des Telefongesprächs des Vaters L mit F und die Verwertung der Angaben des Zeugen Pl beanstandet wird, entsprechen nicht den Formerfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. So fehlt bezüglich der beanstandeten Verwertung des Telefongesprächs schon der Vortrag zum Inhalt des Telefonats und ob und wie dieses in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist. Die Behauptung der Unverwertbarkeit der Angaben Pl s wird unter anderem auf den Inhalt von Vernehmungsprotokollen gestützt, die nicht vorgetragen sind.
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Unterschriften
Laufhütte, Harms, Häger, Nack, Gerhardt
Fundstellen
Haufe-Index 541087 |
BGHSt, 51 |
NJW 1999, 2449 |
wistra 1999, 306 |
NJ 1999, 493 |