Leitsatz (amtlich)
Die Berechtigten im Sinne von Art. 233 § 12 Abs. 2 EGBGB stehen in einer Rangfolge. Die Berechtigung eines vorrangig Berechtigten schließt einen Auflassungsanspruch eines nachrangig Berechtigten aus Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB gegenüber jedem vorläufigen Eigentümer aus.
Zuteilungsfähig im Sinne von Art. 233 § 12 Abs. 3 EGBGB ist, wer bei Ablauf des 15. März 1990 in der Land-, Forst- oder Nahrungsgüterwirtschaft tätig war. Auf die Art seiner Tätigkeit kommt es insoweit ebensowenig wie auf die Frage an, ob er zur Bewirtschaftung der Bodenreformgrundstücke in der Lage war.
Normenkette
EGBGB 1986 Art. 233 § 12 Abs. 2-3
Verfahrensgang
OLG Dresden (Urteil vom 02.08.1995) |
LG Leipzig (Urteil vom 21.12.1994) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 2. August 1995 wird zurückgewiesen.
Auf die Revision der Beklagten zu 2 bis 4 wird das Urteil im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es der Berufung gegenüber den Beklagten zu 2 bis 4 stattgegeben hat.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 21. Dezember 1994 wird insgesamt zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten, dem klagenden Freistaat Sachsen (im folgenden Kläger) Grundstücke aus der Bodenreform aufzulassen.
Dem liegt folgendes zugrunde: Als Eigentümer der landwirtschaftlich genutzten Grundstücke war bis zum 26. November 1992 He S. aufgrund Zuteilung aus der Bodenreform im Grundbuch eingetragen. H. St. verstarb am 24. Juli 1980. Er wurde von seiner Frau H. S. und den Beklagten zu 1 bis 3, seinen Kindern und seiner Enkeltochter, beerbt. H. S. verstarb am 5. Februar 1987. Ihre Erben wurden die Beklagten zu 1 bis 3 und der Beklagte zu 4. Am 26. November 1992 erfolgte die Berichtigung des Grundbuchs durch Eintragung der Beklagten als Miteigentümer gemäß Art. 233 § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EGBGB entsprechend ihren Anteilen an den Nachlässen.
Mit der Begründung, die Beklagten seien nicht zuteilungsfähig im Sinne von Art. 233 § 12 Abs. 3 EGBGB, verlangt der Kläger Auflassung der Grundstücke. Die Beklagten zu 2 bis 4 sind unstreitig nicht zuteilungsfähig. Die Beklagte zu 1 war bei Ablauf des 15. März 1990 Köchin und stellvertretende Küchenleiterin des VEB Broiler- und Gänseproduktion M..
Das Landgericht hat die Tätigkeit der Beklagten zu 1 als Tätigkeit in der Nahrungsgüterwirtschaft gewertet und im Hinblick hierauf die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers gegenüber der Beklagten zu 1 zurückgewiesen und die Beklagten zu 2 bis 4 zur beantragten Auflassung der Grundstücke verurteilt. Mit der zugelassenen Revision erstreben die Beklagten zu 2 bis 4 die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils, der Kläger mit seiner Revision die Verurteilung auch der Beklagten zu 1.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Tatsache, daß die Beklagte zu 1 am Stichtag in der Nahrungsgüterwirtschaft tätig gewesen sei, habe sie zuteilungsfähig im Sinne von Art. 233 § 12 Abs. 3 EGBGB sein lassen. Gemäß Art. 233 §§ 11 Abs. 3, 12 Abs. 2 Nr. 2 b EGBGB gehe sie daher dem Kläger vor, dessen Berechtigung aus Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2 c EGBGB folge. Da dies für die Beklagten zu 2 bis 4 nicht gelte, hätten sie die Grundstücke antragsgemäß dem Kläger aufzulassen.
Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung teilweise nicht stand.
II.
Als Erben bzw. Erbeserben nach H. S. erwarben die Beklagten gemäß Art. 233 § 11 Abs. 2 Nr. 2 Fall 1 EGBGB mit Inkrafttreten des 2. VermRÄndG am 22. Juli 1992 das Eigentum an den Grundstücken (Senatsurt. v. 16. Februar 1996, V ZR 208/94, AgrarR 1996, 120, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen). Ob es bei ihnen zu verbleiben hat, ist gemäß Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB nach Art. 233 § 12 Abs. 2, 3 EGBGB zu bestimmen. Die Abwicklung der Bodenreform erfolgt insoweit in pauschalierter Nachzeichnung der Zuteilungsgrundsätze der Besitzwechselverordnungen der DDR vom 7. August 1975 (GBl I, 629) und 7. Januar 1988 (GBl I, 25) (Senat, aaO, 121). Die nach Art. 233 § 12 Abs. 2 EGBGB Berechtigten stehen in einer Rangfolge. Nach dieser schließt die Berechtigung eines Vorhergehenden die Berechtigung jedes Nachgehenden aus. Der Fiskus ist letztrangig berechtigt.
1. Im Auflassungsanspruch des Fiskus aus Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2 lit. c EGBGB setzt sich die nach den Besitzwechselverordnungen der DDR unterlassene Rückführung der Grundstücke in den Bodenfonds fort (Senat, aaO, 121). Diese war vorzunehmen, wenn der begünstigte Neubauer keinen Erben hinterließ, der als Mitglied einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft oder als Arbeiter der Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft zur Fortführung der Bodenreformwirtschaft in der Lage war (§ 4 Abs. 1, 3 i.V.m. § 1 (Erste) BesitzwechselVO, § 4 Abs. 1, 5 i.V.m. § 1 Abs. 1 Zweite BesitzwechselVO). Erfüllte der Erbe die von den Besitzwechselverordnungen verlangten Voraussetzungen, hatte die Rückführung zu unterbleiben. War bei einer Mehrheit von Erben nur einer zuteilungsfähig, hatte die Zuteilung an ihn zu erfolgen. Bei einer Mehrheit zuteilungsfähiger Erben hatten sich diese auf einen von ihnen zu einigen, der die Bodenreformwirtschaft fortführen sollte. Der Rat des Kreises hatte ihre Einigung zu bestätigen, sofern er die Gewähr zur Fortführung der zweckentsprechenden Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Nutzflächen bot. Fehlte es hieran oder kam keine Einigung unter den Erben zustande, waren die ausgegebenen Grundstücke in den Bodenfonds zurückzuführen. Ein Nebeneinander von Bodenfonds und Erben kam nicht in Betracht. Art. 233 § 12 Abs. 2 EGBGB zeichnet diese Grundsätze in pauschalierter Weise nach. Die rangbessere Berechtigung auch nur eines Erben schließt den Erwerbsanspruch des Fiskus insgesamt aus. Seine Erwerbsberechtigung ist subsidiär (Staudinger/Rauscher, BGB, 12. Aufl., Art. 233 EGBGB § 12 Rdn. 20).
2. Im Rahmen der Nachzeichnung der Zuteilungsgrundsätze der Besitzwechselverordnungen der DDR bedeutet die in Art. 233 § 12 Abs. 3 EGBGB bestimmte Zuteilungsfähigkeit einen eigenständigen Rechtsbegriff, der zwar an die Zuteilungsgrundsätze der Besitzwechselverordnungen anknüpft, diese Grundsätze jedoch nicht im einzelnen nachvollzieht (Staudinger/Rauscher, aaO, § 12 EGBGB Rdn. 10).
Voraussetzung der Nachfolge in eine Bodenreformwirtschaft war nach § 4 Abs. 1 der (Ersten) und Zweiten BesitzwechselVO, daß der Erbe in der Land-, Forst- oder der Nahrungsgüterwirtschaft tätig war, die nach dem Verständnis der DDR der Landwirtschaft zugerechnet wurde. Ohne Bedeutung war insoweit, welchen Beruf er dabei ausübte und ob er unmittelbar durch Urproduktion oder mittelbar spezialisiert zur Gewinnung von Nahrungsgütern beitrug. Entscheidend war allein die formelle Zuordnung der auf Dauer angelegten Tätigkeit des Erben zu einem der genannten Wirtschaftszweige (LG Leipzig, VIZ 1995, 470, 471; Krauß, AgrarR 1994, 189, 191). Darüber hinaus setzte die Nachfolge in eine Bodenreformwirtschaft nach § 4 Abs. 1 (Erste) und Zweite BesitzwechselVO voraus, daß der Erbe die Gewähr zweckentsprechender Nutzung der landwirtschaftlichen Flächen bot. Deren individuelle Nutzung war indessen durch die Kollektivierung der Landwirtschaft ausgeschlossen. Die verlangte Gewähr zweckentsprechender Nutzung der landwirtschaftlich genutzten Grundstücke bestand daher darin, daß die kollektive Bewirtschaftung ohne weiteres fortgesetzt werden konnte (Faßbender, AgrarR 1994, 186, 188).
Letzteres nimmt Art. 233 § 12 Abs. 3 EGBGB bei der Nachzeichnung der Zuteilungsgrundsätze der (Ersten) und Zweiten BesitzwechselVO nicht auf. Für die Bestimmung der Zuteilungsfähigkeit durch Art. 233 § 12 Abs. 3 EGBGB ist vielmehr allein entscheidend, ob der Erbe bei Aufhebung der (Ersten) und Zweiten BesitzwechselVO durch § 3 Abs. 2 des Gesetzes über die Rechte der Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform vom 6. März 1990 (GBl I, 134) mit Ablauf des 15. März 1990 eine auf Dauer angelegte Tätigkeit in der Land-, Forst- oder Nahrungsgüterwirtschaft ausübte. Ohne Bedeutung ist, ob die Tätigkeit des Erben als bäuerliche Tätigkeit, solche eines Arbeiters oder Angestellten zu qualifizieren ist (BT-Drucks. 12/2480 S. 89) und in welcher Funktion der Erbe in der Land-, Forst- oder Nahrungsgüterwirtschaft am Stichtag tätig war. Entscheidend ist die formelle Zuordnung seiner Tätigkeit zu einem der genannten Wirtschaftszweige (LG Leipzig, VIZ 1995, 470, 471; Krauß. aaO, 191). Seiner Fähigkeit zu agrarischer Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Flächen kommt keine Bedeutung zu.
3. Die Tätigkeit der Beklagten zu 1 in der Nahrungsgüterwirtschaft begründet zu ihren Gunsten einen rangbesseren Anspruch auf Auflassung der Miteigentumsanteile der Beklagten zu 2 bis 4. Der bessere Rang der Beklagten zu 1 schließt den Anspruch des Klägers gegenüber allen Beklagten aus.
Unterschriften
Hagen, Lambert-Lang, Tropf, Krüger, Klein
Fundstellen
Haufe-Index 1128850 |
BGHR |
Nachschlagewerk BGH |