Leitsatz (amtlich)
1. Verzögerungen im Zustellungsverfahren, die durch eine fehlerhafte Sachbehandlung des Gerichts verursacht sind, sind dem Zustellungsbetreiber nicht zuzurechnen; das gilt auch dann, wenn der fehlerhaften Sachbehandlung des Gerichts eine der Partei zuzurechnende Verzögerung (hier: fehlerhafte Angabe der Zustellanschrift) vorausgegangen ist.
2. Zur Frage der Majorisierung, wenn sich ein Mehrheitseigentümer, der nicht professioneller Verwalter ist, gegen den Willen der Minderheit selbst zum Verwalter bestellt.
3. Es ist den Wohnungseigentümern gestattet, durch Beschluss ihren Willen darüber zu bilden, ob sie bestimmte Nutzungen oder bauliche Veränderungen für unzulässig halten; dabei dürfen sie einzelne Wohnungseigentümer zu einem dem Beschluss entsprechenden Verhalten auffordern. Wird dies dem Wortlaut nach als Ge- oder Verbot beschlossen, ist darin nächstliegend ein solcher Aufforderungsbeschluss zu sehen (insoweit Aufgabe von Senat, Urteil vom 15. Januar 2010 - V ZR 72/09, NJW 2010, 3093 Rn. 10).
4. Im Rahmen einer gegen einen Aufforderungsbeschluss gerichteten Anfechtungsklage sind nur formelle Beschlussmängel zu prüfen. Ob ein Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch besteht, ist in einem gegebenenfalls anzustrengenden Unterlassungs- oder Beseitigungsverfahren zu klären. In dem Unterlassungs- oder Beseitigungsverfahren ist das Gericht an die in dem Aufforderungsbeschluss niedergelegte Auffassung der Mehrheit der Wohnungseigentümer nicht gebunden.
Normenkette
ZPO § 167; WoEigG § 23 Abs. 1 aF, § 26 Abs. 1 aF, § 46 aF; BGB § 1004
Verfahrensgang
LG Aurich (Entscheidung vom 10.09.2021; Aktenzeichen 1 S 83/21) |
AG Emden (Entscheidung vom 10.06.2021; Aktenzeichen 5 C 373/20) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Aurich vom 10. September 2021 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien bilden eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Die Klägerin hält 400/1000 Miteigentumsanteile, der Beklagte hält 600/1000 Miteigentumsanteile. Die Klägerin wendet sich gegen verschiedene auf der Eigentümerversammlung vom 7. September 2020 gefasste Beschlüsse. Zu TOP 1 wurde der Beklagte für fünf Jahre gegen eine Vergütung von 25 € pro Wohnung und Monat zum Verwalter bestellt. Weiter wurde ein jährliches Hausgeld von 1.500 € und eine Instandhaltungsrücklage von monatlich 2.000 € (TOP 3) sowie die Einholung von Angeboten bezüglich der Reparatur eines Außengeländers (TOP 4) beschlossen. Unter TOP 5 wurde eine als solche bezeichnete Jahresabrechnung für 2019 genehmigt. Mit den zu TOP 6 und 7 gefassten Beschlüssen wurde der Klägerin schließlich untersagt, ihre Garage zu Wohnzwecken und eine Terrasse als Gartenfläche zu nutzen, und ihr wurde der Rückbau verschiedener baulicher Veränderungen aufgegeben. An der Eigentümerversammlung nahm gegen den Willen der Klägerin die Ehefrau des Beklagten teil.
Rz. 2
Die Beschlussanfechtungsklage ist am 6. Oktober 2020 bei Gericht eingegangen. Nach Zahlung des Kostenvorschusses hat das Amtsgericht am 12. November 2020 die Zustellung der Klage veranlasst. Da die Klägerin die Adresse des Verwalters falsch angegeben hatte, ist die Zustellungsurkunde am 23. November 2020 mit dem Vermerk „Empfänger nicht zu ermitteln“ zurückgekommen. Der Abteilungsrichter hat daraufhin am 24. November 2020 aus einer parallelen Verfahrensakte die korrekte Anschrift entnommen und die erneute Zustellung verfügt. Diese ist nach am 9. Dezember 2020 erfolgter Absendung durch die Geschäftsstelle am 11. Dezember 2020 erfolgt. Das Amtsgericht hat die Klage wegen Versäumung der Anfechtungsfrist abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung der Klägerin durch Beschluss zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der von dem Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 3
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Klage unbegründet, weil die Klägerin die einmonatige Klagefrist des § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG aF nicht gewahrt hat. Die Zustellung wirke auch nicht gemäß § 167 ZPO auf den Zeitpunkt des Eingangs der Klage zurück. Aufgrund der fehlerhaften Angabe der Anschrift sei die Zustellung mit einer nicht mehr geringfügigen Verzögerung von mehr als 14 Tagen erfolgt. Denn bei Angabe der richtigen Anschrift wäre vor dem 23. November 2020 zugestellt worden. Dass die Zustellung erst am 11. Dezember 2020 erfolgt sei, müsse der Klägerin zugerechnet werden; hätte das Gericht, wozu es nicht verpflichtet gewesen sei, nicht selbst die korrekte Anschrift ermittelt, sondern der Klägerin zunächst eine Rückbriefnachricht zukommen lassen, wäre noch später zugestellt worden. Die angegriffenen Beschlüsse seien auch nicht nichtig. Insbesondere seien sie weder zu unbestimmt noch fehle es an der Beschlusskompetenz.
II.
Rz. 4
Die Revision hat Erfolg. Sie führt gemäß §§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Rz. 5
1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die Klägerin die materielle Klagefrist des hier gemäß § 48 Abs. 5 WEG noch anwendbaren § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG in der bis zum 30. November 2020 geltenden Fassung gewahrt. Denn die Klage ist zwar erst am 11. Dezember 2020 und damit nicht innerhalb eines Monats nach Beschlussfassung zugestellt worden. Die Zustellung wirkt aber gemäß § 167 ZPO auf den Tag des Eingangs der Klage, an dem die Klagefrist noch nicht abgelaufen war, zurück.
Rz. 6
a) Im Ausgangspunkt rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht an, dass das Merkmal „demnächst“ i.S.v. § 167 ZPO (nur) erfüllt ist, wenn sich die der Partei zuzurechnenden Verzögerungen in einem hinnehmbaren Rahmen halten. Dabei wird eine der Partei zuzurechnende Zustellungsverzögerung von bis zu 14 Tagen regelmäßig hingenommen. Bei der Berechnung der noch hinnehmbaren Verzögerung von 14 Tagen wird darauf abgestellt, um wie viele Tage sich der ohnehin für die Zustellung erforderliche Zeitraum infolge der Nachlässigkeit der Partei verzögert hat (vgl. nur Senat, Urteil vom 29. September 2017 - V ZR 103/16, NJW-RR 2018, 461 Rn. 5 mwN). Beruht die Verzögerung auf der fehlerhaften Angabe der Zustellanschrift durch den Zustellungsbetreiber, berechnet sie sich ab dem Zeitpunkt des gescheiterten Zustellungsversuchs (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juni 1988 - IVb ZR 92/87, FamRZ 1988, 1154, 1156). Verzögerungen im Zustellungsverfahren, die durch eine fehlerhafte Sachbehandlung des Gerichts verursacht sind, sind dem Zustellungsbetreiber dagegen nicht zuzurechnen (vgl. Senat, Beschluss vom 7. April 2022 - V ZR 165/21, NJW-RR 2022, 512 Rn. 6); das gilt auch dann, wenn der fehlerhaften Sachbehandlung des Gerichts eine der Partei zuzurechnende Verzögerung vorausgegangen ist.
Rz. 7
b) Dies zugrunde gelegt, ist für die Berechnung der auf der fehlerhaften Angabe der Zustellanschrift beruhenden Verzögerung der Zeitpunkt des gescheiterten Zustellungsversuchs von Bedeutung. Dieser ist zwar - wohl mangels entsprechenden Vermerks des Zustellers auf der Zustellungsurkunde - nicht festgestellt. Bei Zugrundelegung üblicher Bearbeitungszeiten durch die Post ist aber davon auszugehen, dass die am 12. November 2020 (Donnerstag) von der Geschäftsstelle veranlasste Zustellung bei richtiger Adressangabe am 16. November 2020 (Montag) erfolgt wäre. Damit ergibt sich angesichts der tatsächlich erst am 11. Dezember 2020 erfolgten Zustellung eine Verzögerung von 25 Tagen.
Rz. 8
c) Diese Verzögerung ist der Klägerin indes nicht vollumfänglich zuzurechnen. Denn die Verfügung der Zustellung an die richtige Anschrift durch den Abteilungsrichter vom 24. November 2020 wurde erst am 9. Dezember 2020 ausgeführt statt am 27. November 2020, was den insoweit üblicherweise für die Bearbeitung durch die Geschäftsstelle anzusetzenden drei Werktagen entsprochen hätte. Damit ergibt sich eine auf fehlerhafter Sachbehandlung des Gerichts beruhende Verzögerung von 12 Tagen, die sich die Klägerin nicht zurechnen lassen muss. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts folgt nichts anderes daraus, dass der Abteilungsrichter selbst - insoweit zugunsten der Klägerin - die richtige Anschrift aus einer parallelen Akte entnommen hat, anstatt eine womöglich mehr Zeit beanspruchende Rückbriefnachricht zu veranlassen; das überobligatorische Tätigwerden des Abteilungsrichters kompensiert nämlich, anders als das Berufungsgericht offenbar meint, nicht die anschließende verzögerte Bearbeitung durch die Geschäftsstelle. Bringt man nach alledem 12 Tage von der ab der fehlgeschlagenen Zustellung zu berechnenden absoluten Verzögerung von 25 Tagen in Abzug, verbleibt eine auf der fehlerhaften Adressangabe durch die Klägerin beruhende - hinnehmbare - Verzögerung von 13 Tagen. Weitere der Klägerin zuzurechnende Verzögerungen, etwa mit Blick auf die Anforderung und Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses, sind nicht zu verzeichnen (vgl. zur Berechnung Senat, Urteil vom 17. Mai 2019 - V ZR 34/18, NJW-RR 2019, 976 Rn. 9; Urteil vom 29. September 2017 - V ZR 103/16, NJW-RR 2018, 461 Rn. 14).
Rz. 9
2. Die zugunsten des Beklagten ergangene Entscheidung stellt sich weder aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO) noch ist die Sache im Sinne der Klägerin zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Denn nach den in der Revisionsinstanz zugrunde zu legenden Feststellungen (§ 559 ZPO) können hinsichtlich der gefassten Beschlüsse Anfechtungs- beziehungsweise Nichtigkeitsgründe, die Teile eines einheitlichen Streitgegenstands sind (vgl. Senat, Urteil vom 13. Januar 2023 - V ZR 43/22, WuM 2023, 243 Rn. 10 mwN), abschließend weder verneint noch bejaht werden. Hierbei beurteilen sich die Beschlussmängel mangels abweichender Übergangsvorschriften nach dem Wohnungseigentumsgesetz in der bis zum 30. November 2020 geltenden Fassung als dem zur Zeit der Beschlussfassung geltenden Recht (vgl. Senat, Urteil vom 26. Februar 2021 - V ZR 33/20, NJW-RR 2021, 664 Rn. 6).
Rz. 10
a) So kann der Senat über eine mögliche Anfechtbarkeit einzelner oder aller gefassten Beschlüsse aufgrund der Teilnahme der Ehefrau des Beklagten an der Eigentümerversammlung nicht selbst entscheiden. Die Versammlung der Wohnungseigentümer ist nicht öffentlich (Senat, Beschluss vom 29. Januar 1993 - V ZB 24/92, BGHZ 121, 236, 241); die gegen den Willen der Klägerin erfolgte Teilnahme der Ehefrau des Beklagten stellt einen Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit dar. Es kommt demnach, wie regelmäßig im Falle formeller Mängel, darauf an, ob sich dieser Verstoß jeweils auf das Abstimmungsergebnis ausgewirkt hat (vgl. Senat, Urteil vom 8. Juli 2011 - V ZR 2/11, NJW 2011, 3026 Rn. 11, insoweit in BGHZ 190, 236 nicht abgedruckt; Urteil vom 27. März 2009 - V ZR 196/08, NJW 2009, 2132 Rn. 29; KG, NJW-RR 1997, 1171, 1172). Hierzu ist indes nichts festgestellt.
Rz. 11
b) Über die außerdem unter dem Gesichtspunkt der Majorisierung in den Blick zu nehmende Anfechtbarkeit des zu TOP 1 gefassten Beschlusses (Verwalterbestellung) kann der Senat ebenfalls nicht abschließend entscheiden.
Rz. 12
aa) Zutreffend verneint das Berufungsgerichts allerdings einen Verstoß gegen § 26 Abs. 1 Satz 2 WEG aF. Die in dieser Vorschrift vorgesehene - verkürzte - Höchstfrist von drei Jahren dient nämlich, was die Revision übersieht, dem besonderen Schutzbedürfnis der Sondereigentümer in der Aufteilungsphase und gilt daher (nur) für die erste Bestellung eines Verwalters nach der Begründung von Wohnungseigentum, um der Gefahr von Interessenkollisionen im Hinblick auf die Verjährung von Gewährleistungsrechten zu begegnen (vgl. Senat, Urteil vom 20. November 2020 - V ZR 196/19, BGHZ 227, 289 Rn. 30).
Rz. 13
bb) Nicht auszuschließen ist indes eine Anfechtbarkeit des Beschlusses unter dem Gesichtspunkt der Majorisierung (vgl. Senat, Urteil vom 14. Juli 2017 - V ZR 290/16, NJW 2018, 552 Rn. 12). Zwar war das Stimmrecht des Beklagten bei der Beschlussfassung über seine Bestellung zum Verwalter nicht ausgeschlossen. Die Belange der Klägerin sind in diesem Fall aber unter anderem durch den stets zu beachtenden Grundsatz von Treu und Glauben und den Anspruch auf ordnungsmäßige Verwaltung zu wahren (vgl. Senat, Beschluss vom 19. September 2002 - V ZB 30/02, BGHZ 152, 46, 59). Es versteht sich in diesem Zusammenhang jedenfalls nicht von selbst, dass sich ein Mehrheitseigentümer, der nicht professioneller Verwalter ist, gegen den Willen der Minderheit selbst zum Verwalter bestellen darf. Dies wird ordnungsmäßiger Verwaltung in der Regel dann nicht entsprechen, wenn ein professioneller Verwalter zur Verfügung steht. Im Übrigen wird es auf die Umstände des Einzelfalls ankommen. Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob der Mehrheitseigentümer persönlich und fachlich geeignet ist; letzteres zieht die Revision, nicht zuletzt mit Blick auf die Jahresabrechnung 2019 (TOP 5), in Zweifel. Auch erscheint es dem Senat zweifelhaft, ob es ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht, den Mehrheitseigentümer gegen den Willen der Minderheit für den höchstmöglichen Bestellungszeitraum (§ 26 Abs. 1 Satz 2 WEG aF) zum Verwalter zu bestellen; hierfür müsste es besondere Gründe geben.
Rz. 14
c) Hinsichtlich materieller Mängel der zu TOP 3 und 5 gefassten Beschlüsse genügen die für die Revisionsinstanz zugrunde zu legenden Feststellungen (§ 559 ZPO) ebenfalls nicht für eine eigene Entscheidung des Senats. Solche Mängel der zu TOP 3 und TOP 5 gefassten Beschlüsse können aber jedenfalls mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden.
Rz. 15
aa) Dem durch das Berufungsgericht in Bezug genommenen amtsgerichtlichen Urteil lässt sich der Wortlaut der Beschlüsse nicht entnehmen. Auch ist eine grundsätzlich zulässige konkrete Inbezugnahme des Protokolls der Eigentümerversammlung nicht erfolgt, sondern lediglich eine unzulässige (vgl. Senat, Beschluss vom 20. November 2014 - V ZB 204/13, ZWE 2015, 97 Rn. 5) pauschale Verweisung auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen.
Rz. 16
bb) Aus der sinngemäßen Wiedergabe des zu TOP 3 gefassten Beschlusses ergibt sich aber, dass ein jährliches Hausgeld in Höhe von 1.500 € und eine monatliche Instandhaltungsrücklage in Höhe von 2.000 € beschlossen wurden; das Berufungsgericht hält außerdem fest, dass eine Auflistung der voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben fehlt. Die Revision meint deshalb, dass mangels Wirtschaftsplans im Sinne von § 28 WEG aF keine Beschlusskompetenz bestehe. Daran ist richtig, dass die Wohnungseigentümer gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 WEG aF (nur) aufgrund eines die voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben, die anteilsmäßige Verpflichtung zur Lasten- und Kostentragung und die Beitragsleistungen zur Instandhaltungsrückstellung enthaltenden Wirtschaftsplans, über den gemäß § 28 Abs. 5 WEG aF durch Mehrheitsbeschluss zu entscheiden war, zur Zahlung verpflichtet werden können. Sollte generell eine Vorschusspflicht und damit einhergehend ein dauerhafter Verzicht auf einen Wirtschaftsplan beschlossen werden, wäre der Beschluss nichtig (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Juni 2005 - V ZB 32/05, BGHZ 163, 154, 179; Urteil vom 22. Juli 2011 - V ZR 245/09, NJW-RR 2011, 1383 Rn. 52). Ob hier bei gebotener objektiver Auslegung, bei der es maßgebend darauf ankommt, wie ein Beschluss nach seinem Wortlaut und Sinn für einen unbefangenen Betrachter nächstliegend zu verstehen ist (vgl. Senat, Urteil vom 28. September 2012 - V ZR 251/11, BGHZ 195, 22 Rn. 14 mwN), allerdings tatsächlich eine generelle Regelung im Sinne eines dauerhaften Verzichts auf einen Wirtschaftsplan getroffen werden sollte, vermag der Senat aus den eingangs genannten Gründen nicht selbst zu beurteilen; dies liegt nach den Ausführungen der Revision aber zumindest nicht gänzlich fern.
Rz. 17
cc) Mit Blick auf die zu TOP 5 genehmigte, als solche bezeichnete Jahresabrechnung 2019 führt die Revision aus, dass diese lediglich eine Aufstellung der von dem Mehrheitseigentümer geleisteten Vorauszahlungen enthalte. Dies wäre keine Jahresabrechnung im Sinne von § 28 Abs. 3 WEG aF (vgl. zu den darauf bezogenen Anforderungen Senat, Urteil vom 4. Dezember 2009 - V ZR 44/09, NJW 2010, 2127 Rn. 10). Wie auch das Berufungsgericht zutreffend erkennt, besteht - auch in einer zerstrittenen Zweiergemeinschaft - kein Direktanspruch gegen einen Wohnungseigentümer auf Erstattung der Aufwendungen eines anderen Wohnungseigentümers (vgl. Senat, Urteil vom 25. September 2020 - V ZR 288/19, WuM 2021, 55 Rn. 5, 15 ff.). Eine Aufstellung von eigenen Aufwendungen des Mehrheitseigentümers wird - anders, als das Berufungsgericht offenbar meint - nicht dadurch zu einer Jahresabrechnung, dass sie als solche bezeichnet wird; ein auf eine solche Aufstellung bezogener Genehmigungsbeschluss wäre mangels Beschlusskompetenz (vgl. § 28 Abs. 5 WEG aF) nichtig. Insoweit fehlt es aber ebenfalls an Feststellungen für eine abschließende Beurteilung durch den Senat; insbesondere steht der genaue Inhalt der Abrechnung nicht fest.
Rz. 18
d) Rechtsfehlerfrei verneint das Berufungsgericht dagegen Nichtigkeitsgründe hinsichtlich TOP 4 (Reparatur des Außengeländers), TOP 6 (Nutzung der Garage und der Terrasse) und TOP 7 (Rückbau baulicher Veränderungen). Insoweit wird jedoch der Verstoß gegen die Nichtöffentlichkeit zu prüfen sein (vgl. oben Rn. 10).
Rz. 19
aa) Ohne Erfolg zweifelt die Revision die Bestimmtheit des zu TOP 4 gefassten Beschlusses an. Nach den durch das Berufungsgericht in Bezug genommenen erstinstanzlichen Feststellungen, die den zu TOP 4 gefassten Beschluss wörtlich wiedergeben, ist das (einzige) Außengeländer zum ersten Obergeschoss verrostet, und es sollen für dessen Reparatur drei Angebote eingeholt werden, wobei der günstigste Anbieter beauftragt werden soll. Bei gebotener objektiver Auslegung, bei der es maßgebend darauf ankommt, wie ein Beschluss nach seinem Wortlaut und Sinn für einen unbefangenen Betrachter nächstliegend zu verstehen ist, enthält dieser Beschluss durchführbare Regelungen und weist keine inneren Widersprüche auf (vgl. Senat, Urteil vom 10. Oktober 2014 - V ZR 315/13, NJW 2015, 549 Rn. 8 mwN). Festgelegt wird, welches Geländer aus welchem Grund und - abstrakt - auf der Grundlage welchen Angebots repariert werden soll. Ob eine solche Reparatur durch Instandsetzung des vorhandenen Geländers erfolgen kann oder ein - gleichartiges - Ersatzgeländer beschafft werden muss, wovon wohl die Revision ausgeht, kann vor der Einholung der drei Angebote noch nicht feststehen; das Fehlen einer mit Blick auf ein eventuelles Ersatzgeländer genaueren Regelung macht den Beschluss daher nicht nichtig.
Rz. 20
bb) Im Ergebnis ebenso zutreffend verneint das Berufungsgericht die Nichtigkeit der zu TOP 6 und TOP 7 gefassten Beschlüsse, die der Klägerin unter anderem die Wohnnutzung der Garage untersagen und ihr die Beseitigung verschiedener baulicher Veränderungen aufgeben.
Rz. 21
(1) Richtig weist die Revision zwar darauf hin, dass der Senat in ständiger Rechtsprechung eine Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer für die Begründung von Leistungspflichten außerhalb der gemeinschaftlichen Kosten und Lasten verneint (vgl. Senat, Urteil vom 9. März 2012 - V ZR 161/11, NJW 2012, 1724 Rn. 11; Urteil vom 18. Juni 2010 - V ZR 193/09, NJW 2010, 2801 Rn. 10 f.). Es ist den Wohnungseigentümern aber gestattet, durch Beschluss ihren Willen darüber zu bilden, ob sie bestimmte Nutzungen oder bauliche Veränderungen für unzulässig halten; dabei dürfen sie einzelne Wohnungseigentümer zu einem dem Beschluss entsprechenden Verhalten, also etwa - wie hier - zu einer Unterlassung der Wohnnutzung einer Garage oder zu einem Rückbau einer Terrasse, auffordern. Dies entspricht nächstliegender Auslegung eines solchen Beschlusses. Es kann nämlich nicht angenommen werden, dass die Wohnungseigentümer eine nicht ihrer Beschlusskompetenz unterliegende Unterlassungs- oder Leistungspflicht eines anderen Wohnungseigentümers mit konstitutiver Wirkung begründen und auf diese Weise einen nach der Rechtsprechung des Senats nichtigen Beschluss fassen wollen (vgl. Senat, Urteil vom 17. April 2015 - V ZR 12/14, ZWE 2015, 335 Rn. 28), dessen Inhalt mit Blick auf die Durchsetzung der Unterlassungs- oder Leistungs- bzw. Beseitigungspflicht mangels Titulierung nicht einmal vollstreckbar wäre (vgl. Hogenschurz in Jennißen, WEG, 7. Aufl., § 20 Rn. 108). Sie können einzelnen Wohnungseigentümern dabei nicht nur rechtlich unbedenklich eine Frist zur Herbeiführung des als rechtmäßig erachteten Zustands setzen (vgl. Senat, Urteil vom 18. Februar 2011 - V ZR 82/10, NJW 2011, 1221 Rn. 17), sondern auch allgemein eine Aufforderung zur Unterlassung oder Beseitigung aussprechen. Wird dies dem Wortlaut nach als Ge- oder Verbot beschlossen, ist darin nächstliegend ein solcher Aufforderungsbeschluss zu sehen; daraus kann bei objektiv-normativer Auslegung nicht auf die Intention geschlossen werden, Unterlassungs- oder Leistungsverpflichtungen konstitutiv zu begründen und auf diese Weise einen nichtigen Beschluss zu fassen (vgl. KG, ZWE 2010, 186, 187; Bärmann/Dötsch, WEG, 15. Aufl., § 20 Rn. 436). Soweit die Entscheidung des Senats vom 15. Januar 2010 (V ZR 72/09, NJW 2010, 3093 Rn. 10) anders zu verstehen ist, wird daran nicht festgehalten.
Rz. 22
(2) Im Rahmen einer gegen einen solchen Aufforderungsbeschluss gerichteten Anfechtungsklage sind nur formelle Beschlussmängel (wie hier der gerügte Verstoß gegen die Nichtöffentlichkeit) zu prüfen. Ob ein Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch besteht, ist in einem gegebenenfalls anzustrengenden Unterlassungs- oder Beseitigungsverfahren zu klären, sollte sich der von der Aufforderung betroffene Wohnungseigentümer weiterhin entgegen der Mehrheitsauffassung verhalten oder die bauliche Veränderung nicht beseitigen (vgl. Schmidt-Räntsch in Niedenführ/Schmidt-Räntsch/Vandenhouten, WEG, 13. Aufl. 2020, § 15 Rn. 40; KG, ZWE 2010, 186, 187; LG Berlin, ZMR 2019, 537 Rn. 29). In einem solchen Verfahren ist diesem Wohnungseigentümer infolge der vorangegangenen Aufforderung aber der Einwand, er habe keine Veranlassung zur Klage gegeben, abgeschnitten (ebenso LG Stuttgart, ZMR 2015, 340 Rn. 14). Anders als aus einem die Anfechtungsklage gegen den Aufforderungsbeschluss abweisenden Urteil können die in einem gerichtlichen Unterlassungs- oder Beseitigungsverfahren ausgeurteilten Unterlassungs- oder Beseitigungspflichten auch gemäß §§ 887 ff. ZPO vollstreckt werden (vgl. Bärmann/Dötsch, WEG, 15. Aufl., § 20 Rn. 444). In dem Unterlassungs- oder Beseitigungsverfahren ist das Gericht an eine in dem Aufforderungsbeschluss niedergelegte Auffassung der Mehrheit der Wohnungseigentümer nicht gebunden (vgl. Senat, Urteil vom 18. Juni 2010 - V ZR 193/09, NJW 2010, 2801 Rn. 12; Urteil vom 2. Oktober 2015 - V ZR 5/15, NJW 2015, 3713 Rn. 12).
Rz. 23
(3) Den für die Revision gemäß § 559 ZPO zugrunde zu legenden Feststellungen des Berufungsgerichts lässt sich zwar der genaue Wortlaut der zu TOP 6 und 7 gefassten Beschlüsse nicht entnehmen; auch ist das Protokoll der Eigentümerversammlung nicht in Bezug genommen worden (vgl. oben Rn. 15). Die Wiedergabe des Beschlussinhalts in dem amtsgerichtlichen Urteil, auf das das Berufungsgericht verweist, genügt aber, um die Nichtigkeit der zu TOP 6 und 7 gefassten Beschlüsse abschließend zu beurteilen. Danach darf die Klägerin die Garage nicht zu Wohnzwecken und den Garten nicht als Terrasse nutzen; die mit einem Fundament versehene Terrasse soll entfernt und die zuvor vorhandene Rasenfläche ebenso wiederhergestellt werden wie die gegen Fenster ausgetauschten Glassteine oberhalb des Treppenabgangs zum Untergeschoss. Hierin kommt - zulässigerweise - die Mehrheitsmeinung zum Ausdruck, dass die Klägerin ihr Sondereigentum zweckwidrig nutze beziehungsweise unzulässige bauliche Veränderungen vorgenommen habe. Eine Verpflichtung zur Unterlassung bzw. Beseitigung wird dadurch bei nächstliegender Auslegung nicht begründet. Ob der Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch besteht, ist, wie ausgeführt, keine im Rahmen der Anfechtungsklage zu prüfende Frage.
Brückner |
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Grau |
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