Leitsatz (amtlich)
a) Der bei Ausfüllung eines internationalen Luftfrachtbriefs ausdrücklich als Absender (Shipper) Bezeichnete wird grundsätzlich selbst dann Vertragspartei des Luftfrachtvertrages, wenn der für ihn handelnde „Agent” ein Speditionsunternehmen betreibt.
b) Übergibt der Luftfrachtführer das Frachtgut freiwillig in die Hand eines Dritten, so besteht die Obhut des Luftfrachtführers (Art. 18 Abs. 2 WA) jedenfalls im Kernbereich der Luftbeförderung im Regelfalle fort.
c) Unter „Leuten” i.S. des Art. 20 WA sind in der Regel auch Monopolunternehmen zu verstehen, deren sich der Luftfrachtführer zur Ausführung der ihm aufgetragenen Luftbeförderung arbeitsteilig bedient. Auf eine nähere Weisungsbefugnis des Luftfrachtführers kommt es nicht an.
d) Liegt nach den Umständen des Falles ein grob fahrlässiges Organisationsverschulden i.S. des Art. 25 WA mit gewisser Wahrscheinlichkeit nahe, ist der Luftfrachtführer zur Vermeidung prozessualer Nachteile grundsätzlich gehalten, ein Informationsdefizit des Anspruchstellers durch detaillierten Sachvortrag auszugleichen.
Normenkette
WA Art. 18, 20 Abs. 2, Art. 25
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Aktenzeichen I ZR 135/98) |
LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 3/1 O 61/96) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Grundurteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 21. April 1998 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin beauftragte die als Spediteurin tätige T. (richtig und im folgenden: P.) GmbH, je zwei gebrauchte Laptops und Platinen von Frankfurt am Main nach St. Petersburg/Rußland zu befördern. Die P. beauftragte ihrerseits die Beklagte und stellte hierbei am 14. November 1995 einen IATA-Luftfrachtbrief aus, in welchem die Klägerin in die Rubrik „Shipper's Name and Address” eingesetzt war. Die P. unterzeichnete diesen Luftfrachtbrief sowohl in dem Feld „Signature of Shipper or his Agent” als auch in dem Feld
„Signature of Issuing Carrier or his Agent”.
Das Frachtgut wurde am 15. November 1995 von der Beklagten verladen und geriet nach Ankunft auf dem Flughafen St. Petersburg in Verlust. Die Entladung erfolgte durch die örtliche Flughafengesellschaft, die A. E. Pu. (im folgenden: Pu.), die auf dem Flughafen St. Petersburg nach Art eines Monopolunternehmens den gesamten Bodenverkehrsumschlag besorgte. Nach der Entladung des Flugzeuges, bei der der Stationsleiter der Beklagten zugegen war, meldete die Pu. den Verlust der Frachtstücke.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die P. habe als ihre Vertreterin mit der Beklagten einen Luftfrachtvertrag geschlossen, nach dem sie, die Klägerin, als Absenderin Schadensersatz für den Verlust verlangen könne. Sie ist der Ansicht, die Beklagte müsse unbeschränkt haften, da sie nicht angegeben habe, wie der Entladevorgang und die weitere Frachtbehandlung durch die Pu. im einzelnen abgelaufen seien.
Die Klägerin hat den Schaden mit 18.230 US-Dollar beziffert und zuletzt Zahlung von 25.879,31 DM nebst 5 % Zinsen begehrt.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat vorgetragen, der Klägerin gegenüber nicht verpflichtet zu sein. Sie sei Luftfrachtführerin der P. gewesen. Diese habe als Spediteurin der Klägerin in eigenem Namen gehandelt. Ihr, der Beklagten, dürfte auch nicht zur Last fallen, daß sie zu näherem Vortrag über die Behandlung der Frachtstücke durch die Pu. nicht imstande sei.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat den Anspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt (OLG Frankfurt TranspR 1999, 24).
Mit ihrer – zugelassenen – Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat der Klägerin einen Schadensersatz gem. Art. 18 Abs. 1 des Warschauer Abkommens in der Fassung des Haager Protokolls (im folgenden: WA) dem Grunde nach zuerkannt und dazu ausgeführt:
Die Klägerin sei aktivlegitimiert, da der Luftfrachtvertrag zwischen ihr, vertreten durch die P., und der Beklagten abgeschlossen worden sei. Dies folge aus der Eintragung der Klägerin als Absenderin im Luftfrachtbrief, dessen Beweisvermutung (Art. 11 Abs. 1 WA) sich auch auf die Person des Absenders erstrecke. Zwar würden Spediteure – wie die von der Klägerin eingeschaltete P. – regelmäßig im eigenen Namen auftreten. Zu einem Vertragsabschluß mit dem Spediteur selbst könne es aber nur dann kommen, wenn dieser erkennbar als Spediteur auftrete. Dazu habe sich die Beklagte nicht erklärt.
Die Beklagte hafte, da der Verlust des Transportgutes bei der Luftbeförderung i.S. des Art. 18 Abs. 1 und 2 WA eingetreten sei, nämlich auf dem Flughafen in St. Petersburg. Der Obhutsbereich des Luftfrachtführers schließe den Gewahrsam des Bodenverkehrsunternehmens – hier der Pu. – ein, auch wenn es sich dabei um ein Monopolunternehmen handele.
Die Beklagte habe sich nicht nach Art. 20 WA zu entlasten vermocht. Sie habe nicht ausreichend dargestellt, daß sie oder ihre „Leute”, zu denen die Pu. gehöre, alle erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung des Schadens getroffen hätten. Sie habe insbesondere nicht dargetan, wie ihr Stationsleiter, der bei der Entladung des Flugzeugs überwachend anwesend gewesen sei, seine Aufgabe wahrgenommen habe.
Die Beklagte hafte nach Art. 25 WA, ohne sich auf die Beschränkungen des Art. 22 Abs. 2 WA berufen zu können, in vollem Umfange. Es sei davon auszugehen, daß die Klägerin nachgewiesen habe, daß der Schaden durch ein Verhalten der Beklagten entstanden sei, das leichtfertig und von dem Bewußtsein der Schadenswahrscheinlichkeit getragen gewesen sei. Zwar habe die Klägerin hierzu nicht näher vorgetragen. Die Beklagte treffe jedoch – entsprechend den im sonstigen Transportrecht entwickelten Grundsätzen – eine Einlassungspflicht, der sie nicht nachgekommen sei. Sie habe zur Behandlung und Verlustsicherung der Sendung in ihrem Obhutsbereich, in den die Absenderin keinen Einblick habe, keine Angaben gemacht. Sie habe sich weder näher zu dem Entladevorgang auf dem Rollfeld in St. Petersburg noch in allgemeiner Weise zur Weiterbehandlung der Frachtstücke nach dem Verbringen auf das Rollfeld durch die Pu. geäußert.
II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Aktivlegitimation der Klägerin bejaht. Entgegen der Ansicht der Revision ist der Luftfrachtvertrag nicht zwischen der von der Klägerin als Spediteurin eingeschalteten P., sondern zwischen der Klägerin und der Beklagten abgeschlossen worden.
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der IATA-Luftfrachtbrief (Anl. K 1) gemäß Art. 11 Abs. 1 WA den widerlegbaren Beweis für den Abschluß des Luftbeförderungsvertrages erbringt. Diese Beweisvermutung erstreckt sich auch auf den Inhalt des Vertrages, insbesondere die Frage, wer von den am Luftbeförderungsvertrag Beteiligten als Absender, Frachtführer und Empfänger anzusehen ist (vgl. BGH, Urt. v. 15.11.1988 – IX ZR 11/88, TranspR 1989, 151, 153; Giemulla/Schmid/Müller-Rostin, Warschauer Abkommen, Art. 1 Rdn. 44; Ruhwedel, Der Luftbeförderungsvertrag, 3. Aufl., Rdn. 122; Koller, Transportrecht, 4. Aufl., WA 1955 Art. 11 Rdn. 16 f.). Aus der Namensnennung der Klägerin in der Rubrik „Shipper's Name and Address” folgert das Berufungsgericht zu Recht, daß die Klägerin nach dem Inhalt des Frachtbriefes Absenderin des Frachtgutes und mithin Vertragspartner der Luftfrachtführerin sein sollte. Der im Luftfrachtbrief enthaltene Begriff „Shipper” (vgl. Ruhwedel aaO Rdn. 304) entspricht in der englischen Übersetzung des Warschauer Abkommens dem Synonym „consignor”, womit in der deutschen Übersetzung der „Absender”, also derjenige gemeint ist, der den Luftfrachtführer im Beförderungsvertrag mit der Durchführung der Luftbeförderung beauftragt (vgl. BGH, Urt. v. 9.10.1981 – I ZR 98/79, LM Warschauer Abkommen Nr. 19; LG Frankfurt ZLW 1995, 357, 359; A. Gran, TranspR 1999, 173, 183).
Auch aus dem unstreitigen Teil des Tatbestandes des Berufungsurteils ergibt sich, daß nach dem Verständnis der Parteien im Streitfall mit „Shipper” im Frachtbrief der Absender gemeint war. Dies ist im Revisionsverfahren auch nicht in Zweifel gezogen worden. Die Revision meint jedoch, die P. sei erkennbar als Spediteurin aufgetreten, woraus zu entnehmen sei, daß sie den Luftfrachtvertrag im eigenen Namen habe abschließen wollen. Damit vermag sie nicht durchzudringen.
Allerdings ist auch das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß der beauftragte Frachtführer selbst dann nicht auf ein Handeln in fremdem Namen schließen darf, wenn der ihn beauftragende Spediteur den Namen des Versenders offenlegt oder diesen gar als Absender bezeichnet; denn Kaufleute müßten wissen, daß Spediteure im eigenen Namen aufträten. Gleichwohl greife diese Auslegungsregel hier nicht ein. Dazu wäre erforderlich, daß die Beklagte bei Vertragsabschluß habe erkennen müssen, daß die P. Spediteurin gewesen sei. Dazu habe sich die Beklagte jedoch nicht erklärt. Die Revision rügt insoweit, das Berufungsgericht habe unberücksichtigt gelassen, daß die P. – was den beteiligten Verkehrskreisen bekannt sei – ein weltweit tätiges Speditionsunternehmen sei. Es sei im übrigen unstreitig, daß sie als Spediteurin und nicht in anderer Funktion tätig gewesen sei. Eines gesonderten Vortrags der Beklagten dazu habe es daher nicht bedurft. Auch wenn man dem folgt, hilft dies der Revision nicht weiter. Denn im Streitfall kann bereits die angeführte Auslegungsregel nicht herangezogen werden.
Dabei kann offenbleiben, ob dem Grundsatz, daß der beauftragte Frachtführer auch dann nicht auf ein Handeln in fremdem Namen schließen darf, wenn der ihn beauftragende Spediteur den Namen des Versenders offenlegt oder diesen gar als Absender bezeichnet, in dieser Allgemeinheit gefolgt werden kann (bejahend OLG Köln TranspR 1986, 194, 195; OLG München NJW-RR 1989, 803, 804; Koller, Transportrecht, 3. Aufl., HGB § 407 Rdn. 4; a.A. OLG München VersR 1982, 264, 265). Es bestehen bereits Bedenken, die Auslegungsregel ohne weiteres auf internationale Sachverhalte zu übertragen. Denn die Regel beruht auf dem im deutschen Rechtskreis anerkannten Vertragstypus des Speditionsvertrages, nach dessen – vor Inkrafttreten des Transportrechtsreformgesetzes gültigen – Leitbild der Spediteur die Güterversendung „im eigenen Namen” besorgt (§ 407 Abs. 1 HGB a.F.). Sie setzt voraus, daß der von einem Spediteur beauftragte Frachtführer dessen besondere Stellung nach deutschem Recht kennt. Davon kann bei einem auswärtigen Luftfrachtführer – wie hier bei der in den USA ansässigen Beklagten, mag diese auch in Deutschland eine Direktion haben – nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Dem braucht vorliegend jedoch nicht weiter nachgegangen zu werden. Denn im Streitfall hat sich die P. nicht darauf beschränkt, den Namen ihres Auftraggebers nur zu Informationszwecken offenzulegen. Vielmehr hat sie die Klägerin bei der Ausfüllung des Luftfrachtbriefes ausdrücklich als Absenderin bezeichnet, worunter der Rechtsverkehr die Stellung einer Vertragspartei des Luftfrachtvertrages versteht (vgl. auch Koller, Transportrecht, 4. Aufl., HGB § 453 Rdn. 4 zum neuen Recht). Die Beklagte hatte deshalb keine Veranlassung, in der P. mehr als eine bloße Vertreterin der Klägerin zu sehen. Aus dem Umstand, daß die P. ausweislich des Frachtbriefwortlautes als Agent der Klägerin aufgetreten ist, ergibt sich nichts Gegenteiliges. Zwar kann die Verwendung dieses Begriffs im Einzelfall mehrdeutig sein und nicht nur den Stellvertreter i.S. des § 164 BGB bezeichnen, sondern auch einen Beauftragten, Vermittler oder Spediteur (vgl. BGHZ 52, 194, 199 f.). Der der englischen Sprache entnommene Terminus entspricht jedenfalls dann, wenn er als Rechtsbegriff verwendet wird, in der deutschen Übersetzung dem Stellvertreter i.S. des § 164 BGB (Triebel, Englisches Handels- und Wirtschaftsrecht, Rdn. 41). Legt der Agent – wie hier – bei seinem rechtsgeschäftlichen Handeln die Person seines Geschäftsherrn offen, so wird in aller Regel der Vertreter aus der von ihm eingeleiteten Transaktion weder berechtigt noch verpflichtet. Vielmehr tritt die rechtliche Bindung unmittelbar in der Person seines Geschäftsherrn ein (Hudson, Dictionary of Commercial Law, S. 11; v. Bernstorff, Einführung in das englische Recht, S. 47 f.). Im Streitfall sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Parteien etwas anderes wollten.
2. Ohne Rechtsverstoß hat das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach Art. 18 Abs. 1 WA bejaht.
Nach dieser Bestimmung hat der Luftfrachtführer den Schaden zu ersetzen, der durch Verlust von Gütern entsteht, wenn das Ereignis, durch das der Schaden verursacht wurde, während der Luftbeförderung eingetreten ist. Hierbei umfaßt die Luftbeförderung gem. Art. 18 Abs. 2 WA auch den Zeitraum, in dem sich die Güter auf einem Flughafen unter der Obhut des Luftfrachtführers befinden.
Da der Verlust unstreitig auf dem Flughafen in St. Petersburg eingetreten ist, kommt es maßgebend darauf an, ob der Obhutszeitraum den Gewahrsam des Bodenverkehrsunternehmens Pu. einschließt. Das Berufungsgericht hat dies ungeachtet des Umstandes bejaht, daß es sich bei dem hier tätigen Bodenverkehrsunternehmen um ein Monopolunternehmen handelt (ebenso schon OLG Frankfurt NJW 1975, 1604, 1605; OLG Nürnberg TranspR 1992, 276, 278; LG Stuttgart ZLW 1994, 240, 241; LG Hamburg TranspR 1995, 76; Koller, Transportrecht, 4. Aufl., WA Art. 20 Rdn. 19; Müller-Rostin, TranspR 1989, 121, 124). Die Revision vertritt demgegenüber die Ansicht, die Sendung habe sich beim Abhandenkommen nicht mehr in der Obhut der Beklagten befunden, da sie mit der Entladung vollständig in den Einwirkungs- und Verantwortungsbereich des Bodenverkehrsunternehmens Pu. übergegangen sei. Diesem Unternehmen gegenüber habe der Beklagten jede Weisungsbefugnis gefehlt, jede Einmischung sei untersagt worden. Damit vermag die Revision nicht durchzudringen.
Nach der Rechtsprechung des Senats hat der Luftfrachtführer so lange Obhut an dem Gut, als es sich mit seinem Willen derart in seinem Einwirkungsbereich befindet, daß er in der Lage ist, das Gut gegen Verlust und Beschädigung zu schützen (BGH, Urt. v. 27.10.1978 – I ZR 114/76, VersR 1979, 83, 84 f.). Dazu ist ein körperlicher Gewahrsam durch den Luftfrachtführer nicht zwingend erforderlich (vgl. Giemulla/Schmid/Müller-Rostin aaO Art. 18 Rdn. 18 c; Ruhwedel aaO Rdn. 437 f.). Es genügt, daß der Luftfrachtführer auf die Behandlung des Transportgutes Einfluß nehmen kann. Befindet sich das Frachtgut im Gewahrsam eines Dritten, so hängt der Grad der erforderlichen Einwirkungsmöglichkeit von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab. Im Grundsatz kann ein geringerer Grad von Einwirkungsmöglichkeit ausreichen, wenn der Schaden in einem zu den Kernbereichen der Luftbeförderung gehörenden Teilabschnitt eingetreten ist. Denn der Absender darf darauf vertrauen, daß der Luftfrachtführer zumindest in den vertragstypischen Tätigkeitsfeldern der Luftbeförderung für eine sorgfältige Vertragserfüllung einstehen will.
Übergibt der Luftfrachtführer das Frachtgut freiwillig in die Hand eines Dritten, so wird die Obhut des Luftfrachtführers zumindest im Kernbereich der Luftbeförderung im Regelfall bereits deshalb fortbestehen, weil der Dritte seinerseits in Erfüllung seiner dem Luftfrachtführer gegenüber bestehenden Vertragspflichten zum sorgsamen Umgang mit dem Frachtgut verpflichtet ist (vgl. OLG München ZLW 2000, 118, 122; Müller-Rostin, TranspR 1989, 121, 124). Insoweit wird die obhutsbegründende Einwirkungsmöglichkeit durch das rechtliche Band der Vertragsbeziehung vermittelt. Die Obhut endet lediglich dann, wenn der Luftfrachtführer den Gewahrsam ohne eigene Mitwirkung – beispielsweise durch staatlichen Hoheitsakt einer Zollbehörde – verliert und keine tatsächlichen oder rechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten auf das Frachtgut besitzt (vgl. dazu Koller, Transportrecht, 4. Aufl., WA Art. 18 Rdn. 5; Giemulla/Schmid/Müller-Rostin aaO Art. 18 Rdn. 21 b und c m.w.N.).
Angesichts dieses rechtlichen Ausgangspunktes ist das Berufungsgericht zu Recht von einer während des Entladevorgangs fortbestehenden Obhut der Beklagten ausgegangen. Der Entladevorgang einschließlich des Warenumschlags auf dem Flughafen gehören zu den vertragstypischen Leistungspflichten des Luftbeförderungsvertrages; mithin entstand der Schaden in einem Bereich, in dem keine allzu strengen Anforderungen an das Fortbestehen einer Obhut des Luftfrachtführers zu stellen sind.
Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Verlust unmittelbar beim Entladen oder erst danach auf dem Flughafengelände eingetreten ist. Legt man das Vorbringen der Beklagten zugrunde, so ist die Sendung bereits beim Entladen aus dem Flugzeug abhanden gekommen (Klageerwiderung GA 19 f. und RB 5, 9 und 10). Für diesen Zeitraum ist aber noch eine tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit der Beklagten selbst gegeben. Denn bei dem Entladevorgang war unstreitig der Stationsleiter der Beklagten überwachend anwesend. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung wirkt sich eine Beobachtung schadensgefährdeter Vorgänge risikomindernd aus. Dies liegt gerade bei Diebstahlsgefahren auf der Hand, da eine Überwachung das Risiko potentieller Täter erhöht, entdeckt zu werden. Darauf, daß das Umschlagsunternehmen die Anwesenheit des Stationsleiters nur mit Widerspruch geduldet habe, kommt es nicht an. Auch der von der Revision angeführte Umstand, daß der Stationsleiter dem Umschlagsunternehmen keinerlei Weisungen habe erteilen dürfen, erfordert keine andere Beurteilung, da allein die Anwesenheit des Stationsleiters eine überwachende Funktion ausübte.
Aber auch dann, wenn der Verlust entgegen der Behauptung der Beklagten erst nach dem Entladen aus dem Flugzeug außerhalb des unmittelbaren tatsächlichen Einwirkungsbereichs des Stationsleiters auf dem Flughafengelände eingetreten sein sollte, wäre der der Beklagten zuzurechnende Obhutszeitraum nicht überschritten. Denn die Pu. gehört zu den „Leuten” i.S. des Art. 20 WA, für die der Luftfrachtführer verantwortlich ist (vgl. nachfolgend unter II. 3.).
3. Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die weitere Annahme des Berufungsgerichts, die Ersatzpflicht der Beklagten sei auch nicht gem. Art. 20 WA entfallen. Nach dieser Vorschrift tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn der Luftfrachtführer beweist, daß er und seine „Leute” alle erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung des Schadens getroffen haben oder daß sie diese Maßnahmen nicht treffen konnten. Diesen Nachweis hat das Berufungsgericht zu Recht als nicht erbracht angesehen.
Soweit die Überwachung des Entladevorgangs durch den Stationsleiter der Beklagten in Rede steht, hat die Beklagte selbst vorgetragen, daß die Fracht „gleichsam unter seinen Augen” abhanden gekommen sei (GA 20). Dabei fehlt es an jeglichem Vortrag, wie das Entladen erfolgte und welche Kontrollmaßnahmen dabei durchgeführt wurden.
Die Beklagte hätte sich überdies auch hinsichtlich des Verhaltens der Pu. und deren Mitarbeiter entlasten müssen, da diese – wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat – zu den „Leuten” der Beklagten i.S. des Art. 20 WA gehören. Dem hält die Revision ohne Erfolg entgegen, die Beklagte habe die Dienste der Pu. in Anspruch nehmen müssen und dieser keinerlei Weisungen erteilen dürfen.
Unter „Leuten” i.S. des Art. 20 WA sind alle Personen zu verstehen, deren sich der Luftfrachtführer zur Ausführung der ihm aufgetragenen Luftbeförderung arbeitsteilig bedient. Hierbei ist im Sinne einer vertragsautonomen Auslegung der internationalen Tendenz Rechnung zu tragen, den persönlichen Anwendungsbereich der Vorschrift großzügig zu umschreiben (MünchKommHGB/Kronke, WA Art. 20 Rdn. 33). In der Sache entspricht der „Leute”-Begriff weitgehend der dem deutschen Rechtskreis geläufigen Rechtsstellung des Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB (BGH, Urt. v. 14.2.1989 – VI ZR 121/88, TranspR 1989, 275, 276 f.). Auch dort beruht der eigentliche Grund für die Zurechnung der fremden Handlung darauf, daß der Erfüllungsgehilfe objektiv auf Veranlassung des Schuldners eine Aufgabe übernimmt, deren Erfüllung im Verhältnis zum Gläubiger dem Schuldner selbst obliegt (BGHZ 13, 111, 113; 50, 32, 35; 62, 119, 124; BGH, Urt. v. 30.3.1988 – I ZR 40/86, BGHR § 278 BGB – Unterlassungsversprechen 1). Deshalb wird die Eigenschaft, als Erfüllungsgehilfe tätig zu werden, auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß der Erfüllungsgehilfe keinen Weisungen des Schuldners unterliegt. Unerheblich ist auch, daß der mit Willen des Schuldners in dessen Geschäftskreis eintretende Erfüllungsgehilfe hinsichtlich der von ihm erbrachten Leistung eine Monopolstellung innehat (vgl. BGHZ 62, 119, 124; auch BGHZ 100, 117, 122; BGHR § 278 BGB – Unterlassungsversprechen 1).
Umstritten ist, ob der „Leute”-Begriff i.S. des Art. 20 WA davon abweichend eine Weisungsabhängigkeit erfordert (so Giemulla/Schmid/Müller-Rostin aaO Art. 25 Rdn. 51; Giemulla, Luftverkehrsrecht im Wandel, S. 115, 126; Ruhwedel aaO Rdn. 580). Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, daß es auf eine intensive Weisungsbefugnis nicht ankommt (so auch OLG Nürnberg TranspR 1992, 276, 278; OLG München ZLW 2000, 119, 122; Koller, Transportrecht, 4. Aufl., WA Art. 20 Rdn. 19). Dem ist beizutreten. Andernfalls würde die Entlastungsmöglichkeit zugunsten des Luftfrachtführers in einem gem. Art. 18 Abs. 2 WA grundsätzlich noch der Luftbeförderung zuzurechnenden Bereich zum Nachtteil des Geschädigten, der insoweit keinen Einblick und auch keine Einflußmöglichkeiten hat, in einer Weise eingeengt, die mit dem Zweck der strengen Obhutshaftung nicht mehr vereinbar wäre. Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf abgehoben, daß die Erweiterung des Obhutszeitraums dadurch gerechtfertigt ist, daß es der Luftfrachtführer in aller Regel in der Hand hat, das Frachtgut auch in diesem Zeitraum durch geeignete Maßnahmen vor Verlust und Beschädigung zu schützen. Demgegenüber ist der Absender mit den Verhältnissen auf den Flughäfen regelmäßig nicht vertraut und kann auf Entladung, Verwahrung und Weiterleitung an den Empfänger keinen Einfluß nehmen. Es ist allerdings nicht zu verkennen, daß auch die Einwirkungsmöglichkeiten der Luftfrachtführer auf die Bodenverkehrsdienste der einzelnen Flughäfen unterschiedlich sein können und bei Monopolunternehmen wie der Pu. wesentlich erschwert sind. Entscheidend muß indessen sein, ob der Dritte dem Luftfrachtführer gegenüber zum Schutze des Gutes und zur Herausgabe verpflichtet ist (vgl. Koller, Transportrecht, 4. Aufl., WA Art. 18 Rdn. 5). Kann die Entladung und der Umschlag des Gutes im Rahmen der vertraglichen Beziehungen im Einzelfall nicht hinreichend gewährleistet werden, so ist es Sache des Luftfrachtführers, einen Beförderungsauftrag gegebenenfalls abzulehnen, will er sich nicht der strengen Obhutshaftung aussetzen. Die besonderen Schwierigkeiten, die im Einzelfall bei der Sicherstellung rechtlicher Einflußmöglichkeiten gegeben sein können, fallen grundsätzlich in die Sphäre des Luftfrachtführers. Die Revisionserwiderung verweist zu Recht darauf, daß eine Betrachtung, die auf die konkreten rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf einzelnen Flughäfen Rücksicht nimmt und die maßgebend auf das Ausmaß der Weisungsmöglichkeiten gegenüber der jeweiligen Bodenverkehrsgesellschaft abstellt, letztlich der gebotenen einheitlichen Anwendung des Warschauer Abkommens zuwiderliefe. Der Verkehrsschutz erfordert eine gewisse generalisierende Handhabung.
Die Gegenmeinung kann nicht mit Erfolg darauf verweisen, daß der „Leute”-Begriff der deutschen Übersetzung in der französischen Originalfassung des Warschauer Abkommens „préposés” lautet. Denn eine inhaltsgleiche Übertragung des französischen Rechtsbegriffs (Art. 1384 und 1953 Code Civil), der nur den nicht selbständigen Gehilfen meint, entspricht nicht zwingend dem Sinn und Zweck des Abkommens: Bereits zum Zeitpunkt der Entstehung des Abkommens bestand bei der Luftbeförderung die Praxis, daß sich der Luftfrachtführer zur Ausführung der Transporte mitunter selbständiger Unternehmen bediente. Es entsprach mithin einem naheliegenden Bedürfnis, auch diese Unternehmen in die Haftung des Luftfrachtführers einzubinden. Darüber hinaus zeigt eine rechtsvergleichende Betrachtung, daß die Umsetzung der Originalfassung des Abkommens in die einzelnen Vertragssprachen nicht einheitlich gelang; so sind etwa in der italienischen Übersetzung mit „préposés” ausschließlich die selbständigen Hilfspersonen des Luftfrachtführers gemeint (Schmid, TranspR 1984, 1, 3 f., Fn. 18 m.w.N.).
Auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes läßt sich das Erfordernis einer intensiven Weisungsbefugnis nicht entnehmen. Allerdings hat der VI. Zivilsenat (TranspR 1989, 275, 276 f.) die Auffassung vertreten, daß bei der Auslegung der §§ 44, 45 LuftVG der an Art. 20 WA angelehnte Begriff der „Leute” zwar weitgehend den Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB gleichgestellt sei, daß die „Leute” i.S. des § 45 LuftVG aber ähnlich den Verrichtungsgehilfen von den Weisungen des Luftfrachtführers abhängig sein müßten. Insoweit handelt es sich indessen nicht um eine die Entscheidung tragende Erwägung. Außerdem läßt sich der dort vorausgesetzte Weisungsbegriff mit der hier vertretenen Auffassung vereinbaren, die eine gewisse Weisungsbefugnis ausreichen läßt, welche in rechtlichen Einflußmöglichkeiten und einer – hier gegebenen – zumindest überwachenden Anwesenheit beim Entladevorgang bestehen kann.
4. Entgegen der Ansicht der Revision ist es schließlich auch nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht der Beklagten die Berufung auf die Haftungsbeschränkung des Art. 22 WA versagt hat.
Nach Art. 25 WA gilt die Haftungsbeschränkung des Art. 22 WA nicht, wenn nachgewiesen wird, daß der Schaden durch eine Handlung oder Unterlassung des Luftfrachtführers oder seiner „Leute” verursacht worden ist, die leichtfertig und in dem Bewußtsein begangen wurde, daß ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde.
a) Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat die Klägerin den Nachweis erbracht, daß der Schaden gemäß Art. 25 Satz 1 WA durch ein solches Verhalten der Beklagten verursacht worden ist. Zwar habe die Klägerin das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 25 WA nicht ausdrücklich vorgetragen. Auch sei eine gesteigerte Sorgfaltswidrigkeit der Beklagten nicht mit den Mitteln des Anscheinsbeweises nachgewiesen. Dennoch lägen eine Reihe von unstreitigen oder sich aus dem Prozeßverhalten ergebenden Hilfstatsachen vor, die den Schluß auf das qualifizierte Verschulden zuließen und den ausdrücklichen Vortrag der Haupttatsachen ersetzten. So sei unter anderem das Prozeßverhalten der Beklagten heranzuziehen: Obwohl die Beklagte der Klägerin gegenüber zur Aufklärung verpflichtet gewesen sei, habe sie es unterlassen, die ihr möglichen und zumutbaren Auskünfte zu erteilen. Es sei unklar geblieben, ob der Verlust noch auf dem Rollfeld oder erst nach der Verbringung der Fracht in die Räumlichkeiten der Pu. bekanntgegeben worden sei. Wenigstens hätte die Beklagte in allgemeiner Form vortragen können, in welcher Art mit der Fracht nach dem Abtransport vom Rollfeld verfahren werde und wie die Fracht dann gegen Verlust geschützt werde. Aus dem fehlenden Vortrag zu Kontrollmaßnahmen könne der naheliegende Schluß gezogen werden, daß systematische Kontrollen nicht vorhanden gewesen seien und bei der Pu. keine ausreichenden Verlustsicherungen bestanden hätten. Dies lege es überzeugungsbildend nahe, daß die Beklagte leichtfertig und im Bewußtsein der Schadenswahrscheinlichkeit gehandelt habe.
b) Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision im Ergebnis stand.
aa) Es ist allgemein anerkannt und wird auch im Revisionsverfahren nicht in Zweifel gezogen, daß sich das in Art. 25 WA vorausgesetzte qualifizierte Verschulden des Luftfrachtführers oder seiner „Leute” auch aus einer mangelhaften Organisation des Betriebsablaufs ergeben kann, der keinen hinreichenden Schutz der zu befördernden Frachtgüter gewährleistet und sich in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen der Vertragspartner hinwegsetzt (BGH, Urt. v. 10.5.1974 – I ZR 61/73, VersR 1974, 766; OLG Köln ZLW 1999, 163, 164 f.; OLG München ZLW 2000, 118, 122; Ruhwedel aaO Rdn. 525; Koller, Transportrecht, 4. Aufl., WA Art. 25 Rdn. 5). Ebenso ist unumstritten, daß der Geschädigte die materielle Beweislast für die Voraussetzungen des Art. 25 WA trägt.
bb) Die Revision rügt jedoch, daß das Berufungsgericht im Streitfall die Darlegungs- und Beweislast der Klägerin über das zulässige Maß hinaus erleichtert habe. Damit vermag sie nicht durchzudringen.
Es begegnet keinen durchgreifenden Bedenken, daß das Berufungsgericht insoweit die für den Bereich der ADSp- und CMR-Haftung anerkannte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auch im Streitfall herangezogen hat. Danach erfüllt der Anspruchsteller die ihm obliegende Darlegungslast für ein grob fahrlässiges Verschulden des Spediteurs oder Frachtführers bereits dann, wenn der Klagevortrag nach den Umständen des Falles ein grob fahrlässiges Verschulden mit gewisser Wahrscheinlichkeit nahelegt und allein der Spediteur bzw. der Frachtführer zur Aufklärung des in seinem Bereich entstandenen Schadens zumutbarerweise beitragen kann. Gleiches gilt, wenn sich die Anhaltspunkte für das Verschulden aus dem unstreitigen Sachverhalt ergeben. In diesem Fall darf sich der Anspruchsgegner zur Vermeidung prozessualer Nachteile nicht darauf beschränken, den Sachvortrag schlicht zu bestreiten. Er ist vielmehr gehalten, das Informationsdefizit des Anspruchstellers durch detaillierten Sachvortrag zum Ablauf des Betriebs und den ergriffenen Sicherungsmaßnahmen auszugleichen (vgl. näher BGHZ 127, 275, 283 f.; 129, 345, 349 f.; BGH, Urt. v. 22.6.1995 – I ZR 21/93, TranspR 1996, 37 f.; Urt. v. 6.7.1995 – I ZR 20/93, TranspR 1996, 70 f.; Urt. v. 14.12.1995 – I ZR 138/93, TranspR 1996, 121, 123; Urt. v. 25.9.1997 – I ZR 156/95, TranspR 1998, 262, 264; Urt. v. 16.7.1998 – I ZR 44/96, TranspR 1999, 19, 23).
Die Auferlegung einer sogenannten sekundären Behauptungslast ist auch außerhalb der genannten Rechtsgebiete in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und im Schrifttum zumindest dann anerkannt, wenn die primär darlegungspflichtige Partei außerhalb des darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine Kenntnisse von den maßgeblichen Tatsachen besitzt, während der Prozeßgegner zumutbar nähere Angaben machen kann (BGH, Urt. v. 20.1.1961 – I ZR 79/59, NJW 1961, 826, 828 – Pressedienst; Urt. v. 13.7.1962 – I ZR 43/61, GRUR 1963, 270, 272 = WRP 1962, 404 – Bärenfang; BGHZ 120, 320, 327 – Tariflohnunterschreitung; BGH, Urt. v. 15.10.1986 – IVb ZR 78/85, NJW 1987, 1201; Urt. v. 11.6.1990 – II ZR 159/89, NJW 1990, 3151 f. mit Anm. Schreiber, JR 1991, 415; Urt. v. 17.10.1996 – IX ZR 293/95, NJW 1997, 128, 129; Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht, Rdn. 303 ff.; Arens, ZZP 96 (1983), 1, 21 ff.; Zöller/Greger, ZPO, 21. Aufl., Vor § 284 Rdn. 34; MünchKommZPO/Peters, § 138 Rdn. 21 f.; Musielak/Stadler, ZPO, § 138 Rdn. 10 f.).
cc) Entgegen einer in der Literatur vertretenen Meinung führt die Auferlegung sekundärer Darlegungslasten nicht zu einer Umkehr der materiellen Beweislast oder gar dazu, daß die begrenzte Haftung des Luftfrachtführers nach Art. 22 WA im „Endeffekt” abgeschafft würde (so Giemulla, Luftverkehrsrecht im Wandel, S. 115, 119 ff.; ders. in Giemulla/Schmid/Müller-Rostin aaO Art. 25 Rdn. 51). Diese Gefahr besteht schon deshalb nicht, weil der Luftfrachtführer im Schadensersatzprozeß nicht von vornherein zur Vermeidung prozessualer Nachteile vortragen muß. Vielmehr besteht die prozessuale Obliegenheit zur substantiierten Darlegung der dem eigenen Geschäftskreis entspringenden Abläufe nur dann, wenn das prozessuale Geschehen Anhaltspunkte für ein Organisationsverschulden bietet. Insoweit darf sich der klägerische Sachvortrag nicht darauf beschränken, die bloße Tatsache des Verlustes vorzutragen.
Auch dann, wenn der Luftfrachtführer die im Einzelfall bestehende Darlegungslast erfüllt, ändert sich die materielle Beweislast nicht. Nunmehr bleibt es nämlich Sache des Geschädigten, den Nachweis dafür zu erbringen, daß der vom Luftfrachtführer vorgetragene Organisationsablauf den strengen Verschuldensvorwurf des Art. 25 WA rechtfertigt. Hierzu mag der Geschädigte entweder den Tatsachenvortrag des Luftfrachtführers angreifen oder aufzeigen, weshalb die Organisation des Frachtablaufs den normativen Anforderungen des Art. 25 WA nicht gerecht wird. In beiden Fällen trägt der Geschädigte den Nachteil aus der Nichterweislichkeit seiner Behauptungen und muß sich im Fall des fehlgeschlagenen Beweises mit der beschränkten Haftung nach Art. 22 WA begnügen (Ruhwedel aaO Rdn. 525 f.; OLG Köln TranspR 1996, 26, 27).
dd) Auch der Einwand, die Auferlegung sekundärer Darlegunglasten verwässere das ausgewogene Haftungssystem des Warschauer Abkommens und verstieße insbesondere gegen die Intention der Vertragsstaaten, mit der Haager Fassung des Warschauer Abkommens den Ausschluß der Haftungsbeschränkungen gegenüber der Warschauer Fassung gewissermaßen als Gegenleistung für die Verdoppelung der Haftungssummen für Personenschäden einzuschränken (vgl. Riese, ZLR 1956, 1, 30; Guldimann, Internationales Lufttransportrecht, Art. 25 Rdn. 11; BGHZ 74, 162, 168), greift letztlich nicht durch. Denn dieser Gefahr ist bei der Ausgestaltung der konkreten Anforderungen an ein leichtfertiges und vom Bewußtsein der Schadenswahrscheinlichkeit getragenes Organisationsverschulden zu begegnen. Angesichts des anerkannten Rechtsgrundsatzes, daß das Warschauer Abkommen als internationales Abkommen aus sich selbst heraus unter Berücksichtigung seiner Entstehungsgeschichte und insbesondere seines Zwecks auszulegen ist (BGH, Urt. v. 19.3.1976 – I ZR 75/74, NJW 1976, 1583; BGHZ 74, 162, 168; Koller, Transportrecht, 4. Aufl., WA Art. 25 Rdn. 5), verbietet es sich, die zu § 51 ADSp a.F. und Art 29 CMR für den dort verwendeten Verschuldensmaßstab entwickelten Auslegungsgrundsätze unbesehen auf die Auslegung des Art. 25 WA zu übertragen.
Insbesondere bei Sachschäden muß nicht mit jedem leichtfertigen Verhalten das Bewußtsein einer Schadenswahrscheinlichkeit verbunden sein (BGHZ 74, 162, 168 f.; OLG München ZLW 2000, 118, 122; OLG Frankfurt TranspR 1993, 61, 63; Müller-Rostin, TranspR 1989, 126). In der Sache bleibt es der tatrichterlichen Würdigung vorbehalten, ob das Handeln nach dem äußeren Ablauf des zu beurteilenden Geschehens – hier: der Organisation des Entladevorgangs und des Warenumschlags – vom Bewußtsein getragen wurde, daß der Eintritt eines Schadens mit Wahrscheinlichkeit drohe (vgl. OLG München ZLW 2000, 118, 123; ZLW 1998, 565; OLG Köln TranspR 1996, 26 f. und ZLW 1999, 163, 165).
ee) Entgegen der Rechtsauffassung der Revision läßt sich demgegenüber eine weitere Verschärfung der Anforderungen an ein qualifiziertes Verschulden nicht aus dem Montrealer Übereinkommen über die Vereinheitlichung bestimmter Regeln für die internationale Luftbeförderung (abgedruckt in TranspR 1999, 315; näher Müller-Rostin, TranspR 1999, 291) herleiten. Soweit das noch nicht in Kraft getretene Abkommen für Frachtschäden selbst im Falle vorsätzlicher Schadensverursachung an der Haftungsbeschränkung festhält, unterscheidet sich das Haftungssystem grundlegend von der bislang gültigen Regelung des Art. 25 WA. Aufgrund des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rückwirkungsverbots kann die Auslegung des Art. 25 WA nicht im Lichte einer inhaltsverschiedenen, zukünftigen Regelung erfolgen.
c) Bei diesem rechtlichen Ausgangspunkt hat das Berufungsgericht der Beklagten zu Recht die Darlegungslast dafür auferlegt, den von der Klägerin vorgetragenen Vorwurf eines groben Organisationsverschuldens durch konkrete Angaben zum Verlauf des Warenumschlags zu entkräften. Hierbei liefert insbesondere der Umstand, daß in der Nähe des Flughafens Verpackungsmaterial gefunden wurde (BU 9), objektive Anhaltspunkte für den Verschuldensvorwurf. Zu Recht zieht das Berufungsgericht hieraus den naheliegenden Schluß, daß dieser Sachverhalt Anhaltspunkte für einen Diebstahl der Frachtgüter durch Mitarbeiter der Pu. liefert. Auch die Revision macht sich diese Schlußfolgerung zu eigen (RB 9). Träfe diese Vermutung zu, so stünde die unbeschränkte Haftung der Beklagten bereits deshalb fest, weil – wie ausgeführt – auch die Mitarbeiter der Pu. zu den „Leuten” der Beklagten gehörten, für die die Beklagte nach Art. 25 WA einstehen muß. Auf das Organisationsverschulden käme es dann nicht mehr an. In jedem Fall bot die Diebstahlsvermutung im Zusammenspiel mit der Weigerung, zum Ablauf des Entladevorgangs und zu den weiteren Abläufen des Warenumschlags im Bereich der Pu. näher vorzutragen, eine tragfähige Basis für die revisionsrechtlich nicht zu beanstandende tatrichterliche Würdigung, wonach der prozessual vorgetragene Sachverhalt hinreichende Rückschlüsse auf ein gravierendes Sicherheitsdefizit im Bereich der Pu. erlaube.
Schließlich scheitert die Auferlegung der Darlegungslast entgegen der Ansicht der Revision nicht daran, daß der Beklagten ein ergänzender Sachvortrag zu den Abläufen im Bereich der Pu. nicht zumutbar gewesen wäre. Das Berufungsgericht hat sich (BU 13) mit der Zumutbarkeit einer ergänzenden Auskunft auseinandergesetzt und darauf abgestellt, daß der Stationsleiter der Beklagten beim Entladevorgang anwesend gewesen sei. Folglich sei die Beklagte aus eigener Wahrnehmung ihres Mitarbeiters in der Lage gewesen, weitere Einzelheiten zur Organisation des Entladevorganges vorzutragen. Diese Ausführungen erscheinen plausibel und lassen im revisionsrechtlichen Prüfungsrahmen keinen Rechtsfehler erkennen. Auch die Revision zeigt insoweit keine Rechtsfehler auf.
III. Nach alledem war die Revision mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Unterschriften
Erdmann, Starck, Bornkamm, Büscher, Raebel
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 21.09.2000 durch Führinger Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 510783 |
BGHZ |
BGHZ, 170 |
BGHR 2001, 5 |
NJW-RR 2001, 396 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2001, 86 |
MDR 2001, 577 |
NZV 2001, 254 |
RIW 2001, 298 |
VRS 2001, 107 |
VersR 2001, 526 |
ZLW 2001, 254 |
ELF 2001, 190 |