Verfahrensgang
LG Amberg (Urteil vom 26.10.2010) |
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Amberg vom 26. Oktober 2010 aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Brandstiftung in Tateinheit mit Versicherungsmissbrauch zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Staatsanwaltschaft strebt mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision eine Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schwerer Brandstiftung an. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung des Urteils, allerdings nicht aus dem von der Staatsanwaltschaft geltend gemachten Rechtsgrund (nachfolgend unter II. 1.), sondern weil die Strafkammer ihre umfassende Kognitionspflicht verletzt hat (nachfolgend unter II. 2.).
I.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts kauften der Angeklagte und seine Ehefrau im Jahr 2000 ein Haus in U., das sie nach einem Umbau ab dem Jahr 2003 bewohnten. Das Haus in V., das sie bis dahin bewohnt hatten, sollte für 1,4 Millionen EUR verkauft werden. Die Verkaufsbemühungen erwiesen sich jedoch als erfolglos. Die Eheleute unterhielten deshalb zunächst zwei Wohnsitze, wobei sie hauptsächlich in ihrem neuen Haus in U. wohnten. Ab dem Jahr 2009 gaben sie schließlich ihren Wohnsitz in V. auf. Sie hielten sich dort nur noch selten auf. Bei ihren Besuchen sahen sie nach dem Rechten. Außerdem kümmerten sie sich um die Gartenpflege, die Hausreinigung und die erforderlichen Instandhaltungsarbeiten, da das noch immer möblierte Haus wegen des beabsichtigten Verkaufs in einem „Vorzeigezustand” erhalten bleiben sollte. Im Rahmen ihrer Aufenthalte in V. kam es vereinzelt auch zu Übernachtungen. So übernachteten der Angeklagte und seine Ehefrau im Mai, Juni und Juli 2009 jeweils einmal dort. Im März, April und August 2009 gab es dagegen keine Übernachtung.
Rz. 3
Da die monatlichen finanziellen Aufwendungen (Kreditzinsen, Unterhaltungs- und Betriebskosten) für die beiden Häuser die Einkünfte des Angeklagten und seiner Ehefrau aus ihren Renten bei Weitem überstiegen, entschloss sich der Angeklagte, das Haus in V. in Brand zu setzen, um anschließend Leistungen aus der Brandversicherung zu erhalten. Seine Ehefrau wusste hiervon nichts. Am 31. August 2009 zündete er im Keller des Hauses, in dem sich außer ihm keine weiteren Personen befanden, u.a. mehrere Federkernmatratzen an. Das Feuer griff über die hölzerne Außenfassade auf den Dachstuhl über. Ein im Dachgeschoss befindliches Schlafzimmer brannte vollständig aus. Durch die Brand- und Rußeinwirkung entstanden im Keller- und Dachgeschoss Schäden in Höhe von mindestens 200.000 EUR.
Rz. 4
Mit Schreiben vom 2. September 2009 meldete der Angeklagte das Brandereignis seiner Versicherung. Am 23. Dezember 2009 wendete er sich mit einem weiteren Schreiben an diese.
Rz. 5
2. Das Landgericht hat eine besonders schwere Brandstiftung gemäß § 306b Abs. 2 Nr. 2, § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB verneint. Das in Brand gesetzte Haus habe zur Tatzeit nicht mehr der Wohnung von Menschen gedient. Die gelegentlichen Aufenthalte des Angeklagten und seiner Frau dort hätten nicht zu einer Verlagerung ihres persönlichen Lebensmittelpunktes geführt. Das Landgericht ist deshalb davon ausgegangen, dass der Angeklagte lediglich den Tatbestand der – einfachen – vorsätzlichen Brandstiftung verwirklicht habe. Tateinheitlich hierzu habe der Angeklagte einen Versicherungsmissbrauch (§ 265 StGB) begangen, weil er in der Absicht gehandelt habe, durch die Inbrandsetzung Versicherungsleistungen von der Brandversicherung in Anspruch nehmen zu können. Mit der Frage, ob der Angeklagte möglicherweise tatmehrheitlich (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1999 – 4 StR 700/98, BGHSt 45, 211, 213 mwN) einen versuchten Betrug begangen haben könnte, hat sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 6
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist im Ergebnis begründet.
Rz. 7
1. Soweit die Staatsanwaltschaft mit ihrem Rechtsmittel jedoch das Ziel verfolgt, eine Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schwerer Brandstiftung zu erreichen, hat ihr Rechtsmittel keinen Erfolg. Die Bewertung des Landgerichts, wonach der Qualifikationstatbestand der besonders schweren Brandstiftung vorliegend nicht erfüllt ist, weist keinen Rechtsfehler auf.
Rz. 8
a) Eine Verurteilung wegen besonders schwerer Brandstiftung setzt das Vorliegen einer Haupttat nach § 306a StGB voraus. In Betracht kommt vorliegend allein eine Tat nach § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Tatvariante des Inbrandsetzens eines Gebäudes, das zur Tatzeit der Wohnung von Menschen dient. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes geht das Landgericht zutreffend davon aus, dass diese Tatbestandsalternative nur dann verwirklicht ist, wenn das Gebäude von seinen Bewohnern zumindest vorübergehend tatsächlich als Mittelpunkt ihrer (privaten) Lebensführung zu Wohnzwecken genutzt wird (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2007 – 3 StR 54/07 mwN). Ob dies der Fall ist, bestimmt sich nach den tatsächlichen Umständen des Einzelfalles (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 20. November 1961 – 2 StR 521/61, BGHSt 16, 394, 396; BGH, Urteil vom 24. April 1975 – 4 StR 120/75, BGHSt 26, 121, 122; BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2004 – 2 StR 381/04, BGHR StGB § 306a Abs. 1 Nr. 1 Wohnung 4). Indizien für eine Wohnnutzung können hierbei neben der Gebrauchsdauer z.B. das regelmäßige Übernachten (BGH, Beschluss vom 23. November 1993 – 1 StR 742/93, BGHR StGB § 306 Nr. 2 Wohnung 10 mwN) und Zubereiten von Speisen sowie die postalische Erreichbarkeit sein (SSW-Wolters, StGB, § 306a Rn. 7).
Rz. 9
b) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe hat sich das Landgericht nicht davon überzeugen können, dass das von dem Angeklagten in Brand gesetzte Haus in V. zur Tatzeit noch der Wohnung von Menschen diente. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Rz. 10
Die Aufgabe, sich auf der Grundlage der vorhandenen Beweismittel eine Überzeugung vom tatsächlichen Geschehen zu verschaffen, obliegt grundsätzlich allein dem Tatrichter. Seine Beweiswürdigung hat das Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen. Es ist ihm verwehrt, sie durch eine eigene zu ersetzen oder sie etwa nur deshalb zu beanstanden, weil aus seiner Sicht eine andere Bewertung der Beweise näher gelegen hätte. Kann der Tatrichter vorhandene Zweifel nicht überwinden, so kann das Revisionsgericht eine solche Entscheidung nur im Hinblick auf Rechtsfehler überprüfen, insbesondere darauf, ob die Beweiswürdigung in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, die Beweismittel nicht ausschöpft, Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze aufweist oder ob der Tatrichter überspannte Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 – 1 StR 114/11; BGH, Urteil vom 1. Juni 2011 – 2 StR 90/11 jew. mwN). Solche Rechtsfehler liegen hier nicht vor.
Rz. 11
aa) Das Revisionsvorbringen der Staatsanwaltschaft erschöpft sich in dem unzulässigen Versuch, die tatrichterliche Beweiswürdigung durch eine eigene zu ersetzen.
Rz. 12
bb) Die Beweiswürdigung ist auch nicht lückenhaft. Das Landgericht hat sich in den Urteilsgründen mit allen Umständen auseinandergesetzt, die für eine Wohnnutzung des in Brand gesetzten Gebäudes zur Tatzeit sprechen könnten. Dabei hat es, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt, insbesondere nicht außer Acht gelassen, dass es bis zu der Tat zu gelegentlichen Aufenthalten – einschließlich vereinzelter Übernachtungen – des Angeklagten und seiner Frau in dem Haus gekommen war. Weiterhin hat es bei seiner Beweiswürdigung auch berücksichtigt, dass das Haus bis zum Brand „fast” vollständig möbliert und dass der Pool beheizt war. Dennoch hat es sich keine Überzeugung von einer Wohnnutzung verschaffen können. Zur Begründung hat es entscheidend darauf abgestellt, dass der Angeklagte und seine Ehefrau nicht mehr regelmäßig in dem Haus in V. übernachteten und sich dort, wie sich aus den im Urteil mitgeteilten Angaben der Ehefrau in der Hauptverhandlung ergibt, nur noch deshalb aufhielten, um es wegen des beabsichtigten Verkaufs sauber zu halten und um die Gartenpflege zu bewerkstelligen. Selbst die Nachbarn und der Polizeibeamte, der am Tag nach dem Brand den Tatort untersuchte, hielten das Haus für unbewohnt. Angesichts dieser Umstände ist die Annahme des Landgerichts, dass es sich bei dem Haus in V. nicht (mehr) um den Lebensmittelpunkt des Angeklagten und seiner Ehefrau handelte, eine nahe liegende Schlussfolgerung, die revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
Rz. 13
Das Landgericht musste sich in diesem Zusammenhang auch nicht mit der Frage auseinandersetzen, wie oft sich der Angeklagte und seine Ehefrau in dem Haus aufhielten, ohne dort zu übernachten. Da Wohnen mehr ist als sich nur Aufhalten (S/S-Heine, StGB, 28. Aufl., § 306a Rn. 5), kann selbst eine Vielzahl von Besuchen in einem Gebäude, die ausschließlich der Vornahme von Instandhaltungsarbeiten, der Hausreinigung oder der Gartenpflege dienen, nicht zur Begründung eines – auch nur vorübergehenden – räumlichen Lebensmittelpunktes führen.
Rz. 14
2. Auch wenn die Bewertung des Landgerichts, der Angeklagte habe vorliegend – nur – den Tatbestand einer (einfachen) vorsätzlichen Brandstiftung verwirklicht, nicht rechtsfehlerhaft ist, kann das Urteil im Ergebnis gleichwohl keinen Bestand haben, weil das Landgericht seiner umfassenden Kognitionspflicht nicht genügt hat. Das Sachurteil muss den durch die zugelassene Anklage abgegrenzten Prozessstoff erschöpfen; der einheitliche geschichtliche Lebensvorgang, der den Gegenstand der Untersuchung bildet, muss vollständig abgeurteilt werden (BGH, Urteile vom 9. August 2011 – 1 StR 194/11 und vom 28. November 1995 – 1 StR 558/95 jew. mwN). Dies ist hier nicht geschehen.
Rz. 15
a) Das Landgericht hätte sich nicht damit begnügen dürfen, lediglich eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen eines – tateinheitlich neben der Brandstiftung begangenen – Versicherungsmissbrauchs zu bejahen. Es hätte vielmehr erörtern müssen, ob sich der Angeklagte stattdessen möglicherweise wegen versuchten Betruges zum Nachteil der Versicherung schuldig gemacht hat. Eine solche Tat würde zur Brandstiftung nicht nur in Tatmehrheit stehen (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1999 – 4 StR 700/98, BGHSt 45, 211, 213 mwN), sondern ließe auch die tateinheitliche Verurteilung wegen Versicherungsmissbrauchs aufgrund der in § 265 Abs. 1 StPO enthaltenen Subsidiaritätsklausel entfallen (vgl. Sackreuther in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Aufl. 2011, StGB § 265 Rn. 32 f. mwN).
Rz. 16
Eine Strafbarkeit wegen versuchten Betruges kommt hier nach den Feststellungen schon deshalb in Betracht, weil der Angeklagte nicht nur bei der Brandlegung bereits in der Absicht handelte, Versicherungsleistungen zu erlangen, um seine desolate finanzielle Situation zu verbessern, sondern weil er sich nach der Brandstiftung auch mit zwei Schreiben an die Brandversicherung wandte, was die Strafkammer als einen Beleg für ein Handeln des Angeklagten aus rein finanziellen Gründen wertet. Ob diese beiden Schreiben lediglich der Vorbereitung des Betruges dienten oder schon ein unmittelbares Ansetzen zum Betrugsversuch darstellten (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1999 – 4 StR 700/98, BGHSt 45, 211), von dem der Angeklagte möglicherweise in der Folgezeit freiwillig zurückgetreten ist, kann der Senat anhand der vom Landgericht getroffenen und insoweit lückenhaften Feststellungen nicht überprüfen. So wird hinsichtlich des ersten Schreibens lediglich mitgeteilt, dass der Angeklagte das „Brandereignis” seiner Versicherung gemeldet habe. Der Inhalt des zweiten Schreibens wird überhaupt nicht dargelegt. Diesen Feststellungen kann somit nicht entnommen werden, ob der Angeklagte bereits Täuschungshandlungen gegenüber der Versicherung unternommen hat, um an die von ihm erstrebten Versicherungsleistungen zu gelangen. Auch ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht, warum dies letztlich gescheitert ist.
Rz. 17
b) Einer Verurteilung wegen versuchten Betruges stünde vorliegend auch nicht das Verfahrenshindernis einer unwirksamen Anklage entgegen.
Rz. 18
Zwar finden sich in der – unverändert zugelassenen – Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Amberg vom 30. März 2010 keine näheren Angaben zu einer versuchten Täuschung der Versicherung. Im Rahmen der rechtlichen Würdigung wird lediglich ausgeführt, dass „von einem mitverwirklichten Versicherungsmissbrauch (§ 265 StGB) auszugehen” sei, weil „bislang keine Ansprüche gegen die Brandversicherung erhoben wurden.” Die fehlenden Angaben zu einem versuchten Betrug des Angeklagten zum Nachteil seiner Brandversicherung haben gleichwohl nicht zur Folge, dass diese nicht Gegenstand der Anklage wären und die Untersuchung sich nicht auf sie hätte erstrecken dürfen; denn sie bilden mit der Brandstiftung, die der Angeklagte – wie hier – zum Zweck der Täuschung der Versicherung vorgenommen hat, eine Tat im prozessualen Sinn (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1999 – 4 StR 700/98, BGHSt 45, 211, 212).
Rz. 19
3. Die Verurteilung wegen vorsätzlicher Brandstiftung in Tateinheit mit Versicherungsmissbrauch war wegen der Verletzung der Kognitionspflicht aufzuheben. Die vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können jedoch bestehen bleiben, denn sie sind von dem dargelegten Rechtsfehler nicht betroffen. Der neue Tatrichter wird weitere ergänzende Feststellungen, insbesondere zu einer Strafbarkeit des Angeklagten wegen versuchten Betruges und zur Frage eines Rücktritts, zu treffen haben, soweit diese nicht zu den bisherigen in Widerspruch stehen.
Rz. 20
4. Der Senat weist vorsorglich daraufhin, dass der vom Landgericht bei der Strafzumessung als Strafmilderungsgrund berücksichtigte Umstand, dass der Angeklagte „infolge der Tat einen hohen Eigenschaden erlitten” hat, „den er nicht durch eine Versicherungsleistung wird kompensieren können”, keine geringere Strafe rechtfertigt, da der Angeklagte diese typischen und für ihn vorhersehbaren Auswirkungen der Tat in vorwerfbarer Weise selbst herbeigeführt hat (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 2005 – 2 StR 168/05, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 40).
Unterschriften
Nack, Rothfuß, Elf, Graf, Sander
Fundstellen
Haufe-Index 2811441 |
NStZ 2012, 39 |
NStZ-RR 2012, 46 |
WuM 2011, 696 |
LL 2012, 186 |