Leitsatz (amtlich)
Zur Fortdauer der Prozeßführungsbefugnis des Zwangsverwalters nach Aufhebung der Zwangsverwaltung wegen Zuschlags in der Zwangsversteigerung.
Normenkette
ZPO § 51 Abs. 1; ZVG § 152
Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 29.04.1991) |
LG Bochum |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 32. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 29. April 1991 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte ist Mieterin von Bürogebäuden und Lagerhallen, die der zwischenzeitlich in Vermögensverfall geratenen St. KG gehörten. Der Kläger war vom 12. März bis 1. Oktober 1982 und sodann vom 19. Oktober 1982 bis 21. Oktober 1983 Zwangsverwalter der Grundstücke, auf denen die Mietobjekte stehen. Die Zwangsverwaltung wurde am 21. Oktober 1983 aufgehoben, weil am 19. September 1983 die Grundstücke zwangsversteigert worden waren.
Mit der am 5. Juli 1983 (nicht 5. Juni, wie S. 10 des Berufungsurteils) erhobenen Klage machte der Kläger Mietzinsrückstände für die Zeit vom 1. Oktober 1982 bis 19. September 1983 von insgesamt 635.657 DM nebst gestaffelten Zinsen geltend. Die Beklagte rechnete mit Gegenforderungen insbesondere aufgrund baulicher Maßnahmen an den Mietobjekten in Höhe von 936.927,08 DM auf. Das Landgericht sprach dem Kläger für die Zeit vom 1. Dezember 1982 bis 19. September 1983 Mietzins von insgesamt 524.095,15 DM nebst gestaffelten Zinsen zu und wies die Klage im übrigen ab. Dabei ging es davon aus, daß die Aufrechnung der Beklagten wegen der Beschlagnahme der Mietzinsforderungen unzulässig gewesen sei.
Die Beklagte legte hiergegen Berufung ein, mit der sie die vollständige Abweisung der Klage erstrebte. Das Oberlandesgericht hielt die Aufrechnung der Beklagten für zulässig, hob das landgerichtliche Urteil auf und verwies die Sache zur Aufklärung der Gegenforderungen der Beklagten an das Landgericht zurück.
Mit der Revision macht die Beklagte geltend, daß der Kläger nach Aufhebung der Zwangsverwaltung nicht mehr prozeßführungsbefugt sei; außerdem hätten die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung der Sache an das Landgericht nicht vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
1. Allerdings bezweifelt die Revision zu Unrecht die Prozeßführungsbefugnis des Klägers. Hierbei handelt es sich um eine Prozeßvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens, auch in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu prüfen ist. Das Revisionsgericht ist dabei weder an die Feststellungen des Berufungsgerichts gebunden noch beschränkt sich seine Prüfung auf die Tatsachen und Beweismittel, die das Berufungsgericht verwertet hat. Vielmehr hat es selbständig festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Prozeßführungsbefugnis im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorgelegen haben (vgl. BGHZ 31, 279, 282 f; 100, 217, 219). Für erforderliche Ermittlungen gelten dabei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Grundsätze des Freibeweises (vgl. Beschlüsse vom 9. Juli 1987 – VII ZB 10/86 – NJW 1987, 2875, 2876 und vom 16. Mai 1991 – IX ZB 81/90 – BGHR ZPO § 284 Freibeweis 1 = NJW 1992, 627, 628).
§ 152 ZVG umschreibt die vom Zwangsverwalter wahrzunehmenden Aufgaben und regelt damit auch, inwieweit dieser befugt ist, im eigenen Namen, aber im Interesse des von ihm verwalteten Teils des Schuldnervermögens Prozesse zu führen (vgl. BGHZ 109, 171, 173). Im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des vorliegenden Prozesses bestand die am 19. Oktober 1982 angeordnete Zwangsverwaltung noch. Der Kläger klagte als bestellter Zwangsverwalter beschlagnahmte Mietzinsforderungen ein. Daß seine Prozeßführungsbefugnis damals gegeben war, ist zweifelsfrei; insoweit erinnert die Revision auch nichts.
Die Aufhebung der Zwangsverwaltung wegen erfolgter Zwangsversteigerung der betroffenen Grundstücke durch Beschluß des Vollstreckungsgerichts vom 21. Oktober 1983 änderte entgegen der Auffassung der Revision an der Prozeßführungsbefugnis des Klägers nichts; diese bestand vielmehr auch noch im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung vom 25. März 1991 fort.
Wird die Zwangsverwaltung wegen Zuschlags in der Zwangsversteigerung aufgehoben, ist das Hindernis für deren Fortsetzung ausschließlich in dem Recht des Erstehers auf die künftig anfallenden Nutzungen zu sehen (vgl. Steiner/Hagemann ZVG 9. Aufl. § 161 Rdn. 81). Die Nutzungen aus der Zeit vor der Wirksamkeit des Zuschlags bleiben Zwangsverwaltungsmasse; der Zwangsverwalter ist berechtigt, diese einzuziehen, soweit es noch nicht geschehen ist, und Überschüsse nach Maßgabe des Teilungsplanes an die Berechtigten auszukehren (vgl. Steiner/Hagemann a.a.O. Rdn. 92). Demgemäß entspricht es einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, die der Senat teilt, daß der Zwangsverwalter trotz Aufhebung der Zwangsverwaltung aus diesem Grund anhängige Prozesse über Nutzungen aus der Zeit seiner Amtstätigkeit fortzuführen befugt ist (vgl. nur BGH, Beschluß vom 7. Februar 1990 – VIII ZR 98/89 – WM 1990, 742 f; OLG Stuttgart NJW 1975, 265 f; Steiner/Hagemann a.a.O. Rdn. 96; Zeller/Stöber ZVG 13. Aufl. § 161 Anm. 7.1).
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte in zweiter Instanz „mit Nichtwissen bestritten”, daß noch irgendein Gläubiger offene Forderungen gegen die Vollstreckungsschuldnerin, habe; aus dem Umstand, daß der Kläger daraufhin es nicht für erforderlich gehalten hat, solche Forderungen im einzelnen darzulegen, folgert die Revision, daß der Fortbestand seiner Prozeßführungsbefugnis zu verneinen sei. Diese Anknüpfung an eine vermeintliche Darlegungslast des Zwangsverwalters geht schon deswegen fehl, weil, wie ausgeführt, Prozeßvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen sind; insoweit hat sich das Gericht nämlich die erforderliche Gewißheit ggf. unabhängig vom Parteiverhalten zu verschaffen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 1989 – V ZR 173/87 – NJW 1989, 2064). Auch zieht die Revision in diesem Zusammenhang nicht in Betracht, daß aus der Zwangsverwaltungsmasse nicht nur die betreibenden Gläubiger zu befriedigen sind, sondern daß ihr auch die Ausgaben der Verwaltung, gerichtliche Verfahrenskosten und öffentlichen Lasten, die bis zum Zuschlag angefallen sind, zu entnehmen sind (vgl. Steiner/Hagemann a.a.O. Rdn. 92; OLG Stuttgart aaO). Es kann dahinstehen, ob überhaupt Fälle denkbar sind, in denen bei Aufhebung der Zwangsverwaltung wegen Zuschlags in der Zwangsversteigerung die Fortführung eines anhängigen Prozesses wegen zuvor angefallener Nutzungen zur ordnungsgemäßen Abwicklung der Aufgaben des Zwangsverwalters nicht mehr erforderlich ist. Hier ergibt sich schon aus den vom Berufungsgericht beigezogenen Akten des Vollstreckungsgerichts, daß kein Anlaß für eine solche Annahme besteht. Nach Aufhebung der Zwangsverwaltung hat die Hauptgläubigerin (Volksbank D.), die nach dem Vortrag der Beklagten bereits befriedigt sein soll, mit Schreiben vom 15. August 1984 auf die Fortführung des Verfahrens in ihrem Interesse gedrängt und sich noch mit Schreiben vom 5. März 1990 bereit erklärt, zur Rechtsverteidigung in der Berufungsinstanz erforderliche Vorschüsse auf die Anwaltskosten zu leisten.
Ihre vom Kläger vorgelegte Erklärung vom 22. März 1992, es stünden noch Forderungen von mehr als 700.000 DM offen, ist vor diesem Hintergrund auf die Vollstreckungsschuldnerin und nicht auf St. persönlich bezogen, so daß die Einvernahme von Zeugen dazu weder erforderlich war noch ist. Rechtliches Gehör zu diesem Punkt ist der Beklagten jedenfalls im Revisionsverfahren gewährt worden, so daß es nicht mehr darauf ankommt, ob das Berufungsgericht insoweit korrekt verfahren ist. Den Beiakten ist schließlich auch zu entnehmen, daß bisher weder eine Schlußabrechnung noch eine Entlastung des Klägers vorliegt, daß dieser vielmehr den Prozeß im Einvernehmen mit dem Vollstreckungsgericht fortführt.
2. Das angefochtene Urteil kann jedoch deswegen keinen Bestand haben, weil das Berufungsgericht zu Unrecht einen wesentlichen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens angenommen und die Sache gemäß § 539 ZPO an das Landgericht zurückverwiesen hat. Wie die Revision zu Recht rügt, ist die Frage, ob ein solcher Verfahrensmangel vorliegt, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom materiell-rechtlichen Standpunkt des Erstrichters aus zu beurteilen, und zwar auch dann, wenn dieser verfehlt ist (vgl. BGHZ 18, 107, 109 f; 31, 358, 362; 86, 218, 221; Urteil vom 30. Oktober 1990 – XI ZR 173/89 – BGHR ZPO § 539 Verfahrensmangel 7 = NJW 1991, 704 m.w.N.).
Hier hat das Landgericht die Aufrechnung der Beklagten mit Gegenforderungen in erheblicher Höhe als unzulässig angesehen, weil die als begründet erachteten Mietzinsforderungen für die Zeit ab Dezember 1982 infolge der Anordnung der Zwangsverwaltung am 19. Oktober 1982 beschlagnahmt gewesen seien, so daß gegen sie gemäß §§ 1125, 1124 Abs. 2 BGB nicht habe aufgerechnet werden können. Die erforderliche Kenntnis der Beklagten von der Beschlagnahme (§ 22 Abs. 2 Satz 2 ZVG) hat es aus deren Schreiben vom 20. Oktober 1982 gefolgert, in dem auf die Zwangsverwaltung Bezug genommen worden ist. Ein etwaiger Irrtum, es handele sich noch um die vorausgegangene, am 1. Oktober 1982 aufgehobene Zwangsverwaltung, wäre nach Auffassung des Gerichts unbeachtlich gewesen.
Demgegenüber hat das Berufungsgericht die Frage der Kenntnis der Beklagten von der Beschlagnahme anders beurteilt. Im angefochtenen Urteil ist zu dieser Frage ausgeführt, der Hinweis auf die Zwangsverwaltung in deren Schreiben vom 20. Oktober 1982 habe sich offensichtlich auf die frühere, inzwischen aufgehobene Anordnung bezogen und zeuge davon, daß die Beklagte über den tatsächlichen Ablauf nicht unterrichtet gewesen sei. Deswegen habe sie die erforderliche Kenntnis nachweisbar erst ab dem Zeitpunkt der Zustellung der Klage im vorliegenden Rechtsstreit gehabt. Dies bedeute, daß der Begründetheit der aufgerechneten Gegenforderung nachgegangen werden müsse. Da das Schwergewicht des Rechtsstreits auf diesen Gegenforderungen liege, zu denen das Landgericht keine Feststellungen getroffen habe, sei eine eigene Entscheidung nicht sachdienlich und die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Aus der materiell-rechtlichen Sicht des Landgerichts waren Feststellungen zur Begründetheit der Gegenforderungen der Beklagten entbehrlich; hinsichtlich der Frage ihrer Kenntnis von der Beschlagnahme hatte es sich der vom Kläger vertretenen Auffassung angeschlossen, es sei für die Beurteilung ihres guten Glaubens gleichgültig, ob sie seinerzeit von einer Zwangsverwaltung aufgrund der früheren oder der neuerlichen Anordnung ausgegangen sei, da tatsächlich eine Beschlagnahme bestanden habe (vgl. Schriftsatz des Klägers vom 31. Oktober 1983 S. 3). Wenn das Berufungsgericht insoweit einen anderen Rechtsstandpunkt einnahm, konnte es nicht von einem Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens ausgehen, der allein zur Zurückverweisung gemäß § 539 ZPO berechtigt, sondern es mußte die aus seiner abweichenden materiell-rechtlichen Sicht erforderlichen Feststellungen zur Begründetheit der Gegenforderungen selbst treffen. Die getroffene Entscheidung muß daher aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgegeben werden.
3. Der Kläger, der die Zurückweisung der Revision der Beklagten beantragt hat, hält den Rechtsstreit im Sinne einer Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils für entscheidungsreif. Ob dies der Fall ist, hat der Senat nicht zu prüfen. Eine eigene Revision oder zulässige Anschlußrevision hat der Kläger nicht eingelegt; würde seinem Antrag entsprechend die Revision der Beklagten zurückgewiesen, bliebe es bei der zurückverweisenden Entscheidung des Berufungsgerichts. Gegen eine solche kassatorische Entscheidung kann mit der Revision nur geltend gemacht werden, die ausgesprochene Aufhebung und Zurückverweisung verstoße gegen das Gesetz (vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 1983 – IX ZR 35/82 – NJW 1984, 495). Das Revisionsgericht ist in diesen Fällen zur Nachprüfung sachlich-rechtlicher Ausführungen des Berufungsgerichts lediglich berechtigt, soweit diese Ausführungen die Grundlage für die Entscheidung nach § 539 ZPO bilden (vgl. BGH aaO; BGHZ 31 a.a.O. 363 f.). Wie ausgeführt, kommt es im vorliegenden Fall für die Berechtigung zur Zurückverweisung auf die Richtigkeit des vom Berufungsgericht eingenommenen materiell-rechtlichen Standpunkts nicht an. Eine Nachprüfung dieses Standpunktes oder gar die dem Senat vom Kläger angesonnene Sachentscheidung ist daher ausgeschlossen (vgl. dazu auch MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher § 539 Rdn. 35).
Unterschriften
Blumenröhr, Krohn, Zysk, Nonnenkamp, Hahne
Fundstellen
Haufe-Index 1134392 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 1992, 1781 |