Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 17.06.2002) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 17. Juni 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Verstoßes gegen § 20 Abs. 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 18 Satz 2 Vereinsgesetz” zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10 EUR verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
Nach den Feststellungen skandierte der Angeklagte am 28. September 2001 während einer angemeldeten Kundgebung zum Thema „Freiheit für Öcalan – Frieden in Kurdistan”, an der etwa 400 Personen teilnahmen, mehrfach laut und deutlich vernehmbar die Parole „Biji Serok Apo” (Es lebe der Führer Apo). Damit wollte er nicht lediglich die Freilassung Öcalans fordern, sondern zugleich für die PKK werben, obwohl er wußte, daß jede Betätigung für die „in der Bundesrepublik verbotene Organisation” strafbar ist.
Das Landgericht hat die skandierte Parole als werbende Unterstützung der Belange der PKK bewertet. Das Skandieren der Worte: „Biji Serok Apo” sei nicht lediglich als die – von Artikel 5 GG gedeckte – politische Forderung nach der Freilassung von Öcalan zu werten; vielmehr stehe Öcalan als Vorsitzender der verbotenen PKK inhaltlich für deren Belange.
1. Der Schuldspruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe hat das Landgericht bei der Deutung des objektiven Sinns der gerufenen Parole nicht hinreichend die Anforderungen beachtet, die sich aus der Meinungsäußerungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes ergeben (vgl. BVerfG NJW 1999, 204; 1995, 3303). Danach ist Voraussetzung für jede rechtliche Würdigung einer Äußerung die zutreffende Erfassung ihres Sinns. Ziel der zur Erfassung notwendigen Deutung ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung. Maßgeblich ist daher weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Empfänger erkennbar waren. Wenn ein Gericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Bedeutung zugrundelegt, ohne vorher andere mögliche Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen zu haben, verstößt es gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit (vgl. BVerfGE 82, 43, 52 = NJW 1990, 1980 = NStZ 1990, 383). Die verwendete Parole ist nach ihrem Wortlaut trotz der Verwendung des Begriffes „Führer” nicht eindeutig. Insbesondere muß nicht jede mit der Person Öcalans verbundene Forderung von vornherein und ohne weiteres auf die PKK/ERNK bezogen sein. Sie muß daher nicht stets eine verbotene Betätigung für diese Organisationen darstellen. Danach ist die Parole auslegungsfähig und bei der Frage ihrer strafrechtlichen Relevanz auslegungsbedürftig. Bei der entsprechenden Deutung des objektiven Sinns der Äußerung hätte das Landgericht neben dem sprachlichen Kontext auch sonstige hierfür bedeutsame Umstände außerhalb des Wortlautes der Parole berücksichtigen müssen. Insbesondere hätte es insoweit in Erwägung ziehen müssen, daß der Ausruf während einer Demonstration gebraucht wurde, deren Motto von der Meinungsfreiheit gedeckt war und nicht von vornherein Ziele (allein) der PKK/ERNK verfolgte. Forderungen nach Freiheit für Öcalan und Frieden für Kurdistan haben keinen unmittelbaren und unauflöslichen Bezug zu denjenigen Organisationen, die mit einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot belegt sind. Zudem fand die Demonstration nach der Verurteilung Öcalans zum Tode statt. Bei dieser Sachlage hätte das Landgericht erörtern müssen, ob der Angeklagte mit der skandierten Parole nicht lediglich das Lebensrecht Öcalans einfordern wollte. Nur wenn dies ausgeschlossen werden kann, verstößt die Verurteilung des Angeklagten nicht gegen Art. 5 GG. In diesem Zusammenhang könnte auch dem Umstand Bedeutung zukommen, daß der Angeklagte sich schon einmal eines vereinsrechtlichen Betätigungsverbotes schuldig gemacht hat. Damals hatte er allerdings neben der Parole „Biji Serok Apo” zusätzlich den – insoweit eindeutigen – Ausruf „Biji PKK” gebraucht.
Die danach erforderlichen Erörterungen zur Deutung der Äußerung sind dem Urteil nicht zu entnehmen. Der dargestellte Rechtsfehler hat die Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen und die Zurückverweisung der Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung zur Folge.
2. Für den Fall einer erneuten Verurteilung weist der Senat wegen der insoweit nicht völlig bedenkenfreien Begründung des Strafausspruchs darauf hin, daß auch bei der Strafzumessung die wertsetzende Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit beachtet werden muß (vgl. BVerfG NStZ 1994, 357, 358; NJW 1999, 204, 205; 2002, 1031, 1034 f.). Zur Bemessung der Tagessatzhöhe und wegen der Gewährung von Zahlungserleichterungen nimmt der Senat auf Häger in LK 11. Aufl. § 40 Rdn. 13 ff. und § 42 Rdn. 2 ff. Bezug.
Unterschriften
Tolksdorf, Pfister, von Lienen, Becker, Hubert
Fundstellen
Haufe-Index 2559784 |
StraFo 2003, 165 |