Leitsatz (amtlich)
Die Amtspflicht der Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, ein Rechtskraftzeugnis nur bei nachgewiesener Rechtskraft zu erteilen, obliegt ihm nicht gegenüber einem am Rechtsstreit unbeteiligten Dritten, dem das Rechtskraftzeugnis später von einer Prozeßpartei vorgelegt wird.
Normenkette
BGB § 839; ZPO § 706
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Urteil vom 24.04.1958) |
LG Düsseldorf (Urteil vom 08.05.1957) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Düsseldorf vom 24. April 1958 aufgehoben und das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts in Düsseldorf vom 8. Mai 1957 teilweise geändert.
Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Von rechts wegen
Tatbestand
Der Zollinspektor Friedrich S. der vor dem Kriege als Beamter der Schutzpolizei in Ostpreußen lebte, war seit 1930 verheiratet mit Grete geb. O. mit der er zwei Kinder, Siegfried (geboren 1931) und Renate (geboren 1934) hatte. S. erwirkte gegen seine Ehefrau ein Urteil des Landgerichts in Königsberg vom 28. Januar 1936 – 5 R 207/35 –, durch welches die Ehe aus der Schuld der Frau geschieden wurde. Ein Zeugnis über die Rechtskraft wurde vom Landgericht in Königsberg nicht erteilt. Nach dem Urteil lebten die Eheleute, die vorher getrennt gewohnt hatten, eine Zeit lang wieder zusammen.
Nach dem Kriege wohnte S. der nunmehr im Zolldienst am Niederrhein tätig war, in K.-D.. Er beabsichtigte, wieder zu heiraten, und beantragte Anfang 1947 nach Rücksprache mit dem Standesbeamten von D. bei dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Landgerichts in K., Justizinspektor D., ihm die Rechtskraft des Scheidungsurteils vom 28. Januar 1936, dessen abgekürzte Ausfertigung er in Händen hatte, zu bescheinigen. D. entsprach dem Antrage, nachdem er ihn dem Landgerichtspräsidenten sowie dem in Verwaltungssachen tätigen Landgerichtsrat V. vorgelegt hatte – beide gehörten auch der einzigen Zivilkammer des Landgerichts an –, und setzte das Rechtskraftzeugnis am 18. Februar 1947 unter dem Aktenzeichen AR 3/47 auf die ihm vorgelegte abgekürzte Ausfertigung. Zu der geplanten Heirat S.'s kam es jedoch im Jahre 1947 nicht.
Am 9. Oktober 1948 heiratete S. vor dem Standesbeamten in H. bei K. die Klägerin, nachdem beide sich im Mai 1948 kennen gelernt hatten. Der Standesbeamte – nach ihrer Behauptung auch die Klägerin – ging auf Grund des Rechtskraftzeugnisses vom 18. Februar 1947 davon aus, daß die frühere Ehe rechtskräftig geschieden sei. In der zweiten Ehe sind zwei Kinder, Manfred (1950) und Reinhold (1952) geboren.
Im Jahre 1952 nahmen die erste Ehefrau und die beiden erstehelichen Kinder, die aus Ostpreußen geflogen waren und in N. wohnten, S. vor dem Amtsgericht in K. auf Zahlung von Unterhalt in Anspruch mit der Behauptung, das Scheidungsurteil vom 28. Januar 1936 sei nicht rechtskräftig geworden, es sei vielmehr Berufung eingelegt und die Klage zurückgenommen worden. Frau Grete S. und die Tochter Renate drangen mit ihren Ansprüchen durch, sie erwirkten rechtskräftige Urteile gegen S. und vollstreckten sie. S. klagte gegen seine erste Ehefrau beim Landgericht in Kiel auf Feststellung, daß die Ehe nicht mehr bestehe; seine Klage wurde jedoch rechtskräftig abgewiesen. Die erste Ehe wurde auf die Klage von S. durch das rechtskräftige Urteil des Landgerichts in Krefeld vom 25. Juli 1956 – 2 E 208/55 – gemäß § 48 EheG geschieden, jedoch wurde ausgesprochen, daß S. ein Verschulden treffe.
Die Klägerin fordert nunmehr vom Lande Nordrhein-Westfalen Schadensersatz, weil das Rechtskraftzeugnis vom 18. Februar 1947 rechtswidrig und schuldhaft erteilt worden sei; sie hat vorgetragen: S. habe gutgläubig angenommen, daß das Scheidungsurteil vom 28. Januar 1936 rechtskräftig geworden sei. Er habe D. den Sachverhalt ausführlich geschildert und angegeben, es sei keine Berufung eingelegt worden, die Eheleute hätten jedoch nach dem Scheidungsurteil wieder einige Zeit zusammengelebt. Eine eidesstattliche Versicherung habe S. bei D. nicht abgegeben.
D. hätte – so meint die Klägerin – das Rechtskraftzeugnis versagen müssen, weil das Landgericht in Kleve für dessen Erteilung nicht zuständig gewesen sei und weil S. die Rechtskraft des Urteils nicht zuverlässig nachgewiesen habe. Sie, die Klägerin, sei sehr vorsichtig und würde auf eine bloße eidesstattliche Versicherung S.'s, er sei rechtskräftig schuldlos geschieden, ihn nicht geheiratet haben. Für ihren Entschluß zur Eheschließung sei entscheidend gewesen, daß das Landgericht in Kleve die Rechtskraft des Scheidungsurteils bescheinigt habe und sie, die Klägerin, sich deshalb darauf habe verlassen können, daß die erste Ehefrau keinen Unterhaltsanspruch habe. Ohne des Rechtskraftzeugnis würde auch der Standesbeamte die Trauung nicht vorgenommen haben. Sie sei nicht unbedingt gewillt gewesen, S. zu ehelichen. Gleichzeitig mit ihm habe sich der Landwirt Ernst B., den sie aus der ostpreußischen Heimat gekannt habe und der in guten Verhältnissen lebe, um sie beworben. Wenn S. ihr nicht das Scheidungsurteil mit dem Rechtskraftzeugnis vorgelegt hätte, würde sie B. geheiratet haben. Wäre sie indes ledig geblieben, so könnte sie auf Grund ihrer Ausbildung und ihrer Fähigkeiten ein gutes Auskommen als Wirtschafterin haben. Als S.'s Frau sei sie infolge der Unterhaltsansprüche der ersten Ehefrau sowie der Kosten der Prozesse von S. in drückendste Not geraten. Im Jahre 1955 sei das Gehalt zu einem großen Teil gepfändet und abgetreten gewesen. Der Rest habe für den angemessenen Unterhalt einer vierköpfigen Familie nicht ausgereicht. Sie, die Klägerin, habe infolgedessen nicht das Nötigste zum Leben gehabt und sei 1955 um 1.200,– DM, wenn nicht um das Doppelte, zu kurz gekommen. Die Not dauere noch an.
Die Klägerin hat vor dem Landgericht beantragt, das beklagte Land zu verurteilen, ihr 1.200,– DM nebst Zinsen seit dem 1. Januar 1956 zu zahlen; sie hat weiter die Feststellung begehrt, daß das beklagte Land verpflichtet sei, ihr allen Schaden zu ersetzen, der ihr nach dem 31. Dezember 1955 dadurch entstanden sei oder entstehe, daß ihr Ehemann auch noch mit Frau Grete S. verheiratet war oder daß ihre Ehe als Doppelehe für nichtig erklärt werde.
Das beklagte Land hat gebeten, die Klage abzuweisen. Es hat sich darauf berufen, daß D. keine Amtspflichten gegenüber der Klägerin gehabt habe. Eine Pflichtwidrigkeit falle ihm nicht zur Last. Er habe sich von dem Landgerichtsrat V. beraten lassen und ohne Verschulden die Zuständigkeit des Landgerichts in Kleve annehmen und die Rechtskraft des Scheidungsurteils für nachgewiesen halten dürfen. Selbst wenn das Rechtskraftzeugnis nicht erteilt worden wäre, würde die Klägerin S. und nicht B. geheiratet, der Standesbeamte in H. auch die Trauung vorgenommen haben. Die Klägerin könne S. auf Schadensersatzanspruch in Anspruch nehmen. Die Klageansprüche seien verjährt, der bezifferte Anspruch übersetzt.
Das Landgericht hat das beklagte Land – unter Abweisung der weitergehenden Klage – zur Zahlung von 494,– DM nebst 4 % Zinsen seit dem 27. März 1956 verurteilt und der Feststellungsklage stattgegeben. Beide Parteien haben Berufung eingelegt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des beklagten Landes zurückgewiesen und auf die Berufung der Klägerin das landgerichtliche Urteil hinsichtlich des Zahlungsanspruchs dahin geändert, daß das beklagte Land antragsgemäß zur Zahlung von 1.200,– DM nebst 4 % Zinsen seit dem 27. März 1956 an die Klägerin verurteilt worden ist.
Hiergegen richtet sich die Revision des beklagten Landes, das die Abweisung der Klage, hilfsweise, die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht erstrebt. Die Klägerin bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Nach dem Tatbestand des Berufungsurteils leitet die Klägerin die Klageansprüche aus eigenem Recht sowie aus einer Abtretung von Ansprüchen S.'s her. Jedoch sind Ansprüche, die in der Person von S. entstanden und durch Abtretung auf die Klägerin übergegangen sein könnten, nicht in Streit. Die Klägerin hat in der Klagebegründung erklärt, ihrer Schadensersatzklage seien durch den Armenrechtsbeschluß des Landgerichts vom 28. Februar 1956 – der ihr das Armenrecht versagt hatte, soweit sie abgetretene Ansprüche S.'s geltend zu machen beabsichtigte – Schranken gezogen. Demgemäß hat sie den im Armenrechtsverfahren angekündigten Antrag eingeschränkt und mit der Klage lediglich ihren Ausfall an standesgemäßem Unterhalt im Jahre 1955 gefordert und weiter die Feststellung begehrt, daß das beklagte Land zum Ersatz aller Schäden verpflichtet sei, die ihr aus der Doppelehe entstanden seien oder entstehen würden. Gegenstand der Klage sind hiernach ausschließlich Ansprüche, die nur in der Person der Klägerin entstanden sein können. Da der Umfang der gerichtlichen Erörterung und Entscheidung in allen Rechtszügen durch die Anträge der Parteien begrenzt wird (§§ 308, 525, 559 ZPO), entfällt hier eine Prüfung, ob der vorgetragene Sachverhalt Ansprüche S.'s gegen das beklagte Land begründet, die im Wege der Abtretung auf die Klägerin übergegangen sein könnten.
II.
Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß das Rechtskraftzeugnis vom 18. Februar 1947 inhaltlich unrichtig sei.
Es hat eine schuldhafte Pflichtwidrigkeit darin gesehen, daß das Zeugnis ohne die gebotene sorgfältige Prüfung erteilt worden sei, und angenommen, daß der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Landgerichts in Kleve damit auch Amtspflichten verletzt habe, die ihm der Klägerin gegenüber oblagen. Denn – so führt das Berufungsurteil weiter aus – mit dem Zeugnis über die Rechtskraft eines Scheidungsurteils erbringe der geschiedene Ehegatte, wenn er sich wieder verheiraten wolle, gegenüber seinem neuen Partner und gegenüber dem Standesbeamten den Beweis, daß seine frühere Ehe aufgelöst sei und der neuen Ehe kein Hindernis aus § 5 SheG entgegenstehe. Diesen Beweis zu ermöglichen, sei mit Sinn und Zweck des Zeugnisses. Die Amtspflicht, über einen Antrag auf Erteilung des Rechtskraftzeugnisses für ein Scheidungsurteil richtig zu entscheiden, bestehe somit auch dem neuen Verlobten des geschiedenen Ehegatten gegenüber, weil dessen Rechtskreis durch die Erteilung des Zeugnisses unmittelbar berührt werde.
1.) Die Revision greift diese Rechtsauffassung, wenn auch mit unzutreffender Begründung, im Ergebnis mit Recht an.
Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGZ 140, 424, 427; 147, 142, 143), der sich der erkennende Senat angeschlossen hat (BGHZ 1, 388, 394; 10, 389; 18, 110, 113; 20, 53, 55), ist die Frage, ob eine Amtspflicht lediglich im Interesse der Allgemeinheit oder ob sie auch im Interesse von einzelnen Personen und gegebenenfalls welchen Personen gegenüber sie begründet worden ist, unter Berücksichtigung des Amtskreises des Beamten und der Art des Amtsgeschäftes, das er verrichtet, zu beurteilen. Dabei ist entscheidend der Zweck, dem die Amtspflicht ihrer Natur und ihrem Inhalt nach dienen soll; dieser Zweck ergibt sich grundsätzlich aus der die Amtspflicht begründenden Bestimmung. Eine Amtspflicht, die hiernach auf einen bestimmten Kreis von Personen beschränkt ist, liegt dem Beamten nicht gegenüber anderen Personen ob, mögen auch deren Belange durch spätere Nachwirkungen der Amtshandlung betroffen werden (RGZ 147, 142, 143; LM Nr. 43 zu § 839 (C) BGB). So aber liegt es hier.
Das Rechtskraftzeugnis des § 706 ZPO wird von der Geschäftsstelle nur auf Antrag erteilt. Antragsberechtigt sind die Prozeßbeteiligten, also die Parteien (Rosenberg, Lehrbuch 7. Aufl., § 147 IV S. 705; Stein/Jonas/Pohle ZPO 18. Aufl., zu § 706 Anm. V), auch die Streitgehilfen (Wieczorek ZPO zu § 706 Anm. B 1). Ob darüber hinaus auch ein unbeteiligter Dritter, der das Urteil in Händen hat, antragsberechtigt ist (so Baumbach/Lauterbach ZPO 24. Aufl. zu § 706 Anm. 2 B), kann hier dahingestellt, bleiben, weil die Klägerin das Rechtskraftzeugnis weder beantragt noch erhalten hat, vielmehr S. das Zeugnis schon hatte, ehe er die Klägerin kennenlernte. Die Antragsberechtigung und die Pflicht zur Erteilung des Zeugnisses sind jedenfalls Ausfluß des zwischen dem Gericht und den Prozeßbeteiligten bestehenden Prozeßrechtsverhältnisses, wie die kostenrechtliche Behandlung zeigt; denn die Erteilung des Rechtskraftzeugnisses gehört zum „Prozessverfahren” (RGZ 131, 151, 153) und ist deshalb kostenfrei, weil durch die Prozeßgebühr des Gerichts abgegolten.
Der Zweck des Rechtskraftzeugnisses ist, den Prozeßbeteiligten den Nachweis zu ermöglichen, daß das fragliche Urteil in äußere Rechtskraft (§ 705 ZPO) erwachsen ist (Baumbach/Lauterbach zu § 706 Anm. 1 A; Rosenberg aaO), also durch ein Rechtsmittel nicht mehr angegriffen werden kann. Demgemäß beschränkt sich die Prüfung des Urkundsbeamten auf den Tatbestand der äußeren Rechtskraft (§ 706 Abs. 2 ZPO; vgl. Allg. Verfügung des Reichsjustizministers vom 15. September 1942 – DJ 606). Die Bedeutung des Zeugnisses liegt im Formellen, indem es – der Aufgabe und der Prüfung des Urkundsbeamten entsprechend – besagt, daß das am 28. Januar 1936 vom Landgericht in Königsberg verkündete Urteil unangefochten geblieben ist. Insoweit genießt es allerdings die Beweiskraft des § 418 ZPO (LM Nr. 1 zu § 706 ZPO), aber es sagt nichts über den Inhalt der Entscheidung, über die innere Bindung der Parteien an den Urteilsspruch oder über dessen materielle Richtigkeit oder Bestand aus, denn diese Umstände sind einer Prüfung des Urkundsbeamten unzugänglich. Der Urkundsbeamte hat das Rechtskraftzeugnis zu erteilen, wenn die äußere Rechtskraft des Urteils nachgewiesen ist, jede weitere sachliche Prüfung ist ihm verwehrt, er darf nicht einmal prüfen, ob und zu welchem Zwecke der Antragsteller das Zeugnis benötigt (RGZ 30, 336; Stein/Jonas/Pohle zu § 706 Anm. I; Wieczorek zu § 706 Anm. A II).
Wenn hiernach die Pflicht des Urkundsbeamten zur Vornahme des Amtsgeschäftes nur gegenüber einem bestimmten Personenkreise, dem der Antragsteller, besteht und der Umfang seiner Prüfung sich auf die Umstände beschränkt, die deren Interessen im Hinblick auf den Rechtsstreit betreffen, so muß der Kreis der geschützten „Dritten” notwendig und naturgemäß auf diejenigen Personen begrenzt sein, denen gegenüber das Amtsgeschäft vorzunehmen ist. Die Grundsätze, die das Reichsgericht zum Schutze derjenigen Personen, die auf den öffentlichen Glauben einer Beurkundung oder Beglaubigung vertrauen, entwickelt hat (RGZ 78, 241; 154, 276, 288), lassen sich auf ein Rechtskraftzeugnis nicht anwenden, weil dieses wegen seiner begrenzten formellen Bedeutung einen öffentlichen Glauben in Richtung auf den Inhalt der ergangenen Entscheidung nicht zu tragen vermag. Wenn das Berufungsgericht aus der üblichen Verwendung rechtskräftiger Eheurteile einen solchen öffentlichen Glauben – und damit auch besondere Amtspflichten des Urkundsbeamten – hergeleitet hat, so findet dies im Gesetz keine Stütze. Denn § 706 ZPO unterscheidet nicht zwischen vermogensrechtlichen und nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten, zwischen Leistungs- und Gestaltungsurteilen; die Pflichten und der Umfang der Prüfung des Urkundsbeamten sind vielmehr im einen wie im anderen Falle die gleichen. Daß die Geschäftsstelle eine abgekürzte Ausfertigung von rechtskräftigen Eheurteilen mit Rechtskraftvermerk dem Standesbeamten zu übersenden hat, vor dem die Ehe geschlossen worden war (§ 38 Abs. 5 Buchs. c AktO), berührt die Aufgaben des Urkundsbeamten gegenüber dem Antragsteller nicht und ist nicht geeignet, eine Sonderbetrachtung des dem Antragsteller erteilten Rechtskraftzeugnisses zu rechtfertigen; vielmehr zeigt gerade diese Bestimmung, daß der öffentliche Glaube in Sachen des Personenstandes nicht in dem Rechtskraftzeugnis des § 706 ZPO, sondern an anderer Stelle zu suchen ist. Mit Recht weist das Berufungsgericht darauf hin, daß für den künftigen Verlobten eines geschiedenen Ehegatten durchaus ein schutzwürdiges Interesse bestehen kann, sich Gewißheit darüber zu verschaffen, aus welchem Grunde und unter welchen Bedingungen die frühere Ehe gelöst worden ist. Diesem Bedürfnis dienen die Personenstandsbücher (§§ 60 ff Personenstandsgesetz) sowie die Akteneinsicht oder Auskunft aus den Gerichtsakten, die der Vorstand des Gerichts demjenigen gewähren kann, der ein rechtliches Interesse glaubhaft macht (§ 299 Abs. 2 ZPO). Ein Verlobter, der Zweifel an dem Wort des anderen hat, mag sich auf einem dieser Wege Gewißheit zu verschaffen suchen. Das Rechtskraftzeugnis des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ist hierzu weder bestimmt noch geeignet, weil es über den Inhalt der Entscheidung nichts besagt.
2.) Auch der von der Klägerin weiter angeführte Gesichtspunkt, D. habe außerhalb der Zuständigkeit seines Amtes gehandelt und damit die Pflicht zur Einhaltung seiner Zuständigkeit verletzt, die ihm als Amtspflicht jedem gegenüber obgelegen habe, führt die Klage nicht zum Erfolge.
Das Berufungsgericht hat hierzu ausgeführt: Zuständig für die Erteilung des Rechtskraftzeugnisses sei gemäß § 706 ZPO im Jahre 1947 die Geschäftsstelle des Landgerichts in König berg gewesen, bei dem allerdings die deutsche Gerichtsbarkeit nicht mehr ausgeübt worden sei. Erst § 4 Abs. 3 des Zuständigkeitsergänzungsgesetzes vom 7. August 1952 (BGBl I 407) habe die Zuständigkeit der Geschäftsstelle des Landgerichts in Kleve, in dessen Bezirk S. 1947 wohnte, begründet. Unter den außergewöhnlichen Verhältnissen des Jahres 1947, als eine baldige gesetzliche Regelung der Zuständigkeitsfrage noch nicht in Aussicht gestanden habe, könne es aber den befaßten Amtspersonen des Landgerichts in Kleve nicht als Verschulden angerechnet werden, wenn sie, um zu helfen, die später getroffene Zuständigkeitsregelung vorweggenommen und die Zuständigkeit ihres Landgerichts für gegeben erachtet hätten.
Dem ist in Ergebnis zuzustimmen. Allerdings verletzt ein Beamter, der die Grenzen seiner Zuständigkeit, die er kennen muß, überschreitet, in der Regel seine Amtspflichten. Wenn aber die Klägerin meint, D. hätte bei dem Antrage von S. auf die noch nicht geänderte Zuständigkeitsregelung in § 706 ZPO verweisen und es auf eine Anrufung des Gerichts (§ 576 ZPO) und gegebenenfalls Beschwerde ankommen lassen sollen, so zieht die Beklagte mit Recht in Zweifel, ob ein solches buchstabengetreues Verhalten seinen Amtspflichten gerecht geworden wäre. Der Senat hat wiederholt ausgesprochen, daß es auch eine dienstliche Aufgabe der Beamten ist, Helfer des Staatsbürgers zu sein und ihm zu einer Sachentscheidung zu verhelfen (BGHZ 15, 305; LM Nr. 9 zu § 839 (Fe) BGB). Diese Aufgabe bewährt sich gerade in unklaren und schwierigen Sach- und Rechtsverhältnissen, wie sie hinsichtlich der Zuständigkeit der Gerichte durch die Ereignisse des Jahres 1945 entstanden waren. Wenn die Begründung des Zuständigkeitsergänzungsgesetzes (Bundestagsdrucksache 1949 Nr. 3313 unter I S. 7) ausführt:
„In vielen Fällen ist es zwar der Rechtsprechung gelungen, durch eine den tatsächlichen Verhältnissen angepaßte Auslegung der Zuständigkeitsnormen diese Schwierigkeiten zu beheben”,
so folgt daraus, daß in dem verantwortungsgewußten Bemühen, eine praktisch brauchbare Lösung auch entgegen den nicht mehr anwendbaren Prozeßbestimmungen zu finden, für sich allein eine Amtspflichtverletzung nicht liegt. D. sah sich einer Gesetzeslage gegenüber, die den tatsächlichen Verhältnissen nicht mehr Rechnung trug. Wenn er sich unter diesen Umständen, nachdem er die Sache dem Landgerichtsrat V. und dem Landgerichtspräsidenten vorgelegt hatte, für befugt hielt, über den Antrag zu befinden, so handelte er nicht pflichtwidrig. Ebenso entfällt eine Pflichtwidrigkeit des Landgerichtspräsidenten und des Landgerichtsrats, jedenfalls fehlt es an einem Verschulden; denn sie suchten in einer unklaren Rechtslage den Weg, der sich aus der Sache heraus anbot, und kamen dabei zu einem Ergebnis, das später Gesetz wurde.
III.
Da das angefochtene Urteil sich auch mit anderer Begründung nicht halten läßt, muß es aufgehoben und die Klage unter teilweiser Abänderung des landgerichtlichen Urteils in vollem Umfange abgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Unterschriften
Dr. Geiger, Dr. Pagendarm, Dr. Weber, Dr. Beyer, Gähtgens
Fundstellen
Haufe-Index 1127361 |
BGHZ, 388 |
NJW 1960, 671 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 1960, 288 |
DVBl. 1960, 691 |