Leitsatz (amtlich)
Der Vermittler von Penny Stocks hat über die besonderen Risiken dieser Form der Geldanlage aufzuklären.
Normenkette
BGB § 276
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 20.06.1989) |
LG Ingolstadt (Urteil vom 21.12.1988) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 20. Juni 1989 aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Ingolstadt vom 21. Dezember 1988 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Beklagte vermittelte den Erwerb und die Veräußerung amerikanischer Billigaktien (Penny Stocks), die – als spekulative Anlageform – der Finanzierung insbesondere junger Unternehmen dienen. Dabei trat er regelmäßig als Kommissionär auf. Die Geschäftsabwicklung erfolgte über von ihm geführte Kundenkonten und -depots.
Im August 1985 sandte er dem Kläger auf dessen telefonische Anfrage eine Informationsbroschüre zu, in der er seine Agentur als Spezialisten auf dem Gebiet der Penny Stocks als Teil des over-the-counter (OTC)-market darstellte. In dem Prospekt hieß es „zur Sicherheit und Aufklärung” u.a.: „Alle Aktiengeschäfte sind spekulativ. Kursgewinne können wir daher nicht garantieren. Ebenso können wir Kursverluste nicht ausschließen.” Darüber hinaus fand sich der Hinweis: „An der OTC-Börse werden für Penny's zwei verschiedene Kurse genannt. Ask-Kurs: Zu diesem Kurs erwerben Sie Aktien. Bid-Kurs: Zu diesem Kurs geben Sie Aktien zurück. Bitte beachten Sie, daß bei ausgesprochenen Niedrigstwerten der Spread zwischen Bid und Ask bis 50 % betragen kann.”
In der Zeit zwischen Dezember 1985 und Mai 1986 kaufte der Kläger über den Beklagten Penny Stocks für insgesamt 80.800 DM. Bei der Veräußerung eines Teils dieser Papiere im Oktober 3986 erlöste er 1.314,22 DM. Die ihm verbliebenen Aktien hält er für wertlos.
Er nimmt deshalb den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch. Dabei beruft er sich darauf, daß ihn der Beklagte unzureichend und fehlerhaft über die Gegebenheiten des Handels mit Penny Stocks aufgeklärt habe.
Der Kläger hat beantragt, den Beklagten zur Zahlung von 80.800 DM nebst Zinsen zu verurteilen. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 79.485,78 DM nebst Zinsen stattgegeben. Das Berufungsgericht hat das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Revision.
Entscheidungsgründe
Da der Beklagte in der mündlichen Verhandlung trotz rechtzeitiger Ladung zum Termin nicht vertreten war, ist über die Revision antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden (§§ 331, 557 ZPO, vgl. BGHZ 37, 79, 81). Das Urteil beruht jedoch inhaltlich nicht auf einer Säumnisfolge, sondern auf einer Sachprüfung (BGH a.a.O. S. 82).
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung der Entscheidung des Landgerichts. Der Beklagte schuldet dem Kläger wegen mangelhafter Aufklärung Schadensersatz.
I.
Nach der Auffassung des Berufungsgerichts fehlt es an einer schuldhaften Pflichtverletzung des Beklagten. Der Beklagte habe nämlich annehmen dürfen, daß der Kläger – insbesondere wegen der Lektüre eines in der Zeitschrift „Pionier” veröffentlichten Artikels, auf den er sich bei seiner Kontaktaufnahme mit dem Beklagten bezogen habe – hinreichend über die Risiken des Penny-Stock-Markts und die Bedeutung des Spread als Provisionsrahmen für den eingeschalteten Broker unterrichtet gewesen sei.
II.
Das hält der revisionsrechtlichen Prüfung im Ergebnis nicht stand.
1. Der Beklagte war verpflichtet, den Kläger, der eine spekulative Geldanlage in Penny Stocks suchte, über die für eine Anlageentscheidung erheblichen Gesichtspunkte in Kenntnis zu setzen. Das steht auch zwischen den Parteien außer Zweifel. Der Beklagte hatte nämlich in der dem Kläger zugesandten Broschüre besonderes Vertrauen für sich in Anspruch genommen. Mit dem Hinweis, Spezialist für Kapitalanlagen in den USA und dabei namentlich für Penny Stocks zu sein, hatte er seine Beratung und Hilfe bei entsprechenden Spekulationsgeschäften in Aussicht gestellt, ohne dies von irgendwelchen einschlägigen Erfahrungen des betreuten Kunden abhängig zu machen. Das brachte schon im Vorfeld der vertraglichen Beziehungen der Parteien die Verpflichtung mit sich, dem Kläger ein zutreffendes Bild von den Chancen und Gefahren der vermittelten Geschäfte zu verschaffen, so daß er sachgerechte Entschlüsse fassen konnte (vgl. BGHZ 80, 80, 82; BGH, Urteil von 6. April 1981 – II ZR 84/80 = NJW 1981, 1440, 1441).
Der daraus sich ergebenden Informationspflichten ist der Beklagte nicht ausreichend nachgekommen.
2. Als unbegründet erweist sich allerdings die Auffassung des Klägers, der Beklagte habe den bei einem Wiederverkauf der Aktien maßgeblichen Preis unrichtig dargestellt, indem er den Eindruck erweckt habe, die von ihm angebotenen Penny Stocks könnten jedenfalls zu 50 % des Einstandspreises an den Broker zurückgegeben werden, über den sie gekauft worden seien. Das gilt unabhängig davon, ob der Kläger vor der Kontaktaufnahme mit dem Beklagten durch die Lektüre des in der Zeitschrift „Pionier” erschienenen Artikels bereits einen gewissen Einblick in die Marktverhältnisse gewonnen hatte, der der Annahme irgendwelcher Risikobeschränkungen entgegenstehen mußte.
Die Informationsbroschüre des Beklagten enthielt Hinweise zur technischen Abwicklung von Kauf- und Verkaufsgeschäften. In diesem Zusammenhang wurden zwei verschiedene Aktienkurse, nämlich der ask-price („zu diesem Kurs können Sie vom Broker Aktien erwerben”) und der bid-price („zu diesem Kurs nimmt der Broker die Aktien zurück”) genannt. Das entsprach einer bereits an anderer Stelle erteilten Information („Ask-Kurs: Zu diesem Kurs erwerben Sie Aktien”, „Bid-Kurs: Zu diesem Kurs geben Sie Aktien zurück”). Daraus ergab sich, daß der Kaufpreis und der Verkaufserlös für Aktien eines bestimmten Unternehmens grundsätzlich differierten. Wie weit beides auseinanderfallen konnte, kam in dem Satz „Bitte beachten Sie, daß bei ausgesprochenen Niedrigstwerten der Spread zwischen Bid und Ask bis 50 % betragen kann” zum Ausdruck. Insofern wurde kein festes, sondern ein weithin variables Größenverhältnis zwischen dem Brief- und dem Geldkurs genannt, wobei allerdings offenblieb, ob die schließlich gezogene 50 %-Grenze in der Abweichung beider Kurse auf der Grundlage des Kauf- oder des Verkaufspreises berechnet war. Eine weitergehende Annahme dahin, der Wiederverkaufswert sei für alle Zeit auf wenigstens die Hälfte des Erwerbspreises festgeschrieben, wurde durch diese Ausführungen nicht geweckt. Sie lag angesichts des Hinweises auf den spekulativen Charakter von Aktiengeschäften und die Möglichkeit von „Kursverlusten” auch so fern, daß es einer Klarstellung nicht bedurfte.
3. Der Beklagte hat auch nicht dadurch gegen seine Aufklärungspflichten verstoßen, daß er den Kläger nicht auf die praktischen Auswirkungen aufmerksam machte, die mit einem erheblichen Unterschied zwischen dem Geld- und dem Briefkurs verbunden waren und darin lagen, daß Spekulationsgewinne frühestens dann erzielt werden konnten, wenn der Spread durch die Kursentwicklung aufgeholt wurde (a.A. Rössner/Lachmair BB 1986, 336; 339). Beim Vertrieb von Terminoptionen ist eine Aufklärung durch den Vermittler auch über die finanziellen Auswirkungen einer bereits offengelegten Preisgestaltung regelmäßig deshalb verlangt worden, weil der Vermittler die am ursprünglichen Handelsplatz vorgegebene Situation durch ganz erhebliche hinzutretende Gebühren verfälscht hatte und auf diese Weise die Grundlagen eines an sich nicht aussichtslosen Geschäfts entscheidend beeinträchtigt worden waren (vgl. BGH, Urteile vom 5. November 1984 – II ZR 38/84 = NJW 1986, 123, 124 und vom 20. März 1986 – II ZR 141/85 = WM 1986, 734; vgl. auch Senatsbeschluß vom 17. Oktober 1989 – XI ZR 182/88 = WM 1990, 61 und Senatsurteil vom 27. November 1990 – XI ZR 115/89 = WM 1991, 127, 129). So war es hier nicht. Der Spread, der die Gewinnmöglichkeiten im vorliegenden Fall schmälerte, entsprach den Gegebenheiten des Ursprungsmarkts; der Beklagte vermittelte Billigaktien grundsätzlich zu den in den USA marktüblichen Bedingungen und Preisen (vgl. Schlüter NStZ 1985, 169, 171). Im Hinblick auf die nicht selten hohen Kursausschläge von Penny Stocks blieben für einen Anleger im übrigen auch mehr als nur theoretische Gewinnerwartungen.
4. Der Beklagte hat jedoch seine Aufklärungspflichten schuldhaft dadurch verletzt, daß er durch die Hinweise auf die Risiken der Kapitalanlage in („normalen”) Aktien die besonderen Gefahren der Spekulation in Penny Stocks verschleierte.
a) In diesem Zusammenhang ist allein auf den Inhalt der vom Beklagten herausgegebenen und dem Kläger übersandten Informationsbroschüre abzustellen. In ihr umreißt er aus seiner Sicht die Chancen und Risiken der Geldanlage in diesen Papieren. Ob ein anderer Autor in der Zeitschrift „Pionier” die Gefahren unter Hinweis auf die Ungewisse Entwicklung der noch in der Gründungsphase befindlichen emittierenden Unternehmen als besonders hoch dargestellt hat, ist unerheblich. Maßgebend kann nur die Aufklärung sein, die der Kläger unter Berufung auf seine besondere Sachkunde mit dem Ziel gegeben hat, Kunden für diese Anlageart „mit den besten Steigerungschancen” zu gewinnen. Wer wie der Beklagte unter Hinweis auf seine Spezialisierung auf Kapitalanlagen in den USA wirbt und für sich in Anspruch nimmt, er habe „das Wissen und die Erfahrung, die notwendig sind, um die Tendenzen in der technologischen Entwicklung zu erkennen und entsprechende Anlageentscheidungen zu treffen”, der kann sich nicht darauf berufen, ein Kunde habe von dritter Seite bessere Informationen über die allgemeinen Risiken erhalten. Im übrigen hat der Kläger ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung vor dem Berufungsgericht die Kenntnis dieses Artikels bestritten; die Behandlung dieser Kenntnis im Berufungsurteil als unstreitig ist damit unzutreffend. Die entscheidenden Unterschiede zwischen an der Aktienbörse gehandelten Papieren und Werten, die am OTC-Markt gehandelt werden, zeigt schließlich auch der genannte Artikel nicht auf.
b) Nach den Ausführungen in der Informationsbroschüre des Beklagten und den in ihr enthaltenen Hinweisen auf den Aktienmarkt, die „Börse” und die laufende Veröffentlichung von Kursen wurde bei dem Leser der Eindruck erweckt, die Kursentwicklung werde am OTC-Markt wie an der Börse allein nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage, also durch die Einschätzung der allgemeinen Wirtschaftslage und des Unternehmenswertes bestimmt, für den die konkrete Aktie Anteilsrechte verkörpert. Zugleich wurde die Vorstellung genährt, hier wie dort sei durch Konzentration von Angebot und Nachfrage auf eine funktionsfähige Börse die tatsächliche Bildung von Kursen und damit die Verkäuflichkeit der erworbenen Papiere sichergestellt. Damit werden wesentliche Zusatzrisiken des OTC-Marktes – vor allem beim Handel mit Penny Stocks – verschwiegen:
aa) Penny Stocks werden häufig nur über ein einzelnes Brokerhaus vertrieben (vgl. Cosandey WiK 87/2, 50, 51; Rössner/Lachmair a.a.O.). Ob und zu welchem Kurs dieses Brokerhaus den Handel mit einem bestimmten Papier aufrecht erhält, ist ungewiß. Damit steht und fällt aber die Möglichkeit, das einmal erworbene Papier ohne weiteres wieder zu veräußern. Der Beklagte hat dieses erhebliche Risiko nicht etwa durch geeignete Auswahl vermieden. Nach seinem eigenen Vortrag ist vielmehr über das Vermögen des einzigen Brokers, der die vom Kläger für 16.400 $ erworbenen Bemax-Aktien vertrieb, das Konkursverfahren eröffnet, so daß für dieses Papier kein Market Maker mehr vorhanden ist.
bb) Selbst wenn Penny Stocks von mehreren Brokern vertrieben werden, bietet dies keine Gewähr für einen effektiven breiten Markt, der eine realistische Preisbildung gewährleistet. Die für die meisten OTC-Titel typische Marktenge begünstigt im Gegenteil Kursmanipulationen durch Broker und Inhaber größerer Aktienpakete (vgl. Cosandey WiK 8/85, 143, 144 Breuer/Rettberg, Kapitalanlage USA 1990 S. 166 f.; für den vergleichbaren britischen OTC-Markt ferner Rössner/Lachmair a.a.O. S. 342; zu den Möglichkeiten im einzelnen vgl. v. Ungern-Sternberg ZStW 1976, 653, 658 ff.). Das bedeutet für den Anleger ein unkontrollierbares zusätzliches Risiko, welches in keinem Zusammenhang mit der Ungewißheit über den wirtschaftlichen Erfolg der emittierenden Aktiengesellschaft steht.
cc) Der in der Broschüre des Beklagten enthaltene Hinweis auf die Verfolgbarkeit der Kurse von ihm vermittelter Aktien in den einschlägigen Veröffentlichungen täuscht über die Tatsache hinweg, daß die dort veröffentlichten Kurse überwiegend auf den Kursangaben der als Market Maker fungierenden Broker beruhen, ohne daß den genannten Kursen tatsächliche Abschlüsse zugrunde liegen müßten. Soweit der Beklagte daneben ohne nähere Erläuterung auf die Abrufbarkeit von Kursen über das – von der National Association of Securities Dealers unterhaltene – NASDAQ-Computersystem (vgl. dazu Schlüter NStZ 1986, 179, 180; im einzelnen Wilson in NASDAQ Handbook 1987 S. 513 ff.) verweist, erweckt er bei besser informierten Kunden den Eindruck, sie profitierten von der höheren Kurswahrheit dieses Systems. An keiner Stelle der Broschüre wird jedoch behauptet oder gar gewährleistet, daß nur oder in nennenswertem Umfang über dieses Computer-System gehandelte Titel angeboten werden.
5. Die Aufklärungsbroschüre des Beklagten läßt damit den Kunden über das extrem gesteigerte Risiko der Geldanlage in Penny Stocks im unklaren und vermittelt statt dessen den unzutreffenden Eindruck, diese billigen Papiere böten im Vergleich zu anderen – an der Börse gehandelten – Aktien „die besten Steigerungschancen”, der Kunde gehe ein „kalkuliertes Risiko” ein, man solle sich allerdings „der Unterschiede gegenüber festverzinslichen oder ähnlichen Anlagen bewußt sein”. Der Kläger hat behauptet, er hätte keine Penny Stocks erworben, wenn das Risiko nicht in dieser Weise verniedlicht, sondern zutreffend dargestellt worden wäre. Die Darlegungs- und Beweislast für das Gegenteil trägt der Beklagte (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 1988 – II ZR 302/87, WM 1988, 1031 m.w.Nachw.).
Der Kläger ist danach so zu stellen, wie er ohne die mit dem Beklagten abgeschlossenen Geschäfte gestanden hätte. Der Beklagte hat ihm deshalb alle Verluste zu ersetzen, die ihm durch den Kauf der Penny Stocks entstanden sind. Da sich alle noch vorhandenen Aktien nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Klägers in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht bereits wieder beim Beklagten befinden, kommt es auf einen etwaigen Restwert dieser Papiere und dessen Realisierbarkeit nicht an. Das landgerichtliche Urteil war deshalb wiederherzustellen.
Unterschriften
Schimansky, Dr. Halstenberg, Dr. Schramm, Dr. Bungeroth, Nobbe
Fundstellen
Haufe-Index 1392087 |
BB 1991, 929 |
NJW 1991, 1108 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 1991, 297 |
ZBB 1991, 109 |