Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob die Tilgung eines Überziehungskredits eine inkongruente Deckung darstellt.
Normenkette
KO § 71 Abs. 1, § 73 Abs. 3; GesO § 1 Abs. 2, §§ 20, 22 Abs. 4; ZPO § 281 Abs. 2; KO § 30 Nr. 2
Verfahrensgang
OLG Naumburg (Entscheidung vom 27.02.1997) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 27. Februar 1997 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung von mehr als 1,1 Millionen DM zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 3. Mai 1996 verurteilt worden ist.
In diesem Umfang wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die A. GmbH (nachfolgend: Gemeinschuldnerin) unterhielt bei der beklagten Bank ein im Kontokorrent geführtes Girokonto sowie zwei Darlehenskonten. Die Beklagte hatte ihrer Kundin gemäß Vertrag vom 16. Februar 1995 einen Kredit in Höhe von 700.000 DM auf dem Girokonto zur Verfügung gestellt. Dieses Konto stand am 28. Februar 1995 mit mehr als 3,5 Mio DM im Soll, weil im Einvernehmen mit der Beklagten über dieses Konto auch ein Bauvorhaben der „M. & K. A. GbR – Grundstücksverwaltung –” (nachfolgend: GbR) abgewickelt wurde.
An diesem Tage beantragte die Gemeinschuldnerin, die eine Tochter der in B. ansässigen A. KG ist und zu einem Verbund von insgesamt zehn Gesellschaften gehört, beim AG Halle an der Saale die Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens. In dem Antrag wies sie darauf hin, daß bereits Antrag auf Eröffnung des Vergleichsverfahrens über das Vermögen der übrigen zur Unternehmensgruppe gehörenden Gesellschaften beim AG Herford gestellt worden war. Das AG Halle verwies die Sache an das AG Herford. Dieses eröffnete am 28. März 1995 das Anschlußkonkursverfahren und bestimmte den Kläger zum Verwalter.
Die Beklagte bewilligte der GbR am 21. Februar 1995 einen Kredit über 3 Mio DM, der dazu dienen sollte, die bei dem Bauvorhaben entstandene Finanzierungslücke zu decken. Die GbR überwies auf das Girokonto der Gemeinschuldnerin 1,9 Mio DM, die am 1. März 1995, sowie 1,1 Mio DM, die am 8. März 1995 gutgeschrieben und von der Beklagten mit dem bestehenden Sollsaldo verrechnet wurden. Ab dem 1. März 1995 ließ die Beklagte keine neuen Kontobelastungen mehr zu. Mit Schreiben vom 8. März 1995 kündigte sie die Geschäftsverbindung mit der Gemeinschuldnerin fristlos.
Der Kläger hat von der Beklagten Rückzahlung des auf dem Girokonto verrechneten Betrages von 3 Mio DM verlangt. Er stützt sein Begehren in erster Linie auf die Vorschriften der Gesamtvollstreckungsordnung und macht hilfsweise geltend, die Verrechnungen seien nach § 30 Nr. 1 2. Halbs. und Nr. 2 KO anfechtbar. Die Beklagte behauptet, sie habe vor dem 8. März 1995 weder den Konkursantrag noch die Zahlungseinstellung der Gemeinschuldnerin gekannt. Die Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Der Senat hat die Revision der Beklagten nur angenommen, soweit sie die am 1. März 1995 erteilte Gutschrift von 1,9 Mio DM betrifft.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt im Umfang ihrer Annahme zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist das Klagebegehren nach den Vorschriften der Gesamtvollstreckungsordnung zu beurteilen. Durch den Verweisungsbeschluß sei lediglich die örtliche Zuständigkeit des AG Herford bestimmt worden. Das im Insolvenzverfahren anzuwendende materielle Recht richte sich jedoch nach dem Sitz der Gemeinschuldnerin, der sich in Halle an der Saale, im Geltungsbereich der Gesamtvollstreckungsordnung, befinde. Die nach Eingang des Antrags auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens erfolgte Verrechnung sei gemäß § 394 BGB i.V.m. § 2 Abs. 4 GesO unwirksam (vgl. BGH, Urt. v. 18. April 1996 – IX ZR 206/95, ZIP 1996, 1015).
Diesen Erwägungen folgt der Senat nicht. Im Streitfall gelangen ausschließlich die Vorschriften der Konkursordnung zur Anwendung.
1.
Das AG Herford hat über das Vermögen der Gemeinschuldnerin das Konkursverfahren eröffnet. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut des Beschlusses vom 28. März 1995, der die einschlägigen Begriffe der Konkursordnung verwendet und sich auf deren Vorschriften bezieht. Es ist zwischen den Parteien auch nicht streitig, daß das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin bisher tatsächlich nach den Bestimmungen der Konkursordnung durchgeführt worden ist.
2.
Ein wirksamer Eröffnungsbeschluß hat zur Folge, daß das Verfahren insgesamt ausschließlich nach den Vorschriften der Konkursordnung abzuwickeln ist und sich alle mit der Insolvenz der Gemeinschuldnerin verbundenen rechtlichen Fragen – seien sie verfahrensrechtlicher oder materiell-rechtlicher Art – nach den Bestimmungen der Konkursordnung richten.
a)
Ein Konkursverfahren erfaßt auch das im Geltungsbereich der Gesamtvollstreckung befindliche Vermögen (§ 22 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 GesO). In entsprechender Weise erstreckt sich ein Gesamtvollstreckungsverfahren auf das Vermögen des Schuldners in den alten Bundesländern (Einigungsvertrag Anl. II Kap. III Sachgeb. A Abschn. II Nr. 1 d). Diese Bestimmungen bringen zum Ausdruck, daß beide Insolvenzordnungen gleichrangige Bestandteile des Rechtssystems der Bundesrepublik Deutschland sind und die nach diesen Gesetzen eröffneten Verfahren sich uneingeschränkt auf das jeweils andere Teilgebiet des Staates erstrecken. Folglich sind alle Rechtswirkungen der Eröffnung eines Konkursverfahrens ausschließlich nach den Bestimmungen der Konkursordnung zu beurteilen; entsprechend finden im Gesamtvollstreckungsverfahren nur die Bestimmungen der Gesamtvollstreckungsordnung Anwendung. Es ist nicht nur ohne Bedeutung, in welchem Teilgebiet Deutschlands die einzelne Rechtshandlung vorgenommen wurde (BGH, Beschl. v. 28. September 1995 – IX ZR 197/94, BGHR DDR-GesO § 22 Abs. 4 Anfechtungsstatut 1); es kommt auch nicht darauf an, ob das Verfahren richtigerweise in dem der anderen Insolvenzordnung unterliegenden Gebiet hätte eröffnet und damit deren Vorschriften hätte unterstellt werden müssen. Ist ein rechtskräftiger Eröffnungsbeschluß ergangen, kann die interlokale Zuständigkeit nicht mehr in Frage gestellt werden (Arnold in: Nachtrag „Gesamtvollstreckungsordnung” zum Insolvenzrechts-Handbuch Kap. XI B Rdnr. 28, 43). Da die Insolvenzgerichte der alten Bundesländer für die von ihnen eröffneten Verfahren ausschließlich die Konkursordnung anzuwenden haben, während demgegenüber im Beitrittsgebiet nur die Gesamtvollstreckungsordnung maßgeblich ist, steht mit der Rechtskraft des Eröffnungsbeschlusses unabänderlich fest, daß nur eines der beiden Gesetze das Verfahren und die Beziehungen der Beteiligten regelt (vgl. Arnold, aaO Rdnr. 9, 43, 47).
b)
Diese pauschale Geltung jeweils nur einer Insolvenzordnung ist auch sachlich gerechtfertigt. Beide Gesetze enthalten – trotz des fragmentarischen Charakters der Gesamtvollstreckungsordnung – ein in sich geschlossenes Normengefüge. Würde man sie bei einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens im „falschen” Teilgebiet in der Weise zerreißen, daß zwar das Verfahrensrecht des Gesetzes, nach dessen Bestimmungen der Eröffnungsbeschluß ergangen ist, angewendet werden muß, alle materiell-rechtlichen Fragen sich jedoch nach den bei verfahrensrechtlich richtiger Behandlung des Eröffnungsantrags geltenden Normen richten, entstünde daraus infolge der vielen Zweifelsfragen, die bei einer solchen Spaltung der Gesetze notwendigerweise aufträten, große Rechtsunsicherheit. Dadurch würde die Abwicklung des Insolvenzverfahrens in einer für den Verwalter und die Gläubigergesamtheit unzumutbaren Weise erschwert. Deshalb richtet sich auch die Anfechtung einer Rechtshandlung stets allein nach der Insolvenzordnung des Gebietes, in dem das Verfahren eröffnet worden ist (BGH, Beschl. v. 28. September 1995, aaO).
3.
Der Eröffnungsbeschluß des AG Herford ist wirksam.
a)
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, daß das Prozeßgericht den rechtskräftigen Beschluß über die Konkurseröffnung als gültig hinzunehmen hat; denn dieser kann als in dem dafür vorgesehenen Verfahren ergangener hoheitlicher Akt Geltung gegenüber jedermann beanspruchen, sofern die Entscheidung nicht ausnahmsweise an einem Mangel leidet, der zur Nichtigkeit führt (RGZ 129, 390, 392; 136, 97, 99; BGHZ 113, 216, 218). Demzufolge ist es grundsätzlich nicht möglich, im Prozeßwege geltend zu machen, die Eröffnung des Konkursverfahrens sei unzulässig gewesen, unabhängig davon, auf welche Gründe dieser Einwand gestützt wird. Wegen der vielfältigen Rechtswirkungen, die von einer Konkurseröffnung ausgehen, ist es schon aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit geboten, den entsprechenden Beschluß nur ganz ausnahmsweise als nichtig zu behandeln. Dies kommt hauptsächlich dann in Betracht, wenn ein Mangel vorliegt, der dem Akt schon äußerlich den Charakter einer richterlichen Entscheidung nimmt (vgl. dazu Senatsurt. v. 23. Oktober 1997 – IX ZR 249/96, WM 1997, 2319, 2320 ff, z.V.b. in BGHZ). Infolgedessen hat der Bundesgerichtshof selbst den eine nicht konkursfähige Gesellschaft betreffenden Eröffnungsbeschluß als wirksam behandelt (BGHZ 113, 216).
b)
Der Eröffnungsbeschluß des AG Herford leidet nicht an einem Mangel, der zur Nichtigkeit führt.
aa)
Allerdings war der Verweisungsbeschluß des AG Halle rechtswidrig. Die Gemeinschuldnerin hatte den Mittelpunkt ihrer geschäftlichen Tätigkeit und damit ihren Sitz allein in Halle an der Saale, also in den neuen Bundesländern. Daher hätte das dortige Amtsgericht den Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens in der Sache bescheiden müssen. Daß die Gemeinschuldnerin zu einem Unternehmensverbund gehört, dessen Muttergesellschaft im Geltungsbereich der Konkursordnung ansässig ist, gewinnt zuständigkeitsrechtlich keine Bedeutung; denn die maßgeblichen Vorschriften (§§ 71 Abs. 1 KO, 1 Abs. 2 GesO, 17 Abs. 1 ZPO) stellen darauf nicht ab. Jedoch ist der Verweisungsbeschluß des zunächst angerufenen Gerichts – auch wenn das Verfahren dadurch aus dem Geltungsbereich der Gesamtvollstreckungsordnung in denjenigen der Konkursordnung gelangt – grundsätzlich gemäß § 281 Abs. 2 Satz 5 ZPO i.V.m. § 72 KO bindend (BGHZ 132, 195, 196 f). Würde man hier eine solche Bindung ausnahmsweise verneinen, so läge darin, daß das AG Herford gleichwohl – unangefochten – das Konkursverfahren eröffnet hat, kein die Nichtigkeit des ergangenen Beschlusses begründender Fehler; denn dieser bestände lediglich in der unzutreffenden Behandlung einer nicht leicht zu beantwortenden Rechtsfrage.
bb)
Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb geboten, weil die Eröffnung des Verfahrens zur Folge hat, daß insgesamt an die Stelle der Gesamtvollstreckungsordnung, die vom an sich zuständigen AG Halle anzuwenden gewesen wäre, die Vorschriften der Konkursordnung treten. Beide Insolvenzordnungen sind gleichrangige Bestandteile des Rechtssystems der Bundesrepublik Deutschland und verfolgen im wesentlichen dieselben Zwecke und Ziele. Trotz bedeutsamer Unterschiede in Einzelpunkten weichen beide Verfahrensordnungen indessen nicht so grundlegend voneinander ab, daß es für die Beteiligten von vornherein unzumutbar wäre, statt den bei ordnungsgemäßem Verfahren geltenden Vorschriften der Gesamtvollstreckungsordnung nunmehr den Bestimmungen der Konkursordnung unterworfen zu sein.
Unzumutbar ist diese Rechtsfolge auch deshalb nicht, weil der Verweisungsbeschluß des mit dem Eröffnungsantrag angegangenen Gerichts mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden kann (§§ 20 GesO, 73 Abs. 3 KO). Die Bestimmung des § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO steht dem nicht entgegen; denn diese Vorschrift soll nur verhindern, daß die gerichtliche Behandlung der Sache selbst wegen eines Streits über die Zuständigkeit verzögert wird, der für die Zulässigkeit und Begründetheit des Begehrens im übrigen keine Bedeutung hat. Bewirkt die Verweisung dagegen, daß statt der Gesamtvollstreckungsordnung die Konkursordnung gilt – oder anstelle der Konkursordnung die Gesamtvollstreckungsordnung anzuwenden ist –, können davon Rechte der Beteiligten in ihrem Bestand betroffen sein. Solche Wirkungen hat der Gesetzgeber mit der Regelung des § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht beabsichtigt. Ob – unbeschadet der Bestimmung des § 109 KO – auch ein Rechtsmittel gegen den Eröffnungsbeschluß zulässig und geboten ist oder schon die Aufhebung des Verweisungsbeschlusses dem Eröffnungsbeschluß die rechtliche Grundlage entzieht, bedarf hier keiner Entscheidung.
II.
Das Berufungsgericht meint in einer Hilfserwägung, die Anfechtungstatbestände des § 30 Nr. 1 2. Halbs. und des § 30 Nr. 2 KO seien erfüllt. Selbst wenn die Beklagte erst am 8. März 1995 Kenntnis von der Zahlungseinstellung erlangt habe, sei die Verrechnung nach § 30 Nr. 2 KO anfechtbar, weil sie noch innerhalb der Zehn-Tages-Frist gelegen habe. Hinsichtlich des § 30 Nr. 1 2. Halbs. KO fehle es an einer nachvollziehbaren Erklärung der Beklagten dafür, aus welchem Sicherungsbedürfnis heraus sie bereits ab 1. März 1995 die Einstellung von Sollbuchungen angeordnet habe. Hierfür sei die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig.
Diese Auffassung greift die Revision zu Recht an.
1.
Die Beklagte hat eine Deckung im Wege der Gutschrift vom 1. März 1995 nach Zahlungseinstellung erhalten. Die Anfechtung gemäß § 30 Nr. 2 KO setzt indes voraus, daß der Gläubiger auf die gewährte Befriedigung keinen Anspruch hat. Die durch die Gutschrift bewirkte Verrechnung ist inkongruent, wenn an diesem Tage keine fällige Forderung der Beklagten gegen die Gemeinschuldnerin aus dem Kreditverhältnis bestand (vgl. BGH, Urt. v. 11. Mai 1989 – IX ZR 222/88, ZIP 1989, 785, 787; Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl. § 30 Rdnr. 274; Kuhn/Uhlenbruck, KO 11. Aufl. § 30 Rdnr. 46 a; Canaris in: Staub, HGB 4. Aufl. Bankvertragsrecht Rdnr. 499; Obermüller, Handbuch Insolvenzrecht für die Kreditwirtschaft 4. Aufl. Rdnr. 467).
a)
Die Beklagte hat vorgetragen, der Gemeinschuldnerin auf dem Girokonto über den bewilligten Kredit von 700. 000 DM hinaus lediglich einen Überziehungsspielraum gewährt zu haben. Der Kläger hatte demgegenüber in der Klageschrift behauptet, die Beklagte habe der Gemeinschuldnerin einen Sonderkredit in Höhe von 3 Mio DM eingeräumt, hat diesen in der Berufungsinstanz allerdings auch als Überziehungskredit bezeichnet. Da das Berufungsgericht dazu keine Feststellungen getroffen hat, ist revisionsrechtlich vom Vorbringen der Beklagten auszugehen.
b)
Der Begriff „Überziehungskredit” hat keinen rechtlich fest umrissenen Inhalt. Er wird in der Praxis einmal für die bloße Duldung einer Überziehung des vereinbarten Kreditlimits verwendet, die einen ohne Kündigung jederzeit fälligen Anspruch des Kreditinstituts auf Rückzahlung begründet. Die Überziehung kann aber auch vertraglich vereinbart werden, so daß ein fälliger Anspruch erst entsteht, wenn die Bank gekündigt hat (vgl. BGH, Beschl. v. 26. September 1985 – III ZR 229/84, WM 1985, 1437; Lwowski in: Schimansky/Bunte/Lwowski Bankrechts-Handbuch Bd. II § 75 Rdnr. 13 – 15; Bruchner, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, aaO § 79 Rdnr. 35; Canaris, aaO Rdnr. 499; Hopt/Mülbert, in: Staudinger, BGB 12. Aufl. vor § 607 ff Rdnr. 290). Konnte die Beklagte jederzeit von der Gemeinschuldnerin die Rückführung des überzogenen Betrages verlangen oder war ein entsprechender Anspruch durch Kündigung bereits am 1. März 1995 fällig geworden, fehlt es an der für eine Anfechtung nach § 30 Nr. 2 KO notwendigen inkongruenten Deckung (vgl. Jaeger/Henckel, aaO; Kuhn/Uhlenbruck aaO Rdnr. 46 a, 48; Canaris, aaO und in: Festschrift 100 Jahre Konkursordnung, S. 73, 81). Aus der Darstellung der Beklagten geht nicht hinreichend hervor, welche Art von Kontenüberziehung der Gemeinschuldnerin gewährt wurde. Da die Tatrichter die Frage mit den Parteien nicht erörtert haben, ist für die revisionsrechtliche Entscheidung zu unterstellen, daß die Beklagte am 1. März 1995 einen fälligen Rückzahlungsanspruch in Höhe der ihr zugeflossenen Deckung besaß.
2.
Die Anfechtung hat nach § 30 Nr. 1 2. Halbs. KO Erfolg, wenn die Beklagte am 1. März 1995 den Gesamtvollstreckungsantrag oder die Zahlungseinstellung kannte. Davon kann nach dem gegenwärtigen Sach– und Streitstand nicht ausgegangen werden.
a)
Das Berufungsgericht entnimmt die Kenntnis von der Zahlungseinstellung allein der Tatsache, daß die Beklagte ab 1. März 1995 keine Sollbuchungen auf dem Girokonto mehr zugelassen hat. Dagegen wendet sich die Revision zu Recht.
Zwar kennt der Anfechtungsgegner die Zahlungseinstellung schon dann, wenn er bei Leistungsempfang seine Ansprüche ernsthaft eingefordert hat, diese verhältnismäßig hoch sind und er weiß, daß der Schuldner nicht in der Lage ist, die Forderungen zu erfüllen (vgl. Senatsurt. v. 25. September 1997 – IX ZR 231/96, ZIP 1997, 1926, 1927 m.w.N.). Die Tatsache, daß die Beklagte ab 1. März 1995 keine Belastungsbuchungen auf dem Girokonto mehr zugelassen hat, ist dem jedoch nicht gleichzusetzen. Diese Maßnahme war schon dann notwendig, wenn, wie die Beklagte behauptet, durch die Überweisung der Überziehungsrahmen auf dem Konto um 1,9 Mio DM vermindert werden sollte und zu diesem Zeitpunkt beabsichtigt war, den Saldo demnächst bis zum Limit des Kredits vom 16. Februar 1995 in Höhe von 700. 000 DM zurückzuführen. Die festgestellte Kontensperre vermag daher für sich allein nicht zu belegen, daß der Beklagten die Zahlungseinstellung schon damals bekannt war.
b)
Die Kenntnis der Zahlungseinstellung ergibt sich rechtlich zwingend auch nicht aus den unstreitigen Umständen.
Der Leiter der Kundenbetreuung der Beklagten hat am 1. März 1995 einen Aktenvermerk über ein mit W. A. geführtes Gespräch erstellt. Danach hat A. bei dieser Gelegenheit darauf hingewiesen, daß das Mutterunternehmen in Bad Oeynhausen Vergleich angemeldet habe, dieses zu 100 % die Geschäftsanteile der Gemeinschuldnerin besitze und zwischen beiden Gesellschaften ein Gewinnabführungsvertrag bestehe. Die Beklagte hat jedoch eingehend vorgetragen, die Herren A. hätten bei einem am 1. März 1995 geführten Gespräch ausdrücklich erklärt, die in Halle ansässige GmbH sei von den Zahlungsschwierigkeiten der Muttergesellschaft nicht betroffen, und hat sich zum Beweis dafür auf mehrere Zeugen berufen. Der Kläger seinerseits hat für die Behauptung, daß die Beklagte die Zahlungseinstellung kannte, ebenfalls Zeugen benannt. Ohne deren Vernehmung kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Kläger den ihm im Rahmen des § 30 Nr. 1 2. Halbs. KO obliegenden Beweis erbracht hat.
III.
Die Sache ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 ZPO). Sollte dieses nach weiterer Tatsachenaufklärung zu dem Ergebnis gelangen, daß die Beklagte eine inkongruente Deckung erlangt, jedoch weder den Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens noch die Zahlungseinstellung gekannt hat, wird es für den des weiteren von der Beklagten zu führenden Entlastungsbeweis das Senatsurteil BGHZ 128, 196 zu beachten haben. Die Verrechnung als einseitige Rechtshandlung des Gläubigers steht hinsichtlich des Merkmals „Kenntnis von der Begünstigungsabsicht des Gemeinschuldners” Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gleich.
Unterschriften
Paulusch, Kirchhof, Fischer, Zugehör, Ganter
Fundstellen
Haufe-Index 2835584 |
BB 1998, 609 |
DB 1998, 721 |
DStR 1998, 1232 |
NJW 1998, 1318 |
KTS 1998, 418 |
VIZ 1998, 640 |
WM 1998, 569 |
WuB 1998, 481 |
ZAP-Ost 1998, 133 |
ZIP 1998, 477 |
MDR 1998, 481 |
VersR 1998, 1303 |