Leitsatz (amtlich)
Ist der Schuldner eine juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, so sind nahestehende Personen auch solche, die mittelbar zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligt sind.
Normenkette
InsO § 138 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
OLG Nürnberg (Entscheidung vom 18.05.2021; Aktenzeichen 14 U 1928/18) |
LG Regensburg (Entscheidung vom 28.08.2018; Aktenzeichen 4 O 380/17 (1)) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 18. Mai 2021 insoweit aufgehoben, als die Berufung gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Regensburg vom 28. August 2018 hinsichtlich der Zahlung vom 16. Juli 2013 über 146.400 € nebst Zinsen und anteiliger außergerichtlicher Anwaltskosten zurückgewiesen worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 22. August 2013 am 30. Oktober 2013 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der M. (im Folgenden: Schuldnerin). Der Beklagte, ein eingetragener Verein, dessen Mitglieder Augenoptiker sind, ist alleiniger Gesellschafter der M. GmbH (im Folgenden: M. GmbH). Diese wiederum ist alleinige Gesellschafterin der Schuldnerin. Der Vorstand des Beklagten ist Mitglied des Beirats der M. GmbH. Die Schuldnerin überwies von ihrem allgemeinen Geschäftskonto wiederholt Gelder, zuletzt 146.400 € am 16. Juli 2013. Anlass und Rechtsgrund dieser Zahlungen sind zwischen den Parteien streitig.
Rz. 2
Mit der Klage begehrt der Kläger im Wege der Insolvenzanfechtung Zahlung von insgesamt 296.700 € nebst Zinsen und außergerichtlichen Anwaltskosten. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner vom Senat hinsichtlich der Zahlung vom 16. Juli 2013 über 146.400 € nebst Zinsen und anteiliger außergerichtlicher Anwaltskosten zugelassenen Revision verfolgt der Kläger insoweit seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 3
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Umfang der Zulassung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Rz. 4
Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, ausgeführt, da der Kläger nicht nachgewiesen habe, dass der Beklagte im Zeitpunkt der die Insolvenzgläubiger benachteiligenden Auszahlungen durch die Schuldnerin Kenntnis von deren etwaiger Zahlungsunfähigkeit gehabt habe, scheide auch eine Insolvenzanfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO wegen der letzten Überweisung der Insolvenzschuldnerin vom 16. Juli 2013 aus. Die Vermutungsregel des § 130 Abs. 3 InsO greife ebenfalls nicht ein. Bei dem Beklagten handele es sich um keine der Schuldnerin nach § 138 Abs. 2 InsO nahestehende Person.
II.
Rz. 5
Dies hält rechtlicher Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
Rz. 6
1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht die von allen Anfechtungstatbeständen der Insolvenzordnung vorausgesetzte Gläubigerbenachteiligung gemäß § 129 Abs. 1 InsO (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 2023 - IX ZR 36/22, WM 2024, 86 Rn. 33) bejaht. Für die Deckungsanfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 InsO genügt eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2016 - IX ZR 305/14, NZI 2017, 28 Rn. 12). Gegenrügen werden insoweit nicht erhoben.
Rz. 7
2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist jedoch, wie die Revision mit Recht rügt, die Kenntnis des Beklagten von einer etwaigen Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin im Zeitpunkt der Überweisung vom 16. Juli 2013 gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 InsO zu vermuten.
Rz. 8
a) Nach der Vorschrift des § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Befriedigung gewährt hat, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem - hier am 22. August 2013 gestellten - Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, wenn zur Zeit der Handlung der Schuldner zahlungsunfähig war und wenn der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte.
Rz. 9
b) Der Beklagte ist aufgrund seiner mittelbaren Beteiligung an der Schuldnerin als nahestehende Person gemäß § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO anzusehen. Folglich wird gemäß § 130 Abs. 3 InsO vermutet, dass er eine etwaige Zahlungsunfähigkeit kannte.
Rz. 10
aa) Ist der Schuldner - wie hier - eine juristische Person, so sind gemäß § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO unter anderem solche Personen als nahestehend anzusehen, die zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligt sind. Die Bestimmung erfasst auch mittelbare Beteiligungen (so auch HK-InsO/Thole, 11. Aufl., § 138 Rn. 14; HmbKomm-InsO/Rogge/Leptien, 9. Aufl., § 138 Rn. 18; MünchKomm-InsO/Kirchhof/Gehrlein, 4. Aufl., § 138 Rn. 24; Römermann/Nerlich, InsO, 2017, § 138 Rn. 19; Bartels in Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 2018, § 138 Rn. 74; Schmidt/Ganter, InsO, 20. Aufl., § 138 Rn. 23; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 15. Aufl., § 138 Rn. 30), wie sich aus der Entstehungsgeschichte, dem Regelungszusammenhang und Sinn und Zweck des Gesetzes ergibt. Maßgeblich ist das Verständnis der Insolvenzordnung.
Rz. 11
(1) § 154 Abs. 2 RegE bestimmte ausdrücklich, dass eine Person auch insoweit am Schuldner beteiligt ist, als ein von der Person abhängiges Unternehmen oder ein Dritter für Rechnung der Person oder des abhängigen Unternehmens am Schuldner beteiligt ist. Damit sollte bei der Berechnung des Anteils am Grundkapital auch eine mittelbare Beteiligung zu berücksichtigen sein (BT-Drucks. 12/2443, S. 162). Aufgrund Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses erfolgte eine Neugliederung und redaktionelle Straffung, in deren Folge § 153 Abs. 2 Nr. 1 nunmehr die von § 154 RegE geregelten Beziehungen erfassen sollte (BT-Drucks. 12/7302, S. 174). Eine inhaltliche Änderung sollte damit nicht verbunden sein, auch wenn mittelbare Beteiligungen - wie in der Gesetz gewordenen Fassung des § 138 InsO - nicht mehr ausdrücklich genannt wurden.
Rz. 12
(2) § 154 Abs. 2 RegE war laut Gesetzesbegründung parallel zu § 16 Abs. 4 AktG formuliert (BT-Drucks. 12/2443, S. 162). Auch ohne ausdrückliche Regelung in § 138 InsO entspricht es dem in § 16 Abs. 4 AktG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, für die Berechnung der Kapitalbeteiligung auch mittelbare Beteiligungen am Schuldner einzubeziehen.
Rz. 13
(3) Die Regelung des § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO beruht darauf, dass zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligte Personen über besondere, das heißt über bloße Auskunftsrechte hinausgehende Möglichkeiten verfügen, sich über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners zu unterrichten (BT-Drucks. 12/2443, S. 162). Das Bestehen einer solchen Möglichkeit wird in typisierender Weise bei einer Kapitalbeteiligung von mehr als 25 % unwiderleglich vermutet. Dies muss nach dem Grundgedanken der Regelung auch dann gelten, wenn eine Beteiligung von mehr als 25 % durch die Zwischenschaltung einer anderen natürlichen oder juristischen Person oder einer anderen Personenvereinigung erreicht wird (MünchKomm-InsO/Kirchhof/Gehrlein, 4. Aufl., § 138 Rn. 24; Hirte, ZInsO 1999, 429, 431 f). Für die eine mittelbare Beteiligung begründende Abhängigkeit ausreichend ist der Mehrheitsbesitz der Anteile (§ 16 AktG), auf die Unternehmenseigenschaft des Inhabers kommt es dabei nicht an (BT-Drucks. 12/2443, S. 162; HmbKomm-InsO/Rogge/Leptien, 9. Aufl., § 138 Rn. 18; Hirte, aaO S. 432).
Rz. 14
bb) Die Voraussetzungen einer mittelbaren Beteiligung des Beklagten an der Schuldnerin von mehr als 25 % sind im Streitfall nach den beanstandungsfreien Feststellungen des Berufungsgerichts gegeben, weil der Beklagte alleiniger Gesellschafter der M. GmbH und diese wiederum alleinige Gesellschafterin der Schuldnerin ist. Ob der Gesellschafter einer GmbH als nahestehende Person anzusehen ist, hängt nach dem Gesetz aus Gründen der Rechtsklarheit nicht davon ab, in welchem Umfang Rechtsgeschäfte der Geschäftsführer nach dem konkreten Gesellschaftsvertrag der Zustimmung der Gesellschafter bedürfen (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 1995 - IX ZR 18/95, BGHZ 131, 189, 194 zu § 10 Abs. 1 Nr. 2 GesO).
III.
Rz. 15
Die angefochtene Entscheidung erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig. Die vom Beklagten erhobene Verjährungseinrede (§ 214 Abs. 1 BGB) steht dem geltend gemachten Anspruch nicht entgegen.
Rz. 16
1. Die Verjährung eines Anfechtungsanspruchs richtet sich gemäß § 146 Abs. 1 InsO nach den Regelungen über die regelmäßige Verjährung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Gemäß § 195 Abs. 1 BGB verjährt der Anfechtungsanspruch grundsätzlich nach drei Jahren. Die Verjährungsfrist läuft gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres an, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Der Rückgewähranspruch entsteht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens (BGH, Urteil vom 1. Februar 2007 - IX ZR 96/04, BGHZ 171, 38 Rn. 20). Folglich hat der Lauf der Frist aufgrund der am 30. Oktober 2013 erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2013 begonnen und ist die Verjährung jedenfalls durch die am 21. Dezember 2016 erfolgte Zustellung des Mahnbescheids rechtzeitig gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB gehemmt worden.
Rz. 17
2. Anders als der Beklagte meint, durfte der Kläger für den geltend gemachten Anspruch vom Mahnverfahren Gebrauch machen.
Rz. 18
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für den Eintritt der Hemmungswirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB nicht auf die Zulässigkeit, sondern allein auf die Wirksamkeit des auf den Mahnantrag erlassenen und zugestellten Mahnbescheids an, so dass bei hinreichender Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs dessen Verjährung auch dann gehemmt wird, wenn der Mahnantrag an Mängeln leidet oder sogar unzulässig ist oder wenn für die darin erhobene Forderung - von der Sachbefugnis abgesehen - noch nicht sämtliche Anspruchsvoraussetzungen vorliegen (BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - VIII ZR 157/11, NJW 2012, 995 Rn. 8 mwN). Der Kläger kann im Einzelfall wegen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) gehindert sein, sich auf die durch Einreichung oder Zustellung des Mahnantrags vor Ablauf der Verjährungsfrist (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB) gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB, § 167 ZPO eingetretene Hemmung der Verjährung zu berufen, wenn er die von ihm im Mahnantrag gemäß § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO geforderte Erklärung, dass der Anspruch nicht von einer Gegenleistung abhänge oder die Gegenleistung erbracht sei, bewusst falsch abgegeben hat (BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011, aaO Rn. 7; vom 23. Juni 2015 - XI ZR 536/14, NJW 2015, 3160 Rn. 24). Nach § 688 Abs. 2 Nr. 2 ZPO darf der Anspruch des Antragstellers nicht von einer Gegenleistung abhängen, die er vor Fälligkeit oder Zug um Zug gegen Erfüllung des Anspruchs zu erbringen hat (MünchKomm-ZPO/Schüler, 6. Aufl., § 688 Rn. 11; Zöller/Seibel, ZPO, 35. Aufl., § 688 Rn. 3).
Rz. 19
b) Zu Unrecht meint der Beklagte, der Anfechtungsanspruch sei als ein von einer Gegenleistung abhängiger Anspruch einzuordnen. Aus § 144 Abs. 1 InsO folgt nicht, dass die Geltendmachung des Anfechtungsanspruchs nach § 143 InsO im Sinne des § 688 Abs. 2 Nr. 2 ZPO von einer noch nicht erbrachten Gegenleistung abhängig ist. Voraussetzung für das Wiederaufleben der Forderung ist nach dieser Bestimmung die tatsächliche Rückgewähr des Empfangenen, allein die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs reicht dagegen nicht aus (BGH, Urteil vom 4. Februar 2016 - IX ZR 42/14, NZI 2016, 307 Rn. 29). Ein Zurückbehaltungsrecht des Anfechtungsgegners wegen der wiederauflebenden Forderung ist im Anfechtungsprozess ausgeschlossen (HmbKomm-InsO/Rogge/Leptien, InsO, 9. Aufl., § 144 Rn. 13; MünchKomm-InsO/Kirchhof/Piekenbrock, 4. Aufl., § 144 Rn. 9).
IV.
Rz. 20
Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Rz. 21
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass sich die Vermutung des § 130 Abs. 3 InsO ausschließlich auf die Kenntnis bezieht, nicht auf die objektiven Anfechtungsvoraussetzungen (Schoppmeyer in Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 2013, § 130 Rn. 162; MünchKomm-InsO/Kayser/Freudenberg, 4. Aufl., § 130 Rn. 66 f). Der Insolvenzverwalter hat demnach auch bei der Insolvenzanfechtung gegenüber einer nahestehenden Person insbesondere die Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit darzulegen und zu beweisen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2007 - IX ZR 210/04, NZI 2007, 722 Rn. 5; Schmidt/Ganter/Weinland, InsO, 20. Aufl., § 130 Rn. 105). Zur Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin im Zeitpunkt der Vornahme (§ 140 Abs. 1 InsO) der hier interessierenden Überweisung vom 16. Juli 2013 hat das Berufungsgericht die von seinem Standpunkt aus folgerichtig unterbliebenen Feststellungen nunmehr nachzuholen.
Schoppmeyer |
|
Röhl |
|
Schultz |
|
Weinland |
|
Kunnes |
|
Fundstellen
BB 2024, 1298 |
BB 2024, 962 |
DB 2024, 857 |
DStR 2024, 12 |
DStR 2024, 1556 |
DStR 2024, 893 |
NJW 2024, 9 |
NWB 2024, 974 |
NJW-RR 2024, 540 |
NZG 2024, 593 |
WM 2024, 651 |
ZAP 2024, 472 |
JZ 2024, 242 |
NZI 2024, 160 |
NZI 2024, 415 |
ZInsO 2024, 788 |
GWR 2024, 168 |
KSI 2024, 184 |
NJW-Spezial 2024, 373 |
StX 2024, 270 |
GmbH-Stpr 2024, 214 |
GmbH-Stpr 2024, 255 |
RFamU 2024, 272 |
ZRI 2024, 299 |