Leitsatz (amtlich)
Zur Haftungsfreistellung nach §§ 636, 637 RVO bei Lagerungsarbeiten.
Normenkette
RVO §§ 636-637
Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 13.07.1982) |
LG Essen (Urteil vom 16.09.1901) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 27. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 13. Juli 1982 aufgehoben.
Auf die Berufung der Erstbeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 16. September 1901 abgeändert, soweit es zu ihrem Nachteil ergangen ist. Die Klage gegen die Erstbeklagte wird abgewiesen.
Im übrigen wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Am 22. Dezember 1978 erlitt der bei der klagenden Berufsgenossenschaft versicherte F. tödliche Verletzungen, als er von der Lasttraverse eines Krans der Erstbeklagten getroffen wurde, den der bei der Erstbeklagten angestellte Zweitbeklagte als Kranführer bediente. Der Unfall geschah im Zuge von Lagerungsarbeiten, die die Erstbeklagte auf dem Gelände der T.-AG, der Arbeitgeberin des F., mit einem Autokran ausführte. Die Erstbeklagte, ein auf Kranarbeiten spezialisiertes Unternehmen, war beauftragt, 20 t schwere Stranggußriegel von Flachanhängern zu heben und abzulagern. Zur Durchführung dieser Arbeiten hatte ihr die T.-AG zwei Hilfskräfte – F. und dessen Arbeitskollegen Ö. – als „Anschläger” bzw. „Anbinder” zur Verfügung gestellt. Deren Aufgabe bestand u.a. darin, die vier Kettenhaken der 2 t schweren Lasttraverse des Krans an den Riegeln anzubringen, sich alsdann auf die Riegel zu stellen und die Ketten bis zur Straffung zu führen. Als der Zweitbeklagte das Tragseil anzog, verklemmte es sich nicht ordnungsgemäß im Seilschloß. Das freie Seilende, das nicht durch eine Seilklemme gegen ein Durchrutschen durch das Seilschloß gesichert war, löste sich aus dem Seil schloß, so daß die Lasttraverse herabstürzte und den auf den Stranggußriegeln stehenden F. traf.
Die Erstbeklagte führte die Kranarbeiten für die T.-AG aufgrund eines „Rahmenabkommens” aus, in dem es u.a. heißt:
„§ 1
(Die Erstbeklagte) erklärt sich bereit, auf der Grundlage dieses Vertrages Kranarbeiten bei der (T.-AG) zu übernehmen. Für die jeweils durchzuführenden Arbeiten erteilt (die T.-AG) gesonderte schriftliche Aufträge. …
§ 2
(Die Erstbeklagte) hat die bestehenden bau-, gewerbepolizeilichen, berufsgenossenschaftlichen und sonstigen behördlichen Bestimmungen zu beachten und auf eigene Kosten zu befolgen. Das gleiche gilt für die Einhaltung aller im Einzelfall darüber hinaus erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen.
(Die Erstbeklagte) hat im übrigen eventuelle zusätzliche Sicherheitsvorschriften bei Ausführung ihrer Arbeiten einzuhalten.
Soweit es sich um spezielle Sicherheitsvorschriften für die Eisen-Hütten-Industrie handelt, wird (die T.-AG) auf diese Vorschriften (die Erstbeklagte) schriftlich hinweisen. Bei Verletzung dieser Pflichten trägt (die Erstbeklagte) bei vorkommenden Schadensfällen allein die Verantwortung. …”
Aus Anlaß des Unfalls hat die Klägerin an die Witwe des F. Sterbegeld, Überbrückungshilfe und Witwenrente gezahlt. Sie hat geltend gemacht, auf sie seien gemäß dem hier noch anzuwendenden § 1542 RVO Ersatzansprüche in Höhe von 23.481,21 DM übergegangen. In dieser Höhe nebst Zinsen hat sie die Verurteilung beider Beklagten als Gesamtschuldner neben der inzwischen aus dem Rechtsstreit ausgeschiedenen Haftpflichtversicherung der Erstbeklagten beantragt. Ferner hat sie behauptet, sie habe unfallbedingte Leistungen in Höhe von 30.571,50 DM erbracht. In dieser Höhe nebst Zinsen hat sie hilfsweise die Verurteilung des Zweitbeklagten aus § 640 RVO begehrt. Außerdem hat sie beantragt, die Verpflichtung der Beklagten als Gesamtschuldner festzustellen, ihr sämtliche ab 1. Januar 1981 entstandenen unfallbedingten Aufwendungen zu erstatten, soweit auf sie Ansprüche gemäß § 1542 RVO übergegangen sind. Hilfsweise hat sie die Feststellung der Verpflichtung des Zweitbeklagten zur Erstattung ihrer ab 1. Januar 1981 entstandenen unfallbedingten Aufwendungen begehrt.
Der Zweitbeklagte hat bestritten, grob fahrlässig im Sinne des § 640 RVO gehandelt zu haben. Beide Beklagten haben sich auf ein Mitverschulden des F. berufen und geltend gemacht, ihre Haftung sei gemäß §§ 636, 637 RVO ausgeschlossen.
Das Landgericht hat beiden Hauptanträgen – dem Zahlungsantrag dem Grunde nach – stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Mit der Revision verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts stehen der Klägerin gegen beide Beklagten die ihr vom Landgericht zuerkannten Ansprüche zu, und zwar gegen den Zweitbeklagten aus §§ 823 Abs. 1, 844 BGB, 1542 RVO und gegen die Erstbeklagte aus §§ 328 Abs. 1, 618 Abs. 1 und Abs. 3, 844 BGB, 1542 RVO. Hierzu stellt das Berufungsgericht fest, daß der Zweitbeklagte bei der Bedienung des Krans nicht die erforderliche Sorgfalt beachtet und dadurch den Tod des F. verursacht habe. Er habe die Verklemmung des Kranseils beim Anheben überprüfen und bis dahin den Aufenthalt des F. unter der Traverse verbieten müssen. Das habe er unterlassen. Ein Mitverschulden der T.-AG und des F., der sich gemäß der ihm erteilten Sicherheitsbelehrungen verhalten habe, scheide aus.
Das Haftungsprivileg der §§ 636, 637 RVO greife – so fährt das Berufungsgericht fort – für keinen der beiden Beklagten ein. Der Zweitbeklagte könne sich auf dieses Privileg nicht berufen, weil weder er in den Betrieb der T.-AG noch F. in den Betrieb der Erstbeklagten eingegliedert gewesen sei. Eine Eingliederung des Zweitbeklagten in den Betrieb der T.-AG scheitere schon daran, daß er bei den Hebearbeiten vertragliche Verpflichtungen der Erstbeklagten erfüllt habe und damit lediglich für diese, nicht aber für die T.-AG tätig geworden sei. Außerdem sei die T.-AG ihm gegenüber nicht weisungsbefugt gewesen. Andererseits sei aber auch F. nicht als Versicherter im Betrieb der Erstbeklagten tätig geworden. Er habe als „Anschläger” Aufgaben verrichtet, deren Erledigung Sache seines Stammunternehmens, der T.-AG, gewesen sei.
Dies bedeute zugleich, daß § 636 RVO auch nicht zu Gunsten der Erstbeklagten eingreife, so daß es bei deren Haftung aus dem Rahmenvertrag, in dessen Schutzbereich auch F. als Arbeitnehmer der T.-AG einbezogen gewesen sei, verbleibe. Durch den Rahmenvertrag habe die Erstbeklagte die der T.-AG gegenüber deren Arbeitnehmern obliegenden Fürsorgepflichten insoweit mitübernommen, als diese Arbeitnehmer – wie F. – am Kran und in dessen Umgebung gearbeitet hätten. Für die Verletzung dieser Pflichten durch den Zweitbeklagten habe die Erstbeklagte gemäß § 278 BGB einzustehen.
II.
Diese Erwägungen greift die Revision insoweit an, als das Berufungsgericht eine das Haftungsprivileg der §§ 636, 637 RVO auslösende „Eingliederung” des F. in den Betrieb der Erstbeklagten verneint hat.
Mit diesem Angriff hat die Revision Erfolg.
Der erkennende Senat hat wiederholt u.a. in einem erst nach Erlaß des Berufungsurteils veröffentlichten Urteil vom 22. Juni 1982 (VI ZR 240/79 – VersR 1983, 31) für einen Fall, der zum vorliegenden Streitfall deutliche Parallelen aufweist, zu der Frage Stellung genommen, unter welchen Voraussetzungen eine „Eingliederung” des Verletzten in den Betrieb des Schädigers, wie sie §§ 636, 637 RVO fordern, zu bejahen ist. Danach sind – wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt – an die vorausgesetzte Zuordnung („Eingliederung”) des Verletzten zum Unfallbetrieb geringere Anforderungen zu stellen als an die Eingliederung des Schädigers in diesen Betrieb. Letzterer muß – soll ihm das Haftungsprivileg des § 637 Abs. 1 RVO zugute kommen – „Betriebsangehöriger” des Unfallbetriebs sein, während dies für den Verletzter, nicht erforderlich ist. Für die Bejahung der Zuordnung des Verletzten zu dem Unfallbetrieb reicht es vielmehr aus, daß er für diesen Betrieb ähnlich wie ein Arbeitnehmer im Sinne des § 539 Abs. 2 RVO tätig geworden ist und seine Tätigkeit in die betriebliche Sphäre des Unfallunternehmens fiel, so daß sie diesem Unternehmen der Sache nach zuzurechnen ist. Eine Beziehung zu dem Unfallbetrieb, die arbeitsrechtlich als die eines Arbeitnehmers zu qualifizieren ist, ist für solche Zuordnung nicht erforderlich; insbesondere muß auch kein Abhängigkeitsverhältnis wirtschaftlicher oder gar persönlicher Art zum Unfallbetrieb vorliegen (st. Rspr., vgl. Senatsurteile vom 16. November 1982 – VI ZR 78/81 – VersR 1983, 156; vom 3. Mai 1983 – VI ZR 68/81 – VersR 1983, 728; vom 10. Mai 1983 – VI ZR 252/81 – VersR 1983, 687; vom 5. Juli 1983 – VI ZR 273/81 – VersR 1983, 855; vgl. ferner BAG DB 1983, 2258).
Die damit aufgeworfene Frage, ob die Mitwirkung des F. am Hebevorgang in die betriebliche Sphäre seines Stammbetriebes, der T.-AG, oder aber in die betriebliche Sphäre des Unternehmens der Erstbeklagten fiel, beantwortet sich aus der Aufgabenstellung nach Maßgabe der zwischen den beiden Betrieben bestehenden vertraglichen Vereinbarung, die der Tätigkeit des F. zugrunde lag.
Das Berufungsgericht hat hierzu die Auffassung vertreten, daß F., als er im Unfallzeitpunkt als „Anschläger” tätig war, Aufgaben seines Stammbetriebes verrichtet hat. Diese Würdigung findet indes im festgestellten Sachverhalt keine Stütze. Vielmehr führen – wie die Revision mit Recht geltend macht – die tatbestandsmäßigen Feststellungen des Berufungsgerichts und seine rechtsfehlerfreie Auslegung der zwischen den beiden Unternehmen bestehenden vertraglichen Vereinbarung („Rahmenabkommen”) zum gegenteiligen Schluß. Danach hat die T.-AG den Verunglückten F. und seinen Arbeitskollegen Ö. der Erstbeklagten als Hilfskräfte zur Verfügung gestellt, um sie in die Lage zu versetzen, ihre vertragliche Verpflichtung zu erfüllen. Der Erstbeklagten oblag das eigenverantwortliche Heben und Ablagern der Stranggußriegel; sie war auch allein für die Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen verantwortlich und hatte demgemäß die alleinige Verantwortung im Schadensfall übernommen. Notwendiger Bestandteil der von der Erstbeklagten zu erbringenden Arbeitsleistung war der Beitrag, den F. und sein Arbeitskollege als „Anschläger” zu leisten hatten. Die daraus folgende funktionelle Einbindung des F. in die Arbeitsleistung der Erstbeklagten, die ganz von den Risiken ihres Betriebes beherrscht war, bedeutet aber nach dem Schutzzweck des § 539 Abs. 2 RVO, daß F. auch im Betrieb der Erstbeklagten unfallversichert und damit diesem Betrieb im Sinne der §§ 636, 637 RVO zugeordnet war. Von einer Haftung gegenüber der Hinterbliebenen des verunglückten. F. sind deshalb beide Beklagten freigestellt.
III.
Die gegen die Erstbeklagte gerichtete Klage ist damit abzuweisen. Scheitern aber die auf Zahlung und Feststellung gerichteten Hauptanträge am Haftungsprivileg der §§ 636, 637 RVO, so gewinnen die auf § 640 RVO gestützten Hilfsanträge der Klägerin, mit denen sie den Zweitbeklagten in Anspruch nimmt, Bedeutung. Mit diesen Anträgen hat sich das Berufungsgericht – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – nicht auseinandergesetzt. Die Sache war deshalb insoweit zurückzuverweisen, um dem Berufungsgericht Gelegenheit zu geben, über die Frage der groben Fahrlässigkeit im Sinne des § 640 RVO zu entscheiden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist die Entscheidung dieser Frage grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten (vgl. Senatsurteil vom 21. Oktober 1980 – VI ZR 265/79 – VersR 1981, 75 m.w.Nachw.).
Unterschriften
Dr. Steffen, Scheffen, Dr. Kullmann, Dr. Lepa, Bischoff
Fundstellen
Haufe-Index 1372869 |
Nachschlagewerk BGH |