Leitsatz (amtlich)
Bei fehlender Vereidigung eines Schöffen ist das Gericht im Sinne des § 338 Nr. 1 StPO nicht vorschriftsmäßig besetzt. Die Revision kann jedoch regelmäßig auf den Besetzungsfehler nur gestützt werden, wenn der Beschwerdeführer den Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung in der Hauptverhandlung rechtzeitig gemäß § 222 b Abs. 1 Satz 1 StPO erhoben hat (im Anschluß an Senatsurteil vom 12. Juli 2001 – 4 StR 550/00).
Normenkette
DRiG § 45 Abs. 2 S. 1; StPO § 338 Nr. 1 Buchst. b, § 222b Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Urteil vom 09.08.2002) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 9. August 2002 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es gegen ihn den Verfall eines Geldbetrages in Höhe von 3.851,81 EUR angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er in formeller Hinsicht die Besetzung des Gerichts beanstandet und darüber hinaus die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Die Überprüfung des Urteils auf Grund der nicht ausgeführten Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Verfahrensbeschwerde hat ebenfalls keinen Erfolg.
1. Der Formalrüge liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
Die erkennende Strafkammer war mit zwei Berufsrichtern, dem Schöffen L. und der Schöffin H. besetzt. Nach Aufruf der Sache, der Feststellung der Präsenz der Verfahrensbeteiligten und Vernehmung des Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse erfolgte die Verlesung des Anklagesatzes. Danach wurde die Schöffin H., die erstmals ihr Amt ausübte, nach § 45 Abs. 2 Satz 1 DRiG vereidigt. Die Hauptverhandlung wurde sodann fortgeführt, ohne daß eine Wiederholung der vorausgegangenen Verhandlungsteile, insbesondere der Verlesung des Anklagesatzes, erfolgte.
2. Die Revision beanstandet danach an sich zu Recht, daß die an der Entscheidung mitwirkende Schöffin H. erst nach Verlesung des Anklagesatzes vereidigt wurde. Bei fehlender Vereidigung eines Schöffen liegt zwar entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kein Revisionsgrund nach § 338 Nr. 2 oder Nr. 5 StPO vor, jedoch ist in diesen Fällen das Gericht im Sinne des § 338 Nr. 1 StPO nicht vorschriftsmäßig besetzt (vgl. schon RGSt 67, 362, 364/365 sowie BGHSt 3, 175, 176; 4, 158, 159). Wird – wie hier – der Mangel noch in der Hauptverhandlung behoben, so muß diese nach der Vereidigung in ihren wesentlichen Teilen wiederholt werden (BGHR StPO § 338 Nr. 1 Schöffe 8 verspätete Vereidigung). Es bedarf keiner näheren Darlegung, daß die Verlesung des Anklagesatzes zu den wesentlichen Teilen der Hauptverhandlung zählt.
3. Die Revision kann jedoch auf den Besetzungsfehler nicht gestützt werden, da der Angeklagte den Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung nicht rechtzeitig gemäß § 222 b Abs. 1 Satz 1 StPO erhoben hat (§ 338 Nr. 1 Buchst. b StPO).
a) Nach § 338 Nr. 1 StPO kann, wenn – wie hier – nach § 222 a StPO die Mitteilung der Gerichtsbesetzung vorgeschrieben ist, mit der Revision die vorschriftswidrige Besetzung des erkennenden Gerichts – von hier nicht entscheidungsrelevanten Fällen abgesehen – nur gerügt werden, soweit der (nach § 222 b Abs. 1 StPO) rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form erhobene Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist. Das Gesetz geht somit – in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandener Weise (vgl. BVerfG NStZ 1984, 370 f.) – davon aus, daß das Unterlassen des Besetzungseinwands grundsätzlich zur Präklusion der Besetzungsrüge führt. Eine der in § 338 Nr. 1 2. Halbs. StPO aufgezählten Ausnahmen ist nicht gegeben.
b) Ein Fall, in welchem eine Präklusion der Besetzungsrüge ausnahmsweise ausscheidet, liegt nicht vor.
aa) Das Fehlen der in § 45 Abs. 2 Satz 1 DRiG vorgeschriebenen Vereidigung stellt keinen Mangel in der Person des Schöffen dar (vgl. hierzu Hanack in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 338 Rdn. 50, 38 ff.; Kuckein in KK 4. Aufl. § 338 Rdn. 48 ff. sowie zur Mitwirkung eines blinden Richters BGHSt 34, 236 und 35, 164), der von der Rügepräklusion nicht erfaßt würde. Das Erfordernis der Vereidigung besteht generell und unabhängig von individuellen Besonderheiten in der Person des Schöffen. Die Heranziehung eines Schöffen vor seiner Vereidigung verbietet sich aus Rechtsgründen überhaupt (vgl. auch BGHR StPO § 338 Nr. 1 Ergänzungsrichter 3). Insofern unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von dem in BGHSt 35, 28 entschiedenen Fall, in dem der Senat die Unfähigkeit zum Schöffenamt wegen eines gegen den Schöffen schwebenden Ermittlungsverfahrens (§ 32 Nr. 2 GVG) einem Mangel in der Person „gleichgesetzt” hat.
bb) Der durch die unterlassene Vereidigung eines Schöffen begründete Besetzungsfehler ist auch – was für den Eintritt der Präklusionswirkung genügt (vgl. BGHR StPO § 338 Nr. 1 Schöffe 5) – objektiv erkennbar. Nach § 45 Abs. 8 DRiG ist über die Vereidigung des ehrenamtlichen Richters ein (gesondertes) Protokoll zu fertigen, das zu den Schöffenakten gelangt (vgl. Kissel in KK aaO § 31 GVG Rdn. 4). Da die Vorschriftsmäßigkeit der Gerichtsbesetzung (auch) von der Vereidigung der Schöffen abhängig ist, zählt die Niederschrift über deren Durchführung zu den für die Besetzung maßgeblichen Unterlagen im Sinne des § 222 a Abs. 3 StPO, in die nach dieser Bestimmung Einsicht zu gewähren ist (vgl. hierzu BGHSt 33, 126, 130 [Protokoll des Schöffenwahlausschusses]; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 222 a Rdn. 23; Rieß NJW 1978, 2265, 2269; ders. JR 1981, 89, 93; Ranft NJW 1981, 1473 ff.). Darüber hinaus war hier der Besetzungsfehler evident: Nachdem die Strafkammer in der Hauptverhandlung die Vereidigung der Schöffin nachgeholt hatte, war es offensichtlich, daß bei den der Vereidigung vorausgehenden Verhandlungsteilen die Schöffin unvereidigt und damit – allgemeiner Rechtsauffassung zufolge (vgl. nur Hanack aaO § 338 Rdn. 32; Meyer-Goßner aaO § 338 Rdn. 9; Pfeiffer StPO 4. Aufl. § 338 Rdn. 9) – das Gericht bis dahin nicht vorschriftsmäßig besetzt war.
cc) Die Erhebung des Besetzungseinwands war nicht etwa deshalb entbehrlich, weil das Landgericht in der Hauptverhandlung das Versäumnis selbst bemerkt und die Vereidigung der Schöffin nachgeholt hat. Mit den durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 eingeführten Rügepräklusionsvorschriften der §§ 338 Nr. 1, 222 b Abs. 1 StPO wollte der Gesetzgeber erreichen, daß Besetzungsfehler bereits in einem frühen Verfahrensstadium erkannt und geheilt werden, um zu vermeiden, daß ein möglicherweise mit großem justiziellem Aufwand zustande gekommenes Strafurteil allein wegen eines Besetzungsfehlers im Revisionsverfahren aufgehoben und in der Folge die gesamte Hauptverhandlung – mit erheblichen Mehrbelastungen sowohl für die Strafjustiz als auch für den Angeklagten – wiederholt werden muß (vgl. die Begr. zum Entwurf des StVÄG 1979, BT-Drucks. 8/976, S. 25 ff.; BVerfG, Beschluß vom 19. März 2003 – 2 BvR 1540/01 –, BA S. 8/9). Dieser Regelungszweck greift auch bei evidenten Besetzungsmängeln (vgl. BGHR StPO § 338 Nr. 1 Ergänzungsrichter 3 sowie hierzu BVerfG aaO BA S. 6 [verspätete Heranziehung eines Ergänzungschöffen]). Das Rügeerfordernis nach § 222 b Abs. 1 StPO wird in derartigen Fällen nicht etwa zur leeren Formalie. Gerade im vorliegenden Fall liegt es nahe, daß das Landgericht bei Erhebung des Einwands, das Gericht sei bis zur Vornahme der Vereidigung unvorschriftsmäßig besetzt gewesen, den Besetzungsmangel durch Wiederholung der vorangegangenen (wesentlichen) Verfahrensabschnitte (hier: Verlesung des Anklagesatzes) geheilt hätte.
dd) Die Erhebung des entsprechenden Einwandes war auch zumutbar. Zwar hätte sich der Beschwerdeführer damit aus seiner Sicht mit hoher Wahrscheinlichkeit eines „sicheren” (absoluten) Revisionsgrundes begeben (vgl. Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 6. Aufl. Rdn. 343 Fn. 616). Sinn und Zweck der Rügepräklusionsvorschriften ist es jedoch gerade zu unterbinden, daß die Besetzungsrüge als bloßes Mittel zu einer aus anderen Gründen für wünschbar gehaltenen Urteilsaufhebung benutzt wird (Begr. zum Entwurf des StVÄG 1979, BT-Drucks. 8/976, S. 27).
c) Da der Angeklagte, wie bereits seinem Revisionsvortrag entnommen werden kann, bis zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache die unvorschriftsmäßige Gerichtsbesetzung nicht gemäß § 222 b Abs. 1 StPO beanstandet hat, kann er mit der Rüge nach § 338 Nr. 1 StPO nicht gehört werden.
Unterschriften
Tepperwien, Kuckein, Athing, Solin-Stojanović, Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 2559125 |
BGHSt 2004, 290 |
BGHSt |
NJW 2003, 2545 |
NStZ 2004, 98 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 2003, 804 |
wistra 2003, 396 |
JA 2004, 16 |
StV 2003, 607 |