Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensminderungspflicht durch Inanspruchnahme günstiger Reparaturmöglichkeiten
Leitsatz (amtlich)
a) Der Geschädigte leistet dem Gebot der Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen Genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er der Schadensabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legt, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat.
b) Der Schädiger kann den Geschädigten aber unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen "freien Fachwerkstatt" verweisen, wenn er darlegt und ggf. beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und wenn er ggf. vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würden.
Normenkette
BGB § 249 Abs. 2 S. 1, § 254 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Mannheim vom 24.10.2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Ersatz restlichen Sachschadens aus einem Verkehrsunfall vom 3.7.2007 in Anspruch, bei dem sein Fahrzeug, ein zum Unfallzeitpunkt mehr als zehn Jahre alter Audi Quattro mit einer Laufleistung von über 190.000 km, beschädigt wurde. Die Haftung des Beklagten zu 1) als Fahrer des anderen unfallbeteiligten Fahrzeugs und der Beklagten zu 2) als Haftpflichtversicherer steht dem Grunde nach außer Streit. Die Parteien streiten nur noch um die Frage, ob sich der Kläger im Rahmen der fiktiven Abrechnung seines Fahrzeugschadens auf niedrigere Stundenverrechnungssätze einer von der Beklagten zu 2) benannten, nicht markengebundenen Reparaturwerkstatt verweisen lassen muss oder ob er auf der Grundlage des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Vertragswerkstatt erstattet verlangen kann.
Rz. 2
Die Beklagte zu 2) legte ihrer Schadensberechnung die günstigeren Stundenverrechnungssätze der von ihr benannten Reparaturwerkstatt zugrunde und kürzte deshalb die im Sachverständigengutachten ausgewiesenen Reparaturkosten um insgesamt 669,85 EUR. Dieser Differenzbetrag nebst Zinsen sowie vorgerichtliche Anwaltskosten sind Gegenstand der vorliegenden Klage.
Rz. 3
Die Klage hatte in beiden Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der vom LG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 4
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, dass der Kläger seiner fiktiven Schadensabrechnung nicht die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen dürfe. Vielmehr müsse er sich auf die günstigeren Stundenverrechnungssätze der von der Beklagten zu 2) benannten, nicht markengebundenen Reparaturwerkstatt M. verweisen lassen. Bei der von der Beklagten zu 2) insoweit aufgezeigten Reparaturmöglichkeit handle es sich um einen tatsächlich wahrnehmbaren Weg der Beseitigung des aufgetretenen Schadens, der dem Kläger zumutbar sei. Die Firma M. befinde sich in einer Entfernung von nur 5,5 km von seinem Wohnort und liege diesem damit näher als die nächste markengebundene Werkstatt. Eine bei der Firma M. durchgeführte Reparatur sei einer durch eine markengebundene Fachwerkstatt durchgeführten Reparatur auch gleichwertig. Die Firma M. unterhalte eine DEKRA-zertifizierte Werkstatt, die von einem Meister geführt werde. Die Reparaturen würden nach den Empfehlungen und Richtlinien der Hersteller unter Verwendung von Originalersatzteilen durchgeführt. Die Schäden an dem Pkw des Klägers seien nicht so, dass ihre Behebung spezielle Erfahrungen gerade mit Fahrzeugen der Marke Audi erfordere. Die Kammer teile jedenfalls für Fahrzeuge, die ein Alter von mehr als zehn Jahren aufwiesen, nicht die Auffassung, dass der potentielle Käufer auf dem Gebrauchtwagenmarkt mit dem Besuch von Markenwerkstätten eine über den technischen Zustand hinausgehende besondere Werthaltigkeit verbinde und sich die Reparatur eines Schadens durch eine Markenwerkstatt positiv auf die Preisbildung auswirke. Durch die vorgenommene Abrechnungsweise werde der Kläger auch nicht schlechter gestellt, als ein Geschädigter, der sein Fahrzeug reparieren lasse. Denn auch dieser müsse sich auf die zumutbare Möglichkeit einer gleichwertigen Schadensbeseitigung durch eine nicht markengebundene Fachwerkstatt verweisen lassen, wenn ihm diese vor Erteilung des Reparaturauftrags konkret nachgewiesen werde.
II.
Rz. 5
Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
Rz. 6
1. Der erkennende Senat hat in seinen Entscheidungen vom 20.10.2009 (- VI ZR 53/09, VersR 2010, 225, z.V.b. in BGHZ) und vom 23.2.2010 (- VI ZR 91/09 -, z.V.b.) grundsätzlich Stellung dazu bezogen, unter welchen Voraussetzungen ein Geschädigter, der den Ersatz fiktiver Reparaturkosten begehrt, gem. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die Erstattung der Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt verlangen kann. Danach leistet der Geschädigte dem Gebot der Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen Genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er der Schadensabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legt, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (BGH, Urt. v. 20.10.2009 - VI ZR 53/09 -, a.a.O., Rz. 8).
Rz. 7
Der Schädiger kann den Geschädigten aber unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen "freien Fachwerkstatt" verweisen, wenn er darlegt und ggf. beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und wenn er ggf. vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würden (BGH, Urt. v. 20.10.2009 - VI ZR 53/09 -, a.a.O., Rz. 9; v. 23.2.2010 - VI ZR 91/09 - Rz. 9). Unzumutbar ist eine Reparatur in einer "freien Fachwerkstatt" für den Geschädigten im Allgemeinen dann, wenn das beschädigte Fahrzeug im Unfallzeitpunkt nicht älter als drei Jahre war (BGH, Urt. v. 20.10.2009 - VI ZR 53/09 -, a.a.O., Rz. 14). Aber auch bei Kraftfahrzeugen, die älter sind als drei Jahre, kann es für den Geschädigten unzumutbar sein, sich auf eine technisch gleichwertige Reparaturmöglichkeit außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen. Dies kann insb. dann der Fall sein, wenn der Geschädigte sein Kraftfahrzeug bisher stets in der markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen (BGH, Urt. v. 20.10.2009 - VI ZR 53/09 -, a.a.O., Rz. 15).
Rz. 8
2. Mit diesen Grundsätzen steht das Berufungsurteil nicht im Einklang. Zwar entspricht die Reparatur in der von der Beklagten zu 2) benannten, nicht markengebundenen Reparaturwerkstatt M. nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt. Nach den bisherigen Feststellungen erscheint es aber nicht ausgeschlossen, dass es dem Kläger gleichwohl unzumutbar war, sein Fahrzeug bei der Firma M. reparieren zu lassen. Denn nach der Behauptung des Klägers, die mangels tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts revisionsrechtlich zugrunde zu legen war, hatte der Kläger sein Fahrzeug bei der markengebundenen Fachwerkstatt V. gekauft, es dort warten und alle erforderlichen Reparaturen dort durchführen lassen. Das Berufungsurteil war deshalb aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die insoweit erforderlichen Feststellungen treffen kann.
Fundstellen
NJW 2010, 2727 |
EBE/BGH 2010 |
JurBüro 2010, 611 |
ZAP 2011, 289 |
DAR 2010, 512 |
DAR 2011, 308 |
MDR 2010, 920 |
NJ 2010, 518 |
NZV 2010, 554 |
VRS 2011, 1 |
VersR 2010, 1096 |
SVR 2010, 338 |
SVR 2010, 4 |
SVR 2011, 22 |
StX 2010, 510 |
VRR 2010, 383 |
r+s 2010, 348 |
ACE-VERKEHRSJURIST 2010, 11 |
DS 2010, 323 |