Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Kommanditisten in der Insolvenz
Leitsatz (redaktionell)
1. Die persönliche Haftung des Kommanditisten nach §§ 171, 172 Abs. 4, 161 Abs. 2, 128 HGB besteht bei Insolvenz der Gesellschaft jedenfalls für solche Gesellschaftsverbindlichkeiten, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind. Auf die insolvenzrechtliche Einordnung dieser Verbindlichkeiten kommt es dabei nicht an.
2. Ein Kommanditist haftet für die Gewerbesteuer der Gesellschaft, die durch die Gewinnzurechnung beim Wechsel von der Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich zur Gewinnermittlung nach Tonnage (§ 5a Abs. 4 S. 3 Nr. 2 EStG) vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft entstand.
Normenkette
HGB §§ 128, 160, 171-172; EStG § 5a Abs. 4 S. 3 Nr. 2; GewStG § 5 Abs. 1; InsO §§ 38, 55
Verfahrensgang
LG Dortmund (Entscheidung vom 24.09.2018; Aktenzeichen 3 O 37/18) |
OLG Hamm (Beschluss vom 05.04.2019; Aktenzeichen I-8 U 141/18) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 5. April 2019 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die auf die Haftung der Beklagten gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft gestützte Klage abgewiesen wurde.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem am 21. November 2013 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der D. GmbH & Co. Tankschiff KG, einer Publikumsfondsgesellschaft in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft (im Folgenden: Schuldnerin). Unternehmensgegenstand der Schuldnerin war der Erwerb, Betrieb und die Vercharterung eines Tankschiffs, welches der Kläger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Jahr 2014 veräußerte. Bei der Festsetzung der Gewerbesteuer der Schuldnerin für das Jahr 2014 wurde ihrem Gewinn wegen ihres Wechsels der Besteuerungsart zur Tonnagebesteuerung ein Unterschiedsbetrag gemäß § 5a Abs. 4 EStG hinzugerechnet. Die mit Bescheid vom 8. April 2016 festgesetzte Steuer wurde im Insolvenzverfahren in Höhe von 1.550.159,80 EUR als Masseverbindlichkeit geltend gemacht.
Rz. 2
Die Beklagte, die mit einer Einlage von 51.129,19 EUR als Kommanditistin an der Schuldnerin beteiligt war, erhielt in den Jahren 1999 bis 2007 Ausschüttungen in Höhe von insgesamt 30.677,51 EUR. Dabei war ihr Kapitalanteil im Zeitpunkt der Ausschüttungen jeweils durch Verluste unter den Betrag ihrer Haftsumme herabgemindert. Hiervon zahlte die Beklagte 7.669,38 EUR an die Schuldnerin zurück.
Rz. 3
Der Kläger hat die Beklagte aus der Außenhaftung als Kommanditistin nach §§ 171, 172 Abs. 4 HGB sowie zur Durchführung des Innenausgleichs unter den Gesellschaftern auf Zahlung der noch offenen Differenz von 23.008,13 EUR in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht durch Beschluss zurückgewiesen. Mit der vom Senat hinsichtlich des auf die Außenhaftung der Beklagten als Kommanditistin gestützten Anspruchs zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine diesbezügliche Klage weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die Revision des Klägers hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Rz. 5
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 6
Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte aufgrund ihrer Außenhaftung nach §§ 171, 172 Abs. 4 HGB scheitere daran, dass der mit der Klage geltend gemachte Betrag nicht zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger benötigt werde, weil die Forderungen, für die die Beklagte als Kommanditistin hafte, bereits durch die von anderen Kommanditisten auf ihre Außenhaftung zurückgezahlten Beträge von rund 860.000 EUR gedeckt seien. Zwar sei hinsichtlich der zu befriedigenden Gläubiger grundsätzlich auf sämtliche angemeldete, d.h. auch auf bestrittene Forderungen abzustellen. Auszunehmen seien aber Forderungen, für die der Kommanditist aus Rechtsgründen nicht hafte. Dies seien hier zum einen die Forderungen von Gesellschaftern auf Rückgewähr von ihnen bereits zurückgezahlter Ausschüttungen, die der Sache nach keine Drittforderungen seien. Zum anderen hafte die Beklagte nicht für die Gewerbesteuerforderung für das Jahr 2014. Hierbei handele es sich um eine Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, für die nach §§ 171, 172 Abs. 4 HGB eingezogene Beträge nicht verwendet werden dürften, da die Einziehungsbefugnis des Klägers nach § 171 Abs. 2 HGB bereits bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Verbindlichkeiten der Gesellschaft voraussetze. Die Gewerbesteuerforderung sei jedoch nicht schon mit dem Wechsel der Gewinnermittlungsart durch die Schuldnerin vor der Insolvenzeröffnung begründet worden, sondern erst mit der gemäß § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 EStG steuerauslösenden Veräußerung des Fondsschiffs durch den Kläger. Auch eine dem Kläger oktroyierte Verbindlichkeit liege nicht vor. Danach reichten die von anderen Kommanditisten bereits auf ihre Außenhaftung zurückgezahlten Beträge aus, um die übrigen festgestellten und bestrittenen Forderungen sowie – sofern man die Haftung der Kommanditisten auch darauf ggf. anteilig erstrecken wolle – die Kosten des Insolvenzverfahrens zu befriedigen.
Rz. 7
II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann die Abweisung der Klage hinsichtlich einer Haftung der Beklagten nach §§ 171, 172 Abs. 4 HGB keinen Bestand haben.
Rz. 8
1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die ursprünglich durch die Leistung der Einlage gemäß § 171 Abs. 1 HGB erloschene Außenhaftung der Beklagten durch die Ausschüttungen in der Zeit von 1999 bis 2007 gemäß § 172 Abs. 4 HGB in Höhe von 30.677,51 EUR wieder aufgelebt ist. Da die Beklagte hierauf nur einen Betrag von 7.669,38 EUR zurückgezahlt hat, besteht noch ein offener Haftungsbetrag in Höhe von 23.008,13 EUR.
Rz. 9
2. Ebenfalls zutreffend ist, dass der Kläger diese offene Haftung nach § 171 Abs. 1 Halbsatz 1, § 172 Abs. 2 HGB nur insoweit geltend machen kann, als die Inanspruchnahme der Beklagten zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger, denen die Beklagte nach §§ 171, 172 HGB haftet, erforderlich ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2011 – II ZR 271/08, BGHZ 189, 45 Rn. 18 mwN), und die Beklagte dagegen entsprechend § 422 Abs. 1 Satz 1, § 362 Abs. 1 BGB einwenden kann, dass der zur Befriedigung dieser Gläubiger erforderliche Betrag bereits durch Zahlungen anderer Kommanditisten aufgebracht wurde (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 2020 – II ZR 175/19, ZIP 2020, 1869 Rn. 25 ff.).
Rz. 10
3. Die weitere Feststellung des Berufungsgerichts, der von den Kommanditisten bereits aufgebrachte Betrag von rund 860.000 EUR reiche zur Befriedigung der zu berücksichtigenden Gläubigerforderungen aus, beruht jedoch auf einem Rechtsfehler.
Rz. 11
a) Insofern hat das Berufungsgericht noch zu Recht eine Haftung der Beklagten für die angemeldeten Forderungen anderer Kommanditisten auf Auszahlung ihrer Einlage oder Rückzahlung von vor der Insolvenz zurückgezahlter Ausschüttungen verneint. Diese Ansprüche sind entweder unmittelbar oder der Sache nach auf Rückzahlung der Kommanditeinlage gerichtet, die im Insolvenzfall jedoch zur Befriedigung der Gläubiger als Haftungsmasse zur Verfügung stehen muss. Die diesbezüglichen Forderungen sind daher keine Insolvenzforderungen im Sinne von § 38 InsO, sondern erst im Rahmen des sich an die Schlussverteilung anschließenden Innenausgleichs der Gesellschafter zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2017 – II ZR 353/15, ZIP 2018, 18 Rn. 24, 37 f., 43 ff.).
Rz. 12
Entsprechendes gilt – was das Berufungsgericht offengelassen hat – für die von Kommanditisten angemeldeten Schadensersatz- und Zinsforderungen aufgrund der Verfolgung ihrer Ansprüche auf Rückgewähr der geleisteten Einlage oder von ihnen zurückgezahlter Ausschüttungen, die ebenso wie die auf Rückzahlung der Einlage gerichteten Forderungen dem Innenverhältnis der Gesellschafter zuzuordnen sind (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2020 – II ZR 108/19, ZIP 2021, 255 Rn. 23).
Rz. 13
b) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht dagegen eine Haftung der Beklagten nach §§ 171, 172 Abs. 4, § 161 Abs. 2, § 128 HGB für die Gewerbesteuerforderung für das Jahr 2014 verneint. Die Beklagte haftet jedenfalls insoweit auch für diese Forderung, als sie auf der Hinzurechnung des Unterschiedsbetrags nach § 5a Abs. 4 EStG zum Gewinn der Schuldnerin beruht.
Rz. 14
Wie der Senat nach Erlass der angefochtenen Entscheidung mit Urteil vom 15. Dezember 2020 (II ZR 108/19, ZIP 2021, 255 Rn. 24 ff.) entschieden hat, haftet der Kommanditist nach §§ 171, 172 Abs. 4, § 161 Abs. 2, § 128 HGB in der Insolvenz der Gesellschaft jedenfalls für solche Gesellschaftsverbindlichkeiten, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind. Auf die insolvenzrechtliche Einordnung dieser Verbindlichkeiten kommt es nicht an. Für die Frage, ob eine bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Forderung vorliegt, können die für die Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters nach § 160 HGB entwickelten Abgrenzungskriterien herangezogen werden (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2020 – II ZR 108/19, ZIP 2021, 255 Rn. 42 f.). Danach ist bei der hier zu beurteilenden Steuerforderung nicht auf die vollständige Verwirklichung des steuerauslösenden gesetzlichen Besteuerungstatbestands abzustellen, sondern darauf, ob der Grund der Besteuerung zu einem Zeitpunkt gelegt wurde, zu dem der Gesellschafter noch Einfluss nehmen konnte und die Führung der Gesellschaft auch zu seinem Nutzen erfolgte.
Rz. 15
Das ist hier jedenfalls insoweit der Fall, als die Gewerbesteuerforderung für das Jahr 2014 auf der Hinzurechnung des Unterschiedsbetrags nach § 5a Abs. 4 EStG beruht, da sie jedenfalls in diesem Umfang spätestens mit der Feststellung des Unterschiedsbetrags im Zuge des Wechsels der Gewinnermittlungsart und damit noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurde (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2020 – II ZR 108/19, ZIP 2021, 255 Rn. 45 ff.; Beschluss vom 29. April 2021 – IX ZR 154/20, juris Rn. 14). Der Einwand der Revisionserwiderung, es sei nicht festgestellt, dass und zu welchem Zeitpunkt ein Wechsel der Schuldnerin zur Tonnagebesteuerung stattgefunden habe, trifft nicht zu. Die Feststellung, dass die Schuldnerin jedenfalls vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Tonnagebesteuerung gewechselt ist, ergibt sich aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung, in denen das Berufungsgericht ausgeführt hat, der maßgebliche Besteuerungstatbestand sei „noch nicht durch das vorinsolvenzliche Optieren der Insolvenzschuldnerin zur Tonnagebesteuerung und die damit einhergehende Feststellung eines Unterschiedsbetrags gem. § 5a Abs. 4 S. 1 EStG begründet” worden.
Rz. 16
III. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Insbesondere genügt die Klage den Bestimmtheitsanforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
Rz. 17
Dass der Kläger sich zur Begründung seiner Forderung auf zwei verschiedene prozessuale Streitgegenstände, nämlich sowohl auf eine Außenhaftung der Beklagten nach §§ 171, 172 HGB als auch auf eine Zahlungspflicht zum Zweck des Ausgleichs unter den Gesellschaftern, gestützt hat, steht der Bestimmtheit seiner Klage gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht entgegen. Der Kläger hat hinreichend deutlich gemacht, dass er die beiden Streitgegenstände in eventueller Klagehäufung geltend machen und sich lediglich hilfsweise auf eine Einziehung der Klageforderung zum Zwecke des Innenausgleichs berufen will (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2011 – I ZR 108/09, BGHZ 189, 56 Rn. 9 f.; Urteil vom 15. Dezember 2020 – II ZR 108/19, ZIP 2021, 255 Rn. 11 ff.).
Rz. 18
Eine nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO unzulässige Teilklage liegt nicht vor. Einer Klarstellung, auf welche konkreten Gläubigerforderungen in welcher Reihenfolge bzw. zu welchem Anteil die von der Beklagten gemäß § 171 Abs. 2 HGB eingeforderte Haftsumme angerechnet werden soll, bedurfte es nicht, da der Kläger die gesamte noch offene Haftsumme der Beklagten geltend macht und diese im Insolvenzverfahren nur zur gleichmäßigen (anteiligen) Befriedigung der berechtigten Gläubiger verwendet werden darf (BGH, Urteil vom 20. Februar 2018 – II ZR 272/16, BGHZ 217, 327 Rn. 17 mwN).
Rz. 19
Der Kläger hat die seinem Anspruch aus § 171 Abs. 1 und 2, § 172 Abs. 4 HGB zugrundeliegenden Forderungen in einer § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügenden Weise individualisiert, indem er eine Insolvenztabelle nach § 175 InsO mit den angemeldeten Gläubigerforderungen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 2020 – II ZR 175/19, ZIP 2020, 1869 Rn. 5, 12) und den Gewerbesteuerbescheid vom 8. April 2016 nebst Schreiben vom 13. April 2016 über die Geltendmachung der Steuerforderung als Masseverbindlichkeit vorgelegt hat.
Rz. 20
IV. Der angefochtene Beschluss ist danach hinsichtlich der Inanspruchnahme der Beklagten aus ihrer Außenhaftung als Kommanditistin aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sie noch nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und 3 ZPO).
Rz. 21
Die Haftung der Beklagten nach § 171 Abs. 1 und 2, § 172 Abs. 4 HGB lässt sich nicht bereits damit begründen, dass die von anderen Kommanditisten bereits zurückgezahlten Beträge von rund 860.000 EUR bei Berücksichtigung der angemeldeten Gewerbesteuerforderung nicht ausreichen, um die Forderungen, für die die Beklagte nach §§ 171, 172, 161 Abs. 2, § 128 HGB haftet, zu decken. Zum einen bedarf es weiterer Feststellungen zu den von der Haftung der Beklagten umfassten Forderungen, zum anderen kann die Beklagte sich nicht nur auf die von anderen Kommanditisten erbrachten Zahlungen berufen, sondern auch darauf, dass die im Übrigen zur Verfügung stehende Insolvenzmasse voraussichtlich genüge, einen danach verbleibenden Restbetrag zu decken (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 2020 – II ZR 175/19, ZIP 2020, 1869 Rn. 32). Auch dazu liegen keine ausreichenden Feststellungen vor:
Rz. 22
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts beläuft sich die vorhandene Insolvenzmasse auf 2.175.886,14 EUR. Abzüglich der mit ca. 266.681,15 EUR angegebenen Kosten des Insolvenzverfahrens verbleibt eine zur Gläubigerbefriedigung zur Verfügung stehende Masse von 1.909.204,99 EUR.
Rz. 23
Ob dieser Betrag ausreicht, um sämtliche Gesellschaftsverbindlichkeiten, für die die Beklagte nach §§ 171, 172 Abs. 4, § 161 Abs. 2, § 128 HGB haftet, zu decken, vermag der Senat nicht abschließend zu beurteilen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass sich die Haftung der Beklagten nicht nur auf die Gewerbesteuerforderung und auf die zur Tabelle festgestellten Forderungen in Höhe von 86.616,86 EUR erstreckt. Vielmehr haftet der Kommanditist nach der Entscheidung des Senats vom 9. Februar 2021 (II ZR 28/20, ZIP 2021, 473 Rn. 12 f.) auch für vom Insolvenzverwalter bestrittene Forderungsanmeldungen, sofern eine erfolgreiche Inanspruchnahme der Masse wegen dieser Forderungen noch ernsthaft in Betracht kommt. Ob dies bei den hier angegebenen bestrittenen Forderungen aus einem Geschäftsbesorgungs- und einem Darlehensvertrag in Höhe von insgesamt 276.695,67 EUR der Fall ist, hat das Berufungsgericht, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, nicht festgestellt. Des Weiteren fehlen hinsichtlich der Gewerbesteuerforderung für das Jahr 2014 Angaben dazu, in welcher Höhe diese auf der Hinzurechnung des Unterschiedsbetrags nach § 5a Abs. 4 EStG oder auf anderem Gewinn der Gesellschaft beruht, so dass auch nicht beurteilt werden kann, ob die Beklagte auch für den evtl. auf anderem Gewinn beruhenden Betrag haftet. Sollten sowohl die gesamte Gewerbesteuerforderung als auch beide bestrittenen Forderungen von der Haftung der Beklagten umfasst sein, ergäbe sich eine Unterdeckung in Höhe von 4.267,34 EUR.
Rz. 24
Damit würde zwar nicht der gesamte vom Kläger geltend gemachte Betrag noch zur Befriedigung der Gläubiger benötigt. Eine teilweise Zurückweisung der Revision hinsichtlich der diesen Betrag übersteigenden Klageforderung kommt aber nicht in Betracht, weil es hierfür an belastbaren abschließenden Feststellungen zu etwa noch bestehenden weiteren, vorrangig aus der Masse zu befriedigenden Masseverbindlichkeiten (§ 53 InsO) fehlt. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Prüfung, ob die Inanspruchnahme der Beklagten unter Berücksichtigung der sonst zur Verfügung stehenden Insolvenzmasse erforderlich ist, von einer Prognose abhängig ist, die naturgemäß mit Unsicherheiten belastet ist. Angesichts dessen ist der Insolvenzverwalter berechtigt, den nach den Verhältnissen der Insolvenzmasse für die Gläubigerbefriedigung erforderlichen Betrag unter Berücksichtigung solcher Unsicherheiten zu schätzen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 2020 – II ZR 175/19, ZIP 2020, 1869 Rn. 34 mwN). Vor diesem Hintergrund ist es ihm auch gestattet, Rückstellungen zu bilden, deren Berechtigung und Angemessenheit im Einzelfall zu prüfen sind.
Unterschriften
Drescher, Born, B. Grüneberg, V. Sander, von Selle
Fundstellen
NZG 2021, 1451 |
ZInsO 2021, 2090 |